KlassikWoche 09/2019

Kleine Männer, böse Nippel

von Axel Brüggemann

25. Februar 2019

Dieses Mal geht es um ein neues Opern­haus in Düssel­dorf, um Daniel Baren­boim, wir feiern Bernard Haitink – und leider ist schon wieder von nackten Tatsa­chen die Rede, dieses Mal in München.

Will­kommen zur neuen Klassik-Woche,

dieses Mal geht es um ein neues Opern­haus in Düssel­dorf, um Daniel Baren­boim, wir feiern  – und leider ist schon wieder von nackten Tatsa­chen die Rede, dieses Mal in .

Zunächst aber ein etwas anderer Blick auf die Lage in Vene­zuela. Der Diri­gent Gustavo Dudamel schafft es seit Monaten nicht, sich zu posi­tio­nieren. Um kriti­schen Fragen zu entkommen, bedient er sich einer erstaun­li­chen Stra­tegie: Angeb­lich hat er seine Meinung über Vene­zuela bereits exklusiv einem Film­pro­jekt verspro­chen – das aber lässt auf sich warten. Ich habe mal nach­ge­forscht, was es mit dieser Taktik auf sich hat.

Was ist?

Was ist eigent­lich los mit unserer Klassik? Letzte Woche ging es um den, na, Sie wissen schon, Dödel von Teodor Curr­entzis. Diese Woche sind es die Busen der Baye­ri­schen Staats­oper! Genauer gesagt: die Nippel der Tann­häuser-Tänze­rinnen. Face­book hat einen Ausschnitt aus der Insze­nie­rung von Regis­seur Romeo Castel­lucci wegen Erre­gung öffent­li­chen Ärger­nisses gesperrt. Dabei war Castel­luccis Insze­nie­rung eigent­lich ziem­lich lang­wei­liger Kitsch, aber Face­book scheint zum Medium des älteren, wutbür­ger­li­chen Abo-Publi­­kums zu werden. Gehen wir lieber weiter zu Twitter!

Dass Soprane nicht nur singen, sondern auch gut aussehen sollen, wissen wir schon lange. Jetzt gibt es so etwas wie Negativ-Gleich­­be­­rech­­ti­­gung: Der Sänger Khach­atur Bada­lyan wurde von der Oper in Tatar­stan gefeuert, weil er mit 1,70 Metern zu klein für seine Rolle in Madame Butterfly sei. Könnte Gleich­be­rech­ti­gung nicht auch bedeuten, dass sowohl bei Männern als auch bei Frauen zunächst einmal das A und O der Stimme zählt und nicht der BMI? 

Etwas weiter geschrumpft ist in der letzten Woche Daniel Baren­boim. Nach anonymen Vorwürfen im VAN-Magazin haben sich beim BR nun erst­mals Opfer seines Führungs­stils gemeldet. Martin Rein­hardt, heute Bass­po­sau­nist in Kopen­hagen, sagt: „Ich habe die besten musi­ka­li­schen Erleb­nisse (…) mit Baren­boim gehabt (…). Aber manchmal ist der Preis, den man dafür zahlt, einfach zu hoch.“ Der Solo-Paukist Willi Hilgers erhebt Vorwürfe, dass seine Gesund­heit unter Baren­boims Führungs­stil gelitten hätte, und Solo-Paukist Frank Zschä­bitz kriti­siert, dass Baren­boim es immer wieder auf einzelne Musiker abge­sehen hätte: „Das ist reines Bloß­stellen, da geht es mehr um die Sache, sich selbst darzu­stellen.“ Baren­boim hat sich inzwi­schen zu den Vorwürfen geäu­ßert und ortet eine Kampagne, durch die seine Wieder­wahl in verhin­dert werden soll. Gegen­über dem Deutsch­land­funk entschul­digt er sich mit seinem „latein­ame­ri­ka­ni­schen Blut“. Zeit­gleich (einen Tag vor seinem 47. Geburtstag) stellte sich ein anderer Latein­ame­ri­kaner, , in einem Tweet an die Seite des Diri­genten. Er habe Baren­boim seine Karriere, einige der schönsten Musik­mo­mente und das Verständnis für Huma­nität zu verdanken. Warum ausge­rechnet Menschen­ver­steher Villazón die aktu­ellen Vorwürfe ausblendet? Viel­leicht, weil der Tenor das gleiche Manage­ment hat wie der Diri­gent? Kampagne gegen Kampagne?

