KlassikWoche 28/2022
Spot an, Licht aus!
von Axel Brüggemann
11. Juli 2022
Die Folgen der Strompreissteigerungen für den Klassik-Betrieb, die Bitte um Entschuldigung des Opernsängers René Pape, der 95. Geburtstag von Herbert Blomstedt.
Willkommen in der neuen KlassikWoche,
in der man sich ein bisschen fühlen könnte, als hätte sich die Klassik-Welt in den letzten Jahren nicht ein Stückchen weitergedreht: Anna Netrebko verbeugt sich samt Gatten und Kollegen Groissböck in der Arena di Verona als schwarz geschminkte Aida, an der Wiener Staatsoper schäkern Plácido Domingo, Rolando Villazón und Cecilia Bartoli durch eine Rossini-Gala, und Teodor Currentzis probt mit dem Gustav Mahler Jugendorchester – war was? Ist was? Ehrlich gesagt, das war nicht meine Klassik-Woche! Vor allen Dingen nicht, wenn man bei unserem ersten Thema sieht: Es wird nicht weitergehen, wie es war.
Licht aus, Strom aus – Kultur aus
In der letzten Woche habe ich einige Gespräche mit Managern von Theatern, Opern- und Konzerthäusern geführt – und überall schwangen Angst und Hilflosigkeit mit. Die Aussagen glichen sich von Berlin bis Wien: „Die kommende Saison kriegen wir irgendwie über die Runden, aber wie wir die Saison 2023/2024 finanzieren sollen – keine Ahnung!“ Allein die Energiepreissteigerungen machen an einem normalen Opernhaus viele 100.000 Euro pro Saison aus. Hinzu kommen die gerade beschlossenen, höchsten Tarifsteigerungen im Bühnenbetrieb, die aktuelle Inflation – und all das bei aktuellem Publikumseinbruch. Bei vielen Geschäftsführern schrillt die Alarmstufe Rot, unsere Theater sind mit diesen Preissteigerungen handlungsunfähig. Hinzu kommt der Engpass beim Gas.
In einem internen Schreiben befürchtet der Bühnenverein bereits eine ähnliche Situation wie zur Corona-Zeit, denn im Notfallplan des Städtetages werden Kultureinrichtungen weiterhin als „Freizeiteinrichtungen“ geführt und sollen als erstes Gas einsparen. „In der Zeit der behördlichen Schließungen von kommunalen Einrichtungen im Zuge der Corona-Pandemie waren die Bühnen in diesen Bereich einbezogen worden, wogegen sich der Bühnenverein im Namen seiner Mitglieder bundesweit und die Mitglieder jeweils vor Ort heftig verwehrt haben“, heißt es in einer Aussendung. „Für den Fall, dass dies wieder eintritt, wird hier erneut Überzeugungsarbeit zu leisten sein, dass Bühnen und Orchester nicht als ‚Freizeiteinrichtungen‘ zu qualifizieren sind. Besonders darauf hinzuweisen ist auch, dass der Städtetag in der beigefügten Anlage, die Einsparpotenziale beispielhaft aufzählt, in Punkt 6 bei der möglichen Abschaltung von Außenbeleuchtung an öffentlichen Gebäuden ausdrücklich das Wort ‚Oper‘ benutzt. Auf unsere Nachfrage hat der Deutsche Städtetag bestätigt, dass dieser Begriff lediglich exemplarisch verwandt wurde. Es zeigt, dass die Bühnen in den Fokus der öffentlichen Gebäude einbezogen sind.“
Netrebko und Currentzis – ungleiche Maßstäbe?
In der Arena von Verona tritt Anna Netrebko wieder auf (wir reden hier mal nicht vom schamlosen Blackfacing in der Aida), in Stuttgart formiert sich dagegen weiterhin Protest. Das Land hält nach Angaben des Finanzministeriums einen Auftritt der Sängerin nicht für vorstellbar, während der Krieg in der Ukraine tobt. Das Netrebko-Konzert auf dem landeseigenen Platz vor dem Neuen Schloss war für den 3. September geplant. Zuerst hatte die Stuttgarter Zeitung darüber berichtet. Ich habe an dieser Stelle bereits mehrfach klar gemacht, dass auch ich keine Lust auf ein Konzert mit Anna Netrebko hätte, dass ich ihre Positionierung für unglaubwürdig halte – aber: Immerhin, sie hat sich positioniert! Was mir indes nicht in den Kopf geht: Wenn man Netrebko nicht auftreten lassen will, wie kann man dann zulassen, dass Teodor Currentzis auch weiterhin Chef des größten Orchesters in Baden-Württemberg, beim SWR, ist, ein Dirigent, der Putins System offensichtlich nahesteht, der von ihm profitiert und weitere Nähe sucht, der noch nach dem 24. Februar auf Gazprom-Tour ging, kürzlich auf Putins Wirtschaftsforum auftrat und vom VTB-Bank-Chef als Freund Russlands gefeiert wird. Näher kann man dem korrupten System Russlands kaum stehen – und eine Positionierung von Currentzis gibt es auch nicht. Was sagt der Vorzeige-Grüne Winfried Kretschmann eigentlich dazu, dass sein Vorzeige-Orchester von einem Dirigenten geleitet wird, der offensichtlich gleichzeitig in Lohn und Brot bei Putin steht?
