KlassikWoche 17/2023

»Qualität statt Natio­na­lität«

von Axel Brüggemann

24. April 2023

Die Auswirkungen des neuen nationalistischen Rechtskurses Italiens auf die Kultur, die Einkommensschere zwischen fest angestellten und frei beruflichen Künstlern, KI und Musik.

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

heute geht es im Gespräch mit den Diri­genten Ádam Fischer und um Musik in Ländern mit natio­na­lis­ti­schen Regie­rungen, um die Bezah­lung frei­schaf­fender Musi­ke­rInnen, um einen alten Mann und eine junge Dame.

Musik unter Rechten

Nachdem Italiens Kultur­mi­nister Gennaro Sangiu­liano letzte Woche erklärte, dass Führungs­po­si­tionen in der Kultur zu oft von „Auslän­dern“ besetzt seien, wollte ich mehr wissen. Aber die Angst unter Kultur­schaf­fenden in Ländern mit Rechts-Regie­rung scheint groß zu sein. Gespro­chen wird nur hinter vorge­hal­tener Hand. Ein itali­en­weiter Kultur-Protest hat sich noch nicht formiert. Umso mehr möchte ich Ihnen meinen aktu­ellen Podcast Alles klar, Klassik? ans Herz legen, in dem es um Kultur in Ländern geht, die von Rechts­na­tio­nalen regiert werden. Einen, den der neue natio­na­lis­ti­sche Rechts­kurs Italiens treffen könnte, ist der Chef der Mailänder Scala, . Beson­ders gefähr­lich scheint Sangiu­lianos neue Bera­terin in Sachen Klassik: die Diri­gentin Beatrice Venezi. Musi­ka­lisch ist sie eher unbe­deu­tend, poli­tisch um so gefähr­li­cher. Ich habe ein Inter­view mit dem Diri­genten Fabio Luisi geführt. Er sagt: „Die Ankün­di­gungen von Italiens Rechts­re­gie­rung sind bedroh­lich, aber noch fehlt es der Regie­rung von Giorgia Meloni am Hand­werks­zeug, die Ankün­di­gungen auch umzu­setzen.“ Luisi warnt: „Posten dürfen nicht zur Frage der Natio­na­lität werden, sie müssen eine Frage der Qualität sein!“

Auch mit Ádam Fischer habe ich mich über die natio­nalen Strö­mungen seiner Heimat Ungarn unter­halten. Und seine Antworten sind wirk­lich hörens­wert: „Die Ungarn sind nicht für die Demo­kratie geboren, das wusste schon mein Vater“, sagt der Chef­di­ri­gent der Düssel­dorfer Sympho­niker in Düssel­dorf und hadert mit seinen Lands­leuten und der Regie­rung von Viktor Orbán. Er habe lange für die Demo­kratie gekämpft, sei aber resi­gniert, erklärt Ádam Fischer. Anders als wird er aber auch weiterhin in Ungarn auftreten: „Mit Ungarn ist es wie mit einer Familie – auch im größten Streit bleibt es ja die Familie.“ Manchmal liegt das Schlechte auch sehr nahe: In Nieder­ös­ter­reich regiert die natio­na­lis­ti­sche Partei, die FPÖ mit: Was passiert mit Rudolf Buch­bin­ders Grafenegg-Festival? Werden die Rechten die Kultur als Wohn­zimmer ihrer Politik benutzen? Der Kultur­chef der Wochen­zei­tung Falter aus Wien, Matthias Dusini, glaubt nein und sagt: „Das wäre über­ra­schend, da die bishe­rigen Rechts­re­gie­rungen mit FPÖ-Betei­li­gung die Kultur weit­ge­hend der ÖVP über­lassen haben.“ (Um den Podcast kostenlos auf Spotify zu hören, klicken Sie einfach auf das Bild unten).

