KlassikWoche 29/2021

Wie wirft man einen Inten­danten raus?

von Axel Brüggemann

19. Juli 2021

Die Sonderregelung von Teodor Currentzis’ MusicaAeterna in Salzburg, der Rauswurf von Peter Spuhler in Karlsruhe

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

heute gibt es einiges aufzu­ar­beiten: Wir nehmen noch einmal unter die Lupe und beschäf­tigen uns mit der Ohnmacht der Kultur­po­litik gegen­über Kultur­ma­na­gern mit Führungs­schwä­chen.

CURR­ENTZIS« musi­cAE­TERNA MIT SONDER­RE­GELN IN SALZ­BURG

Hinter den Kulissen der soll es für Irri­ta­tionen gesorgt haben, dass viele Musi­ke­rInnen des Orches­ters , das mit Teodor Curr­entzis die „Don Giovanni“-Première spielen soll, nicht oder ledig­lich mit Sputnik V geimpft seien und aus Risi­ko­ge­bieten kommen. Angeb­lich stand die Anreise kurz­weilig sogar auf der Kippe. Nun wird doch geprobt und ein eigenes Sicher­heits­kon­zept für das Orchester mit drei Tests pro Woche geplant. Wie kompli­ziert es ist, gerade zusam­men­ge­wür­felte Orchester sicher zu machen, zeigt sich beim Festival, wo die Academy unter­bro­chen und die Konzerte des Grafenegg Academy Orchestra abge­sagt werden mussten, nachdem eine Musi­kerin positiv auf SARS-Cov‑2 getestet wurde. Die Salz­burger Fest­spiele werden übri­gens mit voller Auslas­tung an den Start gehen, gleich­zeitig hält Fest­spiel­in­ten­dant Markus Hinter­häuser volle Fußball­sta­dien gegen­über dem BR für eine „bemer­kens­werte Rück­sichts­lo­sig­keit“.

Ach ja, und weil wir gerade dabei sind: Sängerin hat mir geschrieben, mit grie­chi­schem Herzen gegrüßt und will allen Speku­la­tionen rund um die Beethoven-„Playback“-Siebte von Teodor Curr­entzis auf (hier direkt ansehen) den Garaus machen: „Lieber Axel, gerade lese ich die Crescendo-News und wollte mich sofort in der Sache Curr­entzis in melden. Eine Freundin von mir arbeitet für das World Human Forum, das das alles orga­ni­siert hat … sie hat mir während der Probe­tage immer Bilder und Texte über all die Aufwen­dig­keiten zukommen lassen. Ich sage dir, mehr live und wahr­haftig geht nicht mehr!! Das kannst du dem Publikum, das so sehr in Zwei­feln liegt, gern mitteilen! Aus erster Hand einer Herz-Grie­chin!“ Ist erle­digt, liebe Marlis Petersen 🙂 – und dazu auch noch der Video-Beweis-Link, den Marlis Petersen mir geschickt hat. 

THIE­LE­MANN IN FRIEDEN MIT DRESDEN

hat sich zum ersten Mal zu seiner Nicht-Vertrags­ver­län­ge­rung in Dresden zu Wort gemeldet: Es sei „jetzt eine neu gewon­nene Frei­heit, die man zur Quali­täts­si­che­rung nutzen kann“, sagte er im Inter­view der Passauer Neuen Presse. Die Nicht-Verlän­ge­rung seines bis 2024 laufenden Vertrages sei „eine Über­ra­schung“ gewesen, aber „in Ordnung“. Er habe während seiner Jahre in Leitungs­po­si­tionen viele andere Anfragen renom­mierter Häuser und Orchester aus Zeit­gründen absagen müssen. „Jetzt werde ich sie haben.“ So entspannt haben wir das an dieser Stelle schon immer gesehen – geht doch.

