KlassikWoche 03/2022
Netrebko in der Kältekammer und das neue Corona-Fieber
von Axel Brüggemann
17. Januar 2022
Die Auszeit von Anna Netrebko, die Einsparungen und Absagen in der Kultur und die Ausreiseerlaubnis von Regisseur Kirill Serebrennikow aus Russland
Willkommen in der neuen KlassikWoche,
heute mit einer Diven-Auszeit, mit neuen Corona-Absurditäten und einer merkwürdigen Debatte um Wagner-Straßen in Berlin. Außerdem gibt es einen sehr persönlichen Leserbrief für mehr Dialog mit dem Publikum.
IN DIE KÄLTEKAMMER: NETREBKOS RÜCKZUG
Dieser Newsletter ist sicherlich kein Jubelblatt für Anna Netrebko, erst vor einigen Wochen haben wir berichtet, dass Dirigent Franz Welser-Möst die Diva dafür kritisierte, zu wenig zu proben. Nun erklärte sie auf Instagram, dass sie sich erst einmal aus der Opernwelt zurückziehen wird: „Genug Quarantäne, Tests, Impfungen, Reisen, Einschränkungen – Musikmachen unter diesen Umständen macht einfach keinen Spaß. Ich werde an einen Platz gehen, an dem ich mich hoffentlich besser und glücklicher fühle“, schreibt sie. „Ich habe entschieden, mich um meine Gesundheit und mein Wohlbefinden zu kümmern.“
Klar: Netrebko hat immer gebrannt, hat ihre Karriere mit dem Bauch und weniger mit dem Kopf gesteuert und inszeniert sich gern als Lebemensch. Gleichzeitig muss man aber auch sagen: Kaum eine Sängerin hat eine so stabile Karriere hingelegt wie sie (wenn man allein an die Tenöre denkt, die sie „überlebt“ hat). Anna Netrebko ist inzwischen 50 Jahre alt – abgesehen von der Launenhaftigkeit, sie hat alles Recht, sich mal eine Auszeit zu nehmen und postet derweil Videos aus einer ‑110-Grad-Kältekammer (siehe Foto und natürlich unsere neue Playlist unten). Nach Aussage Ihres Managements wird sie rechtzeitig zu ihren geplanten Auftritten wieder auf der Bühne stehen.
NACH CORONA: WENIGER HILFE, MEHR EINNAHMEN
Es mag sein, dass die Corona-Situation sich nach Omikron aufhellt, aber – ich befürchte – die eigentlichen Probleme für die Kultur fangen dann erst an. Vorboten lassen sich schon jetzt langsam ablesen: Münchens Kulturreferent Anton Biebl stellte den Kultur-Haushaltsplan 2022 für seine Stadt vor, die ernüchternde Nachricht: Der Etat beträgt 239 Millionen Euro, 12,8 Millionen müssen eingespart werden. Konkret geht es den Städtischen Museen mit 1,1 Millionen an den Kragen, der Münchner Volkshochschule (die schon 2021 kurz vor der Insolvenz stand) mit 707.000 Euro, 412.000 müssen allein die Münchner Philharmoniker (auf der Playlist) einsparen.
Biebls Devise lautet: Weniger Subventionen und mehr Eigeneinnahmen, was gerade jetzt, da das Publikum ausbleibt, mehr als unrealistisch erscheint. Gleichzeitig wird immer deutlicher (nach Recherchen des Spiegel): Die „Geschenke an die Kultur in ganz Deutschland“, die Monika Grütters einst versprochen hatte, funktionieren nicht – aus dem 2,5 Milliarden-Euro Corona-Hilfsfond wurden gerade einmal Mittel in lediglich der Höhe von rund 44 Millionen Euro beantragt. Zu bürokratisch, zu praxisfern – Kulturpolitik als Mogelpackung!
WARUM SAGT VILLAZÓN DIE MOZARTWOCHE AB?
Das Absurde ist: Während die Politik die ersten Sparmaßnahmen verkündet, sagen IntendantInnen ihre Veranstaltungen wieder ab. Letztes Opfer: die Salzburger Mozartwoche von Rolando Villazón. Auf Instagram schiebt er die Schuld auf die „Autoritäten“, die den Höhepunkt der neuen Welle zur Zeit der Festspiele erwarten, was ihn dazu veranlasst hätte, die Veranstaltung abzusagen. Bei einer aktuellen Inzidenz in Salzburg von über 2.000 durchaus nachvollziehbar. Laut Villazóns Management wurden Karten im Wert von über 1,6 Mio Euro verkauft, die nun zurückerstattet werden müssen. Mit den beteiligten Künstlern versucht man nun Termine für Ersatzkonzerte zu finden.
