AuditivVokal Dresden
Sei dir der Sterblichkeit bewusst
von Ruth Renée Reif
16. April 2021
AuditivVokal Dresden bringt am 18. April 2021 im Rahmen der 30. Dresdner Tage der zeitgenössischen Musik Tonlagen in Hellerau Memento mori. Todesfuge von Paul-Heinz Dittrich postum zur Uraufführung.
Als Paul-Heinz Dittrich am 28. Dezember 2020 im Alter von 90 Jahren im brandenburgischen Zeuthen verstarb, hinterließ er eine Reihe von Werken aus seinen letzten drei Lebensjahrzehnten, die bislang unaufgeführt blieben. Darunter befand sich auch Memento mori. Todesfuge, komponiert in den Jahren 1985 bis 1998 nach Paul Celans Gedicht.
Anfang der 1970er-Jahre hatte Paul-Heinz Dittrich mit der Komposition Die anonyme Stimme nach Samuel Beckett einen großen Raum in seinem Schaffen geöffnet. Die literarische Welt wurde von da an Teil seines musikalischen Denkens. So verarbeitete er phonetische Elemente des Dadaismus zu Klangstrukturen und setzte sich in seinen Kompositionen mit Texten von James Joyce, Bertolt Brecht, Pablo Neruda, Arthur Rimbaud, Arno Schmidt, Heiner Müller und anderen auseinander. Angeregt von Adornos Aufsatz Parataxis, der auf die Eliminierung von Vermittlungen und das schroff Unverbundene in Hölderlins später Lyrik hinwies, begann er in den 1980er-Jahren, Textebenen aneinanderzureihen und übereinanderzuschichten sowie Sprachkonglomerate zu formen. 1981 komponierte er Engführung für Sopran, sechs Vokalsolisten, Orchester, Live-Elektronik und Tonband nach Paul Celan, dessen Lyrik ihn seit den 1960er-Jahren immer wieder inspirierte.
Paul Celan war in Westdeutschland erst 1952 durch den schlichten Band Mohn und Gedächtnis bekannt geworden, in dem sich Die Todesfuge befand. Vorangegangen war ein Auftritt bei der Gruppe 47 in Niendorf, wo er u.a. auch Die Todesfuge las und Unverständnis und Spott erntete. Die DDR habe Paul Celan gemieden, wie Thomas Sparr in seiner „Biografie“ der Todesfuge erläutert. Und bei den offiziellen Vertretern des autoritären Staats sei er wegen seiner Dunkelheit und seiner Kritik am Stalinismus unbeliebt gewesen. Erst Mitte der 1980er-Jahre fand sein Gedicht Radix, Matrix Einzug in den Titel und Inhalt der subversiven Radix-Blätter. In diesem Umkreis wurden seine Gedichte auch diskutiert. Mittlerweile ist, wie der Celan-Biograf John Felstiner betont, Celans Todesfuge „die Quintessenz jedes möglichen Verstehens nach der Katastrophe“.
Paul-Heinz Dittrichs Komposition Memento mori. Todesfuge fordert ein Ensemble aus zwei 16-stimmigen Vokalgruppen, die jeweils aus vier Sopranen, Altistinnen, Tenören und Bässen bestehen. Die stimmlichen Anforderungen reichen von klar artikulierten Deklamationen des Textes über madrigaleske Prägungen bis zu ihrