KlassikWoche 28/2019
Henzes Villa, Wagners Abgang und Thielemanns Einsamkeit
von Axel Brüggemann
8. Juli 2019
Dieses Mal mit sommerlichen Gefühlen: Wir reisen zur Henze-Villa nach Italien, stellen uns Christian Thielemann allein zu Haus vor und gedenken dem großen Joao Gilberto.
Willkommen zur neuen Klassik-Woche
dieses Mal mit sommerlichen Gefühlen: Wir reisen zur Henze-Villa nach Italien, stellen uns Christian Thielemann allein zu Haus vor und gedenken dem großen Joao Gilberto.
WAS IST
HENZES VILLA UNTER DEM HAMMER
Es war eines der denkwürdigsten Interviews, die ich je führen durfte: Hans Werner Henze hatte mich (ich war als Student noch für das Opernglas tätig) in seine Villa La Leprara in Marino bei Rom eingeladen. Früh am Morgen weckte er mich in meinem Hotel am Telefon und fragte: „Haben Sie eine Badehose dabei?“ Als ich – noch im Halbschlaf – verneinte, antwortete er: „Umso besser, Sie können auch so bei mir schwimmen.“ Einen ganzen Tag lang habe ich mit Henze und seinem Lebenspartner Fausto Moroni verbracht: Auf dem Federball-Feld, auf der Veranda – ein Gespräch über die Verfolgung durch die Nazis, den Kommunismus in Kuba, über Ingeborg Bachmann, den Hamburger Medusa-Skandal und den Tod. Natürlich hat Henze auch über die großen Feste geschwärmt, die er auf La Leprara ausgerichtet hat. Nun läuft der Countdown: Das Anwesen steht zum Verkauf – bis Ende des Jahres soll es unter den Hammer. In der NZZ regt Marco Frei an, dass der Bund in der Pflicht sei, an diesem Ort, an dem so viel Kreatives entstanden sei, eine Art Villa Massimo einzurichten.
NIKE WAGNER VERLÄSST BONN
In diesem Newsletter war sie immer wieder Thema: Ihr Umgang mit dem verurteilten Siegfried Mauser, ihr Umgang mit privaten Mails des Komponisten Moritz Eggert – aber auch, dass es Nike Wagner nur selten gelungen ist, beim Beethovenfest in Bonn Publikumsnähe aufzubauen. Nun hat sie beschlossen, ihre Intendanz nach 2020 aufzugeben. Zunächst hörten sich ihre Worte moderat an, doch in einem BR-Klassik-Interview legte sie nach. Sie erklärte, dass das Bonner Publikum zu konservativ für ihre Pläne wäre, dass Experimente in der Stadt nicht gewünscht seien und dass das Festival nach ihr sicherlich „rechter“ werde – was auch immer das bedeuten mag. Fakt ist: Wagners quergedachte Programme hatten es schwer beim Publikum. Die Erfolgszahlen ihrer (ganz und gar nicht anbiedernden) Vorgängerin Ilona Schmiel konnte Wagner nicht halten. Im Gegenteil: Sie spielte ein finanzielles Defizit von 650 000 Euro ein. Das mag auch an ihrer Art der Kommunikation gelegen haben. Doch davon will die Intendantin nichts wissen: Schuld sind die anderen – vor allen Dingen: das doofe Publikum und die Stadt Bonn.
