KlassikWoche 09/2022
Ich will Euch nicht mehr hören!
von Axel Brüggemann
28. Februar 2022
Der Angriffskrieg auf die Ukraine, die Reaktionen der Kulturszene, die Statements von Teodor Currentzis und Anna Netrebko und der Kampf um Humanität
Willkommen in der neuen KlassikWoche,
es ist dieser Tage sicherlich richtig, irgendetwas Blau-Gelbes auf seinen Social-Media-Kanälen zu posten (und das habe ich auch getan). Ich befürchte allerdings, allein damit machen wir es uns zu leicht. Seit dieser Woche geht es um eine grundlegende Frage: In welcher Kultur wollen wir leben? Ich finde, unsere Kultur lebt von Meinungen, von Vielfalt, von Rede und Gegenrede – und immer von: Respekt und Humanität. Dort, wo andere Menschen verletzt, angegriffen oder gar getötet werden, ist es die Verantwortung aller Kulturschaffenden, gemeinsam aufzuschreien! Es zeigt sich, dass die Netzwerke von Wladimir Putin tief in unseren kulturellen Alltag eingreifen, und ich befürchte, es bedarf aller Kultur-LiebhaberInnen, das jetzt schnell und ohne weitere Eiertänze zu erkennen und unsere Kultur zu schützen! Es ist die Zeit zu handeln. Deshalb heute ein etwas anderer Newsletter als sonst.
FREYS SOTSCHI-NETZWERK
Beginnen wir mit einem konkreten Beispiel, wie systemisch das Kultur-Netzwerk von Wladimir Putin in unserem westlichen Alltag verankert ist und wie subversiv es auch in Westeuropa wirkt. Seit der Ex-Intendant des Theaters Bremen und Ex-Verantwortliche im Auftrag der Stadt des Brucknerhauses Linz, Hajo Frey, 2009 als Veranstalter des SemperOpernballs die Idee hatte, Wladimir Putin den Preis der Stadt zu verleihen (später schlug Frey tatsächlich auch Ägyptens Präsident Abd al Fattah as-Sisi als Preisträger vor!), hat sich eine „Männerfreundschaft“ etabliert. Als es für Frey in Deutschland (Musical-Schulden am Bremer Theater) und in Österreich (Kritik wegen seiner Russland-Kontakte) nicht mehr lief, holte Putin ihn zunächst als Botschafter ans Bolschoi und dann als Intendanten nach Sotschi. Hier scheint die Aufgabe des deutschen Kulturmanagers zu sein, europäische Orchester und KünstlerInnen in Putins Ferien-Residenz zu locken und ein Netzwerk aus reiselustigen, europäischen Intendanten zu pflegen. Mit anderen Worten: Kultur-Propaganda!
Schon in den letzten Jahren war auffällig, wie Russland KünstlerInnen an sich band, die es in den USA und Europa auf Grund ihres #metoo-Verhaltens schwer hatten oder als ungeimpfte Corona-Schwurbler, die nicht in den USA auftreten durften. Hajo Frey ist so etwas wie der Herbergsvater dieser Klassik-KünstlerInnen. Gleichzeitig richtet er noch immer den SemperOpernball aus! Eines seiner „Gehirne“ dabei ist die Organisatorin Trixi Steiner, die ebenfalls auf Freys Payroll steht und die es in diesen Tagen in ihren sozialen Medien gerade mal geschafft hat, ein „Peace“ zu posten, ohne eindeutig Position zu beziehen. Hajo Frey selber versendet auf Instagram weiterhin lustige Ankündigungen, dass am 14. März das Pendant des Dresdner Opernballs in (Achtung!) Dubai stattfinden soll. Auf der KünstlerInnen-Liste (welch Wunder!): Plácido Domingo, Oksana Fedorova, Vadim Repin und das Dresdner Kammerorchester. Hier passiert, was Herrscher wie Wladimir Putin überhaupt erst möglich macht: Aus Geld- und Anerkennungs-Gier stellen sich Menschen in den Dienst seiner menschenverachtenden Politik. Selbst für das deutsche Kulturfernsehen von ZDF/arte scheint es kein Problem zu sein, einen Propaganda-Film über das Bolschoi mitzufinanzieren, der von Anastasia Popova gedreht wurde und gemeinsam mit dem Russian Channel 1 entsteht. (Pressetext: “Das Bolschoi-Theater ist das bekannteste und wichtigste Theater Russlands für Ballett und Oper und auch eines der berühmtesten Musiktheater der Welt. Es ist Symbol der Tradition und Verkörperung der russischen Hochkultur. Vielfach ein Instrument der Politik, skandalträchtig und dennoch vor allem jahrhundertealtes Sinnbild höchster künstlerischer Leistungen und Opfer.