KlassikWoche 07/2020
Von Viren, Wahnsinn und Villazóns Zauberflöte
von Axel Brüggemann
10. Februar 2020
Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
ich hoffe, die Wut der Dresdner Opernball-Freunde hat sich etwas gelegt und wir können diese Woche weitermachen. Unter anderem mit Klassik und Corona, einer Hollywood-„Zauberflöte“ mit Rolando Villazón – und natürlich rufen wir dem großen Nello Santi nach.
WAS IST
KLASSIK UND CORONA
Das Shanghai Symphony Orchestra macht in Zeiten von Corona das Wohnzimmer zum Konzerthaus.
Das Shanghai Symphony Orchestra darf im Februar aufgrund des Coronavirus« nicht auftreten. Aber die Musiker haben sich etwas anderes einfallen lassen: Sie spielen zu Hause und stellen ihre Stücke ins Netz! Eine schöne Geste. Das Virus ist nicht nur ein medizinischer, sondern auch ein ökonomischer und emotionaler Gau. Unter anderem haben Orchester aus den USA und Europa Tourneen abgesagt. Letzte Woche hat das Boston Symphony Orchestra seine Asien-Tournee mit Andris Nelsons gecancelt, nun auch das National Symphony Orchestra der USA mit Gianandrea Noseda seinen Besuch in China – unberührt bleibt das Gastspiel in Tokio. Wie groß die Hysterie ist, haben wir bereits berichtet: Der Direktor der Musikhochschule Santa Cecilia in Rom bat asiatische Studenten, zu Hause zu bleiben. Zugegeben: In unseren Opern wird erstochen, vergiftet und gemordet – der Viren-Tod ist eher selten: Violetta Valéry aus La traviata und Mimi aus La Bohème sind die vielleicht prominentesten Lungenkranken. Von ihnen zu lernen, heißt auch zu verstehen: Gerade, wenn es ernst wird, brauchen Kranke Zuspruch. Und ein Land wie China: Beistand.
ZOFF IN ESSEN UND BRAUNSCHWEIG
Der Journalist Stefan Keim berichtet im WDR über Zoff am Theater Essen: „Über die Hälfte der Beschäftigten des Theaters und der Philharmonie Essen verlangen die Ablösung von Geschäftsführer Berger Bergmann. Sie werfen ihm vor, die Zukunft der Bühnen zu gefährden.“ Keims Einschätzung der Lage ist hier nachzuhören. In Braunschweig streitet man derweil lediglich über das Poster zu einer Madame-Butterfly-Produktion: Es zeigt die Flagge der aufgehenden Sonne, die Japans brutale Okkupation von China und Korea 1940 symbolisiert – Musiker der betreffenden Länder fordern die Intendanz auf, das Plakat nicht zu verwenden.
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EMMERICH PLANT ZAUBERFLÖTE
Nachdem die „West Side Story“ von Steven Spielberg fast fertig gedreht ist, gibt der deutsche Hollywood-Regisseur Roland Emmerich bekannt, dass er eine „Zauberflöte“ für das Kino plane – „einen Opernfilm für die ganze Familie“. Dafür gebe es aus Bayern staatliche Filmfördermittel in Höhe von 1,6 Millionen Euro. In der Adaption der Vorlage reist der 17-jährige Tim Walker in die Alpen, um sein Stipendium am legendären Mozart-Internat anzutreten. Er entdeckt ein jahrhundertealtes Portal, das ihn in die Welt von Mozarts berühmtester Oper katapultiert. Als Darsteller seien Opern-Weltstars wie Rolando Villazón oder Morris Robinson mit von der Partie.
DARF’S ETWAS MEHR SEIN?
Und wo bleibt das Gute? Vielleicht hier: Mehr Geld für die vier Landestheater und drei Landesorchester in NRW. Nach einer ersten Aufstockung der Mittel um rund 2,3 Millionen Euro im Jahr 2018 erhalten die Burghofbühne Dinslaken, das Landestheater Detmold, das Westfälische Landestheater Castrop-Rauxel und das Rheinische Landestheater Neuss sowie die Neue Philharmonie Westfalen in Recklinghausen, die Nordwestdeutsche Philharmonie in Herford und die Philharmonie Südwestfalen in Siegen-Hilchenbach noch einmal rund 1,6 Millionen mehr. Immerhin!
KONZERT-TRAUMA
Der Dirigent Brandon Keith Brown schreibt einen spannenden Essay darüber, warum sich Dunkelhäutige noch immer schwer damit tun, klassische Konzerte zu besuchen: „Klassik-Konzerte sind mit einem rassistisch konnotierten Trauma besetzt. Deshalb gehen wir nicht hin. Warum Geld ausgeben, um unbeweglich wie ein Stein dazusitzen, still, eingepfercht zwischen Weißen, die uns da nicht haben wollen? Klingt nicht nach einem entspannten Samstagabend, oder?“ Brandon Brown wünscht sich, dass wir dieses Trauma überwinden – und plädiert dafür, dass Weiße die Scheu der Schwarzen verstehen und die Zukunft der Klassik vielfältiger ist. Spannende Lektüre.
WAS WAR
Ausschnitt aus einem Bild des Künstlers Erik Born: Es zeigt das Revers Putins mit einem Hajo-Frey-Orden (Detail unten) und wurde für den Verein Aufwind Kinder- und Jugendfonds Dresden versteigert.
