KlassikWoche 23/2023

Der Rechte, die Rechte, das Rechte

von Axel Brüggemann

5. Juni 2023

Die Reaktion des Intendanten der Salzburger Festspiele Markus Hinterhäuser auf den Protest von Cornelius Obonya, Jonas Kaufmann als neuer Intendant in Erl, das Foyer Public des Theaters Basel.

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

heute leider mit zu viel Rechtsd­rall, mit Netz-Spaß über die Ernen­nung von in Erl und einer drama­ti­schen Studie über die Rele­vanz von Kultur in Deutsch­land.  

Rechte in Öster­reich: Hinter­häu­sers Salto Mortale

Neuer­dings ist Öster­reichs Rechts-Partei (FPÖ) Teil der Salz­burger Landes­re­gie­rung von Landes­haupt­mann Wilfried Haslauer. Zahl­reiche Künst­le­rInnen haben dagegen protes­tiert, unter anderem Schau­spieler . Nur Salz­burgs Fest­spiel-Inten­dant plädiert – wenn auch selber kein FPÖ-Fan – für Zurück­hal­tung. Im Stan­dard sagt er: „Der Aufruf von Corne­lius Obonya ist von einer bemer­kens­werten gedank­li­chen Schlicht­heit.“ Klar, Hinter­häuser hat seinen Job dem neuen FPÖ-Koali­tionär Haslauer von der ÖVP zu verdanken. Darauf ange­spro­chen, antwortet er in typisch belei­digtem Unterton: „Das musste ja kommen. Aber, verzeihen Sie, so läppisch sollte man das nicht sehen. Noch einmal: Mir ist diese Koali­ti­ons­va­ri­ante alles andere als sympa­thisch, ich habe sie mir nicht gewünscht, aber sie ist nun einmal poli­ti­sche Realität.“ Viel­leicht sollte Hinter­häuser den Der Stan­dard aus dem Jahre 2000 lesen, da hat er selber noch mit Furor den dama­ligen Salz­burg-Inten­danten Gerard Mortier ange­griffen, nicht genü­gend gegen die FPÖ-Regie­rungs­be­tei­li­gung von Jörg Haider getan zu haben.

Als Hinter­häuser noch Haltung hatte, sagte er: „Jeder, der noch über einen Funken poli­ti­sche Intel­li­genz verfügt, muss in dieser Situa­tion seine Abscheu und seinen Wider­stand gegen diese Regie­rungs­form arti­ku­lieren.“ Mortier hatte damals mit Rück­tritt gedroht und diesen erst zurück­ge­zogen, nachdem 200.000 Menschen in Wien gegen die Rechts-Rechts Regie­rung protes­tiert hatten. Wie wichtig wäre es, wenn gerade Intel­lek­tu­elle wie Hinter­häuser auch jetzt wieder erklärten, dass die äußere Rechte eben KEINE Norma­lität im Polit-Betrieb sein sollte – erst recht nicht, wenn es, wie in Salz­burg, Alter­na­tiven gegeben hätte. Hinter­häuser fehlt aber leider das Format eines Mortier – er bleibt inhalt­lich wie poli­tisch: ein Oppor­tu­nist (für meinen ausführ­li­chen Kommentar klicken Sie einfach oben auf das Bild).

Rechte in Deutsch­land

Ich war gar nicht sicher, ob ich es falsch fand, dass der Cellist und AfD-Bundes­tags­ab­ge­ord­nete Matthias Moos­dorf bei einer Veran­stal­tung der Thea­ter­aka­demie aufge­treten ist. Ich tendiere dazu, das eher okay zu finden. Aber dann habe ich gelesen, wie Moos­dorf verbal auf seine Kritiker losge­gangen ist: Von „Ratten“ hat er geschrieben, von „Kaker­laken“, „von Subjekten“, die der „Arbeit zuge­führt“ werden müssten.