CHRISTIAN ALLEIN ZU HAUS
Ziemlich pointiert hat Manuel Brug den Wechsel von Musikmanager Jan Nast auf Twitter kommentiert. Nast wird die Sächsische Staatskapelle Dresden im Oktober in Richtung Wiener Symphoniker verlassen. Brug schrieb: „Was wie ein kleiner Abstieg aussieht, bedeutet in Wahrheit: ein besseres und freudigeres Leben ohne Christian Thielemann.“ In einer Pressemitteilung bejubelte Nast bereits die Publikumsnähe der Symphoniker und will sie als emotionales und international erfolgreiches Orchester sowohl vor Ort als auch auf Tourneen weiterentwickeln. Die Vorarbeit dafür hat sein Vorgänger bereits erledigt: Johannes Neubert hat die oft aufgeblähten Musiker-Verträge neu gestaltet und das Orchester verschlankt – dafür musste er am Ende gehen. Ihn zieht es nun zur Radiophilharmonie nach Paris – kein leichter Job. Nicht unwahrscheinlich, dass Neubert sich in den Hintern beißt, Nasts Position in Dresden hätte der gebürtige Jenaer sicherlich gern gehabt. Wer Nast zukünftig in Dresden ersetzen wird, liegt im Gutdünken von Christian Thielemann. Der kämpft allerdings gerade an zahlreichen anderen Fronten: Sein Streit mit Nikolaus Bachler bei den Salzburger Osterfestspielen scheint verhärtet, und auch der Rückhalt des Orchesters scheint zu wanken. Anders kann man die Pressemitteilung der Musiker nicht verstehen, die Nast tränenreich nachweinen. Für den Dresdner Journalisten Martin Morgenstern steht Thielemann wie ein weißer Elefant im Raum, über den niemand zu sprechen wagt. Dabei waren unter seiner Leitung in den letzten Jahren und Monaten zahlreiche Abgänge zu verzeichnen: „Jan Nasts langjährige Assistentin Agnes Monreal war bereits 2016 nach Schleswig-Holstein gewechselt, die Orchestermanagerin Elisabeth Roeder von Diersburg wechselte vor kurzem zu Barenboim an die Berliner Staatsoper. Der langjährige Orchesterdramaturg Tobias Niederschlag und der Leiter der Kommunikation, Matthias Claudi, haben schließlich die Staatskapelle letztes Jahr verlassen.“ Manuel Brug fasst all das in einem Satz zusammen: „Christian allein zu Haus.“ Das wiederum erinnert ein bisschen an den Anfang der Verwerfungen in Berlin und später in München.
DRAMATURG RECHNET MIT OPERNBETRIEB AB
Der Chefdramaturg der Frankfurter Oper, Norbert Abels, verlässt das Haus. In der FAZ hat er Michael Hierholzer ein sehr lesenswertes Interview gegeben, in dem er mit dem Betrieb abrechnet. Eine Pflichtlektüre für alle, die an einem Opernhaus beschäftigt sind: „‚Die gängige Denkfigur ist immer, dass Häuser mit den Leitern, den Intendanten identifiziert werden‘, sagt Abels. ‚Wir haben noch ein Denken wie aus der Zeit der Duodezfürstentümer.‘ In den seltensten Fällen werde zur Kenntnis genommen, dass eine Gesamtleistung sehr vieler Menschen hinter dem Erfolg eines Opernhauses stehe.“
WAS WAR
GIPFELTREFFEN IN BAYREUTH?
Dirigent Valery Gergiev hat um einige Karten für seine Bayreuth-Première am 25. Juli mit Richard Wagners Tannhäuser gebeten. An wen er sie weitergibt, weiß niemand! Nicht ausgeschlossen, dass Wladimir Putin (ein Freund Gergievs) spontan Interesse am Grünen Hügel bekunden könnte und auftaucht. Dann könnte Angela Merkels jährliche Musik-Auszeit sich schnell in einen diplomatischen Drahtseilakt verwandeln. Die Kanzlerin hat sich nämlich auch dieses Jahr wieder angemeldet, gefolgt von Gesundheitsminister Jens Spahn, Kulturstaatsministerin Monika Grütters und Digital-Staatsministerin Dorothee Bär. Tobias Kratzer wird wie immer auch im Kino übertragen. Die Première in der Regie von Tobias Kratzer wird wie immer im Kino übertragen – und ich freue mich, wenn wir uns dort wiedersehen.
STUDIE ZU PUBLIKUMSZAHLEN
„Man könnte die Besucherzahl um 75 Prozent steigern“, sagte der Kulturwissenschaftler Martin Tröndle im Deutschlandfunk. Opern- und Konzerthäuser litten nicht unter Geld- oder Zeitmangel der potenziellen Besucher, sondern eine Studie zeige, dass die Nähe zur Kultur im Elternhaus und die Möglichkeit, im Freundeskreis über die Veranstaltungen zu reden, wichtig seien. Besonders relevant sei der Begriff der Nähe, betont Tröndle. Wenn Konzertbesucher Nähe erfahren, durch das Elternhaus, die Schule oder die eigene Bildung, würden sie auch öfter kulturelle Veranstaltungen besuchen.
