KlassikWoche 11/2022
Zeigen wir mit dem Finger auf uns
von Axel Brüggemann
14. März 2022
Die Abhängigkeit der Salzburger Festspiele von Putins Geld, das Netzwerk von Hans-Joachim Frey, die russischen Dienstage im Brucknerhaus Linz
Willkommen in der neuen KlassikWoche,
weiter fallen Bomben, der Krieg lähmt die Kultur, und zuweilen gelingt es, dass sie ihre vereinende Stärke zeigt. Haben wir in Corona-Zeiten noch gedacht, Musik sei eventuell nicht „systemrelevant“, erkennen wir nun ihre große Kraft. Sowohl im Negativen (in der andauernden Musik-Propaganda) als auch im Vereinenden, etwa an unseren Stadttheatern und Orchestern, in denen MusikerInnen aus Deutschland, der Ukraine und Russland noch immer gemeinsam musizieren und gar nicht daran denken, auf Mozart oder Mussorgsky zu verzichten! Gleichsam offenbart sich immer mehr, wie tief sich russische Propaganda im deutschen Klassik-Betrieb festgesetzt hat und wie Veranstalter, Manager, Festspiele, aber auch einzelne KünstlerInnen zum Teil von Putins Geld abhängig sind. Ich selber habe diese Woche erlebt, wie sympathetisch man die aktuelle Situation trotz Meinungsverschiedenheiten miteinander besprechen kann, als ich mich in der „Streitkultur“ des Deutschlandfunks mit Jan Brachmann von der FAZ ausgetauscht habe (unser kleiner Disput begann letzte Woche an dieser Stelle). Und ich spüre auch, wie viel Arbeit es ist, genau hinter die Fassaden zu schauen und würde mich über journalistische MitstreiterInnen in Dresden, Linz und sonst wo freuen. Dieser Newsletter dauert mal wieder etwas länger, weil er das Ergebnis einer aufwändigen Recherche ist. Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
WIRD ANNA NETREBKO AUFERSTEHEN?
Mir wurde von unterschiedlichen Seiten nahegelegt, nachzudenken: Könnte es sein, dass irgendwann alles wieder so ist, wie es immer schon war? Dass Anna Netrebkos nächste Konzerte, die ja bereits im Sommer angesetzt sind, einfach laufen wie immer? Dass sie erklärt, dass sie nie etwas mit Politik zu tun hatte, dass die Leute ihre Spende an den Donbas vergessen, das Schwenken der Separatistenflagge, dass sie ihren 50. Geburtstag im Kreml feierte, dass sie sich immer wieder mit Putin solidarisierte, ja sogar, dass sie ihre Kritiker als „human shit“ beschimpfte? Kann es sein, dass es am Ende so ist, als sei nie etwas gewesen? Auf jeden Fall scheinen Teile der Klassik-Industrie genau darauf zu setzen. Zum Beispiel die Deutsche Grammophon, die zwar ihr Geschäft in Russland auf Eis legt, aber nicht auf die Idee kommt, sich zum politischen Engagement ihrer Künstler Valery Gergiev und Netrebko zu positionieren. Und auch Veranstalter wie die Elbphilharmonie scheinen zu glauben, dass die Leute einfach so wiederkommen werden (dazu im nächsten Absatz mehr). Ich kann und will mir das einfach nicht vorstellen. Der Krieg in der Ukraine war zu blutig, kostete zu viele unschuldige Leben und stellt sich als unmenschliches Gemetzel gegen die Freiheit heraus, als dass wir Putins langjährige Unterstützer einfach so vergessen könnten.
Auch andere Künstler wenden sich von Anna Netrebko ab. Franz Welser-Möst hatte schon, unabhängig vom Krieg, die Arbeitsmoral der Diva kritisiert, gerade erklärte Dirigentin Oksana Lyniv in der Welt: „Anna Netrebko hat als Mensch nicht das Recht, einfach wegzuschauen.“ Groß war die Beteiligung an der unrepräsentativen Umfrage, die ich auf meinem Insta-Profil gestartet habe: 82 Prozent haben angegeben, kein Konzert von Netrebko mehr zu besuchen, 18 Prozent wollten sie auch weiterhin sehen. Ein Stimmungsbild, das sich derzeit auch anderenorts widerspiegelt, zum Beispiel in der österreichischen Satire-Show „Willkommen Österreich“, in der die Austro-Liebe zu „Njetrebko“ bitter aufs Korn genommen wird (siehe Video oben). Je länger dieser Krieg dauert, desto genauer werden die Menschen hinschauen, wer das System Putin im Vorfeld verklärt hat, wer von ihm profitiert – und sie werden erkennen, dass es bei späteren Krokodilstränen in erster Linie um den Versuch vieler geht, einfach weiter westliches Geld zu verdienen. Ich glaube nicht, dass Konzerte von Anna Netrebko in naher Zukunft problemlos über westeuropäische Bühnen gehen werden.