“) Ach ja: Hajo Frey schickt übrigens gern geschmacklose Weihnachtsgrüße von einem schmucklosen russischen Shopping-Mall-Piano – umringt von allerhand Frauen – in die Welt. Inzwischen hat er sogar die russische Staatsbürgerschaft angenommen. Wenn Sie, liebe LeserInnen, nun auch staunen, fragen Sie doch einfach mal bei Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert nach, was er von der öffentlichen Wirkung seines SemperOpernballs hält. Vielleicht so: „Lieber Herr Hilbert, wie kann es sein, dass Hajo Frey, dessen Verbindungen zum Putin-Netzwerk weitgehend bekannt sind, noch immer den SemperOpernball veranstaltet. Wie schätzen Sie die Außenwirkung dieses Balls spätestens seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine ein?“ Fehlt noch etwas? – ah ja, die Mail-Adresse von Herrn Hilbert. Kein Problem, hier ist sie: oberbuergermeister@dresden.de
(In einer vorigen Version dieses Textes hieß es, dass Anastasia Popova Redakteurin des Senders „Russia 24“ sei – dabei handelte es sich offensichtlich um eine Verwechslung mit der Journalistin gleichen Namens)
DER FALL VALERY GERGIEV
Was in diesen Tagen verwundert, ist, dass die Welt erst jetzt aus den Wolken fällt – auch, was Dirigent Valery Gergiev betrifft. Die Wiener Philharmoniker setzten ihn erst in allerletzter Sekunde vor ihrem Konzert in der Carnegie Hall ab. Immerhin haben Mailands Bürgermeister und der Mailänder Scala-Intendant Dominique Meyer Gergiev ein hartes Ultimatum gestellt: Entweder er distanziert sich vom Einmarsch der Russen in der Ukraine, oder man wird die Verträge mit ihm aufkündigen. Nun hat auch Münchens Oberbürgermeister nachgezogen. Gut so, aber warum nicht viel früher? Gergievs homophobe Äußerungen, sein Bekenntnis zur Annexion der Krim und sein Konzert in Palmyra für Syriens Diktator Assad haben Anlass genug gegeben. Ich habe seit 2015 regelmäßig für unterschiedliche Medien beim Intendanten der Münchner Philharmoniker, Paul Müller, angefragt und um Positionierung gebeten. Aber es kam stets die gleiche Antwort: „Das ist Gergievs Privatmeinung, und die kommentieren wir nicht.“ Dass Münchens Politik und Münchens Intendanz erst jetzt reagieren, ist das wirklich Schockierende an der Causa Gergiev. Unrechtssysteme werden durch Menschen getragen, die das Unrecht verteidigen, oder sich nicht gegen das Unrecht auflehnen! Auch in Deutschland. Wenn man sich nun entscheidet, dass Gergiev gehen muss, muss wohl oder übel auch Paul Müller gehen. Es kann nicht sein, dass Menschen, die Kunst und Kultur durch ihren Opportunismus unglaubwürdig machen, im nächsten System einfach weitermachen können. Natürlich muss auch die Rolle von Oberbürgermeister Dieter Reiter noch einmal öffentlich neu bewertet werden. Dass Gergievs Agent Marcus Felsner den Dirigenten jetzt fallenlässt, da er als „Cash Cow“ ausfällt, macht die Tatsache nicht besser, dass er Gergiev (trotz all seiner vorherigen Totalausfälle) so lange vertreten hat.
Auch die Wiener Philharmoniker müssen sich fragen lassen: „Warum so spät?“ Was sollte es, die Mär vom „Brückenbauen durch Kultur“ und von der „langen vertrauensvollen Zusammenarbeit mit Gergiev“ zu erzählen, und sich erst vom Dirigenten zu trennen, als der öffentliche Druck zu groß wurde? Das Orchester, das inzwischen das Miteinander seiner russischen und ukrainischen Musiker zur Schau stellt, muss sich überlegen, welchen Mitgliedern es zu verdanken hat, dass man nicht pünktlich Position bezogen und so international Schaden genommen hat. Während sich der Dirigent Michael Güttler noch einen Tag vor der Carnegie-Absage fragte, warum Gergiev eigentlich nicht in den USA dirigieren solle, zeigte sich die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv verwundert über die schwurbelige Abwart-Debatte der Wiener und schrieb „Kunst darf nicht entmenschlicht werden, wenn sie ihrer Aufgabe gerecht werden will. Und manchmal verlangt sie nach schnellen und konkreten Handlungen.“ Valery Gergiev hat seit vielen Jahren den humanistischen Geist der Musik verraten – und es ist höchste Zeit, ihn in die Schranken zu weisen, übrigens auch in Baden-Baden und in Luzern. Jedes weitere Herumgeeier macht die Intendanten und ihre Häuser unglaubwürdig.
