100 Jahre Salzburger Festspiele
Happy Birthday, Salzburg!
von Barbara Schulz
3. Juli 2020
Die Salzburger Festspiele feiern 100-jähriges Jubiläum mit einer 58-CDs-Box, einer Dokumentation der Festspiel-Dialoge und einer Landesausstellung.
100 Jahre sind schon eine Ansage. Und der schönste Grund, sich den Kopf zu zerbrechen, worüber sich der Jubilar wohl freuen würde. Hier ein paar der schönsten Ideen.
Wie viele runde Geburtstage und Jubiläen wohl ausfallen mussten in diesem eigenartigen Frühling 2020? Zu viele, das lässt sich zweifelsohne beklagen. Aber was ist nun eigentlich mit Salzburg? Natürlich, die Festspiele feiern sich Jahr für Jahr, und genauso oft werden sie gefeiert. Sie brauchen weder Geburtstag noch Jubiläum, um die Korken knallen zu lassen, und das nicht nur buchstäblich. Besetzung, Werke, Publikum – alles fühlt sich an wie perlender Champagner, ein sommerleichter Weißer oder ein schwerer Rotwein mit viel Substanz und langem Abgang. Salzburg ist einfach Glamour – programmatisch, personell, atmosphärisch! Und jetzt? Stand bis Anfang Juni noch nicht einmal fest, ob es „100 Jahre Salzburger Festspiele“ überhaupt geben würde.
Ausnahme-Festspiele
Zunächst die schlechte Nachricht: Die Festspiele werden nur in abgespeckter Form stattfinden. Die gute ist, dass sie überhaupt stattfinden. Und vermutlich wird die Trophäe in diesem Jahr relativ unglamourös eine Salzburger-Festspiele-Schutzmaske sein – so, wie im heißen Sommer 2018 der Fächer als Reliquie und sendungsbewusstes Kultur-Accessoire reißenden Absatz fand. Vor allem aber wird man Geschichten mit nach Hause nehmen, was war und wo und wie – und vor allem: mit wem … Denn es werden Ausnahme-Festspiele werden – leider nicht in dem Sinn, wie alles geplant war.
Für all jene aber, deren Vorstellungen nun einfach nicht stattfinden, nicht weniger aber auch für diejenigen, die ohnehin keine Veranstaltung gebucht oder keine Karten mehr bekommen hatten – für sie gibt es nicht nur ein Trostpflaster, sondern einen ganzen schöngeistigen Erste-Hilfe-Kasten. Den auch die nehmen, die da sein werden. Denn was anlässlich des 100. Geburtstags veröffentlicht und veranstaltet wird, rettet weit über die Dauer dieser Festspiele und vermutlich auch über die nächsten hinaus.
Schon beim Überfliegen dieser Retrospektive, die in einer signalroten quadratischen Box „100 Jahre Salzburger Festspiele“ auf immerhin 58 CDs zusammengepackt wurde, kommt man begrifflich kaum am Klischee vorbei: Juwelen sind es, Sternstunden, und allesamt legen sie Zeugnis ab von Momenten, die legendär waren, einzigartig und vollendet. Manche von ihnen fast schon unwirklich und entrückt.
Nebenbei sei erwähnt, dass das beiliegende Booklet nicht nur interessant, sondern auch amüsant zu lesen ist. Toscanini, so heißt es da, sei ein besonderer Publikumsmagnet gewesen, hätten seine Konzert- und Opernauftritte in den Jahren 1934 – 1937 mit ihrer überbordenden Hitzigkeit gar den berühmten Sommerstürmen des Salzkammerguts Konkurrenz gemacht. Von einem „hageren Karajan, der wie in Trance Glucks Musik zum Leben erweckt“ ist da die Rede im Zusammenhang mit einem Beitrag für die Wochenschau aus dem Jahr 1948.
Was den Würfel aber nun so magisch macht, das sind Preziosen wie ein Don Giovanni unter Karl Böhm aus dem Jahr 1977, Mahlers Achte unter Bernstein, Karajans Tristan und Isolde, Barenboims Onegin … Nicht weniger hochkarätig die Sänger und Musiker: La Traviata unter Rizzi mit Netrebko, Villazon und Hampson, Christa Ludwig im Rosenkavalier, Brigitte Fassbaender in Così fan tutte … Sprichwörtlich die große Oper außerdem mit Peter Schreier, Hermann Prey, Jessye Norman, Fritz Wunderlich, Sena Jurinac, Leontyne Price … Konzerte unter Solti, Bernstein, Boulez, Abbado, Muti, Levine, am Flügel Brendel, Argerich, Sokolov – und immer und überall natürlich die Wiener Philharmoniker.
Ach, man möchte die Sprache gern neu erfinden, um frische Wörter zu haben für dieses Feuerwerk. Dem selbstverständlich auch das große Krawumm am Ende nicht fehlt – und ja, bei diesem Aufgebot dürfen es in österreichischer Manier auch schon mal zwei sein: Als Bonus gibt es den Jedermann mit Will Quadflieg, und schließlich liest der Grandseigneur und die prägende Figur vor Karajan, Bernhard Paumgartner, auf einer CD- Erstveröffentlichung „Erzähltes Leben“.
Geist und Gespräche
Die Festspiel-Dialoge setzen sich mit den jeweiligen Neuinszenierungen der Salzburger Festspiele auseinander. Ein Dokumentationsband versammelt Beiträge aus 21 Jahren Festspiel-Dialogen.
