„Wir wollen doch nur helfen“

„Wir wollen doch nur helfen“

von Anna Novák

3. September 2013

Das Jahr­hun­dert­hoch­wasser führte im Juni zur Absage der Händel-Fest­spiele in . Die Folge: eine Welle an Hilfs­be­reit­schaft – aber auch Kritik.

Ende Mai, 2013. In Halle ist für die Händel-Fest­spiele alles vorbe­reitet: Die Karten sind verkauft, die Spiel­stätten herge­richtet. Nur in Halle zu den Händel-Fest­spielen kann man die Musik des Kompo­nisten und die seiner Zeit­ge­nossen mit Welt­klas­se­künst­lern an authen­ti­schen Orten hören. Die Hallenser freuen sich auf die Künstler, die in diesem Jahr auftreten sollen. Die Fest­spiele sind ein kultu­relles High­light der Stadt. Der Sekt für die erste Pausen­be­wir­tung liegt schon kalt.

Dann beginnt es zu regnen. Tage­lang stürzt das Wasser vom Himmel. Laut Berech­nungen des Deut­schen Wetter­dienstes werden allein in den Bundes­län­dern , , Thüringen und in den vier Tagen des Stark­re­gens zwischen 30. Mai und 2. Juni insge­samt 13,4 Milli­arden Kubik­meter Nieder­schlag aufge­zeichnet.

Das Wasser tritt über die Ufer. In erreicht die Donau am Abend des 3. Juni einen Rekord­pe­gel­stand von 12,89 Metern.
Kurze Zeit später erreicht das Hoch­wasser und damit auch Händels Geburts­stadt. Als das Wasser der Saale, die über die Ufer getreten ist, den Glauchaer Platz teil­weise über­spült, 700 Meter entfernt vom Händel-Haus, entschließen sich der Minis­ter­prä­si­dent Sachsen-Anhalts, Dr. Reiner Haseloff, und Halles Ober­bür­ger­meister, Dr. Bernd Wiegand, zu einem – zumin­dest aus kultu­reller Sicht – dras­ti­schen Schritt: Die Händel-Fest­spiele werden abge­sagt. Alle Konzerte und Veran­stal­tungen entfallen. Wegen „höherer Gewalt“. Erst­mals in der Geschichte des Festi­vals. Und sie sind nicht die einzigen: Das Lite­ra­tur­fest Meißen fällt aus, das Puppen­theater sagt sein Thea­ter­fes­tival ab, das in kann nicht statt­finden.

In Halle wird der Kata­stro­phen­fall ausge­rufen. Statt Sekt-Kisten schleppt man jetzt Sand­säcke, rettet das, was zu retten ist. Klar, dass die Bewohner der Stadt nun erst mal an sich denken müssen. Doch schnell wird das Ausmaß der Fest­spiel-Absage für den Kultur­be­trieb deut­lich: Die gekauften Karten werden zurück­er­stattet. Künstler-Gagen und Verträge müssen begli­chen werden. Die Händel-Fest­spiele stehen vor dem Aus. Kritik wird laut. Hat die Absage sein müssen?
, Inten­dant der Händel-Fest­spiele sagt: „In dieser Situa­tion lag es an der Leitung des Kata­stro­phen­schutz-Stabes, zu entscheiden, ob die Infra­struktur über­haupt in der Lage wäre, zehn­tau­sende Fest­spiel-Besu­cher in die Stadt zu bringen. Der Kata­stro­phen­fall wurde kurz vorher fest­ge­stellt. Niemand konnte vorher­sagen, ob und in welcher Form die Infra­struktur zur Verfü­gung steht. Zeit­weise waren auch Zugver­bin­dungen unter­bro­chen.“ Die Absage der Fest­spiele schmerzt. Aber Birn­baum bringt es auf den Punkt: „Natür­lich gab es auch die ethisch-mora­li­sche Frage: Darf man über­haupt ein Fest feiern, wenn ansonsten Land unter ist? Unsere erste Veran­stal­tung sollte eine Feier­stunde am Händel-Denkmal auf dem Markt­platz sein. Ich persön­lich kann mir nicht vorstellen, dass man eine Feier­stunde abhält, während auf der gegen­über­lie­genden Markt­seite Sand­säcke gefüllt werden.“

