KlassikWoche 26/2022

Noch irgend­je­mand ohne Nomi­nie­rung?

von Axel Brüggemann

27. Juni 2022

Teodor Currentzis’ Nähe zu Putins Russland und die Haltung der Salzburger Festspiele, die Vorbereitungen in Bayreuth, Daniele Gatti als neuer Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden.

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

der Fest­spiel-Sommer kommt immer näher, noch sind einige Fragen offen. Außerdem schmun­zeln wir mal wieder über den OPUS und suchen nach Gleich­be­rech­ti­gung. 

Öster­reich stellt Hinter­häuser in Schuss­linie

Hammer, Haslauer, Salzburger Festspiele

Ich habe letzte Woche verspro­chen, Mitglieder des Kura­to­riums der Salz­burger Fest­spiele anzu­schreiben, um zu sehen, wie sie sich zu den neuen Erkennt­nissen rund um und musi­cAe­terna posi­tio­nieren. Nachdem bekannt wurde, dass der Diri­gent dem Chef der umstrit­tenen Putin-Bank VTB angeb­lich Treue geschworen habe und dass Curr­entzis mit seinem Orchester auf Gazprom-PR-Tour war, scheint die öster­rei­chi­sche Politik eine Stan­dard-Antwort vorbe­reitet zu haben, die Curr­entzis« offen­sicht­liche Russ­land-Nähe voll­kommen igno­riert und schon jetzt für den Fall der Fälle vorbeugt. Poli­tiker wie Salz­burgs Landes­haupt­mann Wilfried Haslauer schieben die gesamte Verant­wor­tung auf Inten­dant ab. Das Kura­to­rium wolle nicht in künst­le­ri­sche Belange eingreifen, heißt es, „die künst­le­ri­schen Entschei­dungen werden nicht vom Kura­to­rium oder der Politik getroffen“. Eine Argu­men­ta­tion, die an in Sachen Docu­menta erin­nert. Dort hat sich gezeigt, dass es ein Fehler ist, wenn die Politik nicht die Notbremse zieht.

Gerade, wenn staat­lich geför­derte Kultur gegen die Stra­tegie und das Inter­esse des eigenen Landes agiert (Europas Russ­land-Boykott wird durch das Handeln der Fest­spiele konter­ka­riert), muss die Politik eingreifen – genau dafür ist ein solches Kura­to­rium ja da! Doch Haslauer igno­riert die reale Fakten­lage und verliert sich in Allge­mein­plätzen: „Die Salz­burger Fest­spiele haben ihre Ableh­nung des Krieges und die Distan­zie­rung von allen Personen, die krie­ge­ri­sche Hand­lungen setzen oder unter­stützen oder befür­worten, klar ausge­drückt (…) Nach ausführ­li­cher Diskus­sion hielt das Kura­to­rium fest, dass man im Sinne des Grün­dungs­auf­trages der Salz­burger Fest­spiele keine Stig­ma­ti­sie­rung von Künst­le­rinnen und Künst­lern zulassen dürfe, so fern sie sich nicht aktiv für den Krieg ausspre­chen.“ Kann man Curr­entzis« VTB-Treue und seine neu entdeckte Gazprom-Liebe anders auslegen, als dass er auf Seiten von Putins Russ­land steht? Trotz mehr­fa­cher Auffor­de­rung – auch von Hinter­häuser – weigert er sich beharr­lich, eine Stel­lung­nahme abzu­geben und stellt sich immer tiefer in den lukra­tiven Dienst Putins. Ebenso wie bei der Docu­menta scheint da gerade ein Zug vor aller Augen auf eine Wand zuzu­rasen – die Politik hat sich schon mal in Sicher­heit gebracht, Hinter­häuser sitzt ziem­lich allein in der Loko­mo­tive. Und seine Präsi­dentin lackiert sich derweil die Finger­nägel. 

Sanie­rung in Salz­burg?

