KlassikWoche 20/2022

Von Amoral und Wohlstands­verwahrlosung

von Axel Brüggemann

16. Mai 2022

Toxisches Sponsoring bei den Salzburger Festspielen, Elisabeth Sobotka als Intendantin an die Staatsoper Berlin, die neue CRESCENDO-Website

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

heute mit einer span­nenden Debatte über den Kurs der Salz­burger Fest­spiele, über Hand­bremsen bei China-Reisen und mit einer voll­kommen neuen CRESCENDO-Website 

SALZ­BURG ALS FEST DER AMORAL?

Die Hofstallgasse in Salzburg während der Salzburger Festspiele

Wenn die Wogen hoch­schlagen, ist es meist gut, ausger­u­­­ht die Lage zu sondieren. „Toxi­sches Sp­onsoring“ hat Autor und Regis­seur den Salz­burger Fest­spielen vorge­worfen, bezog sich dab­­ei beson­ders auf das Unter­nehmen Solway. Außerdem steht Salz­burg-Inten­dant wegen russi­scher Spon­soren in der Kritik. Den alten Deal mit Gazprom hat er bereits als Fehler einge­standen, von der russi­schen VCA-Stif­tung will er sich aber nicht trennen, und auch an und seinem von der VTB Bank finan­zierten Ensemble musi­cAe­terna, in dessen Vorstand drei der engsten Putin-Vertrauten sitzen (wir haben berichtet), will er fest­halten. Letzte Woche sprang ihm der öster­rei­chi­sche Philo­soph in einem Essay bei. Kultur sei ein Ort der Amoral, erklärte er darin, auch beim Spon­so­ring müsse man ein Auge zudrü­cken. In meinem aktu­ellen Podcast „Alles klar, Klassik?“ (hier für alle Formate kostenlos nach­zu­hören) debat­tiere ich die Sache noch einmal ausführ­lich mit Liess­mann. Er erklärt, der Maßstab des Handelns in der Kultur müsse das Gesetz, nicht die Moral sein (hier das Gespräch mit Liess­mann).

Ganz anders sieht das Chris­tian Kuhnt, der Inten­dant des Schleswig-Holstein-Musik­fes­ti­vals. In einem ausführ­li­chen Gespräch über Perspek­tiven des Spon­so­rings sagt er, dass er einige Partner der Salz­burger Fest­spiele für „offen­sicht­lich bedenk­lich“ halte, dass man zunächst prüfen und erst dann das Geld nehmen solle und dass ein wenig „Haus­ver­stand“ genüge, um das Gute vom Schlechten zu trennen. „Wenn man 450 Euro für eine Karte bezahlt und beim Spon­so­ring auf Unter­nehmen wie Solway setzt, kann man da durchaus so etwas wie Wohl­stands­ver­wahr­lo­sung erkennen“, sagt Kuhnt (sein Gespräch ist hier nach­zu­hören). In einem Stan­dard-Inter­view wird der/​die Essayist/​in Masha Gessen, der/​die für den „New Yorker“ schreibt und mit dem National Book Award ausge­zeichnet wurde, noch deut­li­cher: „Curr­entzis hat jahre­lang russi­sche Staats­gelder erhalten. Ich habe kein Problem damit, dass er dafür bestraft wird. Ich wünschte, die Kultur­ge­mein­schaft würde endlich klarere Vorkeh­rungen für Künst­le­rInnen treffen, die unmo­ra­lisch handeln und so tun, als könnten sie außer­halb der Politik exis­tieren.Thomas Knubben, Professor für inter­na­tio­nales Kultur­ma­nage­ment fasst die Situa­tion so zusammen: „Salz­burg ist ein Sonder­fall. Die Stadt will dieses Spon­so­ring offenbar, das Land will es, Öster­reich will es – die Welt will es. Die Künstler wollen es, und das Publikum will es. Wer also soll dieses System aus den Angeln heben?“ Ich persön­lich glaube, dass es eine wich­tige Aufgabe der Zukunft sein könnte, Nach­hal­tig­keit, Fair­ness und – ja auch so etwas wie einen mora­li­schen Kompass – mit großer Kultur in Einklang zu bringen. Die Zeit ist vorbei, dass Amoral als Notwen­dig­keit für große Kunst verstanden werden muss. Und was sagt eigent­lich zu all dem – der hat doch sonst immer eine Meinung.

WIE WAR ICH? GEDANKEN ZUR MUSIK­KRITIK 

In der dritten Folge der Debatte um die Zukunft der Musik­kritik vom Lucerne Festival debat­tiere ich mit dem Inten­danten und dem Diri­genten über die Frage, was Musi­ke­rInnen von Kritik erwarten. Muss es immer sein? Wann hilft Kritik, wann ist die desavou­ie­rend? Und vor allen Dingen: Wer versteht sie über­haupt noch? Die ganze Diskus­sion im Video (oben).

