KlassikWoche 10/2021
Mehr Frauen! Weniger Deppen! Und viel Hilfe!
von Axel Brüggemann
8. März 2021
Erste Öffnungsschritte, Frauen in der Kultur, Hilfe für Künstler von Igor Levit, das Verhör von Anne-Sophie Mutter
Willkommen in der neuen KlassikWoche,
heute feiern wir jede Frau in einem Orchester, heute hoffen wir, dass es bald wieder los geht – und heute lachen wir mit Anne-Sophie Mutter.
WIE WIRD ES NUR WERDEN?
Ein Mini-Hoffnungsschimmer: Am Broadway soll es im April langsam wieder losgehen, ein Testlauf für Theater mit Vorstellungen vor einem Drittel des Publikums ist geplant, und man hofft auf einen Neustart im Juni. Das ist auch nötig, denn wie aktuelle Zahlen zeigen, haben in New York bereits zwei Drittel aller KünstlerInnen ihre Jobs verloren. Auch in Europa sieht es düster aus. Gerade wurde bekannt, dass sich 35 TänzerInnen an der Mailänder Scala mit Corona infiziert haben. Tests, die unter den Orchester- und Chormitgliedern durchgeführt wurden, ergaben zum Glück negative Resultate.
Der Tagesspiegel stellte diese Woche fast lakonisch über die neuen Beschlüsse in Deutschland fest: „Das Thema Kultur wurde am Mittwoch im Grunde nur wieder vertagt.“ Und dann listete die Zeitung auf, wie es weitergehen könnte: „Die Komische Oper hat bereits den April abgehakt, die Philharmoniker sagten ihre Spanien-Tournee im Mai ab. (…) Die Bayreuther Festspiele wollen neben den Opern auch diverse Performances im Freien rund um das Festspielhaus zeigen. Das Schleswig-Holstein Musikfestival gibt das Motto ‚Ins Grüne!« aus: Rund zwei Drittel der 156 Konzerte sollen open air stattfinden. In Berlin hat das Festival Young Euro Classic laut Kulturstaatssekretär Torsten Wöhlert Lottomittel in Höhe von 300 000 Euro beantragt, um das Jugendorchestertreffen aus dem Konzerthaus auf den Gendarmenmarkt verlegen zu können – mithilfe einer hochwertigen Soundanlage.“ Wie schön wäre es, wenn Theater endlich wieder möglich wäre!
„KULTUR IN ABGEFUCKTESTER FORM“
Unseren letzten Newsletter über die unterschiedlichen Öffnungs-Aktivisten der Klassik hat Komponist Moritz Eggert nicht zu einer Oper, aber zu einer eigenen Reflexion inspiriert (auch, weil er mehrfach aufgefordert wurde, angebliche Fehler in seinem damals hier zitierten Text über die Initiative „Aufstehen für die Kultur“ zu korrigieren – was er mit einer ausführlichen Replik, die uns vorliegt, ablehnte). Nun holt Eggert im „Bad Blog of Musick“ das Florett – okay: den Säbel – heraus: „Dass zum Beispiel die klassische Musik in einer tiefen Sinnkrise steckt, weil sie sich dem Neuen nach wie vor verweigert und lieber immer dieselben abgetakelten Schlachtschiffe des klassischen Repertoires in immer gleichen Festivals und Wettbewerben abfeiert, war schon lange vor Corona klar. (…) In der Krise, zeigt es gnadenloser als je sein wahres Gesicht. Es ist das Gesicht des #onlyme, das Gesicht der Eifersucht auf Fitnessstudios und Friseure, das Gesicht des blanken Hasses auf alles, was ein bisschen früher öffnen darf oder – Gott bewahre – womöglich schon offen ist. All dies wird immer wieder auch begleitet von Hineinsteigern in Pandemieleugnungen und Flirten mit dem rechten politischen Rand. Das ist Kultur in ihrer hässlichsten und borniertesten, ja abgefucktesten Form.“ Eggert fragt: „Soll das wirklich unser Aushängeschild nach außen sein? Präsentieren wir uns so ‚solidarisch‘, wenn wir auf Verteilungskämpfen beharren? Ausgerechnet jetzt?“
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CRESCENDO-Podcast: Hidden Secrets of Classical Music – Folge 3
Wie deutsch ist die deutsche Nationalhymne?