Aber es gibt sie auch eine gute Meldung: Bis 2030 sollen neue Werk­stätten, Probe­räume und Garde­roben auf zusätz­li­chen 11.000 Quadrat­me­tern für das Salz­burger Fest­spiel­haus entstehen. Da die Altstadt nicht ange­tastet werden darf, erfolgt die Erwei­te­rung größ­ten­teils unsichtbar: im Mönchs­berg. Mit den ersten Bauar­beiten soll im Herbst 2024 begonnen werden. Die ursprüng­li­chen Kosten­schät­zungen von 262 Millionen Euro sind mitt­ler­weile über­holt. Kalku­liert wird nun mit 335 Millionen. Die Kosten teilen sich Bund (40 Prozent), Land und Stadt Salz­burg (je 30 Prozent). Die Geneh­mi­gung der Pläne steht noch aus.

Bayreu­ther Vorbe­rei­tungen

Festspielhaus Bayreuth

Die dpa hat bereits ein wenig hinter die Kulissen der Bayreu­ther Fest­spiele geschaut. Den vier­tei­ligen Ring insze­niert Valentin Schwarz, die musi­ka­li­sche Leitung hat inne. Regis­seur bei Tristan und Isolde ist Roland Schwab, Diri­gent . Auf Twitter gibt der Gene­ral­mu­sik­di­rektor der Staats­oper Stutt­gart immer wieder kleine Einblicke in die Proben­ar­beit, kürz­lich schrieb er, dass Regis­seur Schwab alle inspi­riere. Und er lobte den Enthu­si­asmus von und Cathe­rine Foster, die die beiden Titel­par­tien singen.

Einblicke gab Roland Schwab auch schon selber (in der letzten Folge des Podcasts „Alles klar, Klassik?“) und erklärte, dass es ihm um das Tran­szen­dieren gehe und dass man mit einer tech­ni­schen Inno­va­tion auf der Bühne rechnen könne. Außerdem wird die Götter­däm­me­rung wohl im Kino über­tragen, und ich freue mich, das Publikum bei freiem Eintritt am 27. Juli und 2. August durch das Bayreu­ther Fest­spiel-Open-Air mit groß­ar­tigen Stimmen führen zu dürfen (hier der ganze Plan des Sommers). 

Gleich­be­rech­ti­gung – USA vs. Hamburg 

Die USA, könnte man derzeit glauben, reisen gerade zurück ins Mittel­alter. Aller­dings nicht, was die aufge­führten Orches­ter­werke von Frauen und farbigen Kompo­nis­tInnen betrifft. Inzwi­schen stammen 23 Prozent aller Orches­ter­ar­beiten in den USA aus der Feder von Frauen oder farbigen Musi­ke­rInnen – 2015 waren es nur fünf Prozent! Und in Deutsch­land? In Hamburg hat eine „Kleine Anfrage“ der Linken im Senat ergeben, dass Frauen 41 Prozent der Regie­ar­beiten über­nehmen, aber nur 13 Prozent der Regie­gagen kassieren. Männer indes über­nehmen 59 Prozent der Regie­ar­beiten und kassieren 87 Prozent der Regie­gagen. 

OPUS-absurd

OPUS KLASSIK

Sie wollen die ganze Absur­dität des OPUS KLASSIK kennen­lernen? Bitte­schön! Wieder haben diese Woche zahl­reiche Musi­ke­rInnen gepostet, dass sie für den Preis nomi­niert seien. Kein Wunder, denn es wäre wahr­schein­lich leichter, die NICHT-Nomi­nierten aufzu­listen als die Nomi­nierten.

Allein in der Kate­gorie „Diri­gent des Jahres“ sind dieses Jahr unter anderem nomi­niert: Philipp Ahmann, Giovanni Anto­nini, Daniel Baren­boim, Andrea Battis­toni, Ingar Bergby, Tabita Berg­lund, Frieder Bernius, Herbert Blom­stedt, Fabrizio Maria Carmi­nati, Daniel Cohen, Teodor Curr­entzis, Stanley Dodds, Gustavo Dudamel, Maxim Emely­any­chev, Laurence Equilbey, Chris­toph Eschen­bach, Bern­hard Forck, Riccardo Frizza, Leonardo García Alarcón, John Eliot Gardiner, Rein­hard Goebel, Mirga Graži­nytė-Tyla, Daniel Gross­mann, Peter Gülke, Mathieu Herzog, Heinz Holliger, Jakub Hrůša, Marek Janowski, Phil­ippe Jaroussky, Paavo Järvi, Vladimir Jurowski, … ach, verdammt: wir sind erst bei „K“ … es folgen noch 31 weitere Namen. Ich glaube, die Willkür und Sinn­lo­sig­keit dieses Preises hat sich damit dann wohl selber offen­bart! 

