KlassikWoche 26/2019
Wütende Bartoli-Fans, Krach in Sachsen-Anhalt und Spielbergs Bernstein
von Axel Brüggemann
24. Juni 2019
Heute mit wütenden Bartoli-Fans, ersten Bildern von Spielbergs Westside Story, Krach in Sachsen und Lübeck und Talentförderung in Wien.
Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
heute mit wütenden Bartoli-Fans, ersten Bildern von Spielbergs Westside Story, Krach in Sachsen und Lübeck und Talentförderung in Wien.
WAS IST
SPIELBERGS WESTSIDE STORY
Eigentlich sollte der Film bereits im Bernstein-Jubiläumsjahr erscheinen: Stephen Spielberg hatte sich schon vor vielen Jahren die Rechte an einem Remake der Westside-Story von Leonard Bernstein gesichert. Nun haben die Dreharbeiten endlich begonnen. Im Cast sind weitgehend unbekannte Sänger, die aus über 30 000 Bewerbern ausgewählt wurden – gerade hat Twentieth Century Fox das erste offizielle Bild veröffentlicht.
IMPULS-FESTIVAL AUF DER KIPPE
Das Impuls-Festival für neue Musik von Hans Rotman bringt Musik an ganz unterschiedliche Orte in Sachsen und Sachsen-Anhalt sorgt in Städten wie Bitterfeld, Eisleben oder Kalbe für Weltoffenheit, Begeisterung an Neuem und rege Diskussionen. Nun sagt Rotman: „Schockiert musste die Festivalleitung zur Kenntnis nehmen, dass es Pläne des Staatssekretärs Gunnar Schellenberger (CDU) gibt, ein Festival für Neue Musik völlig neu auszurichten, unter bislang geheim gehaltener neuer Leitung, und zwar schon ab dem kommenden Jahr 2020.“ Das Zentrum des neuen Festivals soll wohl Magdeburg sein. Das Absurde an der Situation: Niemand weiß Genaues über die neuen Pläne, und Staatssekretär Schellenberger verweigert jegliche Transparenz.
NEUES OPERNSTUDIO IN WIEN
Die Wiener Staatsoper wird unter seinem neuen Direktor
Bogdan Roščić und Musikdirektor Philippe Jordan 2020 ein Opernstudio für junge Sänger gründen. Bariton Michael Kraus soll die Akademie, in der die Sänger in Anlehnung an das Opernstudio in Zürich von der Nähe zur Oper profitieren sollen, leiten. Junge Sänger können sich bis zum 30. September bewerben.Roščićs Amtsantritt wird in Wien bereits mit großer Spannung erwartet: Wie zu hören ist, will er am Anfang besonders jene Opern neu in Szene setzen lassen, deren Produktionen im Repertoire veraltet sind, und auch von einem Großteil des Ensembles wird er sich, wie zu hören ist, wohl trennen.
LÜBECKS INTENDANT SCHMEISST HIN
Er hat die Nase voll von der Spar-Politik der Kieler Jamaika-Koalition. „Ich bin erkennbar an meine Grenzen gestoßen“, sagte Lübecks Theaterchef Christian Schwandt und kündigte an, 2020 seinen Hut zu nehmen. „Das Land lässt uns am ausgestreckten Arm verhungern“, erklärt er. Lübecks Kultursenatorin Kathrin Weiher bedauert die Entscheidung. Das Land will eine Dynamisierung der Zuschüsse erreichen, die von 1,5 auf 2,5 Prozent steigen sollen – aber das reicht nicht, um die steigenden Personalkosten zu decken. Das Lübecker Theater ist keine Ausnahme: Viele Stadttheater kämpfen derzeit gegen steigende Lohnkosten bei nicht adäquater Steigerung der Subventionen. Viele deutsche Theater sind längst nicht mehr das, was sie einmal sein sollten: Ensemble- und Repertoire-Bühnen, die als aktive Denkfabriken ihrer Städte fungieren.
WAS WAR
Anna Netrebkos jüngster Instagram-Auftritt hat für Aufsehen gesorgt. Am Rande eines Auftritts in Dänemark filmte sie sich und ihre Familie in einer Hühnerfarm. Zu sehen ist, wie die Diva mit Mundschutz mit erhobenem Daumen durch die Massentierhaltung spaziert und wie ihr Sohn kleine Kücken abspritzt, bevor sie in enge Kisten verpackt werden. Ein schräger Auftritt. Erfrischend dagegen das Bad, das die Geigerin Hilary Hahn für ihre Instagram-Freunde genommen hat: Sie wollte schon immer Mal in einem Konzertkleid schwimmen gehen. Und das hat sie nun getan. Überhaupt ist sie echter Instagram-Profi: Nachdem eines ihrer Konzerte in Paris abgesagt wurde, weil das Orchester streikte, erklärte sie sich solidarisch mit den Musikern und lud ihre Fangemeinde spontan zu einem virtuellen Konzert ein.
