KlassikWoche 03/2022

Netrebko in der Kälte­kammer und das neue Corona-Fieber

von Axel Brüggemann

17. Januar 2022

Die Auszeit von Anna Netrebko, die Einsparungen und Absagen in der Kultur und die Ausreiseerlaubnis von Regisseur Kirill Serebrennikow aus Russland

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

heute mit einer Diven-Auszeit, mit neuen Corona-Absur­di­täten und einer merk­wür­digen Debatte um Wagner-Straßen in . Außerdem gibt es einen sehr persön­li­chen Leser­brief für mehr Dialog mit dem Publikum. 

IN DIE KÄLTE­KAMMER: NETREBKOS RÜCKZUG

Anna Netrebko in der Kältekammer

Dieser News­letter ist sicher­lich kein Jubel­blatt für , erst vor einigen Wochen haben wir berichtet, dass Diri­gent die Diva dafür kriti­sierte, zu wenig zu proben. Nun erklärte sie auf Insta­gram, dass sie sich erst einmal aus der Opern­welt zurück­ziehen wird: „Genug Quaran­täne, Tests, Impfungen, Reisen, Einschrän­kungen – Musik­ma­chen unter diesen Umständen macht einfach keinen Spaß. Ich werde an einen Platz gehen, an dem ich mich hoffent­lich besser und glück­li­cher fühle“, schreibt sie. „Ich habe entschieden, mich um meine Gesund­heit und mein Wohl­be­finden zu kümmern.

Klar: Netrebko hat immer gebrannt, hat ihre Karriere mit dem Bauch und weniger mit dem Kopf gesteuert und insze­niert sich gern als Lebe­mensch. Gleich­zeitig muss man aber auch sagen: Kaum eine Sängerin hat eine so stabile Karriere hinge­legt wie sie (wenn man allein an die Tenöre denkt, die sie „über­lebt“ hat). Anna Netrebko ist inzwi­schen 50 Jahre alt – abge­sehen von der Launen­haf­tig­keit, sie hat alles Recht, sich mal eine Auszeit zu nehmen und postet derweil Videos aus einer ‑110-Grad-Kälte­kammer (siehe Foto und natür­lich unsere neue Play­list unten). Nach Aussage Ihres Manage­ments wird sie recht­zeitig zu ihren geplanten Auftritten wieder auf der Bühne stehen.

NACH CORONA: WENIGER HILFE, MEHR EINNAHMEN

Es mag sein, dass die Corona-Situa­tion sich nach Omikron aufhellt, aber – ich befürchte – die eigent­li­chen Probleme für die Kultur fangen dann erst an. Vorboten lassen sich schon jetzt langsam ablesen: Münchens Kultur­re­fe­rent Anton Biebl stellte den Kultur-Haus­halts­plan 2022 für seine Stadt vor, die ernüch­ternde Nach­richt: Der Etat beträgt 239 Millionen Euro, 12,8 Millionen müssen einge­spart werden. Konkret geht es den Städ­ti­schen Museen mit 1,1 Millionen an den Kragen, der Münchner Volks­hoch­schule (die schon 2021 kurz vor der Insol­venz stand) mit 707.000 Euro, 412.000 müssen allein die (auf der Play­list) einsparen.

Biebls Devise lautet: Weniger Subven­tionen und mehr Eigen­ein­nahmen, was gerade jetzt, da das Publikum ausbleibt, mehr als unrea­lis­tisch erscheint. Gleich­zeitig wird immer deut­li­cher (nach Recher­chen des Spiegel): Die „Geschenke an die Kultur in ganz “, die Monika Grüt­ters einst verspro­chen hatte, funk­tio­nieren nicht – aus dem 2,5 Milli­arden-Euro Corona-Hilfs­fond wurden gerade einmal Mittel in ledig­lich der Höhe von rund 44 Millionen Euro bean­tragt. Zu büro­kra­tisch, zu praxis­fern – Kultur­po­litik als Mogel­pa­ckung! 

WARUM SAGT VILLAZÓN DIE MOZART­WOCHE AB?

