KlassikWoche 44/2023

Bomben, Stimmen und Musik

von Axel Brüggemann

30. Oktober 2023

Bradley Cooper als Leonard Bernstein auf der Kinoleinwand, öffentliche Proteste verhindern einen Totalkahlschlag am Theater Konstanz, Umbruch am Badischen Staatstheater Karlsruhe ohne Frauen.

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

heute mit viel Leiden­schaft. Begeis­te­rung über , über junge Stimmen der Oper und über den Rück­halt der Bürger­ge­sell­schaft für die Kultur. Aber auch mit etwas schrägen Posts aus dem Umfeld der Baren­boim-Said Akademie. 

Deutsch­land-Bashing in der Baren­boim-Said Akademie

Die Social-Media-Welt von Studie­renden und Lehrenden an der Baren­boim-Said Akademie in Berlin wird immer verrückter. Diese Woche postete eine Akade­mistin auf Insta­gram sogar einen Boykott-Aufruf gegen deut­sche Geschäfte: „Jeder sollte die nächsten drei Tage die deut­schen Geschäfte meiden und am besten auch nicht tanken. Deutsch­land soll sehen, wie es ist, wenn Ausländer zusam­men­halten.“

Wohl gemerkt: Die Akademie bekommt eine nicht uner­heb­liche insti­tu­tio­nelle Förde­rung des Bundes von . Außerdem stellt das Auswär­tige Amt von Anna­lena Baer­bock die Stipen­dien für die Studie­renden zur Verfü­gung. Wann kommen der Insti­tu­tion endlich Zweifel darüber, dass selbst die eigenen Profes­soren auf ihren Face­book-Seiten regel­mäßig die Insti­tu­tionen unseres Landes infrage stellen, die ihren Job finan­zieren? Liebe Akademie, könnt Ihr da nicht mal etwas genauer hinschauen? Ihr habt da offen­sicht­lich gerade echt ein biss­chen Klärungs­be­darf!

Die großen Lieben des Leonard B.

Bald ist es so weit: wird im November im Kino (und ab 20. Dezember auch auf Netflix) in die Rolle von Leonard Bern­stein schlüpfen. Jetzt ist der offi­zi­elle Trailer (oben auf das Bild drücken) erschienen. Er zeigt, worum es geht – um Bern­steins Liebe: zu einer Frau, zu Männern und – natür­lich – zur Musik von . Opulenter Sound, private Einblicke, filmi­sche Rück­blicke in schwarz-weiß. Also ich freue mich auf dieses Biopic. Und das tut auch Diri­gent . In einem Insta­gram-Video erzählt er über seine Rolle als Berater für Coopers Diri­gier-Aufnahmen. Eine Liebes­er­klä­rung an Leonard Bern­stein.

Konstanz: Protest hilft!

Das Theater Konstanz muss ab der Spiel­zeit 2024 jähr­lich 297.000 Euro einsparen. Das hat der Gemein­derat beschlossen. Es hätte schlimmer kommen können: Der Weiter­be­trieb aller drei Spiel­stätten kann aufrecht­erhalten bleiben. Die Thea­ter­lei­tung um Inten­dantin Karin Becker bedankt sich auf Face­book beson­ders für die öffent­liche Unter­stüt­zung. Sie habe einen Total-Kahl­schlag verhin­dert. „Ohne die große Unter­stüt­zung und die Soli­da­ri­täts­be­kun­dungen aus der Bevöl­ke­rung, durch Künst­le­rInnen, Kolle­gInnen, Kultur­in­sti­tu­tionen und, um nur einige nament­lich zu nennen, Deut­scher Bühnen­verein, die GDBA und die Thea­ter­freunde Konstanz e.V., wäre dieser Ausgang der Einspar­de­batte nicht möglich gewesen“, heißt es in der Mittei­lung des Hauses. 

About last week: Salz­burg

Das Schöne an diesem News­letter ist ja, dass er oft Anstoß für weitere Geschichten ist, die von Kolle­ginnen und Kollegen im Laufe der Woche aufge­griffen werden. Eine waren die Gerüchte um die Programm­pla­nung der Salz­burger Fest­spiele im Sommer (Chris­tian Thie­le­manns konzer­tanter Capriccio, Don-Giovanni-Wieder­auf­nahme und die Pfingst­fest­spiel-Tito-Kopro­duk­tion mit ). Die öster­rei­chi­sche Zeitung Der Kurier nimmt unsere Vermu­tungen auf und kommen­tiert: „Kein neuer Mozart also, kein szeni­scher Strauss. Wenn es dabei bleibt – die enorme inhalt­liche Streuung bei diesem Programm und das lange Vorspiel bis zur ersten szeni­schen Neupro­duk­tion dürften jeden­falls für einige Diskus­sionen sorgen.“ Ich persön­lich glaube, die wirk­liche Diskus­sion sollte sich derweil darum drehen, ob der Vertrag von über 2026 verlän­gert wird oder nicht. Noch gibt es keine Ausschrei­bung – das ist kultur­po­li­tisch fahr­lässig, denn die Planungen für die Zeit danach müssten eigent­lich längst beginnen! 

Ja! Nein. Viel­leicht doch …

Wenn jemand die Bedeu­tung der Kultur in Deutsch­land messen will, sollte er viel­leicht nach München schauen. Dort wurde sie in den letzten Monaten zum Spiel­ball des Wahl­kampfes. Zunächst sollte ein neues, großes und modernes Konzert­haus gebaut werden. Dann legte eine „Denk­pause“ ein. Und wie in Konstanz wurde auch in München von einer Bürger­ge­sell­schaft protes­tiert. BRSO-Chef machte sich eben­falls für einen Neubau stark. Nun soll das Haus viel­leicht doch entstehen.

