KlassikWoche 05/2021

Kölner Klad­de­ra­datsch, Carmen mit Corona und Bayreuth mit Nelsons

von Axel Brüggemann

1. Februar 2021

Die Rückkehr von Andris Nelsons zu den Bayreuther Festspielen, der neue Vertrag von François-Xavier Roth an der Oper Köln, Monika Grütters beim BR

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

Die #metoo-Debatte scheint in Corona-Zeiten etwas unter­zu­gehen, diese Woche werfen wir einen Blick drauf, außerdem gibt es Zoff in und Neuig­keiten aus , die Klas­sik­Woche-Abon­nenten aller­dings schon lange kannten.

DAS EWIGE #METOO

Erst jetzt ist mir eine scho­ckie­rende Umfrage des Schwei­ze­ri­schen Bühnen­künst­ler­ver­bandes SBKV aufge­fallen, die bereits Ende 2020 veröf­fent­licht wurde. Demnach haben mehr als 200 Künst­le­rinnen und Künstler aus der ange­geben, in den vergan­genen zwei Jahren Macht­miss­brauch oder sexu­elle Beläs­ti­gung erlebt zu haben – das waren 80 Prozent der Teil­neh­me­rInnen. Am häufigsten habe es sich um verbale Beläs­ti­gung gehan­delt, „domi­niert von obszönen Witzen und Sprü­chen sowie aufdring­li­chen Gesprä­chen und Geschichten mit sexu­ellem Inhalt“, hieß es. Alle Zahlen gibt es hier.

Dazu passt eine Recherche von Chris­tian Berzins für die CH Media. Hier bestä­tigte Zürichs Opern-Inten­dant , dass es einen „Abklä­rungs­pro­zess“ um die Vorwürfe gegen­über Opern­di­rektor Michael Fich­ten­holz gegeben habe. Ihm wurde Macht­miss­brauch gegen­über Mitglie­dern des Inter­na­tio­nalen Opern­stu­dios vorge­worfen. Derar­tige „Abklä­rungen“ erfolgen durch eine externe Fach­stelle. Allen betei­ligten Personen wird in diesem Verfahren Vertrau­lich­keit zuge­si­chert. Doch nun wurde bekannt, dass Fich­ten­holz das Opern­haus auf eigenen Wunsch vorzeitig per Ende der Saison 2020/2021 verlässt. Ob das etwas mit den „Abklä­rungen“ zu tun hat, darüber schweigt das Haus mit Verweis auf die verein­barte Vertrau­lich­keit.

Ach ja, nix Neues gibt es im Fall des ehema­ligen Direk­tors der Münchner Musik­hoch­schule Sieg­fried Mauser. Er war der Verur­tei­lung in durch Ausreise nach Öster­reich entkommen. Dort muss er auch in Haft, derzeit wird aller­dings noch eine Haft­fä­hig­keit geprüft. Die Abend­zei­tung hat nach­ge­fragt und berichtet über den Stand der Dinge: „Wie das Landes­ge­richt auf Nach­frage mitteilt, klären derzeit medi­zi­ni­sche Sach­ver­stän­dige den Fall. ‚Zuletzt wurde im Dezember 2020 ein weiteres medi­zi­ni­sches Gutachten beauf­tragt, weshalb momentan nicht absehbar ist, bis wann über die Frage der Voll­zugs­taug­lich­keit des Verur­teilten entschieden werden kann‘, so ein Spre­cher.“

WIENS CORONA-CARMEN

Corona ist überall: im Super­markt, in der Fußball-Bundes­liga und natür­lich auch in der Klassik. Ich finde es erst einmal gut, dass Kultur­ein­rich­tungen trotz des Virus weiter planen und so viel Kunst wie möglich anbieten. In dieser Woche haben mich Mails von Mitwir­kenden der „Carmen“-Produk­tion an der erreicht. Dort gras­siert Corona derzeit im Ensemble. Irri­ta­tionen gab es, weil die Sängerin der Titel­rolle, , ihr Test­ergebnis auf ihrem öffent­li­chen Face­book-Profil veröf­fent­lichte: „Ich bin heute positiv getestet worden – zum zweiten Mal seit alles ange­fangen hat. Ich schaff es nicht mehr!“ Und dann: „Die Tests am 14., 16. und 18. waren negativ. Samstag, den 23., fühlte ich mich krank und hatte den Geruch und den Geschmack verloren. Ich habe mich isoliert und wurde am Montag positiv getestet. (…) Es tut mir so leid für all meine Kollegen, die nun durch das Testen und die Quaran­täne gehen müssen! Es tut mir leid!“ 

