„Gebundene Pracht“

Die Aura des Origi­nals einfangen

von Ruth Renée Reif

11. Dezember 2019

Noch bis 25. Januar 2020 gibt es in der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe die Jubiläumsausstellung „Gebundene Pracht“ zum zehnjährigen Bestehen des Schweizer Faksimile-Verlages Quaternio zu sehen.

Der Verlag Quaternio in hat sich auf Faksi­mile-Editionen kost­barer Bilderhand­schriften aus dem Mittel­alter und der Renais­sance spezia­li­siert. Sein zehn­jäh­riges Bestehen feiert er mit einer Jubi­lä­ums­aus­stel­lung in der Badi­schen Landes­bi­blio­thek .

Vom Codex Gisle, einer goti­schen Musik­hand­schrift, die um 1300 von der Chor­lei­terin,
der Zister­zi­en­ser­nonne , verfasst wurde und 500 Jahre lang
in Gebrauch war, fertigte der Verlag 2014 eine Faksi­mile-Edition.

(Foto: © Quaternio Verlag)

Gezeigt werden alle 23 Faksi­mile-Editionen, die der Verlag seit seinem Bestehen ange­fer­tigt hat, wie etwa Schätze aus der bedeu­tenden Malschule, die im 10. Jahr­hun­dert in der Reichs­abtei der Insel Reichenau einge­richtet wurde, oder der Codex Gisle, ein goti­sches Gesangs­buch für den grego­ria­ni­schen Kirchen­chor des Zister­zi­en­ser­or­dens Mari­en­brunn bei oder das Briçonnet-Stun­den­buch, das 1485 in Tours entstand und sich durch beson­dere Farben­pracht auszeichnet.

2017 erschien die Faksi­mile-Edition des Sobieski-Stun­den­bu­ches, das im 17. Jahr­hun­dert
an den Hof des polni­schen Königs gelangte.

(Foto: © Quaternio Verlag)

Ein heraus­ra­gendes Werk abend­län­di­scher Buch­ma­lerei ist das farben­präch­tige Sobieski-Stun­den­buch. Dieses Gebets- und Andachts­buch zeichnet sich durch beson­ders farben­präch­tige Minia­turen aus. Es wird dem so genannten zuge­schrieben, einem spät­go­ti­schen fran­zö­si­schen Buch­maler unbe­kannten Namens, der in Paris wirkte und ein Stun­den­buch für den schuf. Vermut­lich jedoch waren mehrere Künstler an seiner Voll­endung betei­ligt.

Auftrag­ge­berin des Sobieski-Stun­den­bu­ches war .
Für das Stif­ter­bild ließ sie sich betend mit burgun­di­scher Haube abbilden.

(Foto: © Quaternio Verlag)

Seine Bezeich­nung trägt das Stun­den­buch, weil es im 17. Jahr­hun­dert an den Hof des polni­schen Königs Johann III. Sobieski gelangte, wo es seinen gold­ver­zierten Samt­ein­band erhielt. Die ursprüng­liche Auftrag­ge­berin des Buches war Marga­rete von Burgund, die sich in einer Miniatur, betend in kost­barem Gewand und mit burgun­di­scher Haube, abbilden ließ.

Blick in das Faksi­mile des spät­ro­ma­ni­schen Speyerer Evan­ge­li­stars, das der Verlag 2012 anfer­tigte
und dessen Original in der Badi­schen Landes­bi­blio­thek aufbe­wahrt wird

(Foto: © Quaternio Verlag)

Als Veran­stal­tungsort der Ausstel­lung wurde die Badi­sche Landes­bi­blio­thek Karls­ruhe gewählt, weil in ihr das Speyerer Evan­ge­li­star aufbe­wahrt wird. Dieses pracht­volle Zeugnis spät­ro­ma­ni­scher Buch­kunst darf aus konser­va­to­ri­schen Gründen nicht mehr offen gezeigt werden. Das Faksi­mile schafft Abhilfe. Denn es vermag von solchen einzig­ar­tigen alten Hand­schriften einen Eindruck zu vermit­teln, der dem Original ganz nahe­kommt.

