Hagen Kunze
Wer war Beethovens unsterbliche Geliebte?
von Hagen Kunze
14. Februar 2020
Beethovens Brief an die unsterbliche Geliebte gibt bis heute Rätsel auf. „Ewig dein, ewig mein, ewig uns!“ – So lautet sein Ende. Der Anfang: „Mein Engel, mein alles, mein ich“. Wer aber war sie?
Beethovens Brief an die unsterbliche Geliebte gibt bis heute Rätsel auf. „Ewig dein, ewig mein, ewig uns!“ – So lautet sein Ende. Der Anfang: „Mein Engel, mein alles, mein ich“. Dazwischen tiefe Liebe – und der Schmerz, die Angebetete nicht ganz besitzen zu können. Wer aber war sie?
Fand im Nachlass den Brief an die unsterbliche Geliebte: Beethovens Bruder Nikolaus Johann auf einem Gemälde von Leopold Groß
Was werden die zwei Herren wohl erwartet haben, als sie am 26. März 1827 den Schreibtisch des verstorbenen Ludwig van Beethoven öffneten? Der Ältere der beiden, Ludwigs Bruder Johann, erhoffte sich Geld und Aktien. Der Zweite im Bunde, Sekretär Anton Felix Schindler, ersehnte eher Notenblätter unvollendeter Werke.
Leidenschaftliche Zeilen des Verstorbenen
Doch was sie stattdessen fanden, ließ ihren Atem stocken: ein Testament, in dem Beethoven seinen Besitz einer „Unsterblichen Geliebten“ vermachte, sowie einen zehnseitigen Brief an eben jene Dame. Nie zuvor hatten Schindler und Johann Beethoven so leidenschaftliche Zeilen des Verstorbenen gelesen wie in diesem Brief, der mit den Worten „Mein Engel, mein alles, mein ich“ beginnt. Aber wer war mit der stürmischen Anrede gemeint? Hatten die beiden, wie sie stets behaupteten, wirklich nicht den blassesten Schimmer? Oder wussten sie doch mehr und taten nur alles, um die Wahrheit zu verbergen?
Hoffte auf Notenblätter unvollendeter Werke in Beethovens Nachlass: der Sekretär Anton Felix Schindler
Denn es passte einfach nicht ins Bild vom titanischen, durch Ertaubung von der Umwelt abgeschnittenen Beethoven, dass der lebenslänglich Unverheiratete auch sinnliche Liebe genoss. Wer die ganze Menschheit umarmt – „Seid umschlungen, Millionen“ –, dem ist der Mantel der Geschichte näher als der Hemdzipfel einer Geliebten. Die Forschung aber hat keinen Zweifel daran: Der gern als menschenscheu beschriebene Beethoven war oft leidenschaftlich verliebt – allerdings meistens nur für „höchstens sieben Monate“, wie er selbst zu Protokoll gab.
Ein Meisterwerk der Verrätselung
Die Geschichte des bekanntesten Schriftstücks aus Beethovens Nachlass enthält alle Zutaten eines Krimis: Spurenleger und Spurenverwischer, Fälscher und unzuverlässige Zeugen, planvoll ins Spiel gebrachte Verdächtige, Dokumente, die nur in zweifelhaften Kopien kursieren, und Machenschaften von Familien, die belastendes Material verschwinden lassen.
Warum aber lässt sich die Adressatin so schwer identifizieren? Tatsächlich ist Beethoven mit seinem Brief ein Meisterwerk der Verrätselung gelungen, das ganze Forschergenerationen beschäftigte. Das Schreiben enthält keine Frauennamen. Nicht einmal die sonst so gern benutzten Kürzel lassen sich finden.
Beethoven im Badeort Teplitz auf einem Gemälde von Ludwig Büchner nach einer Darstellung von Carl Röhling
Als wäre dem Autor aber selbst aufgefallen, dass sich spätere Leser über zu dürftige Informationen beschweren könnten, schrieb er am Anfang eines jeden Abschnitts zumindest den Wochentag und das Datum ohne Jahreszahl. Dank solcher Hinweise und der Wasserzeichen wissen wir heute, dass Beethoven den Brief im Juli 1812 im böhmischen Badeort Teplitz schrieb, wo er sich zur Kur aufhielt.
Liebesnacht mit einer verheirateten Frau
Auf dem Weg dahin traf der Komponist in Prag unvermutet eine ihm bekannte verheiratete Frau und verbrachte mit ihr eine Liebesnacht. Zweifellos ging er davon aus, die Geliebte später noch einmal zu treffen. Dass sich der Brief nach seinem Tod jedoch in seinem Nachlass fand, könnte ein Zeichen dafür sein, dass das Schreiben zurückgesandt worden war, weil die Adressatin ihren Aufenthaltsort wieder verlassen hatte.
Julie Guicciardi, Widmungsträgerin der Mondscheinsonate
Bis heute ist die Identität der „Unsterblichen Geliebten“ nicht geklärt. Unzählige Namen wurden genannt. Gleich der erste ist eine falsche Fährte: Julie Guicciardi, Widmungsträgerin der Mondscheinsonate. 31 Jahre alt war Beethoven, als er sich im Haus der mit ihm befreundeten Brunsviks in die 19-Jährige verliebte. Vor allem Franz Brunsvik war es, der seine Cousine Julie als Widmungsträgerin des Briefes ins Spiel brachte – in der Hoffnung, Spekulationen, seine eigene Schwester Josephine sei die „Unsterbliche Geliebte“, verstummen zu lassen.
Bei Therese Malfatti war Beethoven nur als Musiker willkommen.
„Leider ist sie nicht von meinem Stande“, schrieb Beethoven zwei Jahre später einem Freund über Julie, als diese 1803 einen Adligen heiratete. Sechs Jahre später musste Beethoven erneut Heiratspläne aufgeben: Sein Freund Ignaz von Gleichenstein hatte den Komponisten mit der 18-jährigen Therese Malfatti bekannt gemacht. Bei ihr war er häufig zu Gast, gab Klavierunterricht und beriet den Vater in musikalischen Dingen. Beethoven hoffte auf eine Heirat. Doch Thereses Eltern ließen ihm ausrichten, dass er nur als Musiker willkommen sei.
Weder musikalisch noch biografisch zu erklärende Popularität
Das einzige musikalische Geschenk an Therese ist ein anspruchsloses Stückchen. Beethoven machte sich nicht einmal die Mühe, ihm einen richtigen Titel zu geben, sondern nannte es nur Für Therese. 1865 wurde es entdeckt und wegen des undeutlich geschriebenen Namens fälschlich als Für Elise gelesen. Unter diesem Titel hat es eine Popularität erlangt, die sich weder musikalisch noch biografisch erklären lässt.
Beethovens Affäre mit Bettina Brentano dauerte nur einige Wochen.
Mit den Maßstäben des 21. Jahrhunderts würde man Bettina Brentano als Groupie bezeichnen. Denn sie war erfahren darin, die Nähe berühmter Männer auszukosten. Ihre Affäre mit Beethoven dauerte 1810 nur einige Wochen: In dieser Zeit spazierten beide Hand in Hand durch Wien. Bettina begleitete den 15 Jahre Älteren zu Orchesterproben. Ihre romantisierende Beschreibung hat viel zum Geniekult um Beethoven beigetragen. Keiner der beiden dachte an eine dauerhafte Verbindung. Im Gegenteil: Zeitgleich drängte Bettina Achim von Armin auf Heirat. Denn möglicherweise gab es schon Gerüchte über die Affäre.
Viele Forscher halten sie für Beethovens unsterbliche Geliebte: Antonie von Brentano
Zu den Menschen, die Bettina dem Musiker vorstellte, gehörte auch ihre Schwägerin Antonie von Brentano. Die kränkelnde junge Frau nahm zur Aufheiterung Klavierstunden bei Beethoven. Da Antonie im Juli 1812 in Prag weilte, halten viele Forscher sie für die Unbekannte.
Ungünstige Voraussetzungen für eine leidenschaftliche Liebesnacht
Dafür spricht, dass sie sich vom Komponisten ein Exemplar des ihr gewidmeten Liedes An die Geliebte erbat. Dagegen sprechen logische Erwägungen: Antonie war nicht allein in Böhmen, sondern hatte Ehemann, Kind und Kindermädchen dabei – eher ungünstige Voraussetzungen für eine leidenschaftliche Liebesnacht.
An Josephine von Brunsvik führt kein Weg vorbei.
An einem Namen, der bereits auftauchte, führt kein Weg vorbei: Josephine von Brunsvik. Verliebt hatte sich der 29-jährige Beethoven in die zehn Jahre Jüngere ebenfalls im Klavierunterricht. Doch auch Josephine musste standesgemäß heiraten – einen Galeristen, der wenige Jahre später starb. Unmittelbar danach schrieben sich beide Briefe, deren Tonfall jenem an die „Unsterbliche Geliebte“ ähnelt. Doch Josephine scheute die Heirat und begann ein Verhältnis mit dem Privatlehrer ihres Sohnes, von dem sie schwanger wurde.
Ein Ehepaar wurden die beiden nie.
Diese zweite Ehe geriet zur Katastrophe. Und wahrscheinlich suchte Josephine im Juli 1812 in Prag juristischen Rat für eine Scheidung, als sie dort zufällig Beethoven traf. Just zu dieser Zeit wurde sie erneut schwanger. So war die reumütige Rückkehr zum Ehemann eher nüchterne Berechnung: Das Kind, das sie austrug und ihrem Mann „unterschob“, war vermutlich Beethovens Kind.
Hinterließ deutliche Spuren in Beethovens Werken: der Brief an die unsterbliche Geliebte
Die Geschichte nahm dennoch kein gutes Ende: Die Ehe zerbrach, und die Kinder wurden ihr weggenommen. Nur durch die diskrete Hilfe des Komponisten hielt sie sich noch die wenigen Jahre, die ihr bis zu ihrem frühen Tod blieben, über Wasser. Ein Ehepaar wurden die beiden jedoch nie.
Wer auch immer also jene Frau war, für die Ludwig van Beethoven im Juli 1812 den leidenschaftlichsten Brief seines Lebens mit „ewig dein, ewig mein, ewig uns!“ unterschrieb: In seiner Biografie und in seinen Werken hat sie deutliche Spuren hinterlassen.
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