Moos­dorf hat die Kollegen , und vom Bad Blog Of Musick hemmungslos mit Nazi-Schimpf über­schüttet und seine Kritiker am Ende noch als Anti­se­miten und als neue Nazis umge­deutet. Klar: Das bedient die eigene, rechte Bubble, und Moos­dorfs Face­book-Post wurde mehr als 100 Mal geteilt – immerhin hat auch die Süddeut­sche ohne Schaum vor dem Mund berichtet. Am Ende ist es eben doch die Sprache, an der man den Frust erkennt – und die Menschen­ver­ach­tung der Menschen. Nach Moos­dorfs Äuße­rungen würde ich ihm mein Wohn­zimmer auch nicht mehr für Auftritte zur Verfü­gung stellen. Die Thea­ter­aka­demie erklärte inzwi­schen: „Wir bedauern, dass an dieser Gast­ver­an­stal­tung offen­kundig ein Musiker betei­ligt war, dessen Werte denen der Thea­ter­aka­demie August Ever­ding diame­tral entge­gen­stehen.“ 

Finde ich gut, geh« ich nicht hin!

Letzte Woche sorgte eine Befra­gung des Liz Mohn Centers der Bertels­mann Stif­tung für aller­hand Debatten. Der Rele­vanz­mo­nitor Kultur fand heraus: Ein Groß­teil der Deut­schen (91 Prozent) will Theater zwar der nächsten Gene­ra­tion über­geben und hält sie für einen Teil der deut­schen Iden­tität, aber faktisch besu­chen nur wenige Menschen die Häuser. 17 Prozent wollen kosten­lose Karten, 28 Prozent güns­ti­gere Tickets. Müssen wir da viel­leicht radikal umdenken? Ist es bei einer mit 150 Euro bezu­schussten Karte nicht auch egal, ob sie am Ende fünf oder 50 Euro kostet?

Eben­falls wurde heraus­ge­funden: Die Mehr­heit der Menschen will im Theater lachen. Aber 43 Prozent fordern explizit künst­le­ri­sche Expe­ri­mente, 61 Prozent poli­ti­sche Diskus­sionen auf der Bühne. Nur 63 Prozent wollen Klas­siker sehen, 73 Prozent dagegen neue und aktu­elle Stücke. Unter­schätzt das Publikum nicht! Denn – auch das zeigt die Studie – es hat durchaus krea­tive Ideen: Ein großer Teil der Befragten wünscht sich mehr Offen­heit im Theater, mehr Auftritts­mög­lich­keiten für Laien­gruppen, oder: mehr Leben in der Bude! Wer keine Lust hat, die ganze Studie zu lesen, Doro­thea Gregor vom Liz Mohn Center der Bertels­mann Stif­tung und ich bespre­chen sie in unserer neuen Ausgabe von Alles klar, Klassik? mit Domi­nique Meyer, , Sarah Wedl-Wilson, Simone Doll­mann, Jacob Bilabel und vielen anderen (hier für alle gängigen Player, wenn Sie den Podcast kostenlos auf Spotify hören wollen, einfach unten aufs Bild klicken). 

ERLe­digt: Jonas Kauf­mann wird Inten­dant

Wie das wohl wird? Muss das ZDF zu Weih­nachten jetzt von Dresden nach Erl ziehen? Wird nun sämt­liche Wagner-Opern bis 2056 insze­nieren? Oder wird der Fest­spielort in Tirol zum Sony-Impe­rium? Klavier­abende mit und Strauss-Lieder mit ? Wie auch immer: 43 Kandi­da­tInnen, die sich aufwen­diger beworben hatten, wurde kurzer­hand abge­sagt, als Haupt­sponsor Hans Peter Hasel­steiner witterte, dass Jonas Kauf­mann Nach­folger von als Inten­dant am Fest­spiel­haus in Erl werden könnte. Eine Ernen­nung „primus et unicus“, wie es hieß. Am Ende zählt in Erl nicht die Qualität, sondern der Name. Das erin­nert ein biss­chen an die Verpflich­tung von Oliver Kahn als Bayern-Manager. Dort wurde aller­dings schnell klar: Wer gut spielt, plant noch lange nicht gut. Viele Reak­tionen im Netz waren humor­volle Höchst­leis­tungen: „ERLe­digt“, hieß es auf Twitter, oder „Singt er jetzt wenigs­tens weniger?“ – Ich speku­lierte, ob Öster­reich dann bald für die Salz­burger Fest­spiele benennt, für Grafenegg und für Bregenz? Auf Face­book kommen­tierte mit Augen­zwin­kern, man solle sie bitte nicht vergessen! Kauf­mann hat in letzter Zeit immer wieder kritisch gegen das Regie­theater pole­mi­siert. Erl dürfte zum Hort des Gesterns werden. Kauf­manns Vertrag läuft bis 2030. Und er hat ange­kün­digt, in Erl auch singen zu wollen.

