KlassikWoche 07/2020

Von Viren, Wahn­sinn und Villa­zóns Zauber­flöte

von Axel Brüggemann

10. Februar 2020

Will­kommen in der neuen Klassik-Woche,

ich hoffe, die Wut der Dresdner Opern­ball-Freunde hat sich etwas gelegt und wir können diese Woche weiter­ma­chen. Unter anderem mit Klassik und Corona, einer Hollywood-„Zauberflöte“ mit – und natür­lich rufen wir dem großen Nello Santi nach.

WAS IST

KLASSIK UND CORONA

Das Symphony Orchestra macht in Zeiten von Corona das Wohn­zimmer zum Konzert­haus.

Das darf im Februar aufgrund des Coro­na­virus« nicht auftreten. Aber die Musiker haben sich etwas anderes einfallen lassen: Sie spielen zu Hause und stellen ihre Stücke ins Netz! Eine schöne Geste. Das Virus ist nicht nur ein medi­zi­ni­scher, sondern auch ein ökono­mi­scher und emotio­naler Gau. Unter anderem haben Orchester aus den und Europa Tour­neen abge­sagt. Letzte Woche hat das seine Asien-Tournee mit gecan­celt, nun auch das National Symphony Orchestra der USA mit seinen Besuch in China – unbe­rührt bleibt das Gast­spiel in . Wie groß die Hysterie ist, haben wir bereits berichtet: Der Direktor der Musik­hoch­schule Santa Cecilia in Rom bat asia­ti­sche Studenten, zu Hause zu bleiben. Zuge­geben: In unseren Opern wird ersto­chen, vergiftet und gemordet – der Viren-Tod ist eher selten: Violetta Valéry aus La traviata und Mimi aus La Bohème sind die viel­leicht promi­nen­testen Lungen­kranken. Von ihnen zu lernen, heißt auch zu verstehen: Gerade, wenn es ernst wird, brau­chen Kranke Zuspruch. Und ein Land wie China: Beistand.

ZOFF IN UND

Der Jour­na­list Stefan Keim berichtet im WDR über Zoff am Theater Essen: „Über die Hälfte der Beschäf­tigten des Thea­ters und der Phil­har­monie Essen verlangen die Ablö­sung von Geschäfts­führer Berger Berg­mann. Sie werfen ihm vor, die Zukunft der Bühnen zu gefährden.“ Keims Einschät­zung der Lage ist hier nach­zu­hören. In Braun­schweig streitet man derweil ledig­lich über das Poster zu einer Madame-Butterfly-Produk­tion: Es zeigt die Flagge der aufge­henden Sonne, die Japans brutale Okku­pa­tion von China und Korea 1940 symbo­li­siert – Musiker der betref­fenden Länder fordern die Inten­danz auf, das Plakat nicht zu verwenden.

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EMME­RICH PLANT ZAUBER­FLÖTE

Nachdem die „West Side Story“ von Steven Spiel­berg fast fertig gedreht ist, gibt der deut­sche Holly­wood-Regis­seur Roland Emme­rich bekannt, dass er eine „Zauber­flöte“ für das Kino plane – „einen Opern­film für die ganze Familie“. Dafür gebe es aus staat­liche Film­för­der­mittel in Höhe von 1,6 Millionen Euro. In der Adap­tion der Vorlage reist der 17-jährige Tim Walker in die Alpen, um sein Stipen­dium am legen­dären Mozart-Internat anzu­treten. Er entdeckt ein jahr­hun­der­te­altes Portal, das ihn in die Welt von Mozarts berühm­tester Oper kata­pul­tiert. Als Darsteller seien Opern-Welt­stars wie Rolando Villazón oder Morris Robinson mit von der Partie. 

DARF’S ETWAS MEHR SEIN?

