Fusio­niert, verschoben und verzockt?

von Axel Brüggemann

15. April 2024

Will­kommen in der neuen Klassik-Woche

Heute fragen wir, ob sich gerade verzockt, feiern eine andere Münchner Insti­tu­tion, hören ein wenig ins fusio­nierte Radio und staunen über Norwegen. Also los!

Was ist los in München? 

Verzockt sich Inten­dant Serge Dorny gerade bei seiner Vertrags­ver­län­ge­rung als Inten­dant der Münchner Staats­oper? Erst war da sein öffent­li­cher Flirt mit den Salz­burger Fest­spielen, dann eine unmo­ti­vierte Positiv-Pres­se­mit­tei­lung – und nun folgte eine Art »konzer­tierte Aktion« in Münchens Feuil­leton. Irgendwie warb plötz­lich ein Groß­teil der Kollegen für eine schnelle Vertrags­ver­län­ge­rung. Robert Braun­müller von der Abend­zei­tung schrieb: »Es wäre an der Zeit, das Pokern zu beenden«, und noch deut­li­cher war Egbert Tholl in der Süddeut­schen: »Im Grunde ist er (Dorny) ein an geschulter Huma­nist. Inzwi­schen sucht er das Gespräch, lernte loszu­lassen. Er holte wieder die Gesang­stars ans Haus.« Trotzdem scheint Bayerns Kunst­mi­nister keine Eile mit der Vertrags­ver­län­ge­rung zu haben. Auf Back­stage­Clas­sical erkläre ich, dass im Hinter­grund offen­sicht­lich noch andere Konflikte schwelen. Da geht es eher um Führungs­stil. Die Personal-Fluk­tua­tion am Hause ist hoch, einige Mitar­beiter haben es nicht einmal geschafft, ihren Job am Haus anzu­treten, weil es bereits im Vorfeld gekracht hat, und uns liegt mindes­tens eine schrift­liche Beschwerde über den Führungs­stil am Hause vor. Erklärt das etwa Blumes Zögern? Oder geht es hier einfach um einen Macht­kampf zweier Alpha-Männer? Übri­gens auch Diri­gent müsste verlän­gert werden, der in der New York Times gerade erklärt hat, dass jeder Künstler immer auch poli­tisch sei. Diese Woche soll es offenbar erste Gespräche zwischen Dorny und Blume geben – Ergebnis: offen.


Heute erscheint der FEST­SPIEL-GUIDE, die Jahres­vor­schau der Fest­spiele in Deutsch­land und Europa, zum 25. Mal!
Als Leser der Klas­sik­Woche erhalten Sie den FEST­SPIEL-GUIDE schon vorab als ePaper.
Freuen Sie sich auf diese Themen:
Asmik Grego­rian – Mehr Bühnen­prä­senz und mehr Sopran geht nicht!
André Schuen – Tiefe Emotio­na­lität und starke Rollen
Ullrich Matthes – „Kleist steht mir näher als Goethe“
– Porträt einer der Großen unserer Zeit
Andreas Döllerer – Autoren­küche über den Alpen
Dazu die High­lights der Fest­spiele und Festi­vals in ganz Europa und viele Hotel- und Reise­tipps für Ihren Kultur-Urlaub.
-> zum ePaper FEST­SPIEL-GUIDE 202425


Wie das Radio an Kultur spart

Letzte Woche haben wir uns mit Tränen des Lachens und der Trauer in den Augen über das neue Vormit­tags­pro­gramm des zu Radio­Drei umge­tauften Senders rbbKultur amüsiert und über die Ahnungslos-Mode­ra­tion von Jörg Thadeusz. Aber das war ja nur ein Anfang der großen Programm-Reform, auf der viele Klassik-Linien unter die Räder geraten. Ich habe alle Struk­tur­än­de­rungen hier einmal aufge­listet. Unter anderem wird die Klassik am Montag, Mitt­woch und Samstag als Gemein­schafts­pro­gramm präsen­tiert, daran nehmen teil: HR, SR, SWR, NDR, MDR und RBB. Am Dienstag und Donnerstag koope­rieren zuweilen auch BR und WDR. Frei­tags und Sonn­tags gibt es regio­nale Aufnahmen. Jour­na­lis­ti­sche Musik­ma­ga­zine werden am Abend gemeinsam von Bayern 2, Bremen 2 und Radio 1 gesendet. Ob diese Fusio­nitis am Ende ihr Geld Wert ist?

Viva la Chaos!

