KlassikWoche 39/2020

From Russia with Cough

von Axel Brüggemann

21. September 2020

Die Erkrankung von Anna Netrebko an Covid, Corona-Regeln an Münchner Theatern vor Gericht, die Petition für die belarusische Flötistin Maria Kalesnikava

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

dieses Mal – leider – mit etwas mehr Corona, aber auch mit Denk­an­stößen zur Frage, was sich verän­dert – und zum Thema: Politik und Musik.

FROM RUSSIA WITH COUGH

Es war nur eine Frage der Zeit, bis Corona auch die Theater erreicht. Das war absehbar, das ist auch nicht schlimm. Wir müssen nur damit umgehen! Promi­nen­tester Fall war diese Woche natür­lich . Sie erklärte aus einem Hospital in St. Peters­burg, dass sie an COVID erkrankt sei und Lungen-Probleme hätte, schaute aber gleich­zeitig mit Opti­mismus in die Zukunft (zum Glück habe sie es nun hinter sich, ihr Mann Jusif Eyvazov habe Anti­körper gebildet), und dann schob sie noch ein biss­chen Corona-Popu­lismus hinterher (endlich hätten die Gänge­lung und das Spiel mit der Angst ein Ende).
Und auch an die Wiener Staats­oper ist das Virus vorge­drungen: Nachdem Dutzende Coro­na­virus-Fälle auf einer Studie­ren­den­vor­stel­lung von „Die lustige Witwe“ am Theater an der Gumpen­dorfer Straße (TAG) entdeckt wurden, waren auch Künstler an der Staats­oper betroffen. Die Stra­tegie von Inten­dant Bogdan Roščić: Ruhe, Testungen, Trans­pa­renz – und die Aufrecht­erhal­tung des Spiel­be­triebes. In einer Umfrage auf meiner Insta­gram-Seite erklärten 90 Prozent, dass sie das Handeln der Staats­oper für richtig und verant­wor­tungs­voll hielten. 

PLANUNGEN IN MÜNCHEN UND BERLIN

In wird juris­tisch um die Corona-Regeln an Thea­tern gerungen. Der Baye­ri­sche Verwal­tungs­ge­richtshof wies einen Eilan­trag von München­Musik gegen die Corona-Regeln ab, aber das Gericht äußerte auch eine „sanfte juris­ti­sche Skepsis“ gegen­über dem „Sonder­be­trieb“ für Gasteig und Staats­oper. Einen erschre­ckenden Lage­be­richt von der Veran­stalter-Front hat Thilo Egger­bauer in der Süddeut­schen aufge­schrieben. In erklärt Kultur­se­nator Klaus Lederer im Deutsch­land­funk, man rechne mit 47 Millionen Euro Verlust, denn öffent­liche Betriebe wie Theater, Orchester und Oper können nur zur Hälfte ausge­lastet werden. Außerdem star­tete er das Schwarze-Peter-Spiel: Berlin und haben eine Bundes­rats­in­itia­tive initi­iert, um auf die schwie­rige Situa­tion der Künst­le­rinnen und Künstler, der Frei­be­rufler und Solo­selbst­stän­digen im Kultur­sektor hinzu­weisen – eine Situa­tion, die sie aber selber auch nicht in den Griff bekommen haben. Die Lähmung der Kultur­po­litik ist ein Trau­er­spiel! 

Derweil haben die Häuser in der Haupt­stadt die Wahl zwischen „Schach­brett“ oder 1,5 Meter Abstand. Frederik Hanssen schreibt im Tages­spiegel: „Die Deut­sche Oper wird zum 27. September auf das Schach­brett-Prinzip umstellen. Das ist der Tag, an dem Stefan Herheims „Walküre“-Neuinszenierung Première feiert. Die Zahl der nutz­baren Plätze erhöht sich von 450 auf 770. An der Staats­oper ist Inten­dant noch in Bespre­chungen mit den Abtei­lungen des Hauses, geplant wird aber auch dort mit dem Schach­brett-Muster. Die Komi­sche Oper dagegen hat sich entschieden, vorerst beim Sitz­plan mit 1,5 Meter Abstand und ohne Mund-Nasen-Bede­ckung während der Vorstel­lung zu bleiben. Was sicher auch daran liegt, dass Haus­herr Barrie Kosky die gesamte Planung bis Ende des Jahres verworfen und durch ein coro­na­kom­pa­ti­bles Programm ersetzt hat, das jetzt bereits voll­ständig im Vorver­kauf ist.“ 