FRAGEN, DIE SALZBURG SICH STELLEN MUSS
Auch die Salzburger Festspiele scheinen weiterhin fest davon auszugehen, dass irgendwann alles wieder weitergeht wie immer. Und das bedeutet: Geld von russischen Oligarchen wollen wir, bitteschön, auch weiterhin gern nehmen. Und auch hier ist die Einflugschneise relativ hoch. Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel, der seinen 100.000-Euro-Job beim russischen Öl-Multi Lukoil erst letzte Woche auf öffentlichen Druck hin aufgegeben hat, holte die Oligarchen persönlich an die Salzach. Zunächst Dimitry Aksenov, der – in Dankbarkeit von Ex-Festspiel-Präsidentin Helga Rabl-Stadler – Teil der Gesellschaft der russischen Freunde der Salzburger Festspiele wurde, die Geld explizit dafür sammeln, dass russische Künstlerinnen und Künstler an der Salzach präsentiert werden. So floss schon 2013 eine Million Euro für Teodor Currentzis und dessen Interpretation von Mozarts „La Clemenza di Tito“. Hinzu kam Leonid Wiktorowitsch Michelson, einer der reichsten Russen, mit einem geschätzten Vermögen von 24 Milliarden Dollar. Seine Firma VAC finanzierte große Teile von Romeo Castelluccis „Salomé“-Produktion. Ganz abgesehen von der russischen VTB-Bank, einem der größten Sponsoren von Currentzis« Orchester MusicAeterna, deren Vorstandsvorsitzender, Putins ehemaliger russischer Botschafter in London, per Präsidenten-Dekret ernannt wurde (einst galt Currentzis als Kritiker Putins, seit er und sein Orchester vom Kreml profitieren, ist vom Chef des SWR Symphonieorchesters keine Kritik an Putin mehr laut geworden).
Um es einfach zu sagen: Die Salzburger Festspiele unter Helga Rabl-Stadler und Markus Hinterhäuser haben sich seit Jahren von russischem Geld (und nicht nur von russischem, sondern von Putins Geld!) abhängig gemacht, haben die Oligarchen des Kremls aktiv programmatische Forderungen stellen lassen und denken noch immer nicht daran, sich von irgendetwas zu distanzieren. Noch vor wenigen Jahren saß Rabl-Stadler in Moskau und hatte einen Sponsoren-Vertrag mit Gazprom unterzeichnet (die Bilder sind inzwischen nur noch auf der russischen Seite zu finden) und auf einen Putin-Besuch gehofft – dazu kam es auf Grund von Corona nicht. Während Schalke 04 sich vom Sponsor getrennt hat und Chelsea nicht einmal mehr Fan-Artikel verkaufen darf, weil es in Oligarchen-Hand ist, tut Markus Hinterhäuser, als sei nie etwas passiert. Helga Rabl-Stadler ist inzwischen Geschichte in Salzburg, soll aber gerade in Richtung Elbphilharmonie „rutschen“, wo ihr Landsmann, Intendant Christoph Lieben-Seutter, daran festhält, das „verschobene“ Konzert von Anna Netrebko und ihrem Gatten Yusif Eyvazov am 7. September abzuhalten (Eyvazovs offen Putin-freundlicher Insta-Kanal und dessen bizarrer Kampf gegen eine armenische Sängerin bleiben in Erinnerung). An dieser Stelle nur so viel: Sollte dieses Konzert stattfinden, werde ich vor der Elbphilharmonie stehen – und ich bin sicher, einige andere werden mit mir da sein!