Was denn jetzt, Mailand!?! Die Opern-Ragazzi rangeln weiter um die Macht. Angeb­lich soll Fort­u­nato Ortom­bina nun doch als Inten­dant der Mailänder Scala antreten – und damit Nach­folger von werden. Ortom­bina leitet derzeit noch das La Fenice und hatte erklärt, dass er kein Inter­esse habe, nach Mailand zu gehen. Nun soll man sich aber geei­nigt haben. Es hieß zunächst, Meyer und sein Diri­gent sollten um ein Jahr – bis 2026 – verlän­gert werden. Danach solle der Wechsel statt­finden. Doch nun erklärte der italie­ni­sche Kultur­mi­nister Gennaro Sangiu­liano, dass er die Pläne des Scala-Verwal­tungs­rats für falsch halte und am liebsten schneller handeln würde. Es kursierten auch Gerüchte, dass als Musik­di­rektor auf Riccardo Chailly folgen soll. Viel los also, und noch wenig entschieden!

Betrug für billige Opern­karten

So richtig klappt es mit dem Publikum an der Hambur­gi­schen Staats­oper schon seit einiger Zeit nicht mehr. Und nun hat das Haus am Gänse­markt einen weiteren echten Opern-Groupie verloren: Die 61-jährige Chris­tina H. war sogar bereit, für ihre Opern­lei­den­schaft zu betrügen. Um billiger an beste Karten zu gelangen, fälschte sie einen Mitar­beiter-Ausweis samt Foto. So bekam sie dicke Rabatte für die besten Plätze. Statt 230 Euro für die Oper Lady Macbeth zahlte sie ledig­lich 32 Euro. Mindes­tens 21 Betrugs­fälle (auch an anderen Thea­tern) konnte die Staats­an­walt­schaft der Opern-Enthu­si­astin nach­weisen. Ihr Trick flog letzt­lich an der Abend­kasse auf. Nun fällte das Gericht ein Urteil: 90 Tages­sätze à 70 Euro! BILD berichtet, dass die Opern-Freundin seither nicht mehr in die Oper geht: »Es ist zu emotional. Jedes Mal, wenn ich an der Staats­oper vorbei­gehe, wird mir mein began­genes Unrecht bewusst.«

Lübeck kämpft um neue Musik­lehrer

In der Musik­na­tion Deutsch­land fällt an Grund­schulen fast die Hälfte des Musik­un­ter­richts aus. Der Grund: Lehrer­mangel. Ein neuer Studi­en­gang in Lübeck soll nun eine Lösung bringen. Das Programm »Musik­Plus« wendet sich beson­ders an Quer­ein­steiger. Geplant ist ein so genannter »Umstiegs-Master«, der sich an Musi­ke­rinnen und Musiker mit einem Bachelor in einem Musik­fach wendet. Sie können sich pädago­gisch und musik­päd­ago­gisch weiter­bilden lassen und gleich­zeitig auch in anderen Fächern wie Mathe oder Deutsch zerti­fi­ziert werden. So sollen schnell Lehr­kräfte auf den Markt gebracht werden. 

Das zukünf­tige München

Es ist ein wenig absurd, wie einige Feuil­le­tons in München ein Konzept am ersten Tag bereits totflüs­tern, das – davon bin ich über­zeugt – eigent­lich die Zukunft unserer Kultur­re­zep­tion vordenkt. Das Bergson Kunst­kraft­werk am Rande der Metro­pole eröffnet dieser Tage, und ja: es ist schwer zu errei­chen. Aber: es bietet viel. Die Unter­nehmer Michael Amberger und sein künst­le­ri­scher Kopf Roman Sladek bauen mit Kommu­ni­kator Maxi­mi­lian Maier etwas in Deutsch­land einma­liges auf. Ein 25 Meter hohes Indus­trie­ge­bäude auf über 20.000 Quadrat­me­tern. Darin befinden sich unter anderem ein Restau­rant, eine Galerie, Konzert­säle und Kammer­musik-Loca­tions, draußen auch ein Bier­garten. In diesen Tagen finden die ersten House­warming-Parties statt, die Staats­oper spielt Peter und der Wolf. Im Herbst beginnt dann der eigent­liche Betrieb und zeigt Kultur in allen Facetten: Kuli­narik, diverse Musik, Lite­ratur, Ausstel­lungen, Debatten – alles mitein­ander verzahnt. Maiers Traum: »Man kann jeden Abend ins Bergson kommen, ohne auf das Programm zu schauen – weil immer etwas Span­nendes los ist.« Am ehesten ist diese Konzept wohl mit der Harfe in Island zu verglei­chen – und die ist eine Erfolgs­ge­schichte der kultu­rellen Viel­falt unter einem mutigen Dach. Also aus vollem Herzen: Gratu­la­tion zur Eröff­nung. Ich glaube an dieses Konzept! 