Florenz vor der Pleite

Dass auch alte Inten­danten-Haudegen nicht immer alles richtig machen, zeigt sich derzeit in Florenz: Das Teatro del Maggio Musi­cale Fioren­tino räumt die Ära von auf und muss 8,5 Millionen Euro Defizit ausglei­chen. Gegen den Ex-Inten­danten ermit­telt die Staats­an­walt­schaft: Sänge­rInnen klagen und das Maggio Musi­cale über­legt, ob es sein Archiv verkaufen muss, um zu über­leben. 

Perso­na­lien der Woche

Die Zeit debat­tiert mal wieder, ob Milli­ardär Klaus-Michael Kühne der Stadt Hamburg ein neues Opern­haus schenken soll. Und kommt zur Erkenntnis: Das würde die Akzep­tanz­krise des (eigent­lich ja schönen) Hauses auch nicht lösen. +++ Aus gege­benem Anlass. Eine Geigerin hatte ihre 100.000-Euro-Geige in einem Zug vergessen. Im rbb erzählt der Direktor des Deut­schen Symphonie-Orches­ters Berlin, Thomas Schmidt-Ott, über Verlust­angst, Musiker im Bistro und Taschen­tü­cher.

Anna Netrebko verkauft angeb­lich ihr New-York-Appart­ment in der Nähe des Lincoln Square – das berichtet das Online­portal Opera­wire. Zuvor hatte die MET bekannt gegeben, dass sie die Sängerin derzeit auf Grund ihrer Nähe zu Russ­land nicht mehr enga­gieren will. +++ Seit 1.000 Tagen wird die bela­ru­si­sche Oppo­si­tio­nelle einge­sperrt, seit Monaten dürfen ihre Verwandten nicht mehr spre­chen. Auch von anderen bekannten poli­ti­schen Gefan­genen gibt es keine Nach­richten, der Spiegel versucht, sich der poli­ti­schen Akti­vistin und der klas­si­schen Flötistin anzu­nä­hern. +++ Sie war eine der meist gespielten Kompo­nis­tinnen unserer Zeit und wurde von vielen Kolle­gInnen geschätzt. Nun ist die Finnin mit 70 Jahren an den Folgen eines Gehirn­tu­mors verstorben

Und wo bleibt das Posi­tive, Herr Brüg­ge­mann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Viel­leicht diese Woche ja in Basel. Denn dort hat man einige Umfrage-Ergeb­nisse der Bertels­mann-Studie schon voraus­ge­sehen: Viele Menschen erwarten mehr Laien­gruppen an unseren Thea­tern. Das Theater Basel betreibt dafür ein „Foyer Public“, ein offenes Foyer: Hier können alle, die wollen, zusam­men­sitzen, spielen, lesen, chillen, tanzen, arbeiten oder einfach da sein. Der Raum lädt zu unter­schied­lichsten Akti­vi­täten ein, ist konsum­frei und von Dienstag bis Sonntag jeweils von 11:00 bis 18:00 Uhr geöffnet. „Nutzt die Bühnen, die Frei­flä­chen, die Work­shop-Räume, die Arbeits­plätze, die Zweig­stelle der GGG Stadt­bi­blio­thek, die Sofagruppen, die Kinder­ecke und vieles mehr“, heißt es auf der Website des Thea­ters. So könnte es aussehen, wenn unsere Insti­tu­tionen ihre Türen öffnen!

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

brueggemann@​crescendo.​de