Und wo bleibt das Gute? Viel­leicht hier: Mehr Geld für die vier Landes­theater und drei Landes­or­chester in NRW. Nach einer ersten Aufsto­ckung der Mittel um rund 2,3 Millionen Euro im Jahr 2018 erhalten die Burg­hof­bühne , das , das West­fä­li­sche Landes­theater Castrop-Rauxel und das Rhei­ni­sche Landes­theater Neuss sowie die in , die Nord­west­deut­sche Phil­har­monie in Herford und die Phil­har­monie Südwest­falen in -Hilchen­bach noch einmal rund 1,6 Millionen mehr. Immerhin! 

KONZERT-TRAUMA 

Der Diri­gent Brandon Keith Brown schreibt einen span­nenden Essay darüber, warum sich Dunkel­häu­tige noch immer schwer damit tun, klas­si­sche Konzerte zu besu­chen: „Klassik-Konzerte sind mit einem rassis­tisch konno­tierten Trauma besetzt. Deshalb gehen wir nicht hin. Warum Geld ausgeben, um unbe­weg­lich wie ein Stein dazu­sitzen, still, einge­pfercht zwischen Weißen, die uns da nicht haben wollen? Klingt nicht nach einem entspannten Sams­tag­abend, oder?“ Brandon Brown wünscht sich, dass wir dieses Trauma über­winden – und plädiert dafür, dass Weiße die Scheu der Schwarzen verstehen und die Zukunft der Klassik viel­fäl­tiger ist. Span­nende Lektüre.

WAS WAR

Ausschnitt aus einem Bild des Künst­lers Erik Born: Es zeigt das Revers Putins mit einem Hajo-Frey-Orden (Detail unten) und wurde für den Verein Aufwind Kinder- und Jugend­fonds Dresden verstei­gert.

BALL-NACH­LESE

Selten gab es wüten­dere und jubeln­dere Leser­briefe, als über unsere Bericht­erstat­tung zum Semper­Opern­ball und Hans-Jochaim Frey. Was nach­denk­lich stimmt: Kritiker, die mir alles Mögliche vorwarfen, blieben in der Regel anonym, haben sich zum Teil extra für ihre Beschimp­fungen falsche E‑Mail-Adressen zuge­legt. Wer Antwort und Belege für seine Zweifel bekam, schrieb mir zurück, dass meine Antwort beweise, dass ich getroffen sei. Verstehe die Trolle, wer wolle! Sicher ist: Das Dresdner-Ball-Umfeld operiert mit merk­wür­digen Methoden. Immerhin: Unsere Bericht­erstat­tung beflü­gelte sowohl den Spiegel, als auch die öffent­liche Diskus­sion: Obwohl die Rund­funk­räte des MDR viele Fragen hatten, entschied sich der Sender letzt­lich doch, eine halbe Million (!) für die Über­tra­gung auszu­geben – und verlor dafür kräftig an Quote. Kein Wunder, denn Roland Kaiser eröff­nete den Ball mit den Worten, dass man nun endlich mal feiern wolle, machte selbst Judith Rakers zur Kron­zeugin (sie drückt uns die Daumen), erwähnte die Preis­ver­gabe an Ägyp­tens Präsi­dent Al-Sisi mit keinem Wort und gefiel sich selber in der Opfer-Rolle – wie kann man der Ball-Gesell­schaft nur in die Suppe spucken? Ach so: Wer sich über meinen Text der letzten Woche aufge­regt hat, der sollte doch mal den lustigsten Text, der zum Ball erschienen ist, von Martin Morgen­stern lesen. Viel Spaß! 