DAS SCHWEIGEN IN DRESDEN, DER SKANDAL IN LINZ
Kommen wir nun zu einer Recherche, die mich seit Wochen begleitet. Zeigen wir in dieser Zeit nicht nur auf russische Künstlerinnen und Künstler, sondern kümmern wir uns auch um die schwarzen Schafe bei uns. Ich hatte an dieser Stelle bereits über das Netzwerk von Hans-Joachim Frey berichtet (er organisiert den SemperOpernball in Dresden, war für die Preisübergabe an Wladimir Putin verantwortlich und ist inzwischen Intendant in Sotschi). Daraufhin hat Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert den Vorstand des SemperOpernballs aufgefordert, Putin den Preis zu entziehen, was auch geschah. Der Spiegel und Die Zeit haben unsere Geschichte inzwischen aufgenommen, aber Frey ist offiziell noch immer im Amt. Zumindest Oberbürgermeister Hilbert ist seither aus dem SemperOpernball-Verein ausgetreten, da es „bei einigen Akteuren kein Umdenken gibt“. Die Sächsische Zeitung hat inzwischen auch umfangreich berichtet, ihr Herausgeber, Carsten Dietmann, ist aus dem Ball-Vorstand zurückgetreten. Hajo Frey hat indes eine Erklärung abgegeben, in der er sich zwar gegen den Krieg ausspricht, wohl aber auch Zeit gewinnen will. „Der Verein hat sich eine mehrwöchige Ruhe auferlegt“, heißt es von Frey, um gleich klarzustellen, dass er nicht daran denkt, seinen Job als Putin-Intendant in Sotschi aufzugeben: „Meinen internationalen Tätigkeiten steht dies nicht im Weg.“ Was hindert die Dresdner daran, sich einfach von ihrem Vortänzer zu distanzieren? Wie tief greifen die Seilschaften der Mitglieder des Ball-Vereins?
Vielleicht hilft ein Blick nach Linz. Hier hat Hajo Frey das Brucknerhaus geleitet. Unter anderem gründete er die „Russischen Dienstage“ für seinen Freund Sergei Roldugin. Der mittelmäßige Cellist ist Putin-Getreuer und Taufpate von Putins Tochter. Im Zuge der Panama-Papers-Recherchen flog er auf, da er zwei Milliarden (!!!) Dollar in Scheinfirmen verwahrte – seither wird Roldugin in Europa strafrechtlich verfolgt. Was Frey und das Brucknerhaus nicht davon abhielt, die „Russischen Dienstage“ weiterhin in seiner Hand zu belassen. Zuvor hatte Frey Roldugin zu acht (!) Konzerten (zwischen dem 27.03.2013 und dem 11.10.2016) nach Linz eingeladen und ihn für gutes Geld vor wenig Publikum spielen lassen (Roldugin trat auch 2009 beim SemperOpernball für Putin auf). Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Roldugin sich im Gegenzug bei Putin für seinen Kumpel Frey eingesetzt hat und ihm seinen aktuellen Posten in Sotschi beschafft hat (nachdem er zunächst als offizieller „Botschafter des Bolschoi“ fungierte, eine „klassische“ Beratertätigkeit, über denen Honorierung freilich Stillschweigen bewahrt wurde).
Aber das ist noch lange nicht alles: Am letzten Tag seiner Amtszeit, quasi an dem Tag, als sein Nachfolger im Brucknerhaus eingeführt wurde, soll Frey sich beim Bürgermeister in einer Nacht-und-Nebel-Aktion dafür eingesetzt haben, dass sein Freund Valery Gergiev noch schnell den mehr als üppig ausgestatteten Vertrag über einen Bruckner-Zyklus in Linz zugeschustert bekommt – eigentlich ein No-Go! Stellungnahme des Bürgermeisters: Fehlanzeige!
Um zu verstehen, wie wirksam, selbst in höchsten Kreisen, das Frey-Netzwerk ist, muss man wissen, dass Hajo Frey in Linz auch das „Kultur- und Wirtschaftsforum“ gegründet hat, anfänglich als eine Art Freundeskreis der Kultur, in Wahrheit aber fanden sich schnell zahlreiche Unternehmer auf regelmäßigen Reisen nach Russland wieder (Reisen, an denen auch FPÖ-Politiker teilnahmen, waren Gegenstand politischer Kritik, und bis heute ist nicht klar, welches „Unterhaltungsprogramm“ auf dem Plan stand. Meine Nachfragen dazu in Linz blieben bislang ebenfalls unbeantwortet.). Vorsitzender des „Kultur- und Wirtschaftsforums“ war Christoph Leitl, bis 2021 Präsident der Europäischen Wirtschaftskammer. Frey hatte in Linz also eine erstklassige Ost-West-Brücke gebaut, in der Kultur hauptsächlich als Möglichkeit fungierte, Wirtschaft und Politik an Russland zu binden (die unverblümte Verehrung Freys durch die ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Elisabeth Motschmann war ja bereits Thema). Als Freys Nachfolger beim Brucknerhaus, Dietmar Kerschbaum, die „Russischen Dienstage“ abschaffen wollte, gelang ihm dieses nicht, weil offensichtlich das Kanzleramt von Sebastian Kurz direkt beim Intendanten anrief und darauf pochte, diese Einrichtung bitteschön nicht abzuschaffen, um die österreichisch-russischen Beziehungen nicht zu gefährden (so berichten es sowohl meine Quellen, und so ist es inzwischen auch in den Oberösterreichischen Nachrichten zu lesen). Erst jetzt, nach Kriegsausbruch, wurden die „Russischen Dienstage“ doch abgeschafft – natürlich viel zu spät! Wohl gemerkt: Sowohl die Linzer Politik als auch der Intendant des Brucknerhauses haben noch vor einem Monat auf meine explizite Nachfrage, was die „Russischen Dienstage“ betrifft, lakonisch geschwiegen und meine Nachfragen über den Umgang mit Steuergeldern mit Verweis auf die Schweigeklauseln ihrer Verträge abblitzen lassen! In Linz ist es Hajo Frey in relativ kurzer Zeit gelungen, die Élite einer ganzen Stadt an sich und seine Russland-Beziehungen zu binden. Nicht auszudenken, was hinter den Kulissen im schweigsamen Dresden passiert, wo er schon viel länger wirkt.
