Umewaka Kennōkai Foundation Tokio

Abgrün­dige Tiefe und Erha­ben­heit

von Ruth Renée Reif

15. August 2019

Am 3. September 2019 gastiert im Rahmen des Berliner Musikfests das Ensemble der Umewaka Kennōkai Foundation Tokio mit klassischem Nō-Theater in der Philharmonie.

Das Nō-Theater gehört zu den beein­dru­ckendsten Kunst­formen Japans. Es folgt einem bis ins Kleinste fest­ge­legten Zere­mo­niell und ist extrem abstrakt. Jede Bewe­gung ist redu­ziert und verschmilzt mit Text, Gesang, Instru­men­tal­musik sowie Tanz und Farb­sym­bolik zu einer faszi­nie­renden Einheit. Das Spiel ist gekenn­zeichnet von abgrün­diger Tiefe, Schlicht­heit und Erha­ben­heit. Es dringt in die Tiefe des mensch­li­chen Bewusst­seins und bringt die unsichtbar wirkenden Kräfte leib­haftig auf die Bühne. Eine Beson­der­heit stellen die Masken dar, die die Spieler tragen. Mit unüber­treff­li­cher Schlicht­heit zeigen sie Gefühle und damit das Innere der jewei­ligen Figur.

Die Kiefer als Symbol der Lebens­kraft

Ein Nō-Spiel beginnt damit, dass der Neben­spieler die Bühne betritt, an deren Rück­wand eine aufge­malte Kiefer Lebens­kraft symbo­li­siert. Der Spieler nennt Ort und Zeit der Hand­lung. Er sagte, dass er eine Reise vorhabe und durch Gesang erläu­tert er, dass er sich bereits unter­wegs befinde und an einem bestimmten Ort ange­kommen sei. Darauf tritt der Haupt­spieler auf, pracht­voll gekleidet und mit einer Maske. Er macht Andeu­tungen über wunder­same, trau­rige und tragi­sche Ereig­nisse und weckt die Neugierde des Neben­spie­lers. Dieser sucht nun heraus­zu­be­kommen, welche Figur der Haupt­spieler darstellen werden und worum es in dem Stück gehen werde.

Gezeigt wird zunächst ein Götter­stück, darauf ein Kriegs­stück, gefolgt von einem Frau­en­stück, in dem der Haupt­dar­steller eine Frau verkör­pert, um damit das Wesen des Weib­li­chen zu zeigen. Darauf verfällt die Frau aus Trauer über den Tod ihres Geliebten oder ihres Kindes dem Wahn­sinn, ehe am Schluss Dämonen und Geister erscheinen und das Spiel mit einem Tanz endet. Dieser schlägt die Bühne in den Bann einer tran­szen­denten Kraft. Das Reper­toire umfasst etwa 2000 Stücke, von denen 200 den klas­si­schen Kanon bilden. Im klas­si­schen Programm folgt auf jedes Nō-Drama ein Inter­mezzo. Dabei wird ein soge­nanntes Kyōgen-Stück aufge­führt mit komi­schen Dialogen und akro­ba­ti­schen Späßen. Das Ensemble der Umewaka Kennōkai Foun­da­tion zeigt drei Haupt­gat­tungen des klas­si­schen Nō-Thea­ters: das kulti­sche Tanz­spiel, die Kyōgen-Komödie und das drama­ti­sche Nō-Spiel. Das Nō-Thea­ter­en­semble der Foun­da­tion setzt sich aus der Gruppe der Haupt­dar­steller der Umewaka-Familie sowie Neben­dar­stel­lern, Kyōgen-Zwischen­spie­lern und vier Instru­men­ta­listen aus jeweils eigenen Spie­ler­fa­mi­lien zusammen. Die Umewaka-Familie selbst zählt zu den ältesten Nō-Schau­spie­ler­fa­mi­lien Japans.

„Das Sammeln von Perlen
und das Erwerben von Blüten“

Das Nō-Spiel entstand im 14. Jahr­hun­dert. Es wurzelt tief in der Samurai-Kultur und im Zen-Buddhismus und geht zurück auf den Schau­spieler Zeami. In seinen Schriften wie „Die Neun Stufen“ oder „Das Sammeln von Perlen und das Erwerben von Blüten“ erläu­tert dieser den Unter­schied zwischen bloßer Nach­ah­mung und der getreuen Wieder­gabe des inneren Wesens einer Figur. Dabei muss der Darsteller immer auf Anmut und Eleganz achten. Auf dieser Weise kann er beim Publikum Verbor­genes wecken, es inner­lich bewegen und über­ra­schen. Alle Bewe­gungen sind verlang­samt, alle Schritte gemessen und alle Gesten auf ein Zeichen redu­ziert. „Schlägt das Herz zehn­fach, darf der Körper sieben­fach reagieren“, schreibt Zeami vor. So verraten drei Schritte nach vorne bereits höchste Erre­gung.

Die Themen der Nō-Spiele sind den Volks­my­then entnommen. Aber die Spiele wurden nicht vor dem Volk aufge­führt. Sie waren dem Shogun und dem Schwert­adel vorbe­halten. Im späten 16. Jahr­hun­dert fanden sie an den Fürs­ten­höfen zu höchster Entfal­tung. Erst nach dem Zerfall der feuda­lis­ti­schen Struk­turen Mitte des 19. Jahr­hun­derts suchten die Nō-Spieler nach Einnah­me­quellen und brachten das Nō-Spiel an die Öffent­lich­keit. Sie zeigten es auf Tour­neen auch im Ausland, wo es nach­hal­tigen Einfluss auf das abend­län­di­sche Theater ausübte.

Das Foto zeigt das Nō-Theater „Shōjō – Midare / Sō no mai“ des Ensem­bles der Umewaka Kennokai Foun­da­tion (©Kodama Seiichi).

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