MUSIK MIT ABSTRI­CHEN

Die Nord­deut­sche Phil­har­monie  spielte schon am 13. September mit Chef­di­ri­gent und vollem Orchester. Zu verdanken ist dies einem beson­deren Projekt: Regel­mä­ßige Rachen­ab­striche zum Nach­weis einer COVID-19-Infek­tion der Musi­ke­rInnen wurden vom Rosto­cker Biotech-Unter­nehmen Cento­gene GmbH mit dem Volks­theater-Inten­danten Ralph Reichel und dem Chef­di­ri­genten Marcus Bosch auf den Weg gebracht. Ich war neugierig und habe bei einem Inten­danten in Öster­reich, wo derar­tige Testungen seit Wochen durch­ge­führt werden, gefragt, was sie eigent­lich kosten. Das Ergebnis ist über­schaubar: Mit einer so genannten „Pool­tes­tung“ belaufen sich die Kosten für ein Orches­ters auf rund 1.500 Euro pro Test­reihe.

WIE ES WEITER­GEHEN KÖNNTE

Nichts wird sein, wie es einmal war. Diesen Satz haben wir oft gehört in den letzten Wochen und Monaten. Sicher ist: Corona verän­dert die Welt und damit auch die Kultur. Das Prinzip ist dabei das Gleiche: Vieles, was bereits krank war, wird jetzt als solches sichtbar. Wir sammeln Erfah­rungen, die uns helfen könnten, wenn die öffent­li­chen Haus­halte noch enger geschnürt werden müssen als heute schon.“ Ich habe mir grund­le­gende Über­le­gungen zu grund­le­genden Verän­de­rungen gemacht und würde mich sehr freuen, wenn wir über das „Wie kann es weiter­gehen?“ debat­tieren – hier und an anderen Stellen!

PERSO­NA­LIEN DER WOCHE

Letzte Woche haben wir über das Verschwinden der bela­ru­si­schen Oppo­si­ti­ons­po­li­ti­kerin und Flöten­spie­lerin Maria Kales­ni­kawa berichtet – und über den huma­nis­ti­schen Sinn der Musik geschrieben. Viele Mails haben mich erreicht, die mich auf eine Peti­tion aufmerksam gemacht haben. Sie zu unter­schreiben, ist mehr als das Bekenntnis zur Soli­da­rität, es schafft inter­na­tio­nale Aufmerk­sam­keit. Ich hab’s gemacht. – Sie auch? +++ Der Kompo­nist Enjott Schneider hat das Amt als Präsi­dent des Deut­schen Kompo­nis­ten­ver­bandes aus gesund­heit­li­chen Gründen zurück­ge­geben. Dafür rückte in den Bundes­vor­stand nach – die präsi­dialen Aufgaben über­nimmt inte­rims­mäßig Vize­prä­si­dent Ralf Weigand. +++ wird Hono­rar­pro­fessor an der Dresdner Hoch­schule für Musik. Die Meis­ter­kurse sollen aller­dings nicht nur auf das Diri­gieren beschränkt werden, teilte die Hoch­schule für Musik mit. „Die Studie­renden werden auch in den Fach­be­rei­chen Kammer­musik, Oper und Lied von seiner exzel­lenten Kompe­tenz profi­tieren und ihn darüber hinaus bei Proben mit der Säch­si­schen Staats­ka­pelle in Aktion erleben können“, erklärte Rektor Axel Köhler. +++ Die Sängerin, Regis­seurin und Lehrerin Annette Jahns ist nach schwerer Krank­heit im Alter von 62 Jahren verstorben. Die warme und sinn­liche, dabei aber immer auch charak­ter­volle, stets die Grenzen gesang­li­cher Möglich­keiten ausrei­zende Tiefe des Klangs war ihre Spezia­lität als Altistin, heißt es in einem Nachruf von Boris Gruhl. +++ Etwas Großes und Kluges habe ich auf den Seiten des John Kennedy Centers for the Performing Arts gesehen: Die in dieser Woche verstor­bene US-Rich­terin Ruth Bader Gins­burg über die Rolle der Musik in ihrem Leben.

MUSIK UND POLITIK

https://​www​.insta​gram​.com/​t​v​/​C​F​W​k​c​Z​I​q​q​cB/

Und dann habe ich mich per Insta­gram-Live noch mit dem Pianisten unter­halten. Der sitzt gerade 14 Tage lang in einem Hotel­zimmer in in Quaran­täne und reflek­tiert in tägli­chen Posts das Leben und die Musik. Was mich aufmerksam gemacht hat: Sein Nach­sinnen über die poli­ti­sche Rolle des Künst­lers. Muss man zu jeder Welt­si­tua­tion eine Meinung öffent­lich formu­lieren – oder unter­gräbt das die Entfal­tungs­mög­lich­keiten der Musik. Span­nende Gedanken, und – wie ich finde – ein drin­gend neuer Blick auf eine Musik­kultur, die seit einiger Zeit Meinung mit Haltung verwech­selt.

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr 

brueggemann@​crescendo.​de