Perso­na­lien der Woche

Burg­schau­spieler Michael Maer­tens hat in den Ober­ös­ter­rei­chi­schen Nach­richten Stel­lung zu seinem Raus­wurf beim Jeder­mann der Salz­burger Fest­spiele bezogen und lässt kein gutes Haar an Inten­dant : »Ich bin nicht sehr gut auf Herrn Hinter­häuser zu spre­chen«, sagt Maer­tens, »er hat das wirk­lich kata­stro­phal kommu­ni­ziert. Es war sehr, sehr verlet­zend und unge­schickt. Ich bin nicht nach­tra­gend, das habe ich von diesen alten, weißen, schrei­enden Männern gelernt.«. +++ Dass die Orchester zuneh­mend pädago­gi­sche Aufgaben über­nehmen sollen, macht überall Schule. Aber Orchester können die mangelnde Ausbil­dung an den Schulen nicht kompen­sieren – das ist letzt­lich Sache der Politik. Kein Wunder also, dass Diri­gent  in der Times erklärt: »Wir sind Musiker und keine Sozi­al­ar­beiter!« +++ Das Deut­sche Symphonie-Orchester Berlin gibt am 19. April im Konzert­haus am Gendar­men­markt eine Spen­den­gala unter dem Titel Rebuild Ukraine. Die Einnahmen kommen den Gemein­schafts­zen­tren für trau­ma­ti­sierte Kinder in den vom Krieg stark zerstörten Städten Cherson, Donezk und Sapo­rischschja zugute. Mit dabei , und Stephen Costello. Die Deut­sche Welle über­trägt das Konzert. +++ Weil wir letzte Woche ausgiebig über die Fluk­tua­tion an den Pulten gespro­chen haben. Diese Woche hat sein 20jähriges Jubi­läum mit der Kammer­phil­har­monie Bremen gefeiert – und was für erfolg­reiche Jahre warten das! Gratu­la­tion aus gege­benem Anlass von einem Bremer an einen Wahl-Bremer! +++ Norman Lebrecht macht sich in seiner Kolumne lustig über , da dieser seine musi­ka­li­sche Arbeit mit jener von Ärzte ohne Grenzen vergleicht. Lebrecht nennt das »Wahn­sinn eines Diri­genten«. +++ Der Klassik-Manager Dieter Rexroth ist tot. Thomas Schmidt-Ott, Orches­ter­di­rektor des Deut­schen Symphonie-Orches­ters Berlin hat dem »Programm­zau­berer« nach­ge­rufen.

Und wo bleibt das Posi­tive, Herr Brüg­ge­mann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Viel­leicht ja hier: Einer der meist gele­senen Texte auf meiner neuen Seite Back­stage­Clas­sical war letzte Woche der Bericht von Stephan Knies über das Opern­haus in Oslo. Das ist aus zwei Gründen bemer­kens­wert. Zum einen, weil es eben doch viele Menschen gibt, die nach neuen Inspi­ra­tionen suchen, und weil die Oper an sich mit voll­kommen neuen Wegen ein junges und großes Publikum anspricht. Klas­siker wie La Traviata stehen hier neben einer Urauf­füh­rung über das Thema Demenz. »Oslo zeigt, was Oper sein soll und kann«, schreibt Knies »heutiges Leben, emotio­nale Verdich­tung unserer tägli­chen Realität, erfolg­rei­ches Sprach­rohr für Tabu-Themen – und Hoch­kultur, gesell­schaft­li­ches Event und alte Opern-Welt.« Was will man mehr? 

In diesem Sinne: halten Sie die Ohren steif.

Ihr

P.S.: Wenn Sie hören wollen, was in dieser Klassik-Woche los war, empfehle ich Ihnen die neue Folge unseres Podcasts Alles klar, Klassik? (Hier für alle Player unten für Spotify)

In eigener Sache

Liebe Lese­rinnen, liebe Leser, Ende April wird der Autor dieses News­let­ters, Axel Brüg­ge­mann, sich mit der Klas­­­sik­-Woche selbst­ständig machen, und wir wollen ihn dabei unter­stützen. Tun Sie das auch? Dann brau­chen Sie nichts weiter zu unter­nehmen. Wir teilen Ihre Email-Adresse am 30. April an seine neue Seite Back­stage­Clas­sical mit, so dass Sie die Klas­sik­Woche nahtlos weiter erhalten. Wenn Sie das nicht möchten, können Sie ganz einfach wider­spre­chen: Klicken Sie dazu bis zum 30. April auf »Abmelden« am Ende dieses News­let­ters. Ihre Adresse wird dann auto­ma­tisch gelöscht und Sie erhalten keine weiteren Ausgaben der Klas­sik­Woche mehr.

Winfried Hanu­schik, Verleger & Heraus­geber

Fotos: Foto: Bayerische Staatsoper, Foto: KI, DaVinci, Foto: Bergson, Foto: Knies