LEIPZIG, LONDON, PEKING? – NICHT MEHR UNBE­DINGT 

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Als ich im letzten Podcast über die Situa­tion der Orchester debat­tiert habe, kris­tal­li­sierte sich heraus, dass die große Zeit der Globa­li­sie­rung wohl erst einmal vorbei ist. Muss in Zeiten von Krieg und Klima­wandel wirk­lich jedes Ensemble andau­ernd durch die Welt reisen? Oder werden Gast­spiele in Zukunft wieder zu etwas Beson­derem. Ein Ende der Routine durch die klare Frage: Warum reist man mit welchem Orchester und welchem Programm an welchen Ort? Und vor allen Dingen, wird der Export­schlager der Zukunft das Klang-Image, das man zu Hause, vor Ort mit seinem eigenen Publikum entwi­ckelt?

Manuel Brug hat das Gewand­haus­or­chester für die Welt begleitet und seinen Inten­danten, Andreas Schulz dazu befragt. Der erklärte, dass Ziele wie China bei ihm nicht mehr unbe­dingt auf der Agenda stehen: „Schulz plant kommende Tour­neen verhalten, sucht nach­hal­ti­gere Reise­lö­sungen. Eine China­tour etwa steht schon aus poli­tisch-mora­li­schen Gründen auf schwä­chelnden Füßen.“ Tatsäch­lich scheinen Corona und Krieg die Orchester zu zwingen, erst einmal wieder zu Hause das eigene Profil zu entwi­ckeln, um dann mit ihrem urei­genen Image auf Reisen zu gehen.

INTI­MERE FORMATE, BITTE

Zum Wandel der Musik passt auch ein lesens­wertes Inter­view, das Chris­tiane Peitz für den Tages­spiegel mit Musik­ma­nager Karsten Witt geführt hat. Nachdem der Diri­gent Vladimir Jurowski letzte Woche an dieser Stelle erklärt hatte, dass deut­sche Orchester in Sachen Eigen­ver­ant­wor­tung einiges von engli­schen Orches­tern lernen könnten, stößt Karsten Witt nun in ein ähnli­ches Horn: „Die deut­schen Orchester sind im Manage­ment unter­be­setzt, meist haben sie nur fünf bis acht Mitar­beiter. Bei jedem Londoner Orchester kümmern sich rund 30 Leute um Perso­nal­ent­wick­lung und Finanzen, Fund­rai­sing, Educa­tion-Arbeit, Marke­ting etc.“ Publi­kums­er­folg scheint das aller­dings nicht zu garan­tieren. 

In seinem Reise­be­richt mit dem Gewand­haus­or­chester berichtet Brug gerade in England von leeren Sälen: „Keines der Leip­ziger Konzerte, die von den sonst gern spitz­zün­gigen Lokal­jour­na­listen enthu­si­as­tisch beur­teilt werden, war ausver­kauft, viele Tickets gingen erst in letzter Minute über den Tresen. Man kommt zuweilen in Bermuda-Shorts, nimmt selbst­ver­ständ­lich das Pausen­wein­glas mit in den Saal; Programm­hefte gibt es nur noch als Down­load.“ Und wie geht es weiter? Karsten Witt erkennt derzeit eine große Verun­si­che­rung in der Klassik-Szene: „Die Abon­nenten kommen zurück, auch die Fans der Stars, aber ein großer Teil des Publi­kums bleibt weg. Wir haben uns ja zwei Jahre lang an ein soziales Leben gewöhnt, das sich vor allem zuhause abspielt. Vermut­lich müssen wir versu­chen, mit klei­neren, inti­meren, infor­mellen Konzert­formen, auch in neuen Räumen ein neues Publikum zu gewinnen, mit span­nenden Programmen, bei denen geredet, musi­ziert und konsu­miert wird, wo ein neues soziales Leben entsteht. Gleich­zeitig müssen die großen Häuser ihre Säle schnell wieder füllen, ein Dilemma.“

ELISA­BETH SOBOTKA NACH BERLIN

Elisabeth Sobotka

Dass die Inten­dantin der Bregenzer Fest­spiele, , als Inten­dantin an die Staats­oper nach Berlin geht, war seit Monaten ein offenes Geheimnis. Es war offenbar nicht leicht, eine Nach­fol­gerin für den schei­denden Inten­danten (er geht nach Zürich) zu finden, der auch genehm war. Das wirk­lich Absurde an der Benen­nung von Sobotka war, dass das Online-Magazin VAN die Nach­richt als erste meldete, woraufhin der Pres­se­spre­cher der Senats­ver­wal­tung für Kultur, Daniel Bartsch, offenbar versuchte, das Magazin als „digi­tale Fakenews“ zu verun­glimpfen (wie es Volker Blech in der Morgen­post schreibt). Tatsäch­lich hatte das VAN-Magazin immer wieder die Führungs­me­thoden von Baren­boim beleuchtet und debat­tiert. Die Diskre­di­tie­rung von recher­chie­renden Jour­na­lis­tInnen ist ein Vorgehen, das auch ich schon öfter erleben musste. Ist es nicht gut, dass endlich auch in der Klassik eine Art von Jour­na­lismus einzieht, die Gemau­schel, rück­sichts­loses Verhalten und despo­ti­sches Benehmen thema­ti­siert? Kultur­po­li­ti­ke­rInnen und Künst­le­rInnen täten gut daran, diesen Umstand nicht zu diskre­di­tieren, sondern ihn dankbar zur Kenntnis zu nehmen. 