Inzwi­schen sollen mindes­tens sieben weitere Ensemble-Mitglieder infi­ziert sein. Nachdem die Rolle der Carmen für einige Tage einfach von der Beset­zungs­liste gestri­chen wurde, ist für heute, Montag, eine Pres­se­mit­tei­lung vorge­sehen, in der die neue Beset­zung bekannt gegeben werden soll. Sicher ist: Wenn Rach­ve­lish­vili bis dahin genesen ist, wird sie singen. Auf Nach­frage erklärte die Oper mir die Lage so: Nachdem die Tests bis Freitag negativ waren und Anita Rach­ve­lish­vili am Sonntag Symptome spürte, wurde die Probe am kommenden Montag sofort abge­sagt. Die Oper ließ die Sängerin einen PCR-Test machen. Als das Ergebnis bestä­tigt wurde, wurden auch die Kollegen getestet und gingen sofort in Quaran­täne. Verant­wor­tungs­volles Handeln in schwie­rigen Zeiten. Es gibt in diesen Tagen keine Patent­re­zepte – aber die Staats­oper scheint eine schwere Situa­tion umsichtig gelöst zu haben. Letzte Woche haben wir an dieser Stelle noch herum­ge­al­bert über die Oper als Museum in Wien. Heute aus vollem Herzen: Allen Betei­ligten gute Besse­rung! (nach Redak­ti­ons­schluss hat die Wiener Staats­oper bekannt gegeben, dass die Streams von „Carmen“ und „Le Nozze“ auf unbe­stimmte Zeit verschoben sind)

BAYREU­THER BACK­GROUND­MUSIK

Andris Nelsons kehrt zu den Bayreuther Festspielen zurück.

Leser der Klas­sik­Woche wussten es schon seit vier Wochen, nun ist es auch offi­ziell: Der Verwal­tungs­di­rektor der Oper , Ulrich Jagels, wech­selt zu den Bayreu­ther Fest­spielen. Beson­ders span­nend: Der letti­sche Star­di­ri­gent wird zu den Fest­spielen zurück­kehren. Er wird zwei Konzerte im Fest­spiel­haus diri­gieren. „Ich freue mich außer­or­dent­lich, dass Andris Nelsons wieder bei den Bayreu­ther Fest­spielen zu erleben ist. Dieser Ausnah­me­künstler zeichnet sich für mich durch seine Liebe zum Wagner’schen Werk und seine konzen­trierte Arbeit, die ausschließ­lich die musi­ka­li­sche Qualität in den Mittel­punkt rückt, aus“, kommen­tiert das Enga­ge­ment.

Gleich­zeitig erklärt Regina Ehm-Klier von der Passauer Neuen Presse die Brisanz dieser Perso­nalie: „Andris Nelsons hatte von 2010 bis 2014 mit großem Erfolg ‚Lohen­grin‘ bei den Fest­spielen diri­giert und sollte ab 2016 die musi­ka­li­sche Leitung von ‚Parsifal‘ über­nehmen. Kurz vor der Première kam es aller­dings zu einem Eklat, nachdem sich angeb­lich Musik­di­rektor in die Arbeit einge­mischt hatte, was dieser aller­dings stets bestritt. Nelsons verließ jeden­falls wenige Wochen vor der Première quasi über Nacht Bayreuth und bat um Vertrags­auf­lö­sung.“ Thie­le­mann kehrt zwar auch mit einem „Parsifal“-Dirigat zurück, ob er dabei aber eine offi­zi­elle Posi­tion bekleidet, bleibt unklar. In diesem Zusam­men­hang ist inter­es­sant, wie die Süddeut­sche Zeitung die Debatte um den derzeit nicht mehr amtie­renden Musik­di­rektor einschätzt: „Je größer das Angebot an gran­diosen Wagner-Diri­gen­tinnen und ‑Diri­genten ist, umso besser steht Bayreuth da. Die Fixie­rung auf Thie­le­mann ist verständ­lich, steht der Musiker doch für ein erhaben klang­sen­si­bles Wagner-Verständnis. Für die von Katha­rina Wagner betrie­bene Öffnung des Festi­vals für ein brei­teres Publikum aber kann Thie­le­mann nur ein Stein in einem komple­xeren Spiel sein.“ 

