KlassikWoche 12/2019

Streik in Chicago, Gerangel in Paris, Schweigen in Bonn

von Axel Brüggemann

17. März 2019

Heute geht es unter anderem um zu wenig Geld, um zu wenige Worte und um zu schlechte Kritiker.

Will­kommen in der neuen Klassik-Woche,

heute geht es unter anderem um zu wenig Geld, um zu wenige Worte und um zu schlechte Kritiker.

Was ist

Reden wir erst einmal über Geld. Wenn Musiker demons­trieren, werden sie in der Regel nicht laut, sondern verstummen: In den  streikt derzeit das . Dabei wird kaum ein ameri­ka­ni­sches Ensemble besser bezahlt. Das nied­rigste Musik­er­ein­kommen liegt bei 159.000 Dollar. Aber gerin­gere Ticket­ver­käufe und schwie­rige Spon­­soren-Akquise drücken auf die Kosten. Jetzt geht es um einen vernünf­tigen Pensi­ons­plan. Chef­di­ri­gent  muss auf der einen Seite das „Board“ glück­lich machen, lässt aber keine Zweifel an seiner Soli­da­rität: „Als Musik­di­rektor stelle ich mich hinter die Musiker. Sie machen keinen Job, sondern haben eine Mission.“ Etwas schwülstig und im Fortis­simo droht er: „Die ganze Welt schaut gerade auf Chicago.

Viel­leicht schaut ja auch der anonyme Opern­sänger, der jüngst in der Zeit für Aufsehen sorgte, als er vorrech­nete, dass er als Solist an einem großen deut­schen Haus schlechter lebe als ein Student: „Die Vertei­lung inner­halb des Systems Oper funk­tio­niert nicht sauber, das Gehalts­ge­fälle ist unglaub­lich groß. Da sind die Tech­niker, die vergleichs­weise gut verdienen, die Orches­ter­mu­siker, die auch relativ ordent­lich verdienen, und die Choristen, die an vielen Thea­tern mehr verdienen als junge Solisten. (…) Es gibt eine Art Solo-Preka­riat am Theater.“ Der Sänger ist inzwi­schen übri­gens als Unter­neh­mens­be­rater tätig – wohl nicht für ein Opern­haus.

Noch schlechter als einem Sänger geht es bei Euro­wings neuer­dings den Geigern. Fliegen mit Instru­ment ist für sie nur noch im „Smart Tarif“ möglich. Ob ein „very smart“-Tarif für Diri­genten und Regis­seure geplant ist, weiß man nicht.

Und wie war das noch mit dem Theater als mora­li­sche Anstalt? Vor zwei Wochen habe ich Nike Wagner an dieser Stelle um Stel­lung­nahme gebeten. Ich wollte wissen, warum sie ihrem Freund, dem verur­teilten Sexu­al­straf­täter Sieg­fried Mauser, eine private Mail von Kompo­nist  weiter­ge­leitet hat. Auch der Bonner Gene­ral­an­zeiger wurde hell­hörig. Es kam aber nur eine lauwarme Distan­zie­rung vom Beet­ho­ven­fest (siehe letzter News­letter). Nun wächst der öffent­liche Druck, und Wagner hat tatsäch­lich eine verschro­bene Pres­se­mit­tei­lung verschickt. Darin hat sie sich selber einen Maul­korb verpasst und erklärt, in der Öffent­lich­keit nichts mehr über Mauser sagen zu wollen. Ganz nebenbei ließ die Inten­dantin des Beet­ho­ven­festes in noch wissen: „Selbst­ver­ständ­lich sind mir die großen Verdienste der #Metoo-Bewe­­gung bewusst. Die Opfer sexu­eller Gewalt haben dadurch eine Stimme erhalten.“ Leider nicht die von Nike Wagner. Inzwi­schen hat auch Jan Brach­mann in der FAZ unseren Diskurs aufge­nommen und sieht die Götter­däm­me­rung für Nike Wagner voraus: mäßiges Programm, schlechte Auslas­tungs­zahlen, mora­lisch angreifbar. Ihre Wieder­wahl 2020 scheint immer unwahr­schein­li­cher. Wir bleiben dran.