UND WAS IST MIT DEN ANDEREN?
Valery Gergiev ist vielleicht der politischste der prominenten Klassik-Künstler und steht Putins Netzwerk am nächsten, aber auch von anderen KünstlerInnen kann und sollte man in diesen Tagen Haltung erwarten. Schön und gut, dass der SWR zum 50. Geburtstag Bilder seines Chefdirigenten Teodor Currentzis mit alten Sinnsprüchen („Musik ist eine Mission, kein Beruf“) gepostet hat, aber wo bleibt sein Statement zur aktuellen Situation und seine Erklärung dafür, dass er Russland als steuergünstige Heimat wählte.
Und was ist mit Yusif Eyvazov und Anna Netrebko, die nach einiger Zeit erklärte, dass sie sich mit ihrem Statement Zeit gelassen hätte, weil sie nachdenken musste. „Die Situation ist zu ernst, um sie gedankenlos zu kommentieren“, schrieb sie. Herausgekommen ist allerdings weitgehend unreflektierter Quatsch. Netrebko sei gegen Krieg, so fasste die dpa ihren Insta-Post zusammen, aber ihr Post ging noch weiter: Sie wolle nicht gezwungen werden, ihre Heimat zu verraten und überhaupt sei sie keine politische Person. Von Politik habe sie keine Ahnung und wolle sich nicht weiter einmischen! Aber was, bitteschön, war das damals, als sie an der Seite von Putin die Olympischen Spiele eröffnet hatte, was, als sie nach der Annexion der Krim mit einem Separatistenführer lächelnd die Flagge des international nicht anerkannten Staates „Neurussland“ der Volksrepubliken Donezk und Lugansk in der Hand hielt? Sorry, aber auch die zur Schau getragene Naivität schützt vor ideologischen und menschenverachtenden Irrfahrten nicht! Für die Herzblut Russin mit österreichischem Pass sollte Heimat spätestens jetzt keine Frage der Gemütlichkeit mehr sein, sondern eine Frage der Haltung! Doch die scheint Netrebko nicht zu interessieren. Und wichtiger noch: Es gibt ein Management, mit dem all solche Äußerungen abgestimmt werden sollten – und das sitzt in Deutschland. Auch hier zeigt sich, wie viele Menschen das System Putin tragen, weil sie an ihm mitverdienen. Klar ist die Ansage von MET-Intendant Peter Gelb. Der erklärte, dass er KünstlerInnen, die Putin unterstützen oder von Putin unterstützt werden, nicht länger engagieren wird. Den Rest der Saison wolle er der Ukraine widmen. Im Programm von rbb-Kultur, sagt Radio-Redakteur Christian Schruff, würden Netrebko und Valery Gergiev derzeit bereits nicht mehr gespielt. Ja, und während die deutsche Lebensmittel-Kette EDEKA ihr blau-gelbes Logo etwas anbiedernd mit dem Freiheits-Begriff überstrapazierte, strich das schweizerische Pendant, Migros, das Russische Nationalorchester kurzerhand von den Spielplänen der „Migros Classics“. Und dann noch dieses für alle, die mir das wirre Rote-Platz-Video von Günther Groissböck geschickt haben: So langsam tut er mir fast leid. Kann ihn nicht mal jemand in den Arm nehmen?
UND WO BLEIBT DAS POSITIVE, HERR BRÜGGEMANN?
Das gibt es diese Woche leider nicht. Ich befürchte, wir müssen es uns selber zurückholen. Posts mit blau-gelben Flaggen werden da kaum reichen. Wir müssen für die Menschlichkeit, die Humanität und die Freiheit unserer Kunst kämpfen – auf unsere Art! Friedlich. Bestimmt. Und kompromisslos.
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!
Ihr
P.S.: Wer Interesse daran hat, einen Schritt zurückzutreten und etwas über die kulturelle Geschichte der Ukraine und Russlands zu lernen – für den habe ich in meinem Podcast „Alles klar, Klassik?“ unter anderem mit der Osteuropa-Expertin Miriam Kosmehl und mit der Dirigentin Oksana Lyniv gesprochen. Die Sendung gibt es hier.
https://alles-klar-klassik.podigee.io/