Und das Programm steht nun auch fest: Neben der Neupro­duk­tion „Der flie­gende Holländer“ wird es Wieder­auf­nahmen der Produk­tionen „Die Meis­ter­singer von “ und „Tann­häuser“ geben. Bei der Kinder­oper „Tristan und Isolde“ wird kein Gerin­gerer als Stephen Gould den Tristan über­nehmen. Drei Auffüh­rungen gehören zum Projekt „Ring 20:21“: Die „Walküre“ im Fest­spiel­haus wird einge­rahmt durch Auftrags­werke in verschie­denen Kunst­rich­tungen, die alle Teile des „Ring des Nibe­lungen“ spie­geln, kommen­tieren, fort­schreiben oder neuartig erlebbar machen. Es wirken mit der Puppen­spieler Niko­laus Habjan, der Akti­ons­künstler Hermann Nitsch oder die japa­ni­sche Künst­lerin Chiharu Shiota. Und dieses noch: Anders als in manchen Medien zu lesen, wird es 2021 nicht zwei Orchester in Bayreuth geben, sondern nur eines, das aber als Corona-Maßnahme streng geteilt probt. 

KLAD­DE­RATSCH IN KÖLN

Intendantin der Kölner Oper Birgit Meyer, deren Vertrag nicht verlängert wurde

Nachdem der Vertrag mit der Inten­dantin der Kölner Oper, Birgit Meyer, nicht verlän­gert wurde (die FAZ hatte berichtet), kommt das Haus nicht zur Ruhe. Gegen­über dem Kölner Stadt-Anzeiger äußerte sich Frank­furts Opern-Chef Bernd Loebe mit dras­ti­schen Worten über den neuen Vertrag mit dem Kölner Gene­ral­mu­sik­di­rektor . Er wird nun auch wesent­liche Arbeits­be­din­gungen für den künf­tigen Opern­chef bestimmen. Die FAZ kommen­tiert, dass es unter diesen Umständen schwer werden wird, einen Inten­danten für Köln zu finden: „Im Gegen­satz zu Meyers Vertrag ist Roths Vertrag vorzeitig verlän­gert und in Roths Inter­esse nach­ge­bes­sert worden. Dass Roth künftig die Gast­di­ri­genten auswählen darf und bei jeder einzelnen Rollen­be­set­zung einzu­binden ist, bewertet Loebe als ‚Kastra­tion‘ des Inten­danten. Er sagt voraus: „Unter diesen Bedin­gungen kriegt Köln keinen neuen Opern­in­ten­danten, jeden­falls keinen guten.“ Immerhin: Im März 2024 will Bernd Streit­berger, der als Tech­ni­scher Betriebs­leiter mit der Rettung des Umbaus beauf­tragte frühere Baude­zer­nent, die sanierte Oper schlüs­sel­fertig über­geben. Ein Jahr später als geplant und mit einer statt­li­chen Preis­er­hö­hung. Die Kosten stiegen von 253 Millionen Euro auf 644 Millionen.

CORONA-TICKER

Man muss auch mal schmun­zeln können in diesen Tagen: Die New York Post zitiert eine Studie, nach der das Singen in deut­scher Sprache beson­ders gefähr­lich sei – viel­leicht sollte Bayreuth einfach auf Japa­nisch singen lassen? +++ Der BR zitiert aus einer neuen Studie der Wirt­schafts­prüfer EY, nach der nur die Flug­branche so schwer unter der Pandemie leidet wie die Event- und Kultur­branche. Demnach brach der Umsatz 2020 um 31 Prozent ein. 34 Prozent aller Musiker in über­legten derzeit, ihre Karriere an den Nagel zu hängen. Während beim Buch­ver­kauf euro­pa­weit ein Umsatz­rück­gang von 25 Prozent gemessen wurde und die Bildenden Künste und Ausstel­lungen ein Minus von 38 Prozent verkraften mussten, wurde die Live­kultur prak­tisch ausra­diert: Sie schrumpfte um 90 Prozent, die Musik­branche um 76 Prozent.

