Gerhard Richter
Rätselhaft wie das Leben selbst
von Ruth Renée Reif
9. Februar 2022
Gerhard Richter gehört zu den bedeutsamsten Malern der Welt, und seit 2013 ist er der teuerste. Am 9. Februar 2022 wird er 90 Jahre alt und blickt mit einer Schau in Dresden zurück auf sein Werk.
„Das Malen ist das einzig Positive, was ich habe. Selbst wenn ich alles andere noch so negativ sehe, kann ich wenigstens in den Bildern eine Art Hoffnung weitergeben“, lautet Gerhard Richters Credo. Bilder sind für ihn ein Trost, „wenn sie genügend Geheimnis besitzen und ähnlich rätselhaft sind wie das Leben selbst. Allein die Annäherung an diesen Zustand löst Glücksgefühle aus.“
Aus Anlass seines 90. Geburtstages zeigt das Albertinum in Dresden die vom Gerhard Richter Archiv kuratierte Ausstellung „Porträts. Glas. Abstraktionen.“. Das Thema der Ausstellung ist Richters Lebenswerk, und, wie der Kunsthistoriker und Leiter des Archivs Dietmar Elger erklärt, habe man Richter für die Auswahl und Gestaltung Carte blanche gegeben. Drei Räume installiere Richter mit einem Werk. Selbstporträts und Porträts seiner Familie bildeten den Schwerpunkt.
2006 wurde das Gerhard Richter Archiv als ein Zentrum der Forschung, Dokumentation und Kommunikation über Richters Werk in Dresden gegründet. Enthalten sind in ihm Briefe, Manuskripte, Fotografien, Filme, Plakate und Presseartikel. Es verfügt aber auch über eigene Werke, die der Galerie Neue Meister als Leihgaben zur Verfügung stehen. Richter war schon immer bemüht, die Deutungshoheit über sein Werk zu behalten. Er setzte sich selbst intensiv mit seinem Schaffen auseinander und schrieb auch darüber. Wie Armin Zweite in seiner umfangreichen Monografie erklärt, seien selbst verfasste und entworfene Bücher ihm stets wichtiger gewesen als von anderen gestaltete Ausstellungskataloge.
Das künstlerische Tun und seine Glaubwürdigkeit
Auch nach seinem Weggang aus seiner Geburtsstadt Dresden und dem Verlassen der DDR-Kunstszene 1962 befasste sich Richter in Düsseldorf mit seinem künstlerischen Tun und dessen Glaubwürdigkeit. Innerhalb weniger Jahre breitete er sodann sein umfangreiches motivisches Repertoire aus. Es begann eine intensive schöpferische Tätigkeit. Neben Hauptwerken der Fotomalerei entstand eine Reihe von Farbtafeln. Auf sie folgten pornografische Arbeiten sowie das Objekt 4 Glasscheiben, Türen‑, Wellblech- und Vorhangbilder. Richter schuf Stadtlandschaften sowie Alpen- und Parkdarstellungen, außerdem Gemälde nach Fotos, Farb- und Grauschlieren, Vermalungen, Graue Bilder, Mittelmeerlandschaften, Fenster- und Schattenbilder, Dschungelbilder, Seestücke sowie Wolkendarstellungen.
1972 fasste er alle Fotos, die für seine Malerei wichtig sein konnten, in Tafeln zusammen und zeigte sie unter dem Titel Atlas. Das Spektrum reichte von familiären Aufnahmen bis zu Fotos von Autos, Kühlschränken, Lampen, Regalen. „Ich glaube, dass ein Maler das Modell gar nicht sehen und kennen muss, dass nichts von der ‚Seele‘, dem Wesen, dem Charakter des Modells zum Ausdruck gebracht werden soll…“, erläuterte Richter. „Es ist deshalb viel besser, ein Porträt nach einem Foto zu machen, weil man ja doch nicht einen bestimmten Menschen malen kann, sondern immer nur ein Bild…“ Ema (Akt auf einer Treppe) aus dem Jahr 1966 ist Richters bekanntestes Gemälde, das auf einer fotografischen Vorlage basiert.