Hier hält eine Gruppe aus Politikern und Unternehmern, zu der unter anderem der Juwelier Georg Leicht gehört (er hat seit Jahren den Preis des Balles geschmiedet und residiert im Dresdener Kempinski-Hotel Taschenbergpalais, das offiziell auch als Adresse des Ball-Vereins herhalten muss). Auch der FDP-Mann und PR-Berater Holger Zastrow weicht nicht von Freys Seite, ihm wird laut Wikipedia mit Verweis auf einen Text in den Dresdner Neuesten Nachrichten „Nähe zum Rechtspopulismus“ unterstellt. Zastrow sendet zwar Pressemitteilungen in die Welt, hat aber weder auf meine noch auf die Nachfragen des Spiegel reagiert. Ähnlich wie in der Causa Netrebko scheinen einige auch in Dresden zu glauben, dass die Sache in einigen Wochen vergessen sein wird. Frey beschwört derweil die Ehrenamtlichkeit der Vorstandsmitglieder, die sich aber – auf jeden Fall, was ihn selber betrifft – natürlich auf ganz anderer Ebene ausgezahlt haben dürfte. Immerhin haben sich die Semperoper und ihr Intendant Peter Theiler öffentlich von Frey distanziert. Der Herausgeber der Sächsischen Zeitung, Carsten Dietmann, fordert explizit „den Rückzug Freys zu seinem persönlichen und zum Wohl des Balles“. Gegangen ist auch das „Gehirn des SemperOpernballs“, die heimliche Nummer zwei hinter Frey, Trixi Steiner, die auf meine Nachfrage erklärte „ja, es stimmt, ich bin ausgetreten aus dem Vorstand“. Die Frage ist, wann sich andere Institutionen, etwa der MDR (der noch immer keine Positionierung Freys fordert) oder der Ministerpräsident Sachsens, Michael Kretschmer, eindeutig bekennen. Oder anders gefragt: Was genau hält denn diesen inneren Ball-Kern in Wahrheit zusammen? Liebe Kolleginnen und Kollegen in Sachsen, könnt Ihr hier vielleicht noch mal übernehmen?
UND WO BLEIBT DAS POSITIVE, HERR BRÜGGEMANN?
Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Selbst in der Trauer des Krieges sehe ich in diesen Tagen immer wieder Bilder und Videos, in denen Menschen in der Ukraine Mut in der Musik finden, vor Barrikaden Jazz spielen, ein letztes Mal auf ihrem Klavier in einer zerbombten Wohnung: eine KULTUR-NATON! Und, ja, auch die Liste der KünstlerInnen, die sich solidarisch mit der Ukraine zeigen, die Benefiz-Konzerte für die Ukraine brechen nicht ab. In der Kultur – und gerade in der Klassik – ist Journalismus, der nachfragt, der Missstände aufzeigt, der recherchiert, selten. Gleichzeitig scheinen die Tage der klassischen Musikkritik aber auch gezählt zu sein. Nächste Woche werden wir an dieser Stelle den Diskurs über dieses Thema dokumentieren, wie Michael Haefliger, Intendant des Lucerne Festival, ihn führen will: in drei groß angelegten Diskussionsrunden, in denen VeranstalterInnen, MusikerInnen und MedienmacherInnen zu Wort kommen. In meinem Podcast „Alles klar, Klassik?“ habe ich die Diskussion ein wenig vorweggenommen. Zu hören sind Positionen von Bernhard Neuhoff von BR-Klassik, Hannah Schmidt von der Zeit und Michael Haefliger.
In diesem Sinne, halten Sie die Ohren steif!
Ihr
brueggemann@crescendo.de