KlassikWoche 48/2019

Fax an Mutter und Soli­da­rität für Fischer

von Axel Brüggemann

25. November 2019

Heute mit Anne-Sophie Mutters FAX-Gerät, viel zu wenig Geld in New York und Stutt­gart und mit Tränen für den Bariton John Wegner.

Will­kommen in der Klassik-Woche,

heute mit Anne-Sophie Mutters FAX-Gerät, viel zu wenig Geld in New York und Stutt­gart und mit Tränen für den Bariton John Wegner.

WAS IST

BUDA­PEST FESTIVAL ORCHESTRA IN GEFAHR Nun also das Buda­pest Festival Orchestra. 1983 von  gegründet: Jugend­ar­beit, Über­­ra­­schungs- und Gesprächs­kon­zerte. Das Gramo­phone Magazin hat das Orchester welt­weit auf Platz 9 gewählt. Jetzt verschickte Fischer einen Brand­brief. Die Regie­rung von Viktor Orbán will nur die Hälfte der verspro­chenen Unter­stüt­zung über­weisen, und das würde – wohl oder übel – zum Ende des Orches­ters führen. Eine Tournee muss ausfallen, Konzerte werden abge­sagt, über Entlas­sungen wird debat­tiert. Orches­ter­ma­nager Martin Hoff­mann, einst Chef der Berliner Phil­har­mo­niker, ist schon aus Protest zurück­ge­treten. Orbán zeichnet anti­se­mi­ti­sche Schrift­steller aus, setzte Boule­­vard-Mann Attila Vidnyánszky ins Natio­nal­theater und den Rechts­extre­misten György Dörner ins Neue Theater. Hoff­mann und Iván Fischer könnten es sich leicht machen und gehen. Aber sie tanzen die unga­ri­sche Kultur-Rhap­­sodie, schlagen inter­na­tional Alarm und warten auf unsere Soli­da­rität – geben wir sie ihnen! KLEINE KRISE BEIM   Läuft gerade nicht so gut für den Inten­danten des Lucerne Festi­vals Michael Haef­liger. Dass er durch­greifen kann und auch vor massiven Ände­rungen und Programm-Stri­chen (wir haben über die Neuaus­rich­tung des Festi­vals berichtet) nicht zurück­schreckt, ist bekannt. Etwas erstaunt ist man über die aktu­elle Nervo­sität in : Der Stif­tungsrat des Festi­vals lässt derzeit in einer unab­hän­gigen Unter­su­chung schwer­wie­gende Mobbing-Vorwürfe gegen Haef­liger prüfen. Erhoben wurden sie wohl von Dominik Deuber, dem Leiter der Meis­ter­schule für Neue Musik und deren Alumni. Einen Hinter­grund des Konflikts vermutet die Luzerner Zeitung in den im Früh­ling bekannt­ge­ge­benen Umstruk­tu­rie­rungen. Und dann war da noch die Sache mit Teodor Curr­entzis. Das Lucerne Festival hatte Karten für Proben des Orches­ters musi­cAe­terna im April für rund 100 Dollar verkauft. Darauf reagiert Curr­entzis nun verär­gert und mit einer Klar­stel­lung: Er erwarte, dass bereits gezahltes Geld vom Festival erstattet werde, da seine Proben kostenlos seien – aus Prinzip. DAIMLER UND DIE OPER IN STUTT­GART In einer der letzten Wochen hatten wir bereits über die viel disku­tierte Sanie­rung der Stutt­garter Oper berichtet, und darum, dass keiner den Mut hat, die Eine-Milli­arden-Euro-Entschei­­dung zu treffen. Nun schlägt Inten­dant Viktor Schoner im Deut­sch­­lan­d­­funk-Inter­­view Alarm und kriti­siert die „erbärm­li­chen Arbeits­be­din­gungen“: „Ich lade jeden ein, aus Stutt­gart, aus -Würt­­te­m­­berg-Raum, aus ganz Deutsch­land, einmal eine Back­s­tage-Führung zu machen und zu sehen, wie unsere Mitar­bei­te­rinnen und Mitar­beiter, unsere Musi­ke­rinnen und Musiker, unsere Tänze­rinnen und Tänzer wirk­lich erbärm­lichste Probe­si­tua­tionen und Arbeits­platz­si­tua­tionen… allein die Färberei, ich glaube, kein Arbeiter bei Daimler würde eine solche Färberei je auch nur betreten. Da gibt es einfach Sanie­rungs­be­darf, weil das Haus zum Glück im Krieg nicht zerstört wurde und auch nie wirk­lich grund­sa­niert wurde. Und jeder, der einen Altbau hat, weiß, man muss da jetzt ran. FINANZ-DEBATTE AN DER MET Um Geld dreht sich derzeit auch alles an der MET in . Während die aktu­ellen Premieren von „Porgy and Bess“ und Philip Glass« „Akhn­aten“ sich gut verkaufen, meldete die Oper bereits 2018 ein Defizit von 1,9 Millionen Dollar, 2019 beträgt es nach neuesten Schät­zungen 1,1 Millionen. Von einer Rating Agentur werden laut New York Times die Kino­über­tra­gungen gelobt, die Inten­dant Peter Gelb erfunden hat, aber die Finanz­mittel seien noch immer zu gering für ein Haus dieser Größen­ord­nung. Zumal große Inves­ti­tionen anstehen – beson­ders, was die Back­s­tage-Reno­­vie­rung und die Sanie­rung der Fassade betrifft.

