Albrecht Dürer
„Nackete Bilder“
von Ruth Renée Reif
21. Mai 2021
Albrecht Dürer verstand sich als „Praeceptor Germaniae“. Bei seinem Tod hinterließ er ein gewaltiges Werk. Am 21. Mai 2021 jährt sich sein Geburtstag zum 550. Mal.
Albrecht Dürer war fasziniert vom menschlichen Körper. Die Kunsthistorikerin Anne-Marie Bonnet nennt ihn den Erfinder des Aktbildes. Und sie definiert genau, was sie darunter versteht. Denn Nacktheit gab es schon vorher in der Kunst. Doch stand sie stets in einem thematischen, mythologischen oder religiösen Zusammenhang. Dürer dagegen zeigt den Akt an sich, ohne diesen in einen narrativen Kontext einzubinden. Dabei unterscheidet Bonnet zwischen der Zeichnung eines nackten Menschen und einem Akt, in dem der Formwille des Künstlers zum Ausdruck kommt und den Bonnet als künstlerisch gestaltete Nacktheit beschreibt.
So stellt für Bonnet die Federzeichnung der sogenannten Badefrau aus dem Jahr 1493 keinen Akt dar, sondern eine nackte Frau. Auffällig an der, wie es in der Kunst damals üblich war, schwanger und mit kleinen Brüsten dargestellten Frau, ist vor allem ihr koketter Blick. In ihm liegt vermutlich die Antwort auf die Frage, wo Dürer eine nackte Frau herbekam, die ihm Modell stand. Denn Aktmodelle gab es damals nicht.
Der Kunsthistoriker und Herausgeber von Dürers Gesamtwerk Matthias Mende zweifelt nicht, dass Dürer Dirnen und Bademädchen als Modelle benützte. Dass die Beziehungen zu den Dirnen mitunter auch enger waren, vermutet er mit dem Verweis auf Belege von Biografen, Dürer habe sich auf seiner ersten Italienreise 1494 mit Syphilis angesteckt. Dies wurde auch als Grund dafür genommen, warum seine vom Vater ausgehandelte Ehe mit Agnes Frey kinderlos blieb. So gibt es etwa einen Brief, in dem Dürer sich bei seinem Freund Willibald Pirckheimer für eine Heilsalbe gegen „Morbus gallicus“, also Syphilis, bedankte.
Neugierde und die Faszination des menschlichen Körpers
Dazu, was Dürer zu seiner ersten Italienreise veranlasste, gibt es mehrere Vermutungen. Es könnte ihn der Ausbruch der Pest dazu bewegt haben, was einige Biografen annehmen. Bonnet nimmt jedoch künstlerische Motive an. Dürer wollte die Aktdarstellungen von Andrea Mantegna, die er kennengelernt hatte, im Original sehen. Es war Neugierde und die Faszination des menschlichen Körpers, die ihn antrieb und die ihn auch nach Italien zog.
Nach seiner Rückkehr aus Italien eröffnete Dürer in Nürnberg eine eigene Werkstatt. Das Verständnis des Künstlertums gab es damals noch nicht. Malen, Zeichnen und Bildhauern wurde als Handwerk betrachtet. Dürer aber wollte als Künstler gesehen werden, und er gestaltete sich entsprechend. Mit der Brennschere kräuselte er seine Haare. Wie Mende hervorhebt, entsprach dies nicht der damaligen Mode. Es habe Dürer eine feminine Ausstrahlung gegeben, was auch ein Indiz für seine Bisexualität sein könnte. Mende weiß zahlreiche Belege dafür zu nennen, dass Dürer vermutlich sexuelle Beziehungen zu Männern und Frauen hatte. Von der Forschung wurden sie jedoch beiseitegeschoben oder umgedeutet.
Zu den Bildern, die nach der italienreise entstanden, gehörte das Frauenbad, aus dem Jahr 1496, ebenfalls ein Blatt, das Dürer nie veröffentlichte. Auffallend daran findet Bonnet den direkten Blick der Frau im Vordergrund auf den Bildbetrachter, was den Sitten der Zeit zuwiderlief, und den Voyeur, der links hinten durch einen Türspalt auf die Frauen blickt.
Aus demselben Jahr wie das Frauenbad gibt es auch den Holzschnitt Männerbad, in dem Dürer sich links mit ironischem Blick selbst porträtiert und auf humorvolle Weise nackt zeigt.
Was Bennet als Akt versteht, zeigt sie am Weiblichen Rückenakt aus dem Jahr 1505. Das mit Wasserfarben gemalte Bild zeigt einen weiblichen Akt, der einen Schatten aufs Papier wirft. Das heißt, es ist ein Akt auf dem Papier, ohne weiteren Zusammenhang. Dürer hatte offenbar eine Vorliebe für üppige Rückenansichten von Frauen.
Dass ihn auch Männer sexuell anzogen, belegt Mende mit dem Kupferstich Der Tod des Orpheus aus dem Jahr 1494. Auf dem Schriftband oben im Baum steht zu lesen: „Orfeus ist der erste puoseran“, also der erste Knabenschänder. Bonnet betont, dass Dürer den Stich für sich behalten habe.
