KlassikWoche 02/2023
2023: Der Klassik-Umbruch
von Axel Brüggemann
9. Januar 2023
Der Rücktritt von Daniel Barenboim und die Frage seiner Nachfolge, die Modernisierungspläne der Metropolitan Opera, die Gagen-Kürzungen in der Schweiz.
Willkommen in der neuen KlassikWoche,
Ich wünsche Ihnen ein großartiges neues Jahr! Es geht schon gleich turbulent los: befreiende Umbrüche, spannende Personalien, merkwürdige Gerüchte und lustige Parties! Also auf – ich freue mich auf ein neues Jahr mit Ihnen.
Weißt du, wie das wird?
Willkommen im Jahr 2023! Ich habe auf meinem Insta-Profil auch dieses Jahr eine vollkommen unrepräsentative Umfrage veranstaltet. Was wird das neue Jahr bringen? Manche Ergebnisse (siehe oben) haben mich durchaus erstaunt. Daniel Barenboim ist gerade als Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper Unter den Linden zurückgetreten. Wird Christian Thielemann ihn beerben? 78 Prozent glauben, ja – ich halte das noch nicht für ausgemacht. Was sagt Berlins linker Kultursenator Klaus Lederer? Was die designierte Intendantin Elisabeth Sobotka? Wie stellt Berlin sich die Zukunft überhaupt vor? Jünger, weiblicher oder einfach: weiter so? Da wird noch viel Wasser die Spree hinunterfließen. Sicher ist: Die Zukunft von Markus Hinterhäuser bei den Salzburger Festspielen wackelt – sein Vertrag müsste diesen Sommer verlängert werden. Er hat allerdings eine handfeste Klage gegen die Verträge bei den Festspielen am Hacken, laviert weiter in der Causa Teodor Currentzis und – vor allen Dingen: scheint keine künstlerischen Ideen für die Festspiele mehr zu haben.
Zukunftsfragen I: Jonas Kaufmann und das Regietheater
Man muss kein Prophet sein, um zu erkennen, dass 2023 ein Jahr des Wandels sein wird. Die Klassik reorganisiert sich, lange bewährte Muster haben sich abgenutzt. Aber die Beharrungskräfte sind groß. Nachdem bereits Dirigent Philippe Jordan das Regietheater als Schuldigen für die Zuschauerkrise ausgemacht hat, stößt Tenor Jonas Kaufmann nun ins gleiche Horn. In der Times macht er ebenfalls das Regietheater verantwortlich, dass wir „jetzt die Rechnung für die letzten Jahrzehnte zahlen“. Es würde nicht helfen, den Leuten in der Oper die Probleme der Welt ins Gesicht zu reiben – wenn man sich doch einfach nur mal entspannen will.
Aber soll die Oper denn so aussehen wie Jonas Kaufmanns Weihnachts-Videos? Und überhaupt: Gerade Länder, die Oper nicht aus der Gegenwart heraus befragen, sondern als andauerndes Museum präsentieren – Frankreich oder die USA – kämpfen derzeit am massivsten gegen den Publikumsschwund. Wie auch immer: Die Debatte wird uns verfolgen!
Zukunftsfragen II: Die Met wird modern
Antworten gibt die Met in New York derweil selber: Die immer gleichen Komponisten ziehen einfach kein Publikum mehr. „Die Herausforderungen sind größer, wir müssen uns neu erfinden“, sagt Intendant Peter Gelb. Eine Konsequenz: weniger Verdi, mehr GegenwartskomponistInnen. Denn es hat sich gezeigt, dass Terence Blanchards Fire Shut Up in My Bones und Kevin Puts« The Hours ausverkauft waren, während Verdis Don Carlo gerade mal 40 Prozent ausgelastet war. Könnte es sein, dass das Publikum und die Oper gar nicht so gestrig sind, wie viele es behaupten?
Zukunftsfragen III: Star-Gagen um 50 Prozent kürzen
Richtig wackeln im Klassik-Gebälk lässt es der Leiter der Schweizer Konzertreihe Migros-Kulturprozent-Classics, Mischa Damev. Gegenüber Christian Berzins erklärt er der dem St. Galler Tagblatt, dass er sowohl die Kartenpreise als auch die Star-Gagen zukünftig um 50 Prozent kürzen will. Künstlerinnen wie Khatia Buniatisvili werde er erklären, dass sie für weniger Geld auftreten müssen. Die Klassik würde das Publikum nicht mehr erreichen, neue Konzertformate müssten her. Man könne nicht das Publikum verantwortlich machen, dass es nicht mehr komme, sondern müsse sich an die eigene Nase fassen. Damev sieht keine Alternative zum radikalen Wandel, außer man veranstalte Festivals mit Kartenpreisen von 1000 Franken und den ewiggleichen Superstars, „so wie im 18. Jahrhundert“. Sicher ist: Wir haben viel zu diskutieren in diesen Umbruchszeiten!