Verständ­lich. Doch das sehen nicht alle so: Unmit­telbar nach der Absage meldet sich , der Inten­dant der zu Wort. „Aus meiner Sicht ist der Stadt und auch den Flut­op­fern durch die Absage der Händel-Fest­spiele kein Nutzen entstanden, sondern es hat sich der mate­ri­elle Schaden vergrö­ßert, das Image ist beschä­digt und die Chance auf ein Handeln im Sinne Georg Fried­rich Händels vertan worden“, schreibt er in einem offenen Brief an Ober­bür­ger­meister Wiegand. Auch Künstler schalten sich in die Diskus­sion ein. Die Pianistin , die in Halle lebt und den Händel-Fest­spielen durch ihre künst­le­ri­sche Tätig­keit eng verbunden ist, schreibt auf Face­book: „Halle! […] Die Entschei­dung, Dir ange­sichts der Natur­ka­ta­strophe Dein schönstes Kleid der Händel­fest­spiele auszu­ziehen und wegzu­nehmen, ist das eine. Das kann man, wenn schon nicht gutheißen, doch zumin­dest zu verzeihen versu­chen. Aber dass Du jetzt mit Deiner Stur­heit weiterhin alles ablehnst, was wir Künstler Dir darrei­chen wollen an Medizin, und Dich so noch kränker machst, das verstehe ich nicht. […] Wir wollen doch alle nur helfen.“ Aus der Notsi­tua­tion wird eine kultur­po­li­ti­sche Grund­satz­dis­kus­sion. „Das unter­schwel­lige poli­ti­sche Signal der Absage der Händel-Fest­spiele lautet deshalb: Wir können Kunst in dieser Situa­tion nicht gebrau­chen, wir wollen die Kunst und Kultur nur dann, wenn es uns gut genug dafür geht, als verzicht­bares Sahne­häub­chen also“, heißt es im Brief von Köhler weiter.

Die Händel-Fest­spiele haben Glück: Zahl­reiche Konzert­be­su­cher spenden ihren Ticket­preis, Künstler verzichten auf ihre Gage. 360.000 Euro können gespart werden, weil betrof­fene Unter­nehmen auf Technik‑, Leih­ge­bühren und Miet­kosten verzichten. Spon­soren spre­chen ihre Unter­stüt­zung aus. Der Spen­den­aufruf der Händel-Fest­spiele reicht über die Stadt­grenzen hinaus: , und London machen sich für den Erhalt des Festi­vals stark. Anfang Juli kommt die erlö­sende Botschaft: Die Zukunft der Händel-Fest­spiele ist gesi­chert. Ein Teil der Konzerte wird nach­ge­holt, in einer Fest­woche, die als „Händel im Herbst“-Tage im November statt­finden wird. Das Eröff­nungs­kon­zert mit am 13. November wird kosten­frei sein – als Dank an alle Spender und Unter­stützer. Auch Ragna Schirmer spielt für ihre Stadt, und zwar am 3. Oktober ihre im Rahmen der Fest­spiele geplante Urauf­füh­rung des Auftrags­werks von Guil­laume Conne­sson.

Für die Händel-Fest­spiele bleibt ein Gefühl des Bedau­erns zurück. „Natür­lich ist es furchtbar, wenn einem durch eine solche Natur­ka­ta­strophe etwas genommen wird, das man seit Jahren geplant hat. Da geht es uns nicht anders als den vielen Menschen, deren Häuser über­flutet waren. Und man kann nichts dagegen tun“, so Birn­baum. Und doch haben Besu­cher, Kultur­schaf­fende, Spon­soren, das Land Sachsen-Anhalt und die Stadt Halle ein deut­li­ches Zeichen gesendet: Wir wollen, dass die Händel-Fest­spiele weiter­be­stehen. Birn­baum und sein Team sind gerührt von so viel Hilfs­be­reit­schaft und Sympa­thie­be­kun­dung. Einige Besu­cher kamen trotz der Absage nach Halle. „Schade, dass die Fest­spiele ausfallen mussten“, sagen sie, „aber nächstes Jahr, da sind wir wieder da.“

Fotos: Thomas Ziegler