Als wahrscheinlichen Sexualpartner Dürers nennt Mende den Jugendfreund Pirckheimer. Dieser spielte eine überaus wichtige Rolle in Dürers Leben, war sein Vertrauter von Kindheit an und vermittelte ihm Kenntnisse der Antike und des Humanismus. Darauf, dass beide auch ein sexuelles Verhältnis verband, verweist eine griechische Aufschrift am oberen Rand einer Silberstiftzeichnung, die Dürer 1503 anfertigte. Da Dürer nicht Griechisch konnte, müsse sie von Pirckheimer stammen, erklärt Mende: „Mit dem erigierten Glied in den Anus des anderen.“
Das Bildnis, in dem Dürers Neugierde auf den menschlichen Körper am deutlichsten zum Ausdruck kommt, ist sein eigenes. Mit Feder und Pinsel gezeichnet und gemalt, zeigt es Dürer mit maurischen Zügen. Auf dem Kopf trägt er das Haarnetz des Malers, das verhindern soll, dass Haare auf ein Blatt fallen. Während er das Gesicht mit wenigen Strichen skizziert, sei das Geschlechtsorgan minutiös ausformliiert, wie die Kunsthistorikerin Christine Demele betont. Die einzelnen Schamhaare seien detailliert dargestellt. Bonnet betont, dass es damals keine Ganzkörperspiegel gab. Dürer müsse Dürer das Bild zusammengesetzt haben.
Diese Idee des Zusammensetzens sieht Bonnet in mehreren Zeichnungen bestätigt. So etwa in dem Bild Liegende nackte Frau aus dem Jahr 1501. An ihm werde deutlich, dass Dürer etwas suche, und sie bezeichnet den Akt als konstruiert, was die Aufschrift Dürers, „Dy habe ich gefisyrt“, bestätigt. Dürer beschäftigte sich ausgiebig mit den Proportionen des menschlichen Körpers. „Die Kunst steckt in der Natur; wer sie herausreißen kann, der hat sie“, zitiert Donnet die Kunstvorstellung Dürers.
Messungen an Männern und Frauen
Auf Anregung Pirckheimers befasste sich Dürer mit Vitruvs Proportionsschema der menschlichen Gestalt. Vitruv schrieb allerdings nur Männern Proportionen zu. Dürer dagegen nahm Messungen an Frauen und Männern vor. Und vor allem suchte er nicht nach einem einzigen Maß, sondern vermaß verschiedene Typen, „den weißen und schwarzen, den mageren, feisten, linden und harten Menschen, stark oder schwach“. Damit löste er sich von den Vorstellungen eines einzigen Idealmaßes.
Albrecht Dürer: „Vier Bücher von menschlicher Proportion (1528)“, mit einem Katalog der Holzschnitte herausgegeben, kommentiert und in heutiges Deutsch übertragen von Berthold Hinz (Akademie Verlag, 2011)
Dass Dürers Lehre der „Proportionen des Menschen“, an der er nahezu 30 Jahre unentwegt arbeitete, ein erotisches Buch sei, so Mende, habe allerdings niemand zu denken gewagt. Tatsächlich ist das in Dürers Todesjahr 1528 veröffentlichte Werk eine umfangreiche Sammlung unterschiedlicher Aktzeichnungen.
Ausstellungen und Digitalangebote anlässlich von Albrecht Dürer 550. Geburtstag
Albertina Museum, Wien
Die Albertina in Wien, die mit nahezu 140 Arbeiten, deren Provenienz sich lückenlos bis in Albrecht Dürers Todesjahr 1528 zurückverfolgen lässt, über den weltweit bedeutendsten Bestand an Dürer-Zeichnungen verfügt, gibt digital Einblick in ihre Sammlung: www.albertina.at
Albrecht-Dürer-Haus, Nürnberg
Das Albrecht-Dürer-Haus in der Nürnberger Altstadt, das bis Dürers Tod 1528 seine Wohn- und Arbeitsstätte war, zeigt mehrere digitale Präsentationen: museen.nuernberg.de/duererhaus/
Suermondt-Ludwig-Museum, Aachen
Das Suermondt-Ludwig-Museum zeigt von 18. Juli bis 25. Oktober 2021 unter dem Titel „Dürer war hier – eine Reise wird Legende“ eine Ausstellung über Dürers Reise nach Antwerpen, die dieser am 12. Juli 1520 mit seiner Frau und einer Magd antrat, um sich nach dem Tod Maximilians I. vom neuen Kaiser sein Jahresgehalt bestätigen zu lassen und bei der er auch einen Abstecher nach Aachen unternahm, um der Kaiserkrönung Karls V. beizuwohnen: suermondt-ludwig-museum.de
Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg
Das Germanische Nationalmuseum feiert Dürers Geburtstag am 21. Mai 2021 mit einem Gesprächsmarathon über dessen Reisen, seine Bezüge zur Goldschmiedekunst, seine Zeugenschaft des ersten Kolonialisierungszeitalters u.a.: www.gnm.de
Auch Fragen kann man stellen. Hier das Programm.