PERSO­NA­LIEN DER WOCHE

Teresa Berganza

Der The­ater­regis­seur Ivo van Hove übern­immt ab Novem­ber 2023 die kün­st­lerische Leitung der Ruhrtri­en­nale. Das gab Nor­d­rhein-West­­fa­lens Kul­tur­min­is­terin Isabel Pfeif­fer-Poens­gen bekan­nt. Der Bel­gi­er gestal­tet die drei Spielzeit­en 2024 bis 2026. Er fol­gt tur­nus­gemäß auf die aktu­elle Inten­dan­tin Bar­bara Frey. +++ , Luxem­burgs Minister für Erzie­hung hat bekannt gegeben, dass sein Land das erste in Europa ist, das allen Kindern kosten­losen Musik­un­ter­richt außer­halb der Schule anbietet: „Diese Entschei­dung stärkt nicht nur die kultu­rellen Möglich­keiten unseres Landes, sondern gibt den Kindern auch nütz­li­ches Wissen für ihre Zukunft an die Hand.“ +++ Aufgrund einer angeb­li­chen Krank­heit hat Anna Netrebkos Mann, seine Auftritte als Rodolfo in „La Bohème“ an der Metro­po­litan Opera in New York abge­sagt. Zuvor hatte Inten­dant Peter Gelb erklärt, dass er Netrebko nicht auftreten lassen wird. +++ wurde als YouTube-Pianistin welt­be­kannt, nun hat sie ihre Loya­lität zu Putin bekundet, indem sie im angeb­lich „befreiten“ Mariupol russi­sche Solda­ten­lieder gespielt hat. +++ wird Chef­di­ri­gent der Staats­ka­pelle Halle und Gene­ral­mu­sik­di­rektor der dortigen Oper. Der Vertrag startet mit der Spiel­zeit 2022/2023 und hat eine Lauf­zeit von fünf Jahren. +++ Berlins Kul­turse­n­a­tor Klaus Led­er­er will bis Ende 2022 einen Nach­fol­ger für den Inten­dan­ten der Deut­schen Oper Berlin, Diet­mar Schwarz, gefun­den haben. „Das halte ich für real­is­tisch”, sagte der Linken-Poli­­ti­k­er dem Tages­spiegel. Schwarz hat­te seinen Ver­trag zulet­zt nur um drei Jahre bis Juli 2025 ver­längert. Er leit­et das Haus seit 2012. +++ Die große ist tot. „Sie wies mit Leich­tig­keit, Wärme und Präzi­sion der Rossini-Renais­sance den Weg und war eine Carmen von gefähr­li­cher Intel­li­genz. Jetzt trauert ihr Heimat­land Spanien um eine seiner größten Sänge­rinnen der Nach­kriegs­zeit“, so ruft ihr Jan Bach­mann in der FAZ nach. 

UND WO BLEIBT DAS POSI­TIVE, HERR BRÜG­GE­MANN?

Ja, wo zum Teufel bleibt es nur? Manchmal liegt es beson­ders nahe, nämlich genau hier, auf Ihrem Bild­schirm – die neue CRESCENDO-Website. CRESCENDO hat sich zwar nicht neu erfunden, sich aber ein Face­lift verpasst. Aktua­lität in einem modernen Format – die Idee bleibt die gleiche: quali­tativ hoch­wer­tiger Jour­na­lismus und gut recher­chierte Beiträge und Infor­ma­tionen über Oper, Konzert, Ballett, Theater, Kunst – Musik und Kultur als Lebens­form. Getoppt mit Reisen, Kuli­narik und Inspi­ra­tionen jegli­cher Couleur. Besu­chen Sie doch mal die neue CRESCENDO-Seite – die einfache Navi­ga­tion, die selbst­er­klä­rende Struktur und die intui­tive Nutzer­freund­lich­keit werden Sie begeis­tern. Und weil nichts so beständig wie der Wandel ist, freut sich das CRESCENDO-Team, Sie in den nächsten Monaten immer wieder mit neuen Rubriken, Ideen und Funk­tionen zu über­ra­schen. Bleiben Sie also neugierig, und entde­cken Sie die neuen Seiten von CRESCENDO!

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

brueggemann@​crescendo.​de

Fotos: Salzburger Festspiele, Paul Andreu, Anja Köhler, imago ZUMA Press