Opi, die ZEIT und merkwürdige „Informanten“
Es scheint da draußen Menschen zu geben, die keine Lust haben, sich mit unseren Recherchen zu Teodor Currentzis und dem Putin-Kultur-Netzwerk auseinanderzusetzen. Sie machen journalistische Aufklärer lieber zu Tätern, als Konsequenzen aus den Fakten zu ziehen. Und das mit teilweise schäbigen Mitteln, wie ich in den letzten Tagen lernen musste. Schade, dass ausgerechnet die Zeit diesen Gerüchtestreuern auf den Leim gegangen ist. Gleich aus zwei Quellen will die Wochenzeitung erfahren haben, dass ich einst nach Perm (also an die alte russische Wirkungsstätte von Currentzis) „gepilgert“ sei. Nun war ich in meinem Leben noch nie in Perm, habe Teodor Currentzis auch nie persönlich getroffen! Doch die von mir durchaus geschätzte Kollegin der Zeit hat in ihrem Text zunächst auf zwei Seiten die Recherche-Ergebnisse von Alexander Strauch und mir nacherzählt (freilich ohne Angabe von Quellen), um dann die erlogenen Gerüchte als Fakten nachzuerzählen. Sie saß offensichtlich einem Informanten auf, der ihr (und vielen anderen, die dann allerdings bei mir nachgefragt haben) eine E‑Mail gezeigt hat, die ohne mein Wissen geschrieben wurde, nennt mich (das ist bei Currentzis-Verteidigern inzwischen Usus) „Blogger“, obwohl ich nicht einmal einen Blog betreibe und dichtete mir am Ende dann eben jene Pilgerfahrt nach Perm an.
Die Zeit hat die meisten Fehler inzwischen korrigiert (dass ich keine Mail an Anna Netrebkos Management geschrieben habe, hat sie zwar noch immer nicht kapiert) und immerhin unterschrieben, dass sie den Perm-Quatsch in Zukunft unterlässt. Wäre ja auch schade, wenn das Blatt auf Opi-Niveau absinken würde. Der hat übrigens gerade einen neuen Rekord aufgestellt: Ich habe bislang keinen Text von ihm gelesen, der rumpelstilziger, unverständlicher und vor allen Dingen falscher war als dieser vollkommene Quatsch, den ich lediglich verlinke, um das aktuelle Niveau der Currentzis-Verteidiger zu dokumentieren. Soll man dagegen auch vorgehen? Natürlich nicht, denn Die Zeit nehmen wir ernst, bei Opis Quasselbude halten wir es lieber mit Karl Valentin: „Das ignorieren wir nicht einmal.“ Auch, weil Opi in den letzten Jahren bei so ziemlich jedem Thema so herrlich falsch lag: bei Bachler und Salzburg, bei Thielemann und Bayreuth, in Sachen Netrebko und nun eben auch bei Currentzis und den Salzburger Festspielen. Hey, ORF, ihr wisst schon, dass so einer bei euch noch immer auf Sendung ist, oder? Wollen Sie noch ein Beispiel für vollkommen sinnbefreiten Gaga-Journalismus und Currentzis-Kult ohne Problembewusstsein? Okay, dann hier noch das Klassik-Gegacker der NDR-Jungs über ein Konzert in der Elbphilharmonie, den Krieg in der Ukraine und das Verlachen des kritischen Journalismus. Ach, Leute, wisst ihr was: Ich mache einfach trotzdem weiter!
Der Papst und die Musik
Als Joseph Ratzinger Papst Benedikt wurde, habe ich es genossen, mich an ihm zu reiben, obwohl – oder vielleicht weil – ich nicht mehr in der Kirche bin. Das spannende Unternehmen, den Glauben und die Wissenschaft zusammenzubringen, fasziniert mich bis heute. Und auch Ratzinges Blick auf die Musik ist durchaus spannend. Sowohl der Katholik Mozart als auch der Protestant Bach waren für ihn Wege zu Gott, während er in seinem sehr lesenswerten Essay Der Geist der Liturgie über Pop und Rock Folgendes verquirlte: „Das ist zum einen die Popmusik, die freilich nicht mehr vom Volk im alten Sinne getragen, sondern dem Phänomen der Masse zugeordnet ist, industriell hergestellt wird und letztlich als ein Kult des Banalen bezeichnet werden muss. Rock dagegen ist Ausdruck elementarer Leidenschaften, die in den Rockfestivals kultischen Charakter angenommen haben, den Charakter eines Gegenkultes zum christlichen Kult allerdings, der den Menschen im Erlebnis der Masse und der Erschütterung durch Rhythmus, Lärm und Lichteffekte von sich selbst befreit, in der Ekstase des Zerreißens seiner Grenzen den Teilhaber aber sozusagen in der Urgewalt des Alls versinken lässt.“ Nun ja.