Viele Töne, wenig Kohle

Eine neue Studie vom Deut­schen Musik­in­for­ma­ti­ons­zen­trum (miz) kümmert sich um die Einkom­mens­schere zwischen fest ange­stellten und frei­be­ruf­li­chen Musi­ke­rInnen: Fest­an­ge­stellte verdienen demnach durch­schnitt­lich 2.940 Euro netto im Monat, während es bei ihren frei­be­ruf­li­chen Kolle­ginnen und Kollegen nur 2.460 Euro sind (hier heben natür­lich die Spit­zen­ge­hälter den Schnitt).

Die soziale Schere gehe aber noch viel weiter ausein­ander, sagt Stephan Schul­meis­trat, Leiter des miz: Jeder fünfte Musik­schaf­fende verdiene laut Studie im Monat sogar unter 1.500 Euro. Das sei beson­ders paradox, weil Frei­be­rufler mehr verdienen müssen, um ihre Absi­che­rung im Vergleich zu Fest­an­ge­stellten selbst zu stemmen. Außerdem würden Frauen durch­schnitt­lich 24 Prozent weniger verdienen als ihre männ­li­chen Kollegen. Fast die Hälfte der Berufs­mus­zie­renden (48 Prozent) übt nebenher musik­päd­ago­gi­sche Tätig­keiten aus. Die höchsten Anteile finden sich unter den Frauen (52 Prozent) sowie bei über 60-Jährigen (59 Prozent).

Bayreu­ther Befind­lich­keiten

Jetzt geht es um Bayreuth, aber mal nicht um die Bayreu­ther Fest­spiele, sondern um das Festival Bayreuth Baroque. Es ist der freien Wähler­ge­mein­schaft Bayreu­ther Gemein­schaft ein Dorn im Auge. Eigent­lich sollte das durchaus erfolg­reiche Festival von Max Emanuel Cenčić nur für drei Jahre subven­tio­niert werden, sagt Poli­tiker Stephan Müller, jetzt scheine es Absicht zu sein, die städ­ti­sche Subven­tion in Höhe von 350.000 Euro „bis zum Sankt Nimmer­leinstag weiter­laufen zu lassen“. Bei den ehren­amt­li­chen Kultur­ver­einen der Stadt soll hingegen der Rotstift ange­setzt werden. „Diesen Weg gehen wir nicht mit“, sagt Müller.

Und am Ende kümmert sich die Bayreu­ther Gemein­schaft dann auch noch um ein Stück Wagner: Sie hat vorge­schlagen, dass von der Stadt Bayreuth recht­zeitig zum 150. Jubi­läum der Bayreu­ther Fest­spiele im Jahr 2026 eine Sonder­figur „“ bei der Firma Play­mobil in Auftrag gegeben wird. Na denn!

Perso­na­lien der Woche I

, der noch bis Ende dieser Saison Chef­di­ri­gent des London Symphony Orchestra ist, hat am Sonntag im Londoner Barbican Centre ein Protest­kon­zert der BBC Singers diri­giert. Die mussten ihren Arbeit­geber, die BBC, aber erst um Erlaubnis bitten, außer­halb der BBC auftreten zu dürfen. Rattle sagte der Times, es sei nicht die Zeit, diplo­ma­tisch zu sein: „Wir müssen die Menschen daran erin­nern, dass eine ganze Kunst­form bedroht ist.“

Wie unter­schied­lich doch Meinungen sein können: Während Felix Stephan in der Morgen­post erklärt, dass die Stim­mung zwischen den Berliner Phil­har­mo­ni­kern und ihrem Debü­tanten Klaus Mäkelä nicht stimmte, war Frederik Hanssen vom Tages­spiegel durchaus begeis­tert. Das Gute: Warten wir, bis das Konzert in der Digital Concert Hall bear­beitet ist – und dann kann sich jeder selber eine Meinung bilden. +++ Wenn Sie ein biss­chen Englisch können, empfehle ich Ihnen einen Text, wie es ihn nur selten in Zeitungen gibt: Gram­mo­phone hat einen epischen Artikel über den Kompo­nisten veröf­fent­licht – darin: so ziem­lich alles, was Sie über das Leben und die Musik dieses Künst­lers wissen müssen.