BARTOLI FANS IN WUT
Auf der Facebook-Seite der Sängerin Cecilia Bartoli geht es hoch her. Der Grund: Die Mailänder Scala hat ihren Auftritt als Cleopatra in der Oper Giulio Cesare angekündigt – viele Fans haben sich sofort Tickets gekauft. Nun erklärt Bartoli, dass lange klar war, sie würde in dieser Produktion nicht auftreten. Das hielt die Scala allerdings nicht davon ab, mit ihrem Namen Tickets zu verkaufen. Jetzt toben die Sängerin und ihre Fans – das Opernhaus hat ihren Namen inzwischen stillschweigend von der Webseite gestrichen. Inzwischen wurde auch der Briefverkehr zwischen Bartoli und Alexander Pereira veröffentlicht – darin erklärt sie ihm, dass sie seine Absetzung bedauere, nicht singen werde, und er antwortet bettelnd: “Don’t abandon me.” („Kehr Dich nicht von mir ab.”) Lustige Randnotiz: Als Madonna diese Woche gesagt hat, sie würde gern einmal an der Scala singen, lehnte das Haus ihren Wunsch ab: „Wir sind kein Haus, in dem Popkonzerte stattfinden.“
PERSONALIEN DER WOCHE
Wir haben es im letzten Newsletter bereits geahnt: Die Mailänder Scala hat den Vertrag von Intendant Alexander Pereira nicht verlängert. Die italienische Presseagentur hat sich bereits auf den derzeitigen Wiener Opernintendanten Dominique Meyer als Nachfolger festgelegt – dessen Büro aber wiegelt ab: „Es bleibt spannend, wir werden sehen“. Wahrscheinlich geht es aber nur noch um vertragliche Details. +++ Teodor Currentzis hat seine Stelle als Direktor der Perm-Oper aufgegeben, will aber an der Spitze des Diaghilev-Festivals bleiben und auch weiterhin das Ensemble musicAeterna leiten, das wahrscheinlich nach Moskau oder St. Petersburg ziehen wird. +++ Die Deutsche Grammophon hat sich von Ute Fesquier getrennt – jahrelang hat sie erfolgreich und im Hintergrund den Geist des gelben Labels, was Artists und Repertoire betrifft, hoch gehalten, auch gegen populären Druck. Doch nun scheint DG-Chef Clemens Trautmann andere Wege gehen zu wollen – er hat in der Vergangenheit vehement auf populäre Klassik gesetzt und ist bekannt dafür, dass er sich auch in der Öffentlichkeit gern an der Seite seiner Künstler zeigt.
AUF UNSEREN BÜHNEN
Streit am Musicaltheater in Füssen. Seit Jahren dümpelt das Haus am Fuße des Märchenschlosses Neuschwanstein vor sich hin, nun soll ein Luxus-Hotelkomplex neue Zuschauer bringen – Naturschützer und Anwohner laufen Sturm. +++ Jan Brachmann berichtet in der FAZ über die Offenbach-Ausstellung Boulevard Europa, fragt, ob die Kölner dem Komponisten ein Denkmal bauen sollten und findet, dass die Inszenierung der Großherzogin von Gerolstein von Renaud Doucet ein Fiasko war: „Enttäuschung packt das zunächst geduldige Publikum, als der ganze Aufwand verpufft und das Bühnenbild sich mit dem zweiten Aufzug in einen kreuzfrivolen Operettenhof verwandelt. Etliche Premierenbesucher machten es wie Bismarck, der, wohl von Spionen gewarnt, in Paris am 11. Juni 1867 während des dritten Aktes zigarrerauchend vor der Theatertür gesichtet wurde.“ +++ Besser gefallen hat Brachmann die Oper Guercœur von Albéric Magnard in Osnabrück, besonders Dirigent Andreas Hotz, Bariton Rhys Jenkins, und vor allen die Sopranistin Lina Liu, die ihn an Gundula Janowitz erinnert. +++ Als „großartige Grube des Grauens“ beschreibt Manuel Brug den Macbeth in Antwerpen von Michael Thalheimer. +++ In Gohrisch gingen die 10. Schostakowitsch Tage unter der Intendanz von Tobias Niederschlag über die Scheunen-Bühne. Der Schostakowitsch-Preis ging an Andris Nelsons, und wir von Crescendo waren vor Ort und haben unter anderem mit dem Geiger Marc Danel gesprochen.
WAS LOHNT
Für mich ist Bob Dylan längst ein Klassiker. Und deshalb hier mein Tipp der Woche: Die Netflix-Doku Rolling Thunder Revue über die legendäre Dylan-Tour in den 70er-Jahren, die Dylan-Verehrer Martin Scorsese in Szene gesetzt hat: Ein Zirkus aus dokumentarischen und erfundenen Szenen. Im Journalismus würde man das alles in die Relotius-Schublade stecken und die Nase rümpfen. Scorsese zaubert all das hervor, was Dylan-Fans sehen wollen, das aber vielleicht niemals stattgefunden hat. Er erfindet kurzerhand einen Regisseur, der die Tour der Hippie-Musiker quer durch die Provinzen der USA angeblich in Szene gesetzt haben will (Martin von Haselberg), verschneidet historisches Material mit herrlich unvollendet inszenierten Szenen, die sich so abgespielt haben können – oder eben auch nicht. Und selbst wenn er dem Ganzen mit perfekt ausgeleuchteten Star-Interviews den Anschein der historischen Einordnung geben will, weiß man am Ende nicht, wie viel Wahrheit in diesem filmischen Rausch steckt, der selber so etwas wie eine große Oper oder wenigstens eine Commedia dell’arte ist. Mehr über dieses abgefahrene Projekt an dieser Stelle.
Kommen Sie gut durch die neue Klassik-Woche und halten Sie die Ohren steif.
Ihr