Daniel Baren­boim hat eben­falls keine Lust mehr zu reden. Das Programm der Staats­oper in  wurde dieses Mal nicht auf einer lästigen Pres­se­kon­fe­renz mit nervigen Nach­fragen bekannt­ge­geben, sondern schnöde im Internet veröf­fent­licht. „Was für eine vertane Chance“, findet Frederik Hanssen vom Tages­spiegel (dazu bitte auch die Anmer­kung über den Klassik-Jour­na­­lismus von Dieter David Scholz am Ende dieses News­let­ters lesen!).

Nachdem sich das Concert­ge­bouw Orchestra wegen angeb­li­cher sexu­eller Über­griffe von Daniele Gatti getrennt hat und er den Ring in Bayreuth 2020 wohl auch nicht diri­gieren wird, öffnet die Staats­ka­pelle  ihm jetzt die Tür zur Reha­bi­li­ta­tion – sie hat ihn für die nächste Saison enga­giert.

Stellt sich die Frage, wie mora­lisch wir sein müssen, sollten oder dürfen. In der Lite­ratur sind „Moral­klau­seln“ in Verträgen wieder gang und gäbe. Wird ein Künstler zum Gegen­stand eines Skan­dals, droht der Raus­wurf. Meredith Haaf wägt in der Süddeut­schen Pro und Contra dieses Umgangs mit Künst­lern ab.

Wer wird an der  auf Stéphane Lissner folgen? Der steht nicht nur als Direktor in der Kritik, sondern auch, weil er in einer TV-Unter­hal­­tungs­­­show daran geschei­tert ist, berühmte Opern­arien zu erkennen. In Frank­reich kursieren Namen von aller­hand fran­zö­si­schen Inten­danten, aber auch Diri­gent  wird genannt, und Wiens schei­dender Staats­opern­di­rektor Domi­nique Meyer soll sich eben­falls in die Warte­schlange gestellt und die Ellen­bogen ausge­fahren haben. Liss­ners großer Wurf für die Saison 2019 ist übri­gens ein neuer Ring von Calixto Bieito unter Leitung von Phil­ippe Jordan.

Was war

Zuge­geben, die Pariser Oper ist zum Abreißen häss­lich: pompös, aber eng und gänz­lich unprak­tisch. Ähnlich denken die Stutt­garter über ihre Lieder­halle. Nun fordert die Konzer­t­haus-Initia­­tive den Neubau einer Stutt­garter Phil­har­monie. SWR-Manager Felix Fischer dämpft aller­dings die Erwar­tungen: Eine Eröff­nung wäre frühes­tens 2030 reali­sierbar, sagt er. Warum eigent­lich? Ein Konzert­haus ist doch kein Bahnhof!

Im Feuil­leton diese Woche große Verbeu­gungen vor zwei Legenden: „Sänge­ri­sches Genie“, schwärmt Jürgen Kers­ting in der FAZ über , die in ein Belcanto-Programm gesungen hat: „Das Publikum verfällt zuneh­mend in Raserei.“ Und in gab der alte Haudegen  sich an einem Lieder­abend die Ehre und führte trotz seines Alters „ein singu­läres Niveau von Sanges­kunst“ vor, wie Walter Gürtel­schmied fest­stellt. Ein unver­gess­li­cher Abend mit Senio­ren­be­tei­li­gung auch an der Met: Als Alek­sandrs Anto­nenko als Samson mitten in der Vorstel­lung aufgeben musste, sprang spontan der 65-jährige Gregory Kunde ein – und begeis­terte das Publikum. Andreas Dresen spricht in der Abend­zei­tung über seine Fanciulla-del-West-Insze­nie­rung an der Baye­ri­schen Stasats­oper, die für Marco Frei in der NZZ aber vor allen Dingen ein Erfolg für Diri­gent James Gaffigan und Sopran  war. Altmeis­ter­lich und nicht ganz stimmig fand Tages­spiegel-Kritiker Frederik Hanssen Händels Poros in der Insze­nie­rung von  an der Komi­schen Oper. Am Theater an der Wien wurde die Diri­gentin  für ihre Inter­pre­ta­tion von Tschai­kow­skys Die Jung­frau von Orleans gefeiert. In wurde die neue Tosca von Haus­herr Hasko Weber als „Sex and Crime“-Story im Kirchen­staat beju­belt (mit Alik Abdu­kayumov als Scarpia und Camila Ribero-Souza als Tosca).