Mehr zu diesem Thema auch in der Süddeut­schen Zeitung. Beängs­ti­gend auch die Zahlen des Landes­mu­sik­rates : Nur ein Fünftel (22,1 Prozent) würde positiv in die Zukunft sehen und benö­tige keine Unter­stüt­zung. Knapp die Hälfte (46,6 Prozent) benö­tige jetzt finan­zi­elle Unter­stüt­zung und hoffe, die beruf­liche Exis­tenz in diesem Jahr wieder aufzu­bauen. An der Umfrage des Landes­mu­sik­rates betei­ligten sich den Angaben zufolge 485 Berliner Musik­schaf­fende.

Wie schafft man es, sich von Corona nicht unter­kriegen zu lassen?
Arnt Cobbers fragt nach bei:Hinrich Alpers, Antje Weit­haas, Leonie Rettig, Detlev Glanert,
Annika Treutler, Sergey Malov, Chen Reiss, Florian Heinisch, Frie­de­rike Roth, Claudio Bohór­quez,
Matthias Lutze, Noah Bendix-Balgley, Kiveli Dörken, Titus Engel, Juliane Laake,
Alexej Geras­simez, Gunter Kennel und Atilla Aldemir

+++ Die English National Opera in London bietet Atem­übungen für Menschen an, die an lang­fris­tigen Folgen ihrer Covid-19-Erkran­kung leiden. Das spezi­elle Programm vereine musi­ka­li­sches und medi­zi­ni­sches Fach­wissen, um dem zuneh­menden Bedarf an Unter­stüt­zung für dieje­nigen mit lang andau­ernden Covid-19-Symptomen entge­gen­zu­wirken, teilte das Opern­haus mit.

RADIO-HEADS

Susanne Wille plant massive Spar­maß­nahmen im Schweizer Kultur­radio – dort wird daher Sende­schluss des mode­rierten Programms um zwei Stunden vorge­zogen. Insge­samt muss der SFR mehr als 16 Millionen Franken sparen. +++ Und dann noch das: Der BR hat die Kultur­staats­mi­nis­terin Monika Grüt­ters einge­laden, ihre Lieb­lings­titel zu spielen. Klar, sie wurde auch befragt: aber ohne wirk­lich nach­zu­bohren, gerade, was die aktu­elle Studie über den Kultur­be­trieb betrifft und die Notlei­denden Künstler. Statt­dessen eine Program­mein­füh­rung, wie sie in dikta­to­ri­schen Systemen wenig verwun­dern würde: „Kultur ist ja eigent­lich Länder­sache, aber als Kultur­staats­mi­nis­terin im Bundes­kanz­leramt hat Monika Grüt­ters trotzdem sehr viel Einfluss. Im Augen­blick ist sie vollauf beschäf­tigt damit, die kata­stro­phalen Folgen von Corona für die Kultur wenigs­tens abzu­fe­dern. Trotzdem hat sie sich Zeit genommen und den Fragen von -Redak­teur Bern­hard Neuhoff gestellt.“ Volk und Sender danken der Großen Kultur-Vorsit­zenden für ihr Genie – und dass sie noch mit uns spricht! 

UND DANN NOCH DAS…

Eva Coutaz, die 40 Jahre Harmonia Mundi vorstand, starb im Alter von 78 Jahren.

Manuel Brug nannte sie in seinem Nachruf die „Big Mama“ der CD-Branche. Mehr als 40 Jahre lang hat die Deut­sche Eva Coutaz einem der bedeu­tendsten Klas­sik­la­bels der Welt vorge­standen. Sie hat bei Harmonia Mundi eine maßstab­set­zende Musik­schar versam­melt. Jetzt ist sie im Alter von 78 Jahren gestorben.

Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

brueggemann@​crescendo.​de