PERSO­NA­LIEN DER WOCHE

Nun hat ja gerade mit bei der Deut­schen Gram­mo­phon aufge­nommen – aber die Sony wollte dem Film­kom­po­nisten auch zum 88. Geburtstag gratu­lieren und tat das auf Face­book mit einem Bild und einem Spotify-Link. Aller­dings nicht zum Mann des ET-Sound­tracks, sondern zum Gitar­ren­spieler John Williams. Über zwei Stunden war der Fehler online, und sorgte für Spott. Der schönste Kommentar: „Wenn Sony Chef Bogdan Roščić an der ist, wird das zum Glück nicht mehr passieren.“ +++ Peter Uhlig berichtet in der Berliner Zeitung, dass das Educa­tion-Programm der weiter­führen will: „Wenn Kirill Petrenko in seinem ersten Educa­tion-Projekt vor allem mit jungen Sänge­rinnen und Karajan-Akade­misten arbeitet und ledig­lich den aus soge­nannten »Problem­be­zirken« rekru­tierten Kinder­chor der Phil­har­mo­niker, die »Vokal­helden«, als klas­si­sche Educa­tion-Ziel­gruppe einbe­zieht, erteilt er den Verschla­gen­heiten kapi­ta­lis­ti­scher Menschen­liebe immerhin eine Absage.“ +++ Eliette von Karajan, die 80-jährige Witwe des legen­dären Diri­genten, hat sich im Januar aus der Stif­tung Herbert von Karajan Oster­fest­spiele Salz­burg zurück­ge­zogen und die Vorstands­a­genden an ihre beiden Töchter Isabel und Arabel Karajan über­geben. Eliette bleibt aber weiterhin Ehren­prä­si­dentin der Stif­tung, hieß es am Dienstag. +++ Nun also auch : Der mit Sex-Vorwürfen belas­tete Diri­gent wurde nun auch in Spanien ausge­laden – die Filar­mó­nica de Gran Canaria hat ein Konzert mit ihm als Gast­di­ri­genten gestri­chen. +++ Volks­musik als Teil der Musik – Musi­kan­tentum at its best: dafür stand Rudi Pietsch – er ist nun mit 68 Jahren verstorben.

ZUM TOD VON MIRELLA FRENI UND NELLO SANTI

Ein typi­scher Nello Santi-Satz ging so: Er schaute ins Zürcher Opern­or­chester, visierte einen Musiker und sagte: „Sie spielen jeden Tag schlechter, und heute spielen Sie schon wie über­morgen.“ Nello Santi war gefürchtet dafür, dass er einen Schlag­zeuger eine ganze Ouver­türe Solo spielen ließ – aber jeder wusste auch, so schnell der Maestro in die Luft ging, so schnell war er auch wieder am Boden – und Freund seiner Orchester. Was beein­druckte: Egal, welches Stück – Santi hatte ein foto­gra­fi­sches Gedächtnis, diri­gierte alles aus dem Kopf, und wenn ein Sänger mal durch­ein­ander kam, flüs­terte er dem Orchester auch ohne Noten die Takt­zahl zu, bei der man weiter­machte. Nun ist Nello Santi im Alter von 88 Jahren gestorben – die Engel im Himmel müssen zittern und können sich freuen.

Gestern Abend dann die Nach­richt, dass auch Mirella Freni verstorben ist – mit 84 Jahren im italie­ni­schen Modena, jenem Ort, in dem auch geboren wurde und gestorben ist, in dem die beiden gemeinsam in den Kinder­garten gegangen sind, bevor sie in der legen­dären Karajan-„Bohème“ Opern­ge­schichte geschrieben haben. Aber Mirella Freni war Künst­lerin eigener Größe (auch wenn ziem­lich jeder Nachruf, dummer­weise auch dieser, sie als Doppel­pack mit Pava­rotti verab­schiedet): so viele Rollen, die sie geprägt hat, mit ihrem klaren Sopran, der Anmut ihrer Stimme, unter anderem übri­gens auch mit Nello Santi am Zürcher Opern­haus, wo sie bis ins hohe Alter (immer wieder an der Seite ihres Mannes Nicolai Ghiaurov) aufge­treten ist. Mirella Freni war darüber hinaus eine herzens­warme, humor­volle und hinge­bungs­volle Gesangs­leh­rerin.

Halten Sie dennoch die Ohren steif

brueggemann@​crescendo.​de