BALL-NACHLESE
Selten gab es wütendere und jubelndere Leserbriefe, als über unsere Berichterstattung zum SemperOpernball und Hans-Jochaim Frey. Was nachdenklich stimmt: Kritiker, die mir alles Mögliche vorwarfen, blieben in der Regel anonym, haben sich zum Teil extra für ihre Beschimpfungen falsche E‑Mail-Adressen zugelegt. Wer Antwort und Belege für seine Zweifel bekam, schrieb mir zurück, dass meine Antwort beweise, dass ich getroffen sei. Verstehe die Trolle, wer wolle! Sicher ist: Das Dresdner-Ball-Umfeld operiert mit merkwürdigen Methoden. Immerhin: Unsere Berichterstattung beflügelte sowohl den Spiegel, als auch die öffentliche Diskussion: Obwohl die Rundfunkräte des MDR viele Fragen hatten, entschied sich der Sender letztlich doch, eine halbe Million (!) für die Übertragung auszugeben – und verlor dafür kräftig an Quote. Kein Wunder, denn Roland Kaiser eröffnete den Ball mit den Worten, dass man nun endlich mal feiern wolle, machte selbst Judith Rakers zur Kronzeugin (sie drückt uns die Daumen), erwähnte die Preisvergabe an Ägyptens Präsident Al-Sisi mit keinem Wort und gefiel sich selber in der Opfer-Rolle – wie kann man der Ball-Gesellschaft nur in die Suppe spucken? Ach so: Wer sich über meinen Text der letzten Woche aufgeregt hat, der sollte doch mal den lustigsten Text, der zum Ball erschienen ist, von Martin Morgenstern lesen. Viel Spaß!
PERSONALIEN DER WOCHE
Nun hat John Williams ja gerade mit Anne-Sophie Mutter bei der Deutschen Grammophon aufgenommen – aber die Sony wollte dem Filmkomponisten auch zum 88. Geburtstag gratulieren und tat das auf Facebook mit einem Bild und einem Spotify-Link. Allerdings nicht zum Mann des ET-Soundtracks, sondern zum Gitarrenspieler John Williams. Über zwei Stunden war der Fehler online, und sorgte für Spott. Der schönste Kommentar: „Wenn Sony Chef Bogdan Roščić an der Wiener Staatsoper ist, wird das zum Glück nicht mehr passieren.“ +++ Peter Uhlig berichtet in der Berliner Zeitung, dass Kirill Petrenko das Education-Programm der Berliner Philharmoniker weiterführen will: „Wenn Kirill Petrenko in seinem ersten Education-Projekt vor allem mit jungen Sängerinnen und Karajan-Akademisten arbeitet und lediglich den aus sogenannten »Problembezirken« rekrutierten Kinderchor der Philharmoniker, die »Vokalhelden«, als klassische Education-Zielgruppe einbezieht, erteilt er den Verschlagenheiten kapitalistischer Menschenliebe immerhin eine Absage.“ +++ Eliette von Karajan, die 80-jährige Witwe des legendären Dirigenten, hat sich im Januar aus der Stiftung Herbert von Karajan Osterfestspiele Salzburg zurückgezogen und die Vorstandsagenden an ihre beiden Töchter Isabel und Arabel Karajan übergeben. Eliette bleibt aber weiterhin Ehrenpräsidentin der Stiftung, hieß es am Dienstag. +++ Nun also auch Spanien: Der mit Sex-Vorwürfen belastete Dirigent Charles Dutoit wurde nun auch in Spanien ausgeladen – die Filarmónica de Gran Canaria hat ein Konzert mit ihm als Gastdirigenten gestrichen. +++ Volksmusik als Teil der Musik – Musikantentum at its best: dafür stand Rudi Pietsch – er ist nun mit 68 Jahren verstorben.
ZUM TOD VON MIRELLA FRENI UND NELLO SANTI
Ein typischer Nello Santi-Satz ging so: Er schaute ins Zürcher Opernorchester, visierte einen Musiker und sagte: „Sie spielen jeden Tag schlechter, und heute spielen Sie schon wie übermorgen.“ Nello Santi war gefürchtet dafür, dass er einen Schlagzeuger eine ganze Ouvertüre Solo spielen ließ – aber jeder wusste auch, so schnell der Maestro in die Luft ging, so schnell war er auch wieder am Boden – und Freund seiner Orchester. Was beeindruckte: Egal, welches Stück – Santi hatte ein fotografisches Gedächtnis, dirigierte alles aus dem Kopf, und wenn ein Sänger mal durcheinander kam, flüsterte er dem Orchester auch ohne Noten die Taktzahl zu, bei der man weitermachte. Nun ist Nello Santi im Alter von 88 Jahren gestorben – die Engel im Himmel müssen zittern und können sich freuen.
Gestern Abend dann die Nachricht, dass auch Mirella Freni verstorben ist – mit 84 Jahren im italienischen Modena, jenem Ort, in dem auch Luciano Pavarotti geboren wurde und gestorben ist, in dem die beiden gemeinsam in den Kindergarten gegangen sind, bevor sie in der legendären Karajan-„Bohème“ Operngeschichte geschrieben haben. Aber Mirella Freni war Künstlerin eigener Größe (auch wenn ziemlich jeder Nachruf, dummerweise auch dieser, sie als Doppelpack mit Pavarotti verabschiedet): so viele Rollen, die sie geprägt hat, mit ihrem klaren Sopran, der Anmut ihrer Stimme, unter anderem übrigens auch mit Nello Santi am Zürcher Opernhaus, wo sie bis ins hohe Alter (immer wieder an der Seite ihres Mannes Nicolai Ghiaurov) aufgetreten ist. Mirella Freni war darüber hinaus eine herzenswarme, humorvolle und hingebungsvolle Gesangslehrerin.
Halten Sie dennoch die Ohren steif