WAS WAR

Das  Elbphil­har­monie Orchester spielt die neuen „Vier Jahres­zeiten“. GRETA VIVI­ALDI – DIE NEUEN JAHRES­ZEITEN Es ist schon auffällig, dass die Welt­ur­auf­füh­rung der neuen „Vier Jahres­zeiten“ kaum aufge­fallen ist – und das, obwohl die Idee von Star-Agentur Jung von Matt kam: Für das NDR Elbphil­har­monie Orchester und  wurde bei der Berliner Musik­pro­duk­tion „Kling Klang Klong“ (die heißt echt so!) eine neue Version der „Vier Jahres­zeiten“ in Auftrag gegeben: Einige Vogel­stimmen fielen dem Arten­sterben zum Opfer, ein biss­chen Herbst schlich sich schon in den Sommer, und Gewitter stürmten in so ziem­lich jeder Jahres­zeit. Am Ende klang die Partitur, die Kompo­nisten mit den aktu­ellen Erkennt­nissen des Klima­wan­dels umge­schrieben hatten, weniger nach Welt­un­ter­gang als einfach nur: Hübsch! Vernich­tend die Kritik von Edwin Baum­gartner. Schade, dass es dem NDR Mal wieder nicht gelungen ist, den neuen und wirk­lich span­nenden Chef­di­ri­genten in den Vorder­grund zu stellen. Statt­dessen hat man lieber in ein vermeint­li­ches Spi-Spa-Spek­­takel-Konzert inves­tiert. Irgendwie scheint der Hang zur PR in noch immer größer zu sein, als die Klar­heit der Kunst. SENATS­VER­WAL­TUNG SCHEI­TERT AN KOMI­SCHER OPER Schon beim ersten Schritt in Rich­tung Sanie­rung der Komi­schen Oper ist die zustän­dige Senats­ver­wal­tung für Stadt­ent­wick­lung und Wohnen gestol­pert“, berichtet der Tages­spiegel. „Der Wett­be­werb, bei dem ein Gene­ral­planer für die Grund­in­stand­set­zung und Erwei­te­rung des maroden Musik­thea­ters gefunden werden sollte, ist geplatzt.“ Grund ist die Beschwerde eines Bewer­bers. Der aktu­elle Wett­be­werb musste aufge­hoben werden. Ob sich der Baube­ginn, der für 2023 geplant ist, halten lässt – daran zwei­felt der Tages­spiegel.

