KlassikWoche 07/2022
Staats-Operette, #metoo-Bewegung und Russland-Freunde
von Axel Brüggemann
14. Februar 2022
Die Ernennung von Jonas Kaufmann zum österreichischen Kammersänger und Staatsbürger, Rolando Villazóns Staatsoper-Ambition, der Tod von Hans Neuenfels
Willkommen in der neuen KlassikWoche,
in der wir heute vom Knast in die österreichische Freiheit und zurück nach Russland reisen … und natürlich noch einmal dem Genie Hans Neuenfels nachweinen!
NEUE FAHRT IN DER #METOO-DEBATTE NACH MAUSER
Letzten Montag hat der ehemalige Direktor der Münchner Musikhochschule, Siegfried Mauser, seine Haftstrafe wegen sexueller Nötigung angetreten. Alle Versuche der Haftaufschiebung und wohl auch seine Gnadengesuche bei Markus Söder und Alexander Van der Bellen waren erfolglos. Einen Tag vor Haftantritt postete seine Frau auf Facebook noch Bilder, auf denen sie Rauchkerzen anzündete, um all jene zu verfluchen, die „ungerecht“ gewesen seien (offenbar meinte sie alle, die ein Interesse an Mausers Inhaftierung hatten). Inzwischen entwickelt die #metoo-Debatte in Deutschland neue Fahrt.
In der neuen Folge meines Podcasts „Alles klar, Klassik?“ äußert sich die Pianistin Shoko Kuroe, die vor über zehn Jahren Opfer sexueller Gewalt wurde: „Wir rennen nicht gegen Wände, sondern gegen Gardinen. Zwar scheinen alle zu wollen, dass Opfer reden, aber wenn es konkret wird, wenn der Klassik-Betrieb und seine Protagonisten konkret handeln müssten, wird es schnell ganz still. (ab Minute 22:15)“ Und auch Laura Oetzel und Daniel Mattelé, die für die Seite des „Harfenduos“ den Fall Mauser seit Jahren verfolgen, erklären hier, dass zwar etwas getan würde, wir uns aber grundsätzlich mit dem Ethos der Klassik beschäftigen sollten. „Wir können nicht nur in die Oper gehen und sie genießen, wir müssen uns auch mit den Produktionsbedingungen auseinandersetzen.“ Tatsächlich erinnert mich all das an eine Doku-Reihe über Pornographie und Politik, die ich für SKY gedreht habe. Dort erklärte die feministische Porno-Produzentin Erika Lust mir: „Wir kümmern uns darum, ob unser Fleisch biologisch ist und es den Rindern gut ging, bevor wir sie essen. Ich finde es nur logisch, dass wir bei der Produktion von Pornos mindestens das Wohl der Darstellerinnen und Darsteller im Sinne haben.“ Jawoll!! Und was im vernünftigen Porno heute gang und gäbe ist, möchte ich ergänzen, könnte doch bitte auch Standard in der Klassik werden, oder?
SALZBURGER SÄNGER-ALLERLEI
Ach, Du schönes Operettenland Österreich! Die Alpenrepublik hat Tenor Jonas Kaufmann gerade alles andere als einen Operetten-Orden verliehen: Nachdem er an der Wiener Staatsoper zum „Österreichischen Kammersänger“ ernannt wurde, ist er nun auch ganz offiziell österreichischer Staatsbürger. Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer erklärte: „Ich heiße den berühmten Opernsänger, Startenor und Weltbürger Jonas Kaufmann als neuen österreichischen Staatsbürger mit Hauptwohnsitz und Lebensmittelpunkt in Salzburg herzlich willkommen.“ Österreich hat sein Zwei-Klassen-Klassik-Zuwanderungsgesetz längst gut etabliert: Während Kriegs-Flüchtlinge es immer schwerer haben, ist auch Anna Netrebko längst problemlos Österreicherin geworden.
