KlassikWoche 12/2019
Streik in Chicago, Gerangel in Paris, Schweigen in Bonn
von Axel Brüggemann
17. März 2019
Heute geht es unter anderem um zu wenig Geld, um zu wenige Worte und um zu schlechte Kritiker.
Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
heute geht es unter anderem um zu wenig Geld, um zu wenige Worte und um zu schlechte Kritiker.
Was ist
Reden wir erst einmal über Geld. Wenn Musiker demonstrieren, werden sie in der Regel nicht laut, sondern verstummen: In den USA streikt derzeit das Chicago Symphony Orchestra. Dabei wird kaum ein amerikanisches Ensemble besser bezahlt. Das niedrigste Musikereinkommen liegt bei 159.000 Dollar. Aber geringere Ticketverkäufe und schwierige Sponsoren-Akquise drücken auf die Kosten. Jetzt geht es um einen vernünftigen Pensionsplan. Chefdirigent Riccardo Muti muss auf der einen Seite das „Board“ glücklich machen, lässt aber keine Zweifel an seiner Solidarität: „Als Musikdirektor stelle ich mich hinter die Musiker. Sie machen keinen Job, sondern haben eine Mission.“ Etwas schwülstig und im Fortissimo droht er: „Die ganze Welt schaut gerade auf Chicago.“
Vielleicht schaut ja auch der anonyme Opernsänger, der jüngst in der Zeit für Aufsehen sorgte, als er vorrechnete, dass er als Solist an einem großen deutschen Haus schlechter lebe als ein Student: „Die Verteilung innerhalb des Systems Oper funktioniert nicht sauber, das Gehaltsgefälle ist unglaublich groß. Da sind die Techniker, die vergleichsweise gut verdienen, die Orchestermusiker, die auch relativ ordentlich verdienen, und die Choristen, die an vielen Theatern mehr verdienen als junge Solisten. (…) Es gibt eine Art Solo-Prekariat am Theater.“ Der Sänger ist inzwischen übrigens als Unternehmensberater tätig – wohl nicht für ein Opernhaus.
Noch schlechter als einem Sänger geht es bei Eurowings neuerdings den Geigern. Fliegen mit Instrument ist für sie nur noch im „Smart Tarif“ möglich. Ob ein „very smart“-Tarif für Dirigenten und Regisseure geplant ist, weiß man nicht.
Und wie war das noch mit dem Theater als moralische Anstalt? Vor zwei Wochen habe ich Nike Wagner an dieser Stelle um Stellungnahme gebeten. Ich wollte wissen, warum sie ihrem Freund, dem verurteilten Sexualstraftäter Siegfried Mauser, eine private Mail von Komponist Moritz Eggert weitergeleitet hat. Auch der Bonner Generalanzeiger wurde hellhörig. Es kam aber nur eine lauwarme Distanzierung vom Beethovenfest (siehe letzter Newsletter). Nun wächst der öffentliche Druck, und Wagner hat tatsächlich eine verschrobene Pressemitteilung verschickt. Darin hat sie sich selber einen Maulkorb verpasst und erklärt, in der Öffentlichkeit nichts mehr über Mauser sagen zu wollen. Ganz nebenbei ließ die Intendantin des Beethovenfestes in Bonn noch wissen: „Selbstverständlich sind mir die großen Verdienste der #Metoo-Bewegung bewusst. Die Opfer sexueller Gewalt haben dadurch eine Stimme erhalten.“ Leider nicht die von Nike Wagner. Inzwischen hat auch Jan Brachmann in der FAZ unseren Diskurs aufgenommen und sieht die Götterdämmerung für Nike Wagner voraus: mäßiges Programm, schlechte Auslastungszahlen, moralisch angreifbar. Ihre Wiederwahl 2020 scheint immer unwahrscheinlicher. Wir bleiben dran.
Daniel Barenboim hat ebenfalls keine Lust mehr zu reden. Das Programm der Staatsoper in Berlin wurde dieses Mal nicht auf einer lästigen Pressekonferenz mit nervigen Nachfragen bekanntgegeben, sondern schnöde im Internet veröffentlicht. „Was für eine vertane Chance“, findet Frederik Hanssen vom Tagesspiegel (dazu bitte auch die Anmerkung über den Klassik-Journalismus von Dieter David Scholz am Ende dieses Newsletters lesen!).
Nachdem sich das Concertgebouw Orchestra wegen angeblicher sexueller Übergriffe von Daniele Gatti getrennt hat und er den Ring in Bayreuth 2020 wohl auch nicht dirigieren wird, öffnet die Staatskapelle Dresden ihm jetzt die Tür zur Rehabilitation – sie hat ihn für die nächste Saison engagiert.
Stellt sich die Frage, wie moralisch wir sein müssen, sollten oder dürfen. In der Literatur sind „Moralklauseln“ in Verträgen wieder gang und gäbe. Wird ein Künstler zum Gegenstand eines Skandals, droht der Rauswurf. Meredith Haaf wägt in der Süddeutschen Pro und Contra dieses Umgangs mit Künstlern ab.
Wer wird an der Opéra Bastille auf Stéphane Lissner folgen? Der steht nicht nur als Direktor in der Kritik, sondern auch, weil er in einer TV-Unterhaltungsshow daran gescheitert ist, berühmte Opernarien zu erkennen. In Frankreich kursieren Namen von allerhand französischen Intendanten, aber auch Dirigent Marc Minkowski wird genannt, und Wiens scheidender Staatsoperndirektor Dominique Meyer soll sich ebenfalls in die Warteschlange gestellt und die Ellenbogen ausgefahren haben. Lissners großer Wurf für die Saison 2019 ist übrigens ein neuer Ring von Calixto Bieito unter Leitung von Philippe Jordan.