Der 1945 geborene und 2014 verstorbene Salzburger Universitätsprofessor Michael Fischer verstand Kunst immer als Aufforderung zum Dialog. Dabei war er mehr als ein Intellektueller, „ein Humanist im wahrsten Sinn des Wortes, ein Mensch reich an pietas, an Liebe und Achtung vor dem Leben und skeptisch gegenüber allen ideologischen oder kulturellen Kategorien, die sich anmaßen, das Leben und die Geschichte in einen Käfig zu sperren und zu klassifizieren“, beschreibt ihn der italienische Schriftsteller Claudio Magris fast zärtlich.
Natürlich war da ein kulturelles Spektakel wie die Salzburger Festspiele eine spannende Aufforderung zur geistigen Auseinandersetzung, vor allem in deren Reibung von modernen Visionen und traditionellen Werten. Und so warf sich Fischer geradezu lustvoll in die Herausforderung, die jeweiligen Neuinszenierungen unter werkbezogenen und ‑übergreifenden Gesichtspunkten zu analysieren und sich ihnen mit der ihm eigenen Dialektik anzunähern. Daraus geboren wurde 1993 – zusammen mit dem damaligen Festspiel-Intendanten Gerard Mortier – die Idee der Festspiel-Dialoge.
Seit 1994 waren diese Beiträge zahlreicher Persönlichkeiten aus Kunst, Philosophie, Literatur, Soziologie, von Diplomaten, Historikern und Wissenschaftlern aus der Genetik und der Hirnforschung nicht nur vom Publikum begeistert geschätzte Diskussionsgrundlagen, sondern wurden „auf bestimmte Weise das Gewissen der Festspiele“ (Gerard Mortier), und sind damit der schönste Beweis, dass die Festspielbesucher mehr wollen als Glamour, große Namen und spannende Aufführungen.
Fischer, der die Festspiele „als Spiegel von Denkströmungen, Kunstentwicklungen, Gesellschaftstrends und durchaus auch Moden“ sah, glaubte an „die Rolle der Kunst als spirituelle Erlebnisvermittlerin“. 39 Autorinnen und Autoren, darunter Aleida und Jan Assmann, Massimo Cacciari, Nike Wagner, Peter Ruzicka, Konrad Paul Liessmann und Eric Hobsbawm lösen dieses Vertrauen auf hohem Niveau ein.
Ilse Fischer, Kulturjournalistin, Marketing-Expertin und Witwe des Initiators der Festspiel-Dialoge, legt nun zusammen mit Helga Rabl-Stadler, seit 1995 Präsidentin der Salzburger Festspiele, den knapp 550 Seiten schweren Dokumentationsband „Festspiel-Dialoge“ im Gedenken an einen wahrhaft großen Kunst- und Menschenfreund vor.
Was für ein Theater!
Das Salzburg Museum in der Neuen Residenz in Salzburg zeigt vom 26. Juli bis 31. Oktober 2021 die Landesausstellung „Großes Welttheater – 100 Jahre Salzburger Festspiele“.
Martin Hochleitner, Leiter des Salzburg Museum, und Margarethe Lasinger von den Salzburger Festspielen, beide Kuratoren dieser Retrospektive auf 100 Jahre Salzburger Festspiele, haben anlässlich des Jubiläums eine so informative wie lebendige und unterhaltsame Ausstellung auf die Beine gestellt. In der Neuen Residenz am Mozartplatz sind neben Kostümen, Requisiten, und Bühnenbildern auch künstlerische Projekte zu sehen. Ganz im Sinne des Gründers Max Reinhardt wurde auch dieses Mammutprojekt einer Ausstellung im Hinblick auf den Austausch mit dem Publikum konzipiert.
Als Hommage an den großen Regisseur und an die Geburtsstunde der Salzburger Festspiele selbst, die erste Aufführung Hugo von Hofmannsthals Jedermann am 22. August 1920, hat der ORF eine Dokumentation produziert, die 100 Jahre Festspielgeschichte wiedergeben. Daneben haben auch weitere Kulturinstitutionen mitgewirkt: das Jüdische Museum, das Theatermuseum, das Literaturarchiv Salzburg, die Wiener Philharmoniker und zahlreiche Künstler, die elf Räume in der Residenz bespielen, immer in der Absicht, sich in einen Dialog mit den Ausstellungsbesuchern zu begeben.
Schließlich wird auch die Kunsthalle zur Bühne: Neben einem abwechslungsreichen Live-Programm werden spektakuläre Festspielproduktionen in einer filmischen Installation vorgeführt, und über die Thematik des Jedermann wird über Leben und der Tod philosophiert und diskutiert.
Und noch ein besonderes Gustostückerl, wie der Österreicher sagt: In der prächtigen Max-Gandolph-Bibliothek werden bedeutende Schriftstücke und Dokumente, Klänge, Bilder, Geschichten gezeigt und gelesen, sodass sich auch hier wie ein Puzzle zusammenfügt, was die Salzburger Festspiele zum bedeutendsten Festival für klassische Musik und darstellende Kunst gemacht hat. Was ihr Wesen ist und ihre Bedeutung. Wie sie sich verändert haben, welche Krisen sie durchlebt haben, welche Traditionen sie geschaffen hat. Und wie sehr sie mit all dem auch die Entwicklung der Stadt Salzburg beeinflusst haben – und umgekehrt natürlich. Es dürfte also eine einmalige Ausstellung sein, die einen so differenzierten wie vielfältigen Blick auf das jährliche Spektakel wirft, wie man ihn vielleicht noch nie gehabt hat. Was für ein Glück, dass es überhaupt möglich ist, nach vielen Wochen bangen Wartens.
Ilse Fischer, Helga Rabl-Stadler (Hrsg): Festspiel-Dialoge (Verlag Anton Pustet)
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Martin Hochleitner, Margarethe Lasinger (Hrsg.): Großes Welttheater. 100 Jahre Salzburger Festspiele (Residenz Verlag)
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