KlassikWoche 45/2019
Stilfragen von Schiff, Levit und Currentzis
von Axel Brüggemann
4. November 2019
Heute mit allerhand Duellen: Montréal gegen Schiff, Tagesspiegel gegen Levit, Oper gegen Musical und Bonn gegen Wien. Und mit der Frage: Kann Teodor Currentzis gleich an vier Orten als Messias wirken?
Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
heute mit allerhand Duellen: Montréal gegen Schiff, Tagesspiegel gegen Levit, Oper gegen Musical und Bonn gegen Wien. Und mit der Frage: Kann Teodor Currentzis gleich an vier Orten als Messias wirken?
WAS IST
ACHTUNG CURRENTZITIS!
Schon wahnsinnig, wo der Dirigent Teodor Currentzis überall die Welt retten soll. Seine Einstellung als Chefdirigent beim eher biederen SWR Symphonieorchester war mutig – und lenkte genial vom Sparkurs und der Fusion der zwei Ensembles ab. Dann holte Markus Hinterhäuser den Griechen zu den Salzburger Festspielen, wo er als eigene Marke die Mozart-Eröffnungen dirigiert, und Bogdan Roščić will Currentzis« Gesicht mit der Wiener Staatsoper verbinden. Nun soll eine neue Zusammenarbeit mit Currentzis auch beim Lucerne Festival darüber hinwegtäuschen, dass hier Oster- und Klavierfestival gestrichen wurden. Wenn Intendant Michael Haefliger da mal nicht zu viel vom Dirigenten-Messias erwartet: „Zentral ist die Idee, mit einem Künstler ein Programm zu entwickeln und zu kuratieren. Currentzis ist dafür ein Glücksfall, weil er mit seiner Strahlkraft das Publikum stark einbindet.“
REAKTIONÄR ODER NICHT?
Selten gab es so viele unterschiedliche Reaktionen auf einen Text wie auf die Frage, ob es Denkverbote in der Musik gebe oder nicht. Die 14-jährige Alma Deutscher hatte die Debatte bei der Verleihung des Europäischen Kulturpreises Taurus in Wien begonnen und gehofft, dass wir nun „in ein toleranteres Zeitalter kommen“. Ich hatte ihre Worte als reaktionär kritisiert. Neben Fürsprache gab es auch Kritik, weil ich ein Kind kritisiert habe. Inzwischen hat Alma Deutscher das, was sie auf der Bühne im Gespräch gesagt hat, offiziell als Rede auf ihre Homepage gestellt – und damit auch den Gegenwartskomponisten und Musikprofessor Moritz Eggert auf den Plan gerufen. In einem ausgeruhten und lesenswerten Text debattiert er die Geschichte der Neuen Musik und ihrer vermeintlichen Verbote: „Ja, es gab eine Zeit, in der eine Art Tonalitätsverbot die akademische Norm war, und diese Zeit lässt sich auf ca. 1955–1975 datieren, aber auch nur in einer bestimmten europäischen Region. Während nämlich die Avantgarde-Sittenwächter um Boulez und Stockhausen z.B. durchaus Komponisten marginalisierten, die sich weiterhin tonaler Strukturen bedienten, feierten zeitgleich heute hochangesehene Komponisten wie Benjamin Britten oder Schostakowitsch noch Welterfolge.“
BONN VS. WIEN: BEETHOVEN 2020
In Bonn rollt alles auf das Beethoven-Jahr zu! Und nun hat auch die zweite Beethoven-Stadt, Wien,
WAS WAR
LEVITS WOLLDECKE