PERSO­NA­LIEN DER WOCHE

Eine große Stimme ist verstummt: John Wegner starb mit 69 Jahren. In der Talk­show 3nach9 hat Geigerin  einen Einblick in ihre Proben­ar­beit gegeben. Sie könne sich schlecht konzen­trieren und neige dazu, sich beim Üben abzu­lenken, indem sie „Mal nach­schaut, was so im Fax liegt.“ Im Fax!?! Im Ernst? Wer schickt ihr denn sowas aus der medialen Vergan­gen­heit? Beet­hoven oder Bach, oder war es gar ein Tele­gramm von Tele­mann? +++ Er hat in  gekämpft und wurde am Ende von engstir­nigen Poli­ti­kern vom Hof getrieben, nun ist der weitere Weg von Inten­dant Florian Lutz klar: Er beerbt Thomas Bockel­mann am Staats­theater . +++ Keine schöne erste Amts­hand­lung, wohl aber eine nötige für das finan­ziell klamme Opern­haus in : Inten­dant Alex­ander Pereira will die Karten­preise erhöhen. Und dafür mehr Hoch­glanz servieren. Er meint damit: , Kras­si­mira Stoja­nowa und . „Ich gehe ein Risiko ein, indem ich die Karten­preise bis auf 200 Euro erhöhe. Viel­leicht werden wir zehn Prozent der Zuschauer verlieren, wir werden jedoch dafür mehr Einnahmen haben. Wenn die Qualität über­zeugt, werden wir mehr Karten verkaufen“, rechnet der ehema­lige Olivetti-Vertreter vor. +++ Der deut­sche Opern­re­gis­seur Aron Stiehl wird neuer Inten­dant in Klagen­furt. +++ Mit persön­li­chem Einsatz hat Inten­dant  eine Auffüh­rung des „Don Carlos“ in Nürn­berg gerettet. Nachdem der Sänger der Haupt­rolle spontan erkrankte, spielte der Inten­dant die Rolle kurzer­hand selber, musi­ka­lisch von der Seiten­bühne durch den aus St. Peters­burg einge­flo­genen Tenor Hovhannes Ayva­zyan begleitet. +++ Weil wir die nötige Aufklä­rung im Falle Sieg­fried Mauser von Anfang an begleitet haben und soli­da­risch mit allen Opfern sind, sei hier noch ein wich­tiger Text empfohlen, der das System-Mauser eindrück­lich erklärt. +++ Unglaub­lich viele, unglaub­lich bewe­gende Erin­ne­rungen an einen mensch­lich einma­ligen Sänger waren in den letzten Tagen in den sozialen Medien zu lesen: Der Bariton John Wegner, unter anderem ein wunder­barer Wotan, ist im Alter von 69 Jahren seinem Parkinson-Leiden erlegen. „Am Anfang habe ich nur wenigen Menschen von der Krank­heit erzählt, dann habe ich mich entspannt – und am Ende störte es mich nicht mehr, dass die Leute das mitbe­kommen haben.“

AUF UNSEREN BÜHNEN

Es war ein Triumpf – beson­ders für Kirill Petrenko und Marlis Petersen: sie über­wäl­tigten mit ihrer schroffen Lesart von Korn­golds „Tote Stadt“ in . Und auch Tenor Jonas Kauf­mann ließ viele Kritiker verstummen. So attes­tierte Manuel Brug ihm, besser gesungen zu haben, als er erwartet hatte, und der BR feierte Kauf­mann als Sänger-Darsteller. Noch für kurze Zeit ist der Radio-Mitschnitt der Première hier zu hören. +++ Inten­dant Bernd Loebe stellte das neue Programm in Erl vor: 2020 stehen Wagners „Lohen­grin“, Humper­dincks „Königs­kinder“ und die Rossini-Oper „Bianca e Falliero“ auf dem Programm. Kurz zuvor wurde bestä­tigt, dass die Staats­an­walt­schaft die Klagen gegen Gustav Kuhn aus poli­ti­schem Druck aufrecht erhält. In eigener Sache darf ich Sie noch auf ein Gespräch hinweisen, das ich für Klassik-Radio mit Annette Dasch geführt habe: In andert­halb Stunden erzählt sie beim entspannten Brunch über ihre Jugend in den 80er-Jahren und darüber, wie Musik ihr über die Pubertät hinweg half. Sie verrät, warum sie sich die toten Mitglieder ihrer Familie gern während der Auffüh­rung in den hinteren Reihen des Thea­ters vorstellt, plau­dert über die Proben an Hans Neuen­fels« Bayreu­ther „Ratten-Lohen­­grin“, erklärt, wie das Gehirn bei Neuer Musik reagiert und gesteht, dass sie noch auf einen Anruf von Peter Konwit­schny wartet. In diesem Sinne – halten Sie die Ohren steif. Ihr Axel Brüg­ge­mann brueggemann@​crescendo.​de
Fotos: Wiki Commons