Ein bisschen operettig (wenn auch gar nicht lustig) mutet dagegen an, dass Rolando Villazón die Mozartwoche kürzlich zwar wegen der aktuellen Corona-Lage in Salzburg absagt hat (und zwar vollkommen!), nun aber erklärt, dass er – ebenfalls im Februar und ebenfalls in Salzburg – seinen 50. Geburtstag als große Sause feiern will, gemeinsam mit seinen ewig jungen Kollegen Daniel Barenboim und Plácido Domingo. Warum wundert mich das jetzt eigentlich nicht? Ach so, selbst die Salzburger Nachrichten sind sich inzwischen übrigens nicht mehr so sicher, ob Villazón nicht doch an die Staatsoper nach Berlin geht: „Gerüchte über Avancen in Berlin weist Villazón zurück“, heißt es in der Zeitung, „allerdings enthält seine Antwort drei Wörter: ‚jetzt im Moment.‘“ Und auch in der Wiener Zeitung wird die Luft allmählich dünner: Autor Christoph Irrgeher fragt, ob Villazón nicht an der Mozartwoche hätte festhalten sollen und findet: „Er ist in ganz großem Stil eingeknickt.“ Derweil äußert Reinhard J. Brembeck in der Süddeutschen vor allen Dingen Qualitäts-Bedenken, was Villazóns Staatsopern-Ambitionen betrifft: „Er steht der alten bürgerlichen Glamour-Oper näher als dem modernen Opernmanagement, seine Programme bei der Salzburger Mozartwoche sind deutlich.“ Hallo da, in der Berliner Polit-Kulturblase – nimmt das noch jemand zur Kenntnis?
SOUNDTRACK DER TAGESPOLITIK
Wir haben an dieser Stelle oft thematisiert, wie politisch die Kunst sein sollte, vor allen Dingen aber Künstlerinnen und Künstler. Igor Levit hat sich ja längst auf den Schoß von Claudia Roth gespielt, und auch das Festival für Neue Musik, Éclat, scheint sein Heil derzeit in der Tagesaktualität zu suchen. Max Nyffeler überzeugt das in der FAZ wenig, wenn er loslegt: „Thematisiert wurden natürlich auch der weltweite Megatrend, die Klimaproblematik, und andere die Kulturszene bewegende Themen wie Gender, Tierwohl und Covid. Die Musik geriet dabei gelegentlich zur Nebensache, wie in der Veranstaltung mit dem vielversprechenden Titel ‚Electrical Jungles‘: Zwei Frauen unterhielten sich eine Stunde lang über Formen der Gewalt gegen Frauen und Kinder, dazwischen gab es zwei kurze klingende Einlagen, bei denen mit Leidensgesten irgendwelche Zitate von Zetteln abgelesen wurden – musikalisch eine Nullanzeige.“
KULTUR NACH CORONA
Und noch einen Lesetipp, obwohl ich nicht weiß, ob ich in allen Aspekten der gleichen Meinung bin wie der Kulturberater Maurice Lausberg in der Münchner Abendzeitung. Mir ist seine Sicht ein wenig zu kommerziell geprägt, aber er zwingt uns, darüber nachzudenken, auf was sich Kulturinstitutionen nun einstellen müssen. Unter anderem heißt es: „München hat seine Kulturausgaben reduziert und zum Beispiel der Staatsoper rund fünf Millionen Euro städtischen Zuschuss gestrichen. Viele andere kommunale Kultureinrichtungen erleben ähnliche Schreckensszenarien. Und dazu kommt, dass sich bereits abzeichnet, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer – den Zahlen nach – nicht mehr auf das Vor-Corona-Niveau zurückkehren. Es dauert sicher noch zwei Jahre, bis sich das alles wieder auf einem neuen Niveau einpendelt. Und alle Kultureinrichtungen, die ein älteres Publikum haben, werden das noch stärker zu spüren bekommen. Das alles zusammen führt zu einer weiterhin prekären Situation der Kultureinrichtungen.“ Wir sollten über diese Thesen streiten.