Detektivgeschichten aus der Welt der Klassik
Mir bleibt zur letzten Woche nachzutragen, dass Christian Gerhaher natürlich Bariton (und kein Tenor) ist, was allerdings nichts daran ändert, das Günther Groissböck trotzdem gern auf dem rechten Bordsteinrand spazieren geht. Und dieses noch, die Umfrage auf meinem Instagram-Profil fiel erstaunlich deutlich aus: Von mehreren hundert TeilnehmerInnen fanden 86 Prozent, dass die Aktion „Aufstehen für die Kunst“ den Künstlern eher weniger helfe – 14 Prozent glaubten, die Aktion würde helfen.
PERSONALIEN DER WOCHE I
Die gute Nachricht am Anfang: Zubin Mehta (wir haben darüber berichtet) musste in Mailand ins Krankenhaus und ist inzwischen offenbar genesen: In Florenz trat er gemeinsam mit Rudolf Buchbinder auf. +++ Bei der milliardenschweren Sanierung der Stuttgarter Oper drückt Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) aufs Tempo. „Wir sollten das Thema nicht wie einen Kaugummi ins Unendliche ziehen“, sagte er der Stuttgarter Zeitung. +++ Durch Zufall bin ich auf das MusicLab der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen gestoßen – was für eine wunderbare Idee! Musiker aller Instrumente werden eingeladen, bis zum 15. April ihre Stimme von Rossinis „Tell“-Ouvertüre aufzunehmen und werden dabei von großartigen Mentoren wie Elisabeth Champollion an die Hand genommen (dieser Link und ihre Erklärung sind auch spannend für Nicht-Flötenspieler!) Wer kann: Bitte mitmachen! +++
FRAU DICH!
Es ist noch Luft nach oben! Das Deutsche Musikinformationszentrum hat unter allen öffentlich finanzierten Orchestern Frauen gezählt und herausgefunden, dass Frauen mit 39,6 Prozent durchaus stark vertreten sind. Das sieht in den Führungspositionen allerdings ganz anders aus. Hier sind sie offensichtlich unterrepräsentiert, besonders in den Spitzenorchestern. Dort liegt ihr Anteil bei nur 21,9 Prozent, während er im Durchschnitt aller Orchester 30 Prozent ausmacht. Eine andere Studie hat herausgefunden, dass in Abo-Konzerten klassischer Musik nur 1,9 Prozent aller Werke von Frauen stammen. Und nur fünf Frauen leiten als Dirigentinnen die 129 Berufsorchester in Deutschland.
Heute Abend laden das Kammerensemble Konsonanz und der Pianist Albert Lau ein, die Geschichte von Frauen in der Musik in Musik und Debatte zu verfolgen. „Mehr als Kinder, Küche, Kirche! – 200 Jahre Kompositionen starker Frauen”, heißt das Programm, das Musik von starken Frauen aus zwei Jahrhunderten vorstellt, von Sofia Gubaidulina, Luise Adolpha Le Beau, Fanny Hensel, Amy Beach, Lili Boulanger oder Ilgin Ülkü. Es debattieren unter anderem Prof. Dr. Freia Hoffmann, Prof. Siegrid Ernst und Konsonanz-Musikerin Ilgin Ülkü. Der Livestream ist heute, am 8. März, um 19.30 Uhr auf www.konsonanz.com zu sehen.
Ach ja – und dann ist da noch der Gast, äh die Gästin, meiner Sendung von Gestern: die Mezzosopranistin Christina Sidak, die gemeinsam mit Sopranistin Claudia Goebl gerade das Projekt „Mama macht ‚lala‘“ plant und probt. Hier können Sie noch Mal mit Christina Sidak und mir frühstücken.