Es ist schon auffällig, wenn das Berliner Feuilleton auf einmal einen kritischen Ton gegen den Pianisten Igor Levit anschlägt. Normalerweise ist er einer der Lieblinge des Feuilletons, und manche Feuilleton-Chefs schmücken sich gern mit ihm. Um so deutlicher fällt Frederik Hanssens Bericht im Tagesspiegel über Levits Konzert in Berlin mit dem Pittsburgh Symphony Orchestra aus. Levit, der gerade in Hannover seine Professur antritt, fällt immer wieder mit relativ simplen (wenn auch politisch wichtigen) Polit-Botschaften auf. Für Hanssen wird er immer mehr zu einer Karikatur, deren Habitus vom eigentlichen Spiel ablenkt: „Ziemlich befremdlich fällt bei seinem Auftritt im Rahmen des Berlin-Gastspiel des Pittsburgh Symphony Orchestra beispielsweise der Umgang mit dem Publikum aus. Levit tut nämlich so, als wären die Philharmonie-Ränge völlig leer. Ja, er scheint geradezu eine imaginäre Wolldecke über sich und seinen Flügel gedeckt zu haben, so introvertiert, so weltentrückt wirkt sein Spiel. (…) Warum aber verschanzt sich der Interpret derart im Elfenbeinturm, warum mag er partout keinen Kontakt zum Publikum aufnehmen, warum drängt es ihn nicht, seine Erkenntnisse über das Werk nachvollziehbar zu vermitteln? Diese Fragen lässt Levit unbeantwortet.“
MONTREAL GEGEN SCHIFF
Die Proben von Sir András Schiff mit dem Montréal Symphony Orchestra sind ziemlich in die Hose gegangen – inklusive Wutausbruch. Nun hat das Orchester eine Stellungnahme veröffentlicht, in der es Schiffs Stil heftig kritisiert: „Es gab Unstimmigkeiten zwischen den Musikern und dem Gastdirigenten. (…) Die Situation entstand in erster Linie auf Grund der unnötig respektlosen und angriffslustigen Art von Herrn Schiff gegenüber einigen Musikern, wodurch eine Atmosphäre von gegenseitigem Respekt unmöglich gemacht wurde. (…) Diese Art entspricht nicht den heutigen Realitäten (…) das Orchester bevorzugt, gemeinsam an einem Ziel zu arbeiten, statt Menschen durch Einschüchterung und Autorität zu entzweien.“
PERSONALIEN DER WOCHE
Generalmusikdirektor Michael Hofstetter verlässt das Stadttheater Gießen vorzeitig und wird Intendant der Gluck-Festspiele. +++ Der Regisseur Johannes Schaaf ist mit 86 Jahren in Murnau gestorben.
AUF UNSEREN BÜHNEN
Die Wiener Philharmoniker und Andris Nelsons haben das Programm für das Neujahrskonzert vorgestellt: Im Zentrum steht Beethoven, und es gibt neun Premieren. +++ Elisabeth Richter lobt im Deutschlandfunk die Don-Carlos-Inszenierung von Lotte de Beer und feiert besonders den GMD: „Cornelius Meister versorgte die fast fünfstündige Aufführung am Pult des exzellent disponierten Staatsorchesters Stuttgart mit einer nie nachlassenden Energie, Präzision und einem feinen Gespür für Verdis so reiche Orchesterfarben.“ +++ Axel Zibulski berichtet in der FAZ von einer umstrittenen Fidelio-Inszenierung in Darmstadt: „Mit neu komponiertem Schluss polarisiert Paul-Georg Dittrichs Inszenierung von Beethovens Fidelio in Darmstadt das Premierenpublikum. Und die Zuschauer werden zur Festgesellschaft.“ +++ Eine Geschichte noch aus einer anderen Welt: Während Ex-DSDS-Star Alexander Klaws, der heute ein echter Musical-Star ist, mit seinem Genre abrechnet („Publikum wird für dumm verkauft.“), erklärt die Chefin der australischen Oper, Lyndon Teraccini, dass einige Musicals besser seien als viele Opern. Sie bezieht sich auf South Pacific, My Fair Lady oder die West Side Story.
Musical oder Oper – Hauptsache Musik! In diesem Sinne, halten Sie die Ohren steif.
Ihr