Das Absurde ist: Während die Politik die ersten Spar­maß­nahmen verkündet, sagen Inten­dan­tInnen ihre Veran­stal­tungen wieder ab. Letztes Opfer: die von . Auf Insta­gram schiebt er die Schuld auf die „Auto­ri­täten“, die den Höhe­punkt der neuen Welle zur Zeit der Fest­spiele erwarten, was ihn dazu veran­lasst hätte, die Veran­stal­tung abzu­sagen. Bei einer aktu­ellen Inzi­denz in von über 2.000 durchaus nach­voll­ziehbar. Laut Villa­zóns Manage­ment wurden Karten im Wert von über 1,6 Mio Euro verkauft, die nun zurück­er­stattet werden müssen. Mit den betei­ligten Künst­lern versucht man nun Termine für Ersatz­kon­zerte zu finden.

STREIT UM DIE WAGNER-STRAßE IN BERLIN 

Der Absender war nicht irgend­je­mand, sondern Paul Spies, der nieder­län­di­sche Kunst­his­to­riker und Direktor der Stif­tung Stadt­mu­seum Berlin. In der „Berliner Morgen­post“ hat er sich für die Umbe­nen­nung der Richard-Wagner-Straße in Berlin ausge­spro­chen: „Man kann nicht in Abrede stellen, dass Wagner ein großer Musiker war. Ihn aber mit einem Stra­ßen­namen zu ehren, ist proble­ma­tisch, weil er Anti­semit war.

Sofort regte sich Protest, der Leiter des Hauses Wahn­fried, Sven Fried­rich, antwortet prompt mit einer eigenen Stel­lung­nahme: „Es ist selbst­ver­ständ­lich legitim und richtig, den Anti­se­mi­tismus in Deutsch­land nicht nur als histo­ri­sches oder irgendwie abstraktes Phänomen zu begreifen, sondern auch ganz konkret an Persön­lich­keiten der deut­schen Geschichte und Kultur fest­zu­ma­chen. Dazu gehört natür­lich auch . Die Umbe­nen­nung von Straßen und Plätzen ist aber in meinen Augen nur dann legitim, wenn sie nicht einer teil­weise ideo­lo­gi­schen, teil­weise absurden poli­tical correct­ness dient, sondern sich auf konkrete Täter und unmit­tel­bare Vordenker beschränkt. Andern­falls wird Geschichte entsorgt und berei­nigt, damit aber verfälscht – und der geäu­ßerten Absicht einer ja weiß Gott notwen­digen gesell­schaft­li­chen Diskus­sion gerade der Boden entzogen und so ein Bären­dienst erwiesen. (…) Die Umkeh­rung des verblüf­fend einfa­chen und groben State­ments von Paul Spies, dem man als Amts­kol­legen eigent­lich histo­ri­sches Denken und Grund­ver­ständnis unter­stellen können sollte, wäre demnach gleich­falls berech­tigt: ‚Man kann nicht in Abrede stellen, dass Wagner ein großer Anti­semit war. Eine Stra­ßen­um­be­nen­nung aber ist proble­ma­tisch, weil er auch ein großer Musiker und eine bei aller Ambi­va­lenz wich­tige und folgen­reiche Kultur­er­schei­nung war.‘“ Ich finde, mehr ist dazu nicht zu sagen. Diffe­ren­zierte Perspek­tiven zu diesem Thema gibt es viel­leicht auch vom 8. Februar an in der Ausstel­lung „Richard Wagner und das deut­sche Gefühl“ im Deut­schen Histo­ri­schen Museum. Derweil warnt Regis­seur vor „Listen“ von Namens­ge­bern für Straßen und sagt der Berliner Zeitung: „Wir haben im 20. Jahr­hun­dert genug von deut­schen Listen gesehen.“ 