Domingo für Harteros

Ey, – ich finde deine Über­le­gungen zur Reform unserer Opern­land­schaft („Muss jedes Haus ein Ensemble haben?“, „Auch Welt­stars müssen in Pres­tige-Ensem­bles!“, „Wir brau­chen eine Debatte um neue Preis­struk­turen!“) durchaus span­nend und diskus­si­ons­würdig. Aber was soll denn das: Statt singt jetzt Plácido Domingo bei den Münchner Opern­fest­spielen? Das Netz lacht sich schlapp, auf Twitter wird schon gefragt, wann Domingo als Elsa oder Isolde debü­tiert.

Macht Serge Dorny jetzt auch Oper für den erlauchten Alt-Herren­club um , Markus Hinter­häuser und Opi? Leute – give future a chance! Viel­leicht mal in die USA schauen, wo MET-Chef und sein Diri­gent Yannick Nézet-Séguin 17 Gegen­warts­stücke in den nächsten fünf Jahren präsen­tieren wollen.

Perso­na­lien der Woche II

Joe Chialo

wurde von China einge­laden: Nach den russisch-chine­si­schen Konsul­ta­tionen ist Gergiev am National Centre for the Performing Arts aufge­treten. +++ An dieser Stelle haben wir uns gerade ausführ­lich mit Künst­li­cher Intel­li­genz und Musik beschäf­tigt. Im Pop hat nun die KI-Version eines Songs, der wie von Drake klang, für eine große Urheber-Debatte gesorgt: Beson­ders Labels fordern eine Abgel­tung ihrer Rechte. The Verge hat das Problem ausführ­lich bespro­chen. Sicher ist: KI wird vieles verän­dern, auch in der Klassik.

Wenn Jour­na­listen Poli­tiker lieben, dann liest sich ein Text so wie jener von Thomas E. Schmidt in der Zeit über Berlins neuen Kultur­se­nator Joe Chialo. Eine ulti­ma­tive Lobhu­delei. Span­nend wird, wie Chialo die Perso­nalie (Glück­wunsch zur Ehren­bür­ger­schaft!) ersetzen wird: Thie­le­mann, oder doch jemand anderes? Erstaun­lich still ist es um die desi­gnierte Inten­dantin – wen sie wohl favo­ri­siert? 

Und wo bleibt das Posi­tive, Herr Brüg­ge­mann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Viel­leicht ja hier: Auf meinen letzten News­letter und die Bilder von Lorenzo Viotti, der halb­nackt auf einem Bett mit sich selber spielt, habe ich SEHR VIELE (in Worten: „sehr viele!!!!“) Zuschriften bekommen! Na, Sie sind mir ja eine Leser­schaft: Von Auffor­de­rungen, das Bild nach­zu­stellen bis zu weiteren High­lights aus dem Netz, unter anderem von (Arbeits­titel: Klassik-Stars im Dschun­gel­camp, siehe oben), war alles dabei. Selbst der Vorschlag eines Diri­genten-Kalen­ders im Stil der Bäue­rinnen-Kalender: als Sumo-Ringer, Sir Simon Rattle als lockiger Samson oder Klaus Mäkelä, Franz Welser-Möst, , , Thomas Guggeis oder als einige der neun Musen – natür­lich mindes­tens mit freiem Ober­körper. Leider kann meine KI das nicht gene­rieren!!!! Aber mit habe ich mal eine Opern-Perfor­mance geschrieben, in denen auch die absur­desten Plat­ten­cover aller Zeiten eine Rolle gespielt haben. Weil Sie es nicht anders wollen: Hier ist die Top-Auswahl! Und das Verspre­chen: Im nächsten News­letter schlüpfe ich in die lustigste Pose, die Sie mir vorschlagen!

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

bueggemann@​crescendo.​de

Fotos: Laurence Chaperon