„Es hat lange gedauert, bis ich mich auf mein Werkzeug besinnen konnte, mit dem ich alles herstellen kann, Rot-Blau-Gelb (und Licht = Weiß), Bilder, die aus dem Prozess entstehen. Drei Grundfarben als Ausgang für unendliche Ketten von Farbtönen… die Farbtöne und Formen entstehen im Verlauf der ständigen Vermischung durch Pinselbahnen, bilden illusionistische Räumlichkeit, ohne dass ich Formen oder Zeichen erfinden müsste….“ Mit diesen Worten schilderte Richter den Prozess, der zu seinen großformatigen Gemälden und Serien führte.
Das Verhältnis von Bild und Objekt
1966 suchte er nach Wegen, die eigenen Darstellungsmöglichkeiten zu erweitern und Alternativen zum Malen und Fotografieren zu finden. Er dachte über den Objektcharakter seiner Leinwände nach und beschäftigte sich mit dem Verhältnis von Bild und Objekt sowie deren Beziehung zum Raum. 1972 zeigte er auf der Biennale von Venedig im Deutschland-Pavillon 48 Porträts, Bilder nach alten Fotos von Männern, die die Welt verändert haben.
Eines von Richters berühmtesten Werken ist 18. Oktober 1977, ein Zyklus von 15 Bildern. Sein Thema ist der Tod von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan Carl Raspe, den Mitgliedern der Rote Armee Fraktion (RAF), in der Nacht vom 17. auf den 18. Oktober 1977 im Gefängnis von Stuttgart-Stammheim. Die Gemälde des Zyklus basieren auf fotografischen Vorlagen. „Anfang der 60er Jahre von der DDR kommend, weigerte ich mich natürlicherweise, Verständnis für die Ziele und Methoden der RAF aufzubringen“, erläuterte er seine Motivation zu dem Werk. „Ich war zwar von der Energie, von dem kompromisslosen Willen und dem absoluten Mut der Terroristen beeindruckt, aber ich konnte dem Staat seine Härte nicht verdenken: Staaten sind so, und ich hatte andere, erbarmungslosere erlebt.“
Eine wichtige Rolle in allen Werkphasen Richters spielten Landschaftsdarstellungen. „Landschaften sind eine Art Sehnsucht, Sehnsucht nach einem unbeschädigten, schlichten Leben. Ein bisschen nostalgisch.“ Richter stellte sie in einen Gegensatz zu seinen abstrakten Werken: „Die abstrakten Arbeiten sind meine Gegenwart, meine Wirklichkeit. Meine Probleme, meine Schwierigkeiten und Widersprüche. Sie sind für mich sehr aktuell.“
Der Abstraktion wandte er sich, beginnend mit dem Gemälde Konstruktion aus dem Jahr 1976, zu. „So ein Bild wird in verschiedenen Schichten gemalt, die zeitlich voneinander getrennt sind“, erläuterte er den Entstehungsprozess. Zugrunde liegt den abstrakten Bildern eine Folge aufbauender und wieder zerstörender Prozesse. Als erste Schicht malte Richter einen Hintergrund fotoähnlicher Wirkung. „Und diese glatte, ineinander verschwimmende Fläche ist dann erst mal wie ein fertiges Bild, das ich nach einiger Zeit verstehe.“ In einem nächsten Malgang begann Richter mit der Zerstörung und Ergänzung des Bildes. Diesen Prozess setzte er mit zeitlichen Abständen fort, „bis es nichts mehr daran zu tun gibt, das Bild also fertig ist“.
Weitere Informationen zur Ausstellung „Porträts. Glas. Abstraktionen.“ von Gerhard Richter, die bis 1. Mai 2022 im Albertinum in
Dresden zu sehen ist, unter: gerhard-richter-archiv.skd.museum