Ach ja, letzte Woche habe ich an dieser Stelle versprochen, dass wir uns auch um die Sponsoren der Salzburger Festspiele kümmern – die Anfragen sind gestellt, die Fragen werden geprüft, Ergebnisse, etwa von Siemens, wurden mir für Mitte nächster Woche versprochen. Bis dahin empfehle ich die Recherche von Alexander Strauch, der für die NMZ erklärt, warum die Trennung der Festspiele von Solway nur ein erster Schritt sein kann und warum das Geld von Leonid Mikhelson mindestens so dreckig ist. Alternativ könnte man natürlich auch österreichische Medien lesen, in denen Currentzis« Aktivitäten der letzten drei Monate mal eben kurz totgeschwiegen, „aktionistische“ Journalisten für die nervige Diskussion ausgemacht, Markus Hinterhäuser mit Unschuldsmiene („Currentzis wird eine Heimat im Westen finden“) zitiert und der Musikfreund, der „einfach nur gute Musik hören will“, als non plus ultra gefeiert wird. Genau: Was geht uns dieser Scheiß Krieg an, wenn Salzburger Festspiele sind! Leute, merkt Ihr noch was? Wie kann man die Kriegsverbrechen, die wir jeden Abend im Fernsehen verfolgen, von einem Orchester und einem Dirigenten entkoppeln, die nachweislich von Putins Élite getragen werden? Ach ja, und ich habe in einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk die Sache auch noch mal eingeordnet.
About Last Week
Nachdem mir letzte Woche mehrere Leute die Screenshots von René Papes homophoben Kommentaren auf Facebook geschickt hatten, habe ich überlegt, wie ich damit umgehe (und mich letzten Montag entschlossen, die Passagen an dieser Stelle zu veröffentlichen, was schon am Nachmittag dazu geführt hat, dass der Post überall debattiert wurde). Ich habe gezögert, auch, weil ich René Pape schätze – nicht nur als Sänger. Ich weiß, dass er durchaus sensibel sein kann, dass er Interesse hat, an der Welt und den Menschen. Ich hatte so viele spannende Gespräche mit ihm – und freue mich auf weitere! Aber ich weiß auch, dass es immer wieder Aussetzer gibt. Die hat er nun in seiner Entschuldigung auf Facebook selber erklärt: „Ich bin Alkoholiker und kämpfe mit Depressionen, seit ich mich erinnern kann. Ich ringe immer wieder mit einem Dämon, der das Schlimmste in mir zum Vorschein bringt. Es gibt keine Entschuldigung für das Verhalten, das daraus hervorgeht. Ich habe keinen endgültigen Sieg gegen diesen Dämon vorzuweisen, lediglich eine Reihe gewonnener und verlorener Schlachten.“ Pape weiter: „Ich werde mich diesen Sommer auf meine Gesundheit fokussieren, nicht nur für mich selbst, sondern auch, um in Zukunft für alle anderen ein besserer Mensch sein zu können. Ich möchte die LGBTQIA+ Community und Euch alle aufrichtig um Entschuldigung bitten.“ Vielleicht ist es gut, dass alles so gekommen ist – der Kampf geht weiter, er ist ernst, und ich wünsche René Pape, dass er ihn langfristig gewinnt.
Personalien der Woche
Die New York Times porträtiert den Regisseur Tobias Kratzer und verrät darin auch, dass der Regisseur des großartigen Bayreuther Tannhäuser den nächsten Ring an der Bayerischen Staatsoper in Szene setzen wird. +++ Der schwedische Sänger John Lundgren gibt bei den Bayreuther Festspielen die Titelpartie in der Wagner-Oper Der fliegende Holländer ab. Vor vier Wochen hatte er bereits seine Rollen im Ring des Nibelungen zurückgegeben. An seiner Stelle übernimmt Thomas J. Mayer. +++ Corona ist nicht zu unterschätzen, Jonas Kaufmann hat sich noch immer nicht von seiner COVID-Erkrankung erholt und musste nun auch seine Auftritte in London absagen. Gute Besserung! +++ Berlins Staatsopern-Intendant Matthias Schulz beklagt in der Morgenpost den Fachkräftemangel in der Klassik: „Fachkräftemangel macht definitiv auch vor der Staatsoper nicht halt. Gerade in der technischen Abteilung werden viele gute Fachkräfte gebraucht, die bereit sind, zu besonderen Arbeitszeiten am Wochenende und an Feiertagen da zu sein. Man merkt zunehmend, dass Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zunehmend Wert auf die richtige Balance im Leben legen.“ +++ Ob Dresden sich schon über seine Entscheidung für Daniele Gatti ärgert? Am Wochenende war der designierte Staatskapellen-Chef in Dresden – allein: Das Publikum kam mehr als spärlich. Warum nur fehlte der Kapelle der Mut zum Neuanfang?
Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?
Ja, wo zum Teufel bleibt es nur? Nun, da auch der Podcast „Alles klar, Klassik“ in der Sommerpause ist. Zumindest da kann ich eine Überbrückung anbieten. Ich war zu Gast im Podcast neue musik leben der Sängerin Irene Kurka (hier auf allen Playern nachzuhören) und habe mich launig mit ihr über das Leben eines Musikjournalisten unterhalten, über Freiheit, Zwänge, Sehnsüchte und die kleinen Freuden in der großen Oper. Und noch etwas Positives: Herbert Blomstedt wird heute 95 Jahre alt! Ein Dirigent, der Geschichte gelebt und Bleibendes geschaffen hat. Jedes Gespräch mit ihm ist ein Jungbrunnen. In diesem Interview, das ich mit ihm geführt habe, geht es um die Musik an sich (einen weiteren Teil finden Sie hier). Alles Gute, Herr Blomstedt!
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!
Ihr
Axel Brüggemann
brueggemann@crescendo.de