PERSO­NA­LIEN DER WOCHE

Der Regisseur Kirill Serebrennikow

„Wir sind froh, dass er über­haupt so lange in Cleve­land war“, sagte mir Franz Welser-Möst diese Woche am Telefon. Gemeint war seine Rechte Hand, der künst­le­ri­sche Direktor Mark Williams, der nun in die erste Reihe zum Toronto Symphony Orchestra wech­selt. +++ Schlag­werker Wolf­gang Nagl führt einen Rechts­streit im Namen vieler Substi­tute gegen die : Angeb­lich spielte er 2019 bei sieben Proben zu zwei­ein­halb Stunden für das Stück „Orlando“, das in der Staats­oper urauf­ge­führt wurde. Dafür bekam er 450 Euro, seine Vorbe­rei­tungs­zeit zu Hause sei nicht entlohnt worden. Die Klage lautet auf Schein­selbst­stän­dig­keit, Nagls Forde­rung: Substi­tute sollen während ihrer Einsätze ange­stellt werden.

Viele Ensem­bles jetten während ihrer Tour­neen rund um die Welt, für Proben reisen sie zum Teil von weit her an. Dazu kommen berge­weise Papier für Noten, Proben­pläne und Programm­hefte sowie der Betrieb der Konzert­häuser, der viel Energie verschlingt. Vielen Orches­tern wird das zuneh­mend bewusst. Puls 24 hat die aktu­ellen Umwelt-Trends deut­scher und öster­rei­chi­scher Orchester zusam­men­ge­fasst. +++ Damit hat wohl niemand gerechnet: Star­re­gis­seur Kirill Serebren­nikow darf nach vier Jahren Reise­verbot Russ­land verlassen und leitet nun die Proben seines Thea­ter­stücks am Thalia Theater in .

UND WO BLEIBT DAS POSI­TIVE, HERR BRÜG­GE­MANN?

Die Sopranistin Nancy Weißbach

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn! Viel­leicht hier: Ich freue mich immer wieder über Leser­briefe – und diese Woche gab es einen sehr span­nenden, den ich gern ausführ­lich zitiere. Ich erin­nere mich noch an die ersten Berichte über leere Häuser in diesem News­letter: „Eine persön­liche Wahr­neh­mung“, hieß es damals, „das wird schon wieder.“ Inzwi­schen mehren sich die Anzeigen, dass es schwer wird, das Publikum nach Corona zurück zu bekommen. Nachdem ich letzte Woche über Stra­te­gien berichtet hatte, schrieb mir die Sängerin Nancy Weiß­bach nun Folgendes: „…auch ich war Ende letzter Woche scho­ckiert über die schwache Publi­kums­aus­las­tung selbst bei einem wunder­baren Programm mit in der Berliner Staats­oper. Nachdem ich in aller­letzter Sekunde trotz ‚Certi­fi­cate of Eligi­bi­lity‘ und Sonder­ge­neh­mi­gung aufgrund des euro­pa­weiten Einrei­se­ver­botes nicht nach für die Senta einfliegen durfte, war ich neugierig und froh, zumin­dest diesem Konzert beiwohnen zu können. L. Davidsen nahm sich die Zeit, zwischen­durch mit dem Publikum zu kommu­ni­zieren und war erstaunt, wieviel Reso­nanz von so wenig Menschen kommen kann. Auch eine Woche zuvor bei war das Haus bei weitem nicht ausge­lastet. Warum gibt es plötz­lich keine Blumen mehr für die Solisten am Ende des Reci­tals? Auch die Bühnen sind völlig kalt und lieblos herge­richtet. (…) Mich beschleicht das Gefühl, dass womög­lich nur wenigen Menschen bewusst ist, wieviel Hingabe und Arbeit in solch einem Lieder­abend steckt. Das gesamte Einlass­pro­ze­dere (verpflich­tende Testung auch bei drei­fach geimpften Besu­chern) schreckte viele ältere Menschen ab, die völlig genervt wieder nach Hause gingen. Der Aufwand für einen entspannten Konzert‑, Opern- oder Kino­be­such ist vielen einfach zu groß. Und man kann sich tatsäch­lich einfach nur wie Frau Davidsen bei jedem einzelnen Gast bedanken, dass er diesen auf sich genommen hat.“ Bitte­schön, da ist es, das Posi­tive: Sänge­rInnen, die nicht den Mut verlieren!

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

brueggemann@​crescendo.​de 

DIE NEWS­LETTER-PLAY­LIST