LEVITS EINHUNDERTUNDNEUNTAUSEND GUTE EURO
Neues von Pianist Igor Levit. Er tritt im Vorprogramm der diesjährigen Grammy-Verleihung in Los Angeles auf. Die Show wird am 14. März ab 21:00 Uhr auf der Website www.grammy.com als Livestream übertragen. Viel wichtiger ist aber: Schon vor einem Jahr haben wir uns an dieser Stelle gewundert, dass Levit erst am Ende seiner publikumswirksamen Streaming-Performance von Erik Saties „Vexations“ beschlossen hat, dieses Event den KünstlerInnen zu widmen, denen es nicht so gut ging wie ihm (wofür er sehr kritisiert wurde). Jetzt hat er endlich ernst gemacht – und wie! Levit hat die einzelnen Seiten des Stückes verkauft und insgesamt erstaunliche 109.000 Euro eingenommen, die nun Musikerinnen und Musikern zugutekommen sollen, die von der Pandemie besonders betroffen sind. Auch mit seinen Freunden aus der Politik geht Levit neuerdings ins Gericht: „Seit einem Jahr versuchen wir den Politikerinnen und Politikern klarzumachen, was unsere Lebensrealität ist“, erklärte er seinem Haussender, dem BR, „und jetzt sieht man, dass es im Grunde umsonst war. Das macht ungeheuer wütend. Seit Monaten erleben wir – drücken wir es mal nett aus – eine unglückliche Politik in Sachen Impfung.“ Vielleicht kann Levit da ja beim nächsten gemeinsamen Wein mit seinem neuen Freund, Karl Lauterbach noch mal nachhaken.
PERSONALIEN DER WOCHE II
Man hat ja schon keine Lust mehr, aber die neueste Geschichte über Kai-Uwe Laufenberg (ihr wisst schon) ist einfach zu schön. Wir erinnern uns: Der Wiesbadener Intendant hat in seinem aufopferungsvollen Existenzkampf des eigenen Egos gegen Corona den Dichter Bertolt Brecht verschlimmbessert. Nun bekommt er Ärger mit dem Suhrkamp-Verlag. Auf Anfrage von Volker Milch vom Wiesbadener Kurier (Print-Ausgabe) „teilt eine Verlagssprecherin nun mit, dass mit Laufenbergs Homepage-Text keine ‚Paraphrase« vorliege, ‚da das Gedicht nur teilweise bearbeitet, ansonsten wörtlich wiedergegeben wird. Da wir weder eine Wiedergabe‑, noch eine Bearbeitungsgenehmigung erteilt und auch keine entsprechende Anfrage erhalten haben, haben wir das Theater aufgefordert, den Text von der Website zu entfernen.“ Tatsächlich ist Laufenbergs Epos inzwischen von der Webseite verschwunden. +++ Nikolaus Bachler, Intendant der Salzburger Osterfestspiele, will die Hoffnung nicht aufgeben, dass die Veranstaltung stattfindet. Er setzt darauf, bis Mitte März zu warten und hofft, dass auch Landeshauptmann Wilfried Haslauer die Öffnungsschritte für die gesamte Kultur vorantreiben wird. +++ Wie es kommt, dass eine britische Website 11.000 Menschen David Garrett zum „beliebtesten Klassik-Künstler“ wählen ließ, und wer eigentlich definiert, was Klassik ist – über all das habe ich mir diese Woche beim SWR den Kopf zerbrochen.
UND WO BLEIBT DAS GUTE, HERR BRÜGGEMANN?
Okay, manchmal könnte man glauben, dass mir in dieser Kategorie nichts anderes als meine eigene Arbeit einfällt. Logo, wie heißt es frei nach Georg Kreisler: „Denn jedem Journalisten ist es Recht, spricht man von anderen Journalisten schlecht.“ Aber manchmal macht es eben einfach ungeheuer Spaß, über andere gut zu reden! Zum Beispiel über den legendären Klassik-Kommissar Clemens Nicol vom BR-Format „SweetSpot“. Neulich war Anne-Sophie Mutter bei ihm zum Verhör. Sie ist nicht nur als Geigerin professionell, sondern auch, was das Interview-Geschäft betrifft. Normalerweise läuft es so: Mutter kommt, gibt professionelle Antworten – und geht . Aber dieses Mal war es für sie offenbar ein sehr besonderes „Verhör“, dem sie sich mit sehr viel Lachen unterzog. Es ging unter anderem um Bestechung von Komponisten und illegale Dackel-Security. Das Wochen-Highlight und ein unbedingter Sehbefehl!
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!
Ihr