STREIT UM DIE WAGNER-STRAßE IN BERLIN
Der Absender war nicht irgendjemand, sondern Paul Spies, der niederländische Kunsthistoriker und Direktor der Stiftung Stadtmuseum Berlin. In der „Berliner Morgenpost“ hat er sich für die Umbenennung der Richard-Wagner-Straße in Berlin ausgesprochen: „Man kann nicht in Abrede stellen, dass Wagner ein großer Musiker war. Ihn aber mit einem Straßennamen zu ehren, ist problematisch, weil er Antisemit war.“
Sofort regte sich Protest, der Leiter des Hauses Wahnfried, Sven Friedrich, antwortet prompt mit einer eigenen Stellungnahme: „Es ist selbstverständlich legitim und richtig, den Antisemitismus in Deutschland nicht nur als historisches oder irgendwie abstraktes Phänomen zu begreifen, sondern auch ganz konkret an Persönlichkeiten der deutschen Geschichte und Kultur festzumachen. Dazu gehört natürlich auch Richard Wagner. Die Umbenennung von Straßen und Plätzen ist aber in meinen Augen nur dann legitim, wenn sie nicht einer teilweise ideologischen, teilweise absurden political correctness dient, sondern sich auf konkrete Täter und unmittelbare Vordenker beschränkt. Andernfalls wird Geschichte entsorgt und bereinigt, damit aber verfälscht – und der geäußerten Absicht einer ja weiß Gott notwendigen gesellschaftlichen Diskussion gerade der Boden entzogen und so ein Bärendienst erwiesen. (…) Die Umkehrung des verblüffend einfachen und groben Statements von Paul Spies, dem man als Amtskollegen eigentlich historisches Denken und Grundverständnis unterstellen können sollte, wäre demnach gleichfalls berechtigt: ‚Man kann nicht in Abrede stellen, dass Wagner ein großer Antisemit war. Eine Straßenumbenennung aber ist problematisch, weil er auch ein großer Musiker und eine bei aller Ambivalenz wichtige und folgenreiche Kulturerscheinung war.‘“ Ich finde, mehr ist dazu nicht zu sagen. Differenzierte Perspektiven zu diesem Thema gibt es vielleicht auch vom 8. Februar an in der Ausstellung „Richard Wagner und das deutsche Gefühl“ im Deutschen Historischen Museum. Derweil warnt Regisseur Barrie Kosky vor „Listen“ von Namensgebern für Straßen und sagt der Berliner Zeitung: „Wir haben im 20. Jahrhundert genug von deutschen Listen gesehen.“
PERSONALIEN DER WOCHE
„Wir sind froh, dass er überhaupt so lange in Cleveland war“, sagte mir Franz Welser-Möst diese Woche am Telefon. Gemeint war seine Rechte Hand, der künstlerische Direktor Mark Williams, der nun in die erste Reihe zum Toronto Symphony Orchestra wechselt. +++ Schlagwerker Wolfgang Nagl führt einen Rechtsstreit im Namen vieler Substitute gegen die Wiener Staatsoper: Angeblich spielte er 2019 bei sieben Proben zu zweieinhalb Stunden für das Stück „Orlando“, das in der Staatsoper uraufgeführt wurde. Dafür bekam er 450 Euro, seine Vorbereitungszeit zu Hause sei nicht entlohnt worden. Die Klage lautet auf Scheinselbstständigkeit, Nagls Forderung: Substitute sollen während ihrer Einsätze angestellt werden.
Viele Ensembles jetten während ihrer Tourneen rund um die Welt, für Proben reisen sie zum Teil von weit her an. Dazu kommen bergeweise Papier für Noten, Probenpläne und Programmhefte sowie der Betrieb der Konzerthäuser, der viel Energie verschlingt. Vielen Orchestern wird das zunehmend bewusst. Puls 24 hat die aktuellen Umwelt-Trends deutscher und österreichischer Orchester zusammengefasst. +++ Damit hat wohl niemand gerechnet: Starregisseur Kirill Serebrennikow darf nach vier Jahren Reiseverbot Russland verlassen und leitet nun die Proben seines Theaterstücks am Thalia Theater in Hamburg.
UND WO BLEIBT DAS POSITIVE, HERR BRÜGGEMANN?
Ja, wo zum Teufel bleibt es denn! Vielleicht hier: Ich freue mich immer wieder über Leserbriefe – und diese Woche gab es einen sehr spannenden, den ich gern ausführlich zitiere. Ich erinnere mich noch an die ersten Berichte über leere Häuser in diesem Newsletter: „Eine persönliche Wahrnehmung“, hieß es damals, „das wird schon wieder.“ Inzwischen mehren sich die Anzeigen, dass es schwer wird, das Publikum nach Corona zurück zu bekommen. Nachdem ich letzte Woche über Strategien berichtet hatte, schrieb mir die Sängerin Nancy Weißbach nun Folgendes: „…auch ich war Ende letzter Woche schockiert über die schwache Publikumsauslastung selbst bei einem wunderbaren Programm mit Lise Davidsen in der Berliner Staatsoper. Nachdem ich in allerletzter Sekunde trotz ‚Certificate of Eligibility‘ und Sondergenehmigung aufgrund des europaweiten Einreiseverbotes nicht nach Tokio für die Senta einfliegen durfte, war ich neugierig und froh, zumindest diesem Konzert beiwohnen zu können. L. Davidsen nahm sich die Zeit, zwischendurch mit dem Publikum zu kommunizieren und war erstaunt, wieviel Resonanz von so wenig Menschen kommen kann. Auch eine Woche zuvor bei Juan Diego Flórez war das Haus bei weitem nicht ausgelastet. Warum gibt es plötzlich keine Blumen mehr für die Solisten am Ende des Recitals? Auch die Bühnen sind völlig kalt und lieblos hergerichtet. (…) Mich beschleicht das Gefühl, dass womöglich nur wenigen Menschen bewusst ist, wieviel Hingabe und Arbeit in solch einem Liederabend steckt. Das gesamte Einlassprozedere (verpflichtende Testung auch bei dreifach geimpften Besuchern) schreckte viele ältere Menschen ab, die völlig genervt wieder nach Hause gingen. Der Aufwand für einen entspannten Konzert‑, Opern- oder Kinobesuch ist vielen einfach zu groß. Und man kann sich tatsächlich einfach nur wie Frau Davidsen bei jedem einzelnen Gast bedanken, dass er diesen auf sich genommen hat.“ Bitteschön, da ist es, das Positive: SängerInnen, die nicht den Mut verlieren!
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!
Ihr
brueggemann@crescendo.de