SALZ­BURG VS. BAYREUTH

Da dieses der News­letter zum Mitma­chen ist, hier das (natür­lich unre­prä­sen­ta­tive) Ergebnis der kleinen Umfrage auf meinen Insta- und Face­book-Profilen, an der sich immerhin einige hundert Leute betei­ligt haben. Es ging um einen augen­zwin­kernden Vergleich der Fest­spiele in Salz­burg und . Das Ergebnis ist ziem­lich ausge­gli­chen: Bayreuth liegt in Sachen Skandal und Tradi­tion vorne, Salz­burg beim Glam-Factor und in Sachen Stim­mung. Hier das komplette Ergebnis:

ENGLAND WILL SPOTIFY BEKÄMPFEN

Briti­sche Parla­men­ta­rier haben sich ausführ­lich mit Strea­ming­diensten und der Bezah­lung von Musi­kern beschäf­tigt. Nun fordern sie einen radi­kalen Wandel der Struktur. Man müsse das Geschäfts­mo­dell auf den Kopf stellen, fordern sie. Es könne nicht sein, dass Plat­ten­firmen den Groß­teil der Einnahmen behalten würden und Künst­le­rInnen mit ledig­lich 16 Prozent der eh oft nur 0,002 Cent pro Klick abge­speist würden. Eine Umfrage habe ergeben, dass 82 Prozent der profes­sio­nelle Musiker 2019 weniger als £ 200 mit Strea­ming verdient hätten und nur sieben Prozent mehr als £ 1,000. Die Forde­rung nach einer grund­le­genden Struk­tur­än­de­rung wird auch von Pop-Größen unter­stützt. Die Details in diesem lesens­werten Text der BBC.

PERSPEK­TI­VEN­WECHSEL: EIN ANDERER BLICK AUF KARLS­RUHE 

An dieser Stelle wird es etwas länger – aber ich verspreche: Es lohnt sich! Manchmal sind es Anrufe von Lesern dieses News­let­ters, die für span­nende Perspek­ti­ven­wechsel sorgen. Ich wurde über­zeugt, der Frage nach dem Raus­wurf von Inten­dant Peter Spuhler in noch einmal nach­zu­gehen – und tatsäch­lich entstand so eine voll­kommen neue Geschichte über die Frage, ob wir über­haupt in der Lage sind, Fehl­ver­halten von Führungs­per­sonen in der Kultur juris­tisch sauber zu ahnden. Ich hatte berichtet, dass der Verwal­tungsrat des Thea­ters in Karls­ruhe Spuhler kurz­fristig fristlos gekün­digt hatte (nachdem man ihn zuvor erst nach der Saison raus­werfen wollte). Voraus­ge­gangen waren Beschwerden über seinen Führungs­stil: Von „Kontroll­freak“ und „chole­ri­schen Ausbrü­chen“ war da zu lesen. Der Anrufer wies darauf hin, dass eine frist­lose Kündi­gung nur nach neuen Erkennt­nissen möglich sei – darüber hülle die Politik sich aber in Schweigen. Wolle man durch die frist­lose Kündi­gung etwa nur eine lang­wie­rige Abfin­dungs­schlacht vermeiden? Zumal man mit Ulrich Peters bereits einen Nach­folger besetzt hatte und fürchten muss, zwei Inten­danten zu haben?

Ich habe bei Kunst­mi­nis­terin Theresia Bauer nach­ge­fragt, die mich ziem­lich wort­karg wissen ließ: Alles privat, alles persön­lich – kein Kommentar. Ob das wirk­lich ihr Ernst sei, hakte ich nach, ob es nicht rele­vant für den Umgang mit Steu­er­gel­dern sei, zu erfahren, was die Gründe für die Entlas­sung Spuh­lers seien, ob der Inten­dant in seine vorzei­tige Kündi­gung einge­wil­ligt habe und ob jetzt ein Millionen-Verfahren auf das Land zurolle. Doch Bauer schwieg erneut (auch gegen­über der FAZ). Auf meine Anfrage beim Staats­theater Karls­ruhe gab es indes inter­es­sante Andeu­tungen. Spuhler wollte sich zur Sache nicht äußern, aber es hörte sich nicht so an, als hätte er seinen Raus­wurf akzep­tiert – weder den ersten noch die frist­lose Kündi­gung. Und mehr noch: Es ist durchaus möglich, dass die frist­lose Kündi­gung gar nichts mehr mit Spuh­lers Verhalten zu tun hat, sondern dass man einfach einen anderen Grund gesucht hat (Stich­wort: neue Erkennt­nisse), mögli­cher­weise ein Kava­liers­de­likt, eine Nacht länger auf Staats­kosten im Hotel, eine falsche Abrech­nung – was auch immer.

Klassik Viral – ein Podcast von CRESCEN­DOWie schafft man es, sich von Corona nicht unter­kriegen zu lassen?Arnt Cobbers fragt nach. Bei dem Pianisten Holger Groschopp.