Zwei­ein­halb Wochen nach der Land­tags­wahl ist das im Koali­ti­ons­ver­trag zwischen CSU und Freien Wählern auf Seite 27 fest­ge­halten: „Wir stehen zu unserer Verant­wor­tung, in München einen Konzert­saal im Werks­viertel zu errichten, der der inter­na­tio­nalen Bedeu­tung seiner Klang­körper gerecht wird. Mit Blick auf die sich abzeich­nenden Kosten werden wir die Planungen über­ar­beiten und redi­men­sio­nieren.“ Im letzten Satz steckt der Teufel im poli­ti­schen Detail. Kein Wunder, dass Rattle weiter mahnt: „Ein Konzert­haus im 21. Jahr­hun­dert muss so viel mehr sein als ein Audi­to­rium: Es muss ein Leucht­turm für Musik sein, der mit seinen räum­li­chen und digi­talen Möglich­keiten weithin strahlt und inspi­riert.“

Perso­na­lien der Woche

Das Marke­ting rund um nimmt immer bizar­rere Formen an. Für sein neues Album arbeitet Kauf­mann erst­mals mit einem inter­na­tio­nalen „Content Creator“. TikTok-Star Babatunde Akin­bo­boye hat einige Videos mit dem Tenor aufge­nommen und jetzt auch die Uralt-Idee des Carpool-Caraoke mit ihm nach­ge­spielt – puh, das haben wir vor vier Jahren schon mit Barrie Kosky und vielen anderen Bayreuth-Stars gemacht) … na dann: Wir freuen uns schon auf das nächste total authen­ti­sche Weih­nachts­album. +++ Umbruch in Karls­ruhe – aber: voll­kommen ohne Frauen! Der neue Inten­dant Chris­tian Firm­bach präsen­tiert sein neues Leitungs­team: Opern­di­rektor wird Chris­toph von Bernuth, Oliver Kersken wird Orches­ter­di­rektor. Beide bringt Firm­bach aus seiner bishe­rigen Arbeits­stätte, dem Olden­bur­gi­schen Staats­theater, mit. Neuer Ballett­di­rektor wird Raimondo Rebeck, der zuletzt am Ballett Dort­mund war. Neuer Schau­spiel­di­rektor wird Claus Caesar, er kommt vom Deut­schen Theater Berlin. +++ Ales­sandra Ferri wird neue Chefin des Balletts der Wiener Staats­oper und damit nach­folgen. Hier eine Hommage aus der New York Times.

Und wo bleibt das Posi­tive, Herr Brüg­ge­mann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Viel­leicht ja hier: Ich war diese Woche bei der Meis­ter­klasse des Inter­na­tio­nalen Gesangs­wett­be­werbs Neue Stimmen in Gütersloh, habe dort das Abschluss­kon­zert mode­riert und Medien-Coaching für die Sänge­rinnen und Sänger gegeben. Und was ich erlebt habe, war: eine Hoff­nung für die Zukunft der Oper. Junge, leiden­schaft­liche Menschen, die unsere Welt und die Kunst, das Leben und die Oper als Zusam­men­spiel betrachten und fest daran glauben, dass wir in der Musik die Zerris­sen­heit unserer Gesell­schaft debat­tieren können. hat die Meis­ter­kurse als Sängerin geleitet (hier spricht sie über die aktu­elle Situa­tion für junge Stimmen), und beim Abschluss­kon­zert gab es Momente des Ohren­öff­nens: Wie Priya Paria­yachart die Sorge der Anne Trulove von gestaltet hat – das war bereits: Meis­ter­klasse! Und (stell­ver­tre­tend für alle anderen Sänge­rInnen) Alex­andra Urquiola als vokale Verkör­pe­rung der Carmen-Leiden­schaft, oder der Coun­ter­tenor Gerben van der Werf, der mit seiner emotional-klugen Tancredi-Inter­pre­ta­tion ein voll­kommen neues Rossini-Fenster geöffnet hat. Mit anderen Worten: Es gibt sie, die gute Zukunft! Und wer sie kennen­lernen will: Im Podcast „Alles klar, Klassik?“ (für alle Player, für apple) rede ich dieses Mal (in einer engli­schen Ausgabe) mit den Stimm-Coaches John Norris und Ralph Strehle, mit Annette Dasch und mit einigen der jungen Sänge­rinnen und Sänger des Wett­be­werbs. Ach ja, und dann durfte ich noch mit dem Mann plau­dern, der damals in Bremen das Fußball-Trikot gegen den Smoking getauscht hat und als Werder-Trainer bei fast jeder Première am Goethe­platz war: Otto Rehhagel. Er hat mir Franz Lehárs Maxim vorge­sungen, dann Elvis« Ghetto, er hat davon erzählt, wie er bei der WM 1986 in Mexiko vom Flug­hafen abge­holt hat und sich eine Fußball-Opern-Freund­schaft ergeben hat und welche dollen Dinger er mit seinem wirk­lich sehr guten Freund gedreht hat! Gebt Otto die Natio­nal­mann­schaft – oder wenigs­tens die Salz­burger Fest­spiele!

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

brueggemann@​crescendo.​de

P.S.: Und dieses noch in eigener Sache: Wer Lust hat mehr über mein Leben mit der Musik zu erfahren, ich durfte beim Hessi­schen Rund­funk in der Sendung Menschen und ihre Musik von Susanne Pütz zwei Stunden über meine Opern-Sozia­li­sa­tion erzählen, wie ich als Kind eine Maria-Callas-Schall­platte „verbil­ligt“ erstanden habe, warum Wagner eine Droge ist und warum Element of Crime mich durch das Leben begleitet. Ich durfte für die zwei Stunden meine eigene Musik mitbringen: Mozart, Kreisler, Cohen, Wagner und Schu­bert …