Ach ja, Franz Welser-Möst hat mir geschrieben. Ihn haben die Speku­la­tionen der ersten Klassik-Woche amüsiert. Dort schrieb ich, dass Welser-Möst Chef des Wiener Musik­ver­eins werden wollte. Nun ließ er mich wissen, dass ich nicht allein mit dieser Vermu­tung gewesen bin. „(Niko­laus) Bachler(Helga) Rabl-Stadler(Ioan) Holender und, und, und haben mich seit Wochen, ja Monaten darauf ange­spro­chen“, schrieb mir der Diri­gent und erklärte: „Ich habe mich nicht beworben und habe kein Inter­esse, das Pult gegen einen Schreib­tisch einzu­tau­schen. Das Gerücht wurde sehr stark im Restau­rant ‚Sole‘ von dessen Besitzer verbreitet. Echt  halt.…:-)“ Ob Welser-Möst sich beworben hat oder nicht – egal. In Wien köchelt längst wieder ein neuer Name in der Gerüch­te­küche. Mal sehen, ob wir nun auch Post vom Chef der Alten Oper Frank­furt, von Stephan Pauly, bekommen!

Während der Archi­tekt der Elbphil­har­monie, Yasu­hisa Toyota, im Hamburger Abend­blatt erklärte, dass es normal sei, wenn Zuhörer sich über die Akustik eines neuen Hauses beschweren, wird in Düssel­dorf um einen Neubau der Rhein­oper gestritten. Wolfram Goerz setzt sich dafür ein, groß zu denken: „Wenn das Haus weiterhin jeden Abend weit mehr als 1.000 Gäste beglü­cken will, bräuchte es ein Gefäß, das diese Leis­tungen würdigt und sie adelt.“ In Berlin wird derweil – was sonst – gebaut: Die Absper­rungen vor der Berliner Phil­har­monie werden auch in den kommenden Wochen wohl nicht verschwinden. 

Was war

Florian Lutz hat das Theater in  moder­ni­siert: Regis­seure wie Peter Konwit­schny geholt und das Haus entrüm­pelt. Nun wird sein Vertrag nicht verlän­gert. Das Befremd­liche: Der Druck des reak­tio­nären Publi­kums, der ominöse Brief eines Orches­ter­vor­stands, die Intrigen des Geschäfts­füh­rers Stefan Rosinski und fehlender poli­ti­scher Rück­halt führten zur Tren­nung. Ein Verlust für Halle. Und kein gutes Zeichen für die Stadt­thea­ter­land­schaft in Deutsch­land. Ich habe mich mit dem Jour­na­listen Dr. Joachim Lange über die Vorgänge in Halle unter­halten: Für ihn gab es durchaus Rück­halt für Lutz in der Bevöl­ke­rung.

Pres­se­kon­fe­renz an der Semper­oper in Anna Netrebko wird ihr Rollen­debüt als Elisa­beth in Verdis Don Carlo geben. Regie führt Vera Nemi­rovaChris­tian Thie­le­mann wird diri­gieren. Den Tenor­part über­nimmt: Yusif Eyvazov. Nicht auszu­denken, wenn die Netrebko mit Heino verhei­ratet wäre – das würde ein Opern­spaß werden!

In Russ­land ging derweil der Prozess um den Regis­seur Kirill Serebren­nikow in die nächste Runde (er insze­niert gerade den Nabucco an der Hamburger Staats­oper per USB-Stick). Frank Herold beschrieb im Tages­spiegel, wie nach andert­halb Jahren Haft für den Regis­seur nun alles wieder von vorn beginnen könnte. Politik und Kultur verän­dern sich auch in Deutsch­land. Sabine am Orde hat für die taz das Verhältnis der Neuen Rechten zu unseren Thea­tern sehr lesens­wert doku­men­tiert. In einem klugen Inter­view mit dem Tages­spiegel rechnet der Schlag­zeuger  mit der Rechts-Regie­rung seiner Heimat Öster­reich ab, und mit Blick auf die Euro­pa­wahl hat gerade der Euro­pean Music Council getagt und dazu aufge­rufen, im Mai zur Europa-Wahl zu gehen, auch, um die euro­päi­sche Frei­heit der Kunst zu vertei­digen. 