PERSONALIEN DER WOCHE
Einen erschreckend unterhaltsamen Blick auf unsere Welt pflegt immer wieder der Sänger Günther Groissböck auf seinem Twitter-Account: „Sitze gerad im wunderschönen, momentan so herrlich lockeren und entspannten Moskau“, schreibt er, und postet darunter ein Video von Menschen, die im Wiener Auto-Corso gegen die Corona-Maßnahmen über österreichische Polizisten lachen. „So viel Polizei haben wir ja hier in ganz Russland garnicht!?!“, schreibt der Bass. Okay! Ich persönlich bin ziemlich sicher, dass ein solches Video über russische Polizisten nicht so lange im russischen Netz stehengeblieben wäre. Ebenso wenig wie der vom Sänger benutzte Hashtag „#regierungmussweg“. Russlands Musikszene scheint – angeführt von Sotschi-Intendant Hajo Frey – immer mehr zu einem Auffangbecken für die von Europa enttäuschten Ex-Titanen der Klassik zu werden. Ein Rückflugticket wird immer problematischer. +++ Das Barbican Centre ernannte Claire Spencer als neue Chefin. Zuvor war sie beim Arts Centre Melbourne. Sie wurde auf Grund ihrer Leitungsfähigkeit und ihrem Blick für Diversität ernannt, heißt es nun einer Pressemitteilung. +++ Die Oper in Leipzig scheitert daran, die Inszenierung der Oper „Lohengrin“ von Katharina Wagner auf die Bühne zu bringen: Es sei sehr bedauerlich, dass die technischen Schwierigkeiten am Bühnenbild trotz frühzeitiger Hinweise vom Leipziger Intendanten falsch eingeschätzt wurden, teilt Katharina Wagner mit. Umso mehr würde sich ihr Team nun auf die Première in Barcelona im Jahr 2025 freuen. Ein Sprecher der Oper Leipzig bestätigt die vorangegangene Fehleinschätzung des Intendanten. +++ Der österreichische Geiger Walter Barylli ist, wie erst jetzt bekannt wurde, bereits vor einer Woche im Alter von 100 Jahren verstorben. Barylli war mehrere Jahrzehnte Mitglied der Wiener Philharmoniker und von 1966 bis 1969 deren Vorstand.
UND WO BLEIBT DAS POSITIVE, HERR BRÜGGEMANN?
Ja, wo zum Teufel steckt es denn? Vielleicht in einer Studie des University College in London. Das hat herausgefunden: „Menschen, die sich mindestens alle paar Monate aktiv mit Kunst und Kultur beschäftigen, hatten ein um 31 Prozent geringeres Sterberisiko als diejenigen, die keine Ausstellungen und Aufführungen besuchten.“ Braucht noch jemand einen Beweis dafür? Der große Regisseur Hans Neuenfels ist 80 Jahre alt geworden, obwohl er geraucht und gesoffen hat – es muss an der Kraft des Theaters gelegen haben. Ich erinnere mich gern an unseren Wein aus Kaffeebechern und muss an dieser Stelle noch einmal für den Podcast „Alles klar, Klassik?“ werben, in dem zunächst Katharina Wagner bewegend Abschied von Neuenfels nimmt, der in Bayreuth den Ratten-Lohengrin auf die Bühne gebracht hat (Wagner: „Er fehlt mir als Mensch, ich habe ihm so gern zugehört.“). Auch Moritz Eggert, der Neuenfels schon als Kind kannte und mit ihm die Oper „Die Schnecke“ schrieb, findet weiche und wunderschöne Abschieds- und Erinnerungsworte, und ganz besonders ans Herz lege ich Ihnen den von Regisseurin Vera Nemirova geschriebenen und gesprochenen Nachruf, in dem sie erklärt, warum Hans Neuenfels „ganze Generationen inspirierte“ und wie er nun vor Mozart und Verdi steht – zum Weinen das alles. Hören Sie einfach mal rein!
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!
Ihr
brueggemann@crescendo.de
Foto: Bayreuther Festspiele, Wiener Staatsoper / Michael Pöhn, Deutsche Oper Berlin