Oberon am Theater an der Wien

Ein viel zu hübsches Expe­ri­ment

von Axel Brüggemann

14. Mai 2019

Das Theater an der nimmt die Münchner Oberon-Insze­nie­rung von Niko­laus Habjan auf – und zeigt viel Schön­heit und wenig Tiefe.

Wenn man sagt, dass Carl Maria von Webers Märchen­oper „Oberon“ so etwas wie eine „Zauber­flöte“ ohne Schlange ist, oder ein „Sommer­nachts­traum“ ohne Shake­speare, oder ein „Frei­schütz“ ohne Wolfs­schlucht, dann ist die aktu­elle Insze­nie­rung am Theater an der Wien (eine Kopro­duk­tion mit ) in der Regie von Niko­laus Habjan wohl so etwas wie ‘ Bayreu­ther „Lohen­grin“ – nur eben ohne Ratten und Tief­gang. Habjan verlegt die Hand­lung in ein Versuchs­labor von Ober­gott Oberon: Held Hüon muss aller­hand Prüfungen im unter Drogen erträumten Arabien für seine Liebe zu Rezia bestehen und wird dabei von seinem Knappen Sche­re­asmin begleitet, der wiederum in Fatime verknallt ist. Grund des Expe­ri­ments: Oberons Gemahlin Titania zwei­felt an der wahren Liebe zwischen Mann und Frau. Also lässt ihr Gatte eine ganze Heer­schar von Wissen­schaft­lern in weißen Kitteln mit aller­hand Mess­ge­räten und unzäh­ligen Betäu­bungs­spritzen eine Traum­welt basteln, in der Hüon seine Prüfungen bestehen und die wahre Liebe unter Beweis stellen muss.

Nicht, dass wir uns miss­ver­stehen: Inner­halb dieser Regie-Idee setzt Habjan ein hand­werk­lich anstän­diges, ja, hübsches, Theater in Szene: Die Rolle des Puck wird auf drei Schau­spieler mit effekt­vollen und lebens­großen Puppen aufge­teilt und jeder Irrwitz der Hand­lung (zunächst der Mord am Königshof, dann der große Sturm und schließ­lich die Verskla­vung in einem Harem) wird als Ausge­burt der Chaos-Wissen­schaftler plau­sibel gemacht. Habjan und seinem Bühnen­bildner Jakob Bross­mann gelingen dabei zutiefst lyri­sche (oder kitschige?) Bilder: Luft­ballon-Haie, die durch den Schnür­boden schweben, Schat­ten­risse, die durch unter­schied­liche Welten führen, ein Papp­tiger, der mit einem Hieb besiegt wird und Oberon, der sich immer wieder über­le­bens­groß mit leuch­tend gelben Augen aus dem Thea­ter­himmel senkt, um sein Liebes-Expe­ri­ment weiter zu treiben.

Die Regie verwei­gert das Mitdenken.

Das alles ist hübsch anzu­sehen, und, ja, Webers verschro­bene Original-Partitur (er schrieb die Oper für London und sein Libret­tist James Robinson Planché lieferte eher einen mittel­mä­ßigen Stein­bruch aus Shake­speare, „Zauber­flöte“, „Entfüh­rung aus dem Serail“ und „Fidelio“ als eine echte Oper) erhält durch die Labor-Idee zwar einen großen Bogen, aber, wenn wir ehrlich sind, keine Tiefe. Habjan dekli­niert jede einzelne Prüfung im Labor vorher­sehbar durch und lässt keinen Raum für Offen­heit, für die Mündig­keit des Publi­kums und für echte Verstö­rung. Sein Kunst­griff erhellt keine einzige Idee der Oper über die Plat­ti­tüde hinaus und verwei­gert sich der Aufgabe, Webers letztes großes Werk als Suche nach neuen musi­ka­li­schen Formen in einer Umbruchs­zeit zwischen Mozart und Wagner zu verstehen, er igno­riert das Arabien-Bild des Kompo­nisten und seiner Zeit ebenso wie aktu­elle Themen einer Tyrannen-Regie­rungen oder Reli­gi­ons­kon­flikte. Nicht auszu­denken, wie oder eben Hans Neuen­fels mit diesem sper­rigen Wunder­tüten-Werk umge­gangen wären!

Statt­dessen zaubert Habjan ein modernes Bieder­meier-Theater auf die Bühne, an dem sich niemand reiben kann, in dem das Archai­sche und Anar­chi­sche geglättet wird, in dem nichts mehr wehtut – und das am Ende spie­ßiger, belang­loser und vorher­seh­barer als die eigent­liche Oper dasteht.

Den eigent­lich modernen Eklek­ti­zismus, der in der Partitur steckt, lässt zum Glück Thomas Gugeis, der junge Schüler von , hören, der offen­sicht­lich aus seinen Reper­toire-Vorstel­lungen an der Berliner Staats­oper bestens vertraut mit „Zauber­flöte“ und „Frei­schütz“ ist. Gugeis bewegt das Wiener Kammer­or­chester und den Arnold Schoen­berg-Chor (Leitung: ) zu einer Misch­form zwischen Klassik und Romantik, in der Webers abstrusen Gegen­sätze zwischen orien­ta­li­scher Musik, großem roman­ti­schen Atem und burlesken Volks­lie­dern durchaus gewaltig und und unver­einbar aufein­an­der­kra­chen.

Eine junge Gene­ra­tion pflegt die Opern-Tapete.

Als Rezia hört man das Know How der Romantik durchaus noch an, auch wenn die große „Ozean“-Arie mit ihren unter­schied­li­chen drama­ti­schen und lyri­schen Bögen zum nicht immer into­na­ti­ons­ge­nauen Kraftakt gerät. Wenn Vincent Wolf­steiner an die Rampe tritt, um seinem Hüon-Tenor freien Lauf zu lassen, klingt das jedes Mal wie der letzte „Tristan“-Aufzug: Eine Klar­heit wie und eine unge­heure Stimm-Wucht, der man zuweilen – und gerade im kleinen Theater an der Wien – aller­dings auch Mal ein Mezzo­forte gewünscht hätte. gibt den spiel­freu­digen Oberon und Juli­ette Mars seine zickige, sing­spie­lende Frau Titania. Daniel Schmutz­hard verwan­delt den Knappen Scher­asmin in einen bari­tonal schmal­zigen Papa­geno, gegen die Natalia Kawalek als seine Geliebte Fatime etwas blass bleibt. Groß­artig das Puppen­spiel und die Stimm-Viel­falt der Puck-Trias von Manuela Lins­halm, Daniel-Fran­tisek Kamen und Sebas­tian Mock.

Dass die Liebenden Rezia und Hüon schließ­lich gegen Oberons Labor-Mitar­beiter aufbe­gehren und die Welt des Expe­ri­ments durch den Wahn wahrer Liebe zerstören, ist eine vorher­seh­bare Wendung, die am Ende eines ach so schönen Opern­abends die grund­sätz­liche Frage offen lässt: Warum gelingt es gerade der jungen Regie-Gena­ra­tion immer seltener das Neue zu denken, statt das Alte in geglät­teter Form zu präsen­tieren?