Die Bayreu­ther Fest­spiele scheinen allmäh­lich Spaß an der TV-Soap-Opera zum haben. Nachdem die „Sendung mit der Maus“ bereits im Fest­spiel­haus zu Gast war, kam jetzt der „Tatort“: Gestern gab es Schüsse und Mord auf dem Grünen Hügel – und eine heim­liche Hommage an das frän­ki­sche Fest­­spiel-Dorf. Keine große, aber eine anstän­dige Krimi-Oper, nach­zu­sehen in der ARD-Media­­thek. 

Eines meiner ersten Inter­views führte ich, damals noch für das Opern­glas, mit dem Bariton Ekke­hard Wlaschiha, Bayreuths genialem Albe­rich. Aus der verab­re­deten Gesprächs­stunde wurde ein ganzer Tag, wir haben gemeinsam Tennis geschaut, Duett-Ziga­retten geraucht, er hat von West-Gast­­spielen erzählt, und auf seinem Klo hing – ganz Albe­rich – ein Pin-up-Kalender. Nun ist dieser groß­ar­tige Sänger und Mensch gestorben – gute Reise, Ekke­hard Wlaschiha. Und noch eine Große ist gestorben: die Sopra­nistin Hilde Zadek musste vor den Nazis nach Paläs­tina fliehen. Sie kam zurück nach Wien und gilt als eine der größten Sänge­rinnen des letzten Jahr­hun­derts. Unver­gessen ihre Aida oder ihre Marschallin –beson­ders auf der Bühne der Wiener Staats­oper. Sie starb mit 101 Jahren.

In Wies­baden hat das Künst­ler­kol­lektiv Le Lab Salome insze­niert. Für Ursula Böhmer vom SWR nichts als „Wohl­fühl­theater“, für Ingrid Frei­berg eine „grau­same ekel­er­re­gende, aber auch span­nende Insze­nie­rung“.  hat eine neue Così in Nürn­berg insze­niert. Eine „Vulgär­kla­motte“ mit erschre­ckendem Frau­en­bild, findet Sven Riklefs auf BR Klassik, aber „wenn etwa Julia Grüter und Amira Elmadfa als Schwes­tern­paar Fior­di­ligi und Dora­bella sich leicht­füßig auf Mozarts Liebes­pi­rou­etten schwingen, dann bleibt einem zumin­dest das Eine: Zuhören.

Was lohnt

Am 4. März feiert der Diri­gent Bernard Haitink seinen 90. Geburtstag. Es lohnt quasi fast jede Aufnahme dieses Musi­kers, der Klug­heit, Tiefe und Gewis­sen­haf­tig­keit mitein­ander verbindet. Egal, ob mit dem London Phil­har­monic Orchestra, dem Concer­t­­ge­­bouw-Orchester (Mahler!) am Royal Opera House in London oder mit dem Chamber Orchestra of Europe. Einen Rund­um­blick auf sein Werk bekommt man viel­leicht am besten auf der neuen 11-CD-Box „Bernard Haitink. Portrait“, die  nun heraus­ge­geben hat. 1957, mit 28 Jahren, diri­gierte Haitink zum ersten Mal das Orchester des BR. Seine vor Span­nung bers­tenden Mahler- und Bruckner-Inter­pre­­ta­­tionen sind legendär. Die CD-Box mit amüsanten Texten des ehema­ligen Aufnah­me­lei­ters Wolfram Graul ist ein Zeit­do­ku­ment, Spiegel eines Lebens­werkes und eine außer­or­dent­liche musi­ka­li­sche Reise.

Zum Weinen schön ist das neue Album des Kompo­nisten Chris­tian Jost. Er hat Robert Schu­manns Dich­ter­liebe neue Töne gegeben, die der Tenor Peter Lodahl nun singt (begleitet vom Horen­stein-Ensemble). Der Clou: Der gesamte Zyklus um die ganz großen Fragen des Lebens, Liebe, Wut, Sehn­sucht und Tod wird auf dieser DG-Aufnahme, die in Kürze erscheint, auch von Stella Douf­exis gesungen, der viel zu früh verstor­benen Frau des Kompo­nisten. Eine musi­ka­li­sche Hommage an die Endlich­keit und die ewige Erin­ne­rung. 