Hinter der Zeitungs-Paywall hat sich Florian Zinne­cker für die Zeit durch den Dschungel der eben­falls kosten­pflich­tigen Strea­ming­dienste geschlagen – und fragt am Ende: „Wer soll das alles hören?“ Eine Frage, die man sich auch bei Sony stellt – bald aller­dings an neuer Loca­tion. Einst hatte die Firma ihren Haupt­sitz im Sony-Center in Berlin, dann wieder in , und nun ziehen 300 Mitar­beiter in den Stadt­teil Schö­ne­berg. „Berlin ist das kultu­relle und krea­tive Epizen­trum Deutsch­lands“, sagt Sony-Music-Vorstand­s­­chef Patrick Mushatsi-Kareba, „ich freue mich sehr, in ein modernes Gebäude in einer der leben­digsten und begehr­testen Gegenden der Stadt umziehen zu können.

Nach kurzer, schwerer Krank­heit ist die Kostüm­bild­nerin Renate Schmitzer gestorben, Detlef Bran­den­burg hat ihr schön nach­ge­rufen. Das SWR-Orchester verbindet für  zum 85. die Eroica und Happy Birthday. Und noch etwas Schönes: Die Sängerin  musste Termine in den letzten Wochen absagen. Nun erklärt sie den Grund: Sie erwartet ihr zweites Kind, und wir freuen uns mit ihr!

Was lohnt

Der Kompo­nist Fran­cesco Cavalli verstand das Opern­haus in  als Ort für alle Menschen! Und wenn Couter­tenor Phil­ippe Jaroussky auf seiner neuen Aufnahme Ombra mai fu nun durch 15 Opern Cavallis singt, wird klar, was das bedeutet: Kein mensch­li­ches Gefühl war diesem Kompo­nisten fremd. Und kein mensch­li­ches Gefühl, das Jaroussky nicht in Klang betten kann! Begleitet vom äußerst klugen Ensemble Arta­serse und den Gesangs­part­ne­rinnen  und Emöke Baráth ist hier Musik zu hören, die mitten im Leben steht und dauernd in den Himmel blickt. 

Selten hat jemand ein Buch von mir so verrissen wie der Jour­na­list Dieter David Scholz. Seither stalke ich ihn auf Face­book! Und da hat er nun einen wirk­lich guten Punkt gemacht: „Liebe Kolleg(Inn)en, ich muss es jetzt doch mal loswerden“, fängt sein Post an. „Ich finde es degou­tant, provin­ziell und klein­ka­riert, wenn einige von Euch alles an Opern­pre­mieren, was im Sende­ge­biet oder Verbrei­tungs­ge­biet des Print­me­diums heraus­kommt, grund­sätz­lich hoch­ju­beln, toll finden, für wichtig oder hörens­wert erachten. Was soll das? Geht in die Politik, meinet­wegen. Aber das hat mit unab­hän­gigem, kriti­schem Jour­na­lismus nichts zu tun. Das ist Hofbe­richt­erstat­tung, Pres­se­ar­beit, aller­dings auf der falschen Seite. Schämt Euch. Ihr bringt den Ruf des Kriti­kers in Verruf. Ihr desavou­iert das Gewerbe und macht es lächer­lich, ja über­flüssig! Schade.“ Abge­sehen von den lesens­werten Kommen­taren unter Scholz« Post finde ich, dass dieses ein Thema für einen größeren Rahmen sein könnte: Wie unab­hängig ist die Musik­kritik wirk­lich? Warum wird sie so schlecht bezahlt, dass ein Geiger aus Chicago dafür nicht Mal eine leere A‑Saite spielen würde? Und fehlt der Klassik am Ende gar die vierte Gewalt? 

In diesem Sinne

streiten Sie mit und halten Sie die Ohren steif,

Ihr 

Axel Brüg­ge­mann

brueggemann@​crescendo.​de

Fotos: Josef Fischnaller / Parlophone Records Ltd