PERSONALIEN DER WOCHE
Die georgische Mezzosopranistin Anita Rachvelishvili hat bekannt gegeben, dass sie nicht mehr in Russland auftreten werde. Die russische klassische Musik sei eine der schönste der Welt, schrieb sie, aber sie werde auf Grund der Politik in Russland nicht mehr auftreten. „Wegen des Diktators Wladimir Putin und weil Wladimir Putin unser Volk tötet und unser Land stiehlt!“ +++ Der Generalintendant des Mecklenburgischen Staatstheaters hat die Nase voll. Lars Tietje erklärte in einer Pressemitteilung: „Mit Kulturministerin Bettina Martin habe ich mich (…) mehrfach (…) ausgetauscht. (…) Ich habe den Eindruck gewonnen, dass ich nicht das hundertprozentige Vertrauen aller Gesellschafter habe.“ +++ Die Westdeutsche Zeitung hat den Dirigenten Axel Kober zu dessen 10-jährigem Jubiläum in Düsseldorf porträtiert – lesenswert. +++ Ein letzter Scoop für den scheidenden Scala-Intendanten Alexander Pereira: Woody Allen wird in Mailand Puccinis Gianni Schicchi inszenieren. +++ Die Schweizer Regisseurin Barbara Frey wird neue Intendantin der Ruhrtriennale. +++ Der Pianist Radu Lupu hat bekannt gegeben, dass er nach dieser Saison vom Konzertpodium zurücktreten wird. +++ In einem großen Artikel im Standard nimmt Ljubisa Tosic das aktuelle Intendantenkarussell in Europa unter die Lupe und fragt nach den Chancen für Stéphane Lissner, Dominique Meyer oder Stefan Herheim. +++ Der Schweizer Komponist Urs Ringger ist gestorben – Peter Hagmann ruft dem Kollegen in der NZZ nach.
AUF UNSEREN BÜHNEN
„Der Fanatismus der Allianz aus Pöbel und Adel festigt die Macht der Obrigkeit“ – dieses Motto stellte Christian Schmidt vom Tagesspiegel über Peter Konwitschnys Inszenierung der Hugenotten in Dresden. Ein gelungener Abend, befand der Kritiker. +++ Mit Pauken und Trompeten wurden die ersten Festspiele in Erl ohne Gustav Kuhn eingeläutet. In der Tiroler Zeitung schwärmt Dirigentin Audrey Saint-Gil über die Neuerfindung des Ortes, die neuen Gesichter und ihre Aida-Produktion. +++ Joachim Lange feiert in der Deutschen Bühne die Première des von Romeo Castellucci szenisch eingerichteten Mozart-Requiems unter Raphaël Pichon in Aix-en-Provence: „Zum Schluss richtet sich der Bühnenboden effektvoll ganz langsam zu einer Tabula rasa auf und lässt all den Unrat, den die Menschen dort zurückgelassen haben, nach unten rutschen.“ +++ Begeistert war der Kritiker der New York Times von der Idee des Regisseurs Christophe Honoré, seine Tosca in Aix-en-Provence mit der Arie Vissi d’arte, gesungen von Veteran-Sopran Catherine Malfitano, beginnen zu lassen. Der Filmregisseur hätte eine Oper in Szene gesetzt, die auf jeden Fall eines vermeiden will: Langeweile. +++ Die Staatsoper Berlin nennt es „Digitalstrategie“ – gemeint ist: BMW zahlt einen Haufen Geld für einige Backstage-Videos von Daniel Barenboims Opernhaus. Mein Kommentar dazu hier. +++
WAS LOHNT
Ein historisches Paar: Die Affäre der Pianisten Nico Kaufmann und Vladimir Horowitz dient Lea Singer als Grundlage für einen neuen Roman.
Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht, ob sich dieses Buch wirklich lohnt, da ich es noch nicht gelesen habe. Aber ich kann es mir durchaus als unterhaltsame Sommerlektüre vorstellen. Eva Gesine Baur, mit der ich unter anderem einen Film über Mozarts Zauberflöte gedreht habe, hat unter ihrem literarischen Pseudonym Lea Singer den Roman Der Klavierschüler vorgelegt. Dabei hat sie sich an der historisch wahren Geschichte um Nico Kaufmann, der bei Vladimir Horowitz Klavierunterricht nahm und zum Liebhaber des Pianisten wurde, orientiert. Paul Jandl jubelt in der NZZ: „Lea Singers Der Klavierschüler ist ein Buch, das mit empathischer Hingabe von Musik und Tod erzählt. Von Berühmten und weniger Berühmten. Was in der Hölle von Depressionen beginnt, führt allmählich in die lichten Höhen grosser Geister.“ Ich packe das Buch auf jeden Fall als Urlaubslektüre ein.
Ach so, natürlich – dazu werde ich mir sommerlichen Bossa-Nova auflegen und João Gilbertos gedenken, der mit 88 Jahren gestorben ist.
Genießen Sie die Leichtigkeit des Sommers, und halten Sie die Ohren steif.
Ihr
brueggemann@crescendo.de