Personalien der Woche
Was für eine Silvesterparty in Wien! Die Pianistin Yuja Wang hat ein ganz besonderes Foto aus der Österreich-Hauptstadt gepostet (siehe oben). Ein Bild, auf dem der Konzerthaus-Chef, die Dirigenten Klaus Mäkelä und Philippe Jordan und allerhand andere Leute ikonografisch auf so vielen Ebenen fast rubenshaft miteinander verbandelt sind, dass Kunsthistoriker ihre Freude hätten. 12 Apostel der Klassik, fünf Sirenen, ein Einsamer, zwei Verliebte und drei scheinbar heilige Könige. Na dann: Prosit Neujahr!!! +++ Der Geschäftsführer der Deutschen Musik- und Orchestervereinigung unisono, Gerald Mertens, ist unter die Podcaster gegangen. Der Titel seiner ersten Sendung: „Wie viel General steckt in einer Generalmusikdirektorin?“ Äh – hallo? Meint der Vertreter der Deutschen Musiker UND MUSIKERINNEN das wirklich ernst? Bei so viel Gespür für weibliche Perspektiven wäre die Antwort wahrscheinlich: neun Zentimeter? +++ Und wo wir gerade dabei sind, welcher Berater hat die Sopranistin Julie Fuchs nur ermuntert, halb nackt auf dem Titel des Opernglases zu posieren – logo, dass Plácido Domingo so etwas sofort reposted!
Lesenswert: der Essay über die Frage, ob DirigentInnen immer auch Despoten sein müssen im Spectator. Inspirierende Gedanken von Richard Bratby, denen der Film Tár mit Cate Blanchett zu Grunde liegt. +++ Im New Yorker setzt Alex Ross das für mich noch nicht ganz nachvollziehbare Klaus-Mäkelä-Bashing fort und bietet die 50-jährige chinesisch-amerikanische Dirigentin Xian Zhang als (bessere) Alternative, da sie produktiv an einem Ort wirkt, an. +++ Patrick Hahn bleibt Generalmusikdirektor der Wuppertaler Bühnen und setzt seine Arbeit bis zum Sommer 2026 fort. +++ Die Ukraine hat Dutzende russische Künstler und andere Personen des öffentlichen Lebens auf eine Sanktionsliste gesetzt. In dem am Samstag vom ukrainischen Präsidialamt veröffentlichten Dekret ist die in Wien lebende und als kremlnah in die Kritik geratene Opernsängerin Anna Netrebko.
Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?
Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier: Pünktlich zum Jahresbeginn haben wir unserem Podcast noch einmal einen leichten Relaunch verpasst. „Alles klar, Klassik?“ gibt es jetzt wieder wöchentlich. Jeweils im Wechsel: Eine Woche unterhalte ich mich mit Kulturmenschen, Leuten aus Politik und Wissenschaft über ein Schwerpunktthema im Deep-Dive. Die andere Woche gibt es das „Update“, in dem Dorothea Gregor vom Liz Mohn Center der Bertelsmann Stiftung und ich über aktuelle Themen der Klassik plaudern. Wenn Sie Lust haben: Hören Sie doch mal rein – die erste Folge des „Updates“ ist jetzt online, hier für Apple Podcast, für amazon, bei Spotify oder für alle anderen Anbieter (oder oben einfach via YouTube).
Ach ja, und dann kursiert ein neues Video vom wirklich lustigen und genialen Simon Mack im Netz: Dieses Mal hat der Arrangeur den Mickie-Krause-Ballermann-Hit Geh mal Bier holen als romantisches Kunstlied in Szene gesetzt. Aber weil das überall geteilt wird, hier zum Abschluss mein Liebling aus Macks YouTube-Schatztruhe: Zehn nackte Friseusen im Stile von Arnold Schönberg. Ich freue mich auf das gemeinsame Jahr mit Ihnen!
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!
Ihr
Axel Brüggemann