Und hier wird es nun span­nend, da allge­mein gültig: Auch in der Causa (die natür­lich mit ganz anderen Vorwürfen hantierte), haben wir gesehen, dass die MET ihm wegen sexu­eller Über­griffe gekün­digt hatte, aber drohte, den Gerichts­pro­zess zu verlieren – schließ­lich einigte man sich außer­ge­richt­lich. Was wir daraus lernen: Es gibt trotz aller #metoo-Debatten (in und in den ) kein vernünf­tiges Verfahren, das juris­tisch sauber ist, um Fehl­ver­halten von Führungs­per­sonen im Kultur­be­trieb zu ahnden. Ein Grund, warum Kultur­po­li­tiker, zum Beispiel auch in Berlin, dazu neigen, wegzu­schauen. Eine derar­tige juris­ti­sche Unsi­cher­heit über­for­dert unsere Kultur­po­litik und lässt sie even­tuell sogar zu frag­wür­digen Mitteln greifen und will­kür­liche Vorwürfe erheben statt den eigent­li­chen Vorwürfen nach­zu­gehen. Es ist höchste Zeit, dass wir Gremien und juris­tisch saubere Situa­tionen schaffen, um Über­griffe, Willkür und Fehl­ver­halten in unseren Kultur­in­sti­tu­tionen zu ahnden – sowohl im Inter­esse der Beschul­digten als auch ihrer poten­zi­ellen Opfer. Also, liebe Kolle­ginnen und Kollegen in Karls­ruhe und , gerade jetzt sollten wir das Kultus­mi­nis­te­rium weiter nerven! 

PERSO­NA­LIEN DER WOCHE

Das fordert sein Publikum zur Impfung auf. Das Orchester beob­achtet mit Sorge die sinkende Impf­be­reit­schaft. „Ich glaube, man bewegt immer nur etwas im kleinen Kreis“, sagt Geschäfts­führer Florian Ganslmeier. +++ Weil wir uns heute schon so lange damit beschäf­tigt haben: Auch der Musik­pro­fessor Sieg­fried Mauser hat es bis jetzt geschafft, einer Inhaf­tie­rung zu entgehen – dabei wurde er schon vor drei Jahren wegen sexu­eller Über­griffe verur­teilt. Derzeit wird noch immer sein Gesund­heits­zu­stand geprüft. +++ Vor der Verlei­hung des Baye­ri­schen Staats­preises für Musik kriti­siert der Tubist und LaBrass­Banda-Mitbe­gründer Andreas Martin Hofmeir den Umgang der Politik mit der Kultur in der Corona-Krise scharf. Große Firmen hätten profi­tiert, die Kunst habe ein Fiasko erlebt. +++ Was für ein Verlust: Regis­seur und Gründer der Birmingham Opera, , ist im Alter von nur 67 Jahren an Corona verstorben.

UND WO BLEIBT DAS POSI­TIVE, HERR BRÜG­GE­MANN?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Viel­leicht hier: Das Orchester in Belgrad hat sich so sehr darüber gefreut, dass Diri­gent wieder genesen ist, dass es eine Über­ra­schung für ihn ange­stimmt hat: „For he is a jolly good Fellow!“. Ach ja, und dann beginnen auch die , und es ist mir eine Freude, auf einen Leit­faden hinzu­weisen, den der Diri­gent erfunden hat: Von A bis Z dekli­niert er hier das Wagner-Voka­bular. Muss man gelesen haben, bevor sich in Bayreuth der Vorhang hebt. Hier ein Auszug der letzten drei Voka­beln: zücken: zucken / zullen: saugen; „als zullendes Kind zog ich dich auf“; neuge­bo­renes, säugendes Kind / zuschme­cken: den ersten Schluck nehmen, als Will­kom­mens­gruß oder Huldi­gung / zwicken: zwin­kern, blin­zeln; „mit den Augen zwicken“. Mehr Bayreuth gefällig? Hier noch als letzte Einstim­mung: Pres­se­spre­cher Hubertus Herr­mann schaut mit mir hinter die Kulissen der Fest­spiele und plau­dert u.a. über die „Walküre“ von . Und dann noch mein Gespräch mit nach ihrem Wagner-Debüt bei den Wiener Sympho­ni­kern in diesem Früh­jahr – kommenden Sonntag wird sie die erste Diri­gentin sein, die eine Première der Bayreu­ther Fest­spiele leitet. 

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

brueggemann@​crescendo.​de

Fotos: Beet­ho­ven­fest / Brüg­ge­mann / Staats­theater Karls­ruhe (auch Titel)