Was war
Zugegeben, die Pariser Oper ist zum Abreißen hässlich: pompös, aber eng und gänzlich unpraktisch. Ähnlich denken die Stuttgarter über ihre Liederhalle. Nun fordert die Konzerthaus-Initiative den Neubau einer Stuttgarter Philharmonie. SWR-Manager Felix Fischer dämpft allerdings die Erwartungen: Eine Eröffnung wäre frühestens 2030 realisierbar, sagt er. Warum eigentlich? Ein Konzerthaus ist doch kein Bahnhof!
Im Feuilleton diese Woche große Verbeugungen vor zwei Legenden: „Sängerisches Genie“, schwärmt Jürgen Kersting in der FAZ über Cecilia Bartoli, die in Neapel ein Belcanto-Programm gesungen hat: „Das Publikum verfällt zunehmend in Raserei.“ Und in Wien gab der alte Haudegen Leo Nucci sich an einem Liederabend die Ehre und führte trotz seines Alters „ein singuläres Niveau von Sangeskunst“ vor, wie Walter Gürtelschmied feststellt. Ein unvergesslicher Abend mit Seniorenbeteiligung auch an der Met: Als Aleksandrs Antonenko als Samson mitten in der Vorstellung aufgeben musste, sprang spontan der 65-jährige Gregory Kunde ein – und begeisterte das Publikum. Andreas Dresen spricht in der Abendzeitung über seine Fanciulla-del-West-Inszenierung an der Bayerischen Stasatsoper, die für Marco Frei in der NZZ aber vor allen Dingen ein Erfolg für Dirigent James Gaffigan und Sopran Anja Kampe war. Altmeisterlich und nicht ganz stimmig fand Tagesspiegel-Kritiker Frederik Hanssen Händels Poros in der Inszenierung von Harry Kupfer an der Komischen Oper. Am Theater an der Wien wurde die Dirigentin Oksana Lyniv für ihre Interpretation von Tschaikowskys Die Jungfrau von Orleans gefeiert. In Weimar wurde die neue Tosca von Hausherr Hasko Weber als „Sex and Crime“-Story im Kirchenstaat bejubelt (mit Alik Abdukayumov als Scarpia und Camila Ribero-Souza als Tosca).
Hinter der Zeitungs-Paywall hat sich Florian Zinnecker für die Zeit durch den Dschungel der ebenfalls kostenpflichtigen Streamingdienste geschlagen – und fragt am Ende: „Wer soll das alles hören?“ Eine Frage, die man sich auch bei Sony stellt – bald allerdings an neuer Location. Einst hatte die Firma ihren Hauptsitz im Sony-Center in Berlin, dann wieder in München, und nun ziehen 300 Mitarbeiter in den Stadtteil Schöneberg. „Berlin ist das kulturelle und kreative Epizentrum Deutschlands“, sagt Sony-Music-Vorstandschef Patrick Mushatsi-Kareba, „ich freue mich sehr, in ein modernes Gebäude in einer der lebendigsten und begehrtesten Gegenden der Stadt umziehen zu können.“
Nach kurzer, schwerer Krankheit ist die Kostümbildnerin Renate Schmitzer gestorben, Detlef Brandenburg hat ihr schön nachgerufen. Das SWR-Orchester verbindet für Roger Norrington zum 85. die Eroica und Happy Birthday. Und noch etwas Schönes: Die Sängerin Sonya Yoncheva musste Termine in den letzten Wochen absagen. Nun erklärt sie den Grund: Sie erwartet ihr zweites Kind, und wir freuen uns mit ihr!
Was lohnt
Der Komponist Francesco Cavalli verstand das Opernhaus in Venedig als Ort für alle Menschen! Und wenn Coutertenor Philippe Jaroussky auf seiner neuen Aufnahme Ombra mai fu nun durch 15 Opern Cavallis singt, wird klar, was das bedeutet: Kein menschliches Gefühl war diesem Komponisten fremd. Und kein menschliches Gefühl, das Jaroussky nicht in Klang betten kann! Begleitet vom äußerst klugen Ensemble Artaserse und den Gesangspartnerinnen Marie-Nicole Lemieux und Emöke Baráth ist hier Musik zu hören, die mitten im Leben steht und dauernd in den Himmel blickt.
Selten hat jemand ein Buch von mir so verrissen wie der Journalist Dieter David Scholz. Seither stalke ich ihn auf Facebook! Und da hat er nun einen wirklich guten Punkt gemacht: „Liebe Kolleg(Inn)en, ich muss es jetzt doch mal loswerden“, fängt sein Post an. „Ich finde es degoutant, provinziell und kleinkariert, wenn einige von Euch alles an Opernpremieren, was im Sendegebiet oder Verbreitungsgebiet des Printmediums herauskommt, grundsätzlich hochjubeln, toll finden, für wichtig oder hörenswert erachten. Was soll das? Geht in die Politik, meinetwegen. Aber das hat mit unabhängigem, kritischem Journalismus nichts zu tun. Das ist Hofberichterstattung, Pressearbeit, allerdings auf der falschen Seite. Schämt Euch. Ihr bringt den Ruf des Kritikers in Verruf. Ihr desavouiert das Gewerbe und macht es lächerlich, ja überflüssig! Schade.“ Abgesehen von den lesenswerten Kommentaren unter Scholz« Post finde ich, dass dieses ein Thema für einen größeren Rahmen sein könnte: Wie unabhängig ist die Musikkritik wirklich? Warum wird sie so schlecht bezahlt, dass ein Geiger aus Chicago dafür nicht Mal eine leere A‑Saite spielen würde? Und fehlt der Klassik am Ende gar die vierte Gewalt?
In diesem Sinne
streiten Sie mit und halten Sie die Ohren steif,
Ihr