Perso­na­lien der Woche

Daniele Gatti

also – wir haben es an dieser Stelle bereits befürchtet: Die Säch­si­sche Staats­ka­pelle will ihn als Nach­folger von . Warum? Keine Ahnung! Der Diri­gent, der 2018 nach Diskus­sionen um Fehl­ver­halten beim Concert­ge­bou­wor­kest in Amsterdam gefeuert wurde, steht nicht gerade für sprü­hende musi­ka­li­sche Ideen, nicht für Nähe zum Publikum und ist auch kein Diri­gent, der inter­na­tio­nale Gast­spiele mit seinem Namen ausver­kauft. Gatti ist ein „Zurück in die Zukunft“, oder wie Kollege Manuel Brug es sagt: „Dem Betrieb scheint, allem Rufen nach weib­li­cher, jüngerer, diverser Leitung, Gatti immer noch wichtig genug. Trotz der Miss­brauchs­vor­würfe hat ihn im Macho­land Italien die Oper Rom sofort als Musik­chef enga­giert. Gegen­wärtig steht er bei dem vom Uralt-Inten­danten geführten Maggio Musi­cale Fioren­tino als Chef­di­ri­gent im Brot.“ +++ Der letzte Film mit Musik von John Williams? Momentan arbeite er an Indiana Jones 5, sagte der 90-jährige Kompo­nist. Der Aben­teurer wird erneut von Harrison Ford gespielt, und „der ist ein Stück­chen jünger als ich“, sagte Williams. Ford habe ange­kün­digt, dass das sein letzter Film sein könnte – und das Gleiche könnte auch für den Kompo­nisten gelten. +++  glaubt offenbar nicht mehr an eine Rück­kehr in die USA, sie soll Ihr Pent­house in New York für 7,5 Millionen zum Verkauf ange­boten haben. Auch die New York Times widmet der umstrit­tenen Sängerin nun einen eher kriti­schen Text, in dem es heißt, dass Netrebko vorhaben solle, in einer arbeits­recht­li­chen Beschwerde mehr als 350.000 Dollar von der Metro­po­litan Opera in New York zu fordern. +++ Der Tenor Peter Maus ist gestorben. Von 1974 bis 2013 war er an der Deut­schen Oper Berlin. 1995 wurde er zum Hono­rar­pro­fessor an der Univer­sität der Künste Berlin berufen und am 2. Juli 2001 zum Berliner Kammer­sänger ernannt.

Wo bleibt das Posi­tive, Herr Brüg­ge­mann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Diese Woche viel­leicht in Gütersloh – dort beginnt, endlich wieder in Präsenz – der Wett­be­werb NEUE STIMMEN. Aber braucht man Wett­be­werbe über­haupt noch? Wem helfen sie? Wer kann darauf verzichten? In der neuen Ausgabe meines Podcasts rede ich mit dem Geiger (er befürchtet, Wett­be­werbe verhin­dern Indi­vi­dua­lität), mit Ines Koring von NEUE STIMMEN und mit Boris Matchin und Amadeus Temp­leton von Tonali (sie haben den Tonali-Wett­be­werb gegen eine andere Ehrung einge­tauscht), außerdem dabei: der Schweizer Mäzen Adrian Flury. Hören Sie doch mal rein (hier der Link zu allen gängigen Podcast-Playern)! 

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

Axel Brüg­ge­mann

brueggemann@​crescendo.​de

Fotos: Matthias Creutziger, Barbara Gindl / APA / picturedesk.com, Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath, Markus Nass