Auch zur letzten Klassik-Woche gab es wieder zahl­reiche Zuschriften –beson­ders zu der Frage, ob es am Publikum, an uns Jour­na­listen oder an den Opern- und Konzert­häu­sern selbst liegt, dass Musik heute so oft auf Skan­dale – eben auf Dödel und Busen – redu­ziert wird. Ich bin auch diese Woche gespannt auf Ihre Reak­tionen und hoffe auf eine jugend­freie nächste Ausgabe der Klassik-Woche.

Bis dahin halten Sie die Ohren steif.

Ihr

Axel Brüg­ge­mann

brueggemann@​crescendo.​de

Pres­se­kon­fe­renz an der Semper­oper in Dresden: wird ihr Rollen­debüt als Elisa­beth in Verdis Don Carlo geben. Regie führt Vera Nemi­rova, wird diri­gieren. Den Tenor­part über­nimmt: . Nicht auszu­denken, wenn die Netrebko mit Heino verhei­ratet wäre – das würde ein Opern­spaß werden!

In Russ­land ging derweil der Prozess um den Regis­seur Kirill Serebren­nikow in die nächste Runde (er insze­niert gerade den Nabucco an der Hamburger Staats­oper rechnet der Schlag­zeuger Martin Grubinger mit der Rechts-Regie­rung seiner Heimat Öster­reich ab, und mit Blick auf die Euro­pa­wahl hat gerade der getagt und dazu aufge­rufen, im Mai zur Europa-Wahl zu gehen, auch, um die euro­päi­sche Frei­heit der Kunst zu vertei­digen. 

Die

Eines meiner ersten Inter­views führte ich, damals noch für das Opern­glas, mit dem Bariton Ekke­hard Wlaschiha, Bayreuths genialem Albe­rich. Aus der verab­re­deten Gesprächs­stunde wurde ein ganzer Tag, wir haben gemeinsam Tennis geschaut, DuettHilde Zadek . Sie starb mit 101 Jahren.

In hat das Künst­ler­kol­lektiv Le Lab Salome insze­niert. Für Ursula Böhmer vom SWR nichts als „“, für Ingrid eine „“. Jens-Daniel Herzog hat eine neue Così in wenn etwa Julia Grüter und Amira Elmadfa als Schwes­tern­paar Fior­di­ligi und Dora­bella sich leicht­füßig auf Mozarts Liebes­pi­rou­etten schwingen, dann bleibt einem zumin­dest das Eine: Zuhören.

Was lohnt

Am 4. März feiert der Diri­gent Bernard Haitink seinen 90. Geburtstag. Es lohnt quasi fast jede Aufnahme dieses Musi­kers, der Klug­heit, Tiefe und Gewis­sen­haf­tig­keit mitein­ander verbindet. Egal, ob mit dem London Phil­har­monic Orchestra, dem (Mahler!) am in London oder mit dem BR-KLASSIK nun heraus­ge­geben hat. 1957, mit 28 Jahren, diri­gierte Haitink zum ersten Mal das Orchester des BR. Seine vor Span­nung bers­tenden Mahler- und Bruckner-Inter­pre­ta­tionen sind legendär. Die CD-Box mit amüsanten Texten des ehema­ligen Aufnah­me­lei­ters Wolfram Graul ist ein Zeit­do­ku­ment, Spiegel eines Lebens­werkes und eine außer­or­dent­liche musi­ka­li­sche Reise.

Zum Weinen schön ist das neue Album des Kompo­nisten Dich­ter­liebe neue Töne gegeben, die der Tenor Peter Lodahl nun singt (begleitet vom Horen­stein-EnsembleStella Douf­exis gesungen, der viel zu früh verstor­benen Frau des Kompo­nisten. Eine musi­ka­li­sche Hommage an die Endlich­keit und die ewige Erin­ne­rung. 

Auch zur letzten Klassik-Woche gab es wieder zahl­reiche Zuschriften –beson­ders zu der Frage, ob es am Publikum, an uns Jour­na­listen oder an den Opern- und Konzert­häu­sern selbst liegt, dass Musik heute so oft auf Skan­dale – eben auf Dödel und Busen – redu­ziert wird. Ich bin auch diese Woche gespannt auf Ihre Reak­tionen und hoffe auf eine jugend­freie nächste Ausgabe der Klassik-Woche.

Bis dahin halten Sie die Ohren steif.

Ihr

Fotos: Wiki Commons