Die Arbeit des Buch­bin­ders hat sich seit dem Mittel­alter nicht verän­dert.
(Foto: © Quaternio Verlag)

Der Quaternio-Verlag brachte 2012 eine Faksi­mile-Edition des Speyerer Evan­ge­li­stars heraus. Die Hand­schrift wurde vermut­lich 1220 vom Kustos des Cyria­kus­stiftes nörd­lich von Conrad von Danne bezie­hungs­weise Konrad von Tann in Auftrag gegeben, der es mitnahm, als er in Bischof wurde. Das Buch enthält 48 Minia­turen, darunter auch eine Darstel­lung des Heiligen Cyriakus. Der Einband aller­dings besteht aus getrie­benem vergol­deten Silber und ist mit Halb­edel­steinen besetzt.

Die origi­nal­ge­treue Wieder­gabe des aus vergol­detem Silber und Halb­edel­steinen bestehenden
Einbandes des Speyerer Evan­ge­li­stars stellte eine beson­dere Heraus­for­de­rung dar.

(Foto: © Quaternio Verlag)

Der Begriff „Faksi­mile“ kommt aus dem Latei­ni­schen und heißt wört­lich über­setzt: „Mach es ähnlich“. Genau darum geht es beim Faksi­mile. Es soll eine möglichst origi­nal­ge­treue Nach­bil­dung erstellt werden, die die Aura des Origi­nals einfängt.

Original und Faksi­mile: der Einband des Speyerer Evan­ge­li­stars in einer digi­talen Aufnahme
des Origi­nals, das die Badi­sche Landes­bi­blio­thek erstellt hat, und eine Abbil­dung
der Faksi­mile-Edition des Quaternio Verlages

Die Replik des Einbandes des Speyerer Evan­ge­li­stars stellte eine Heraus­for­de­rung dar. Um diesen Einband möglichst origi­nal­ge­treu nach­bilden zu können, kam ein für die Indus­trie entwi­ckeltes Verfahren zur Digi­ta­li­sie­rung drei­di­men­sio­naler Objekte zur Anwen­dung. Mittels einer Spezi­al­ka­mera wurden Dutzende von Detail­auf­nahmen erstellt und mittels Compu­ter­soft­ware zu einem Gesamt­bild zusam­men­ge­setzt. Der von einem 3‑D-Drucker aus Kunst­harz erstellte Buch­de­ckel wurde sodann von einem Graveur nach­ge­sto­chen. Die Wieder­gabe der Schmuck­steine aus Kris­tall, Achat, Glas, Amethyst, Chal­zedon, Karneol und Chry­so­pras erfolgte durch synthe­ti­sche Steine, während ein Silber­schmied ihre Fassungen fertigte.

Zwei Seiten aus der Wiener Genesis, einem Purpur­codex, der in der Öster­rei­chi­schen
Natio­nal­bi­blio­thek in verwahrt wird, in einer digi­talen Aufnahme der Biblio­thek

Ein Codex, der trotz umfas­sender Restau­ra­tion eben­falls unter Verschluss bleiben muss, ist die Wiener Genesis. Der frag­men­ta­ri­sche in Gold- und Silber­let­tern geschrie­bene Purpur­codex erhielt seine Bezeich­nung von seinem Aufbe­wah­rungsort, der Öster­rei­chi­schen Natio­nal­bi­blio­thek in Wien. Entstanden ist er vermut­lich zwischen dem 4. und 6. Jahr­hun­dert, womit er als die frühest erhal­tene Bibel­il­lus­tra­tion gilt. Kunst­his­to­risch ist er auch deshalb bedeutsam, weil seine Illus­tra­tionen den Über­gang von der Rolle zum Buch doku­men­tieren. So finden sich in íhm zwei Darstel­lungs­prin­zi­pien neben­ein­ander: abge­schlos­sene, recht­eckige Bild­flä­chen und Bild­streifen mit einzelnen Szenen, von denen man vermutet, dass sie ursprüng­lich für eine Rolle konzi­piert waren und nach­träg­lich für das Buch zusam­men­ge­fasst wurden. Auch finden sich neben jenen Illus­tra­tionen, die auf Raum­wir­kung verzichten, natu­ra­lis­ti­sche Tier­dar­stel­lungen, die noch auf antike Orien­tie­rung hinweisen. Darum ist anzu­nehmen, dass die Hand­schrift in Klein­asien, also auf syri­schem Gebiet, mögli­cher­weise sogar in Antio­chia entstand.

Origi­nal­treue bedeutet auch die Wieder­gabe der Fehl­stellen, die in der Wiener Genesis
durch die Zerset­zung der Silber­tinte entstanden sind.

(Foto: © Quaternio Verlag)

An der Edition der Wiener Genesis lässt sich ablesen, was Faksi­mile anstrebt. Bereits 1664, als die Hand­schrift über Kaiser in die Wiener Hofbi­blio­thek kam, hatte die Korro­sion der Silber­tinte Risse und Löcher in die Seiten gefressen. Das Faksi­mile bildet dies origi­nal­ge­treu nach. Dasselbe gilt für die alters­be­dingte Patina. Auch die verwen­deten Papiere sollen nicht nur optisch, sondern auch haptisch die Eigen­schaften des Origi­nals wieder­geben.

Gunter Tampe, der Leiter des Quaternio Verlages, die Direk­torin
der Staats­bi­blio­thek , und der Gold- und Silber­schmied Rolf Wopper stellen die
am 1. April 2019 erschie­nene Faksi­mile-Edition des Bamberger Psal­ters vor.

(Foto: © Andreas Kusch­bert)

Ausführ­li­ches über die Kunst der Faksi­mile-Herstel­lung erzählt Verlags­leiter Gunter Tampe am 18. Januar 2020 in einem der Vorträge, die die Ausstel­lung in der Badi­schen Landes­bi­blio­thek Karls­ruhe begleiten. Am 16. Januar 2020 spricht der Kunst­his­to­riker Professor von der Univer­sität über „Tradi­ti­ons­bil­dung und neue Bild­formen im Stamm­heimer Missale“. Von diesem Mess­buch edierte der Quaternio Verlag am 1. Dezember 2019 ein Faksi­mile.

Die größte bewohnte Initiale aus dem Stamm­heimer Missale, einem Mess­buch des 12. Jahr­hun­derts 
(Foto: © Quaternio Verlag)

Das Stamm­heimer Missale, das seinen Namen von seinem Aufbe­wah­rungsort auf Schloss Stamm­heim hat, wurde um 1170 im Bene­dik­ti­ner­kloster St. Michael in geschaffen und stellt ein beein­dru­ckendes Zeugnis roma­ni­scher Buch­ma­lerei dar. Es zeigt Szenen aus dem Alten und Neuen Testa­ment sowie litur­gisch verehrter Heiliger.

Erschien am 1. Dezember 2019: die Faksi­mile-Edition des Stamm­heimer Missale
(Foto: © Quaternio Verlag)

Außerdem enthält es sämt­liche Gesänge, Gebete und Schrift­le­sungen, die bei der klös­ter­li­chen Mess­feier im Laufe des Kirchen­jahres Verwen­dung fanden. Doch war es vermut­lich nicht für den litur­gi­schen Gebrauch bestimmt, sondern es sollte an den Gründer des , den 1022 verstor­benen Bischof , erin­nern und dessen Heilig­spre­chung beför­dern.

Weitere Infor­ma­tionen über die Ausstel­lung und die sie beglei­tenden Veran­stal­tungen:
www​.blb​-karls​ruhe​.de

Weitere Infor­ma­tionen über den Quaternio Verlag und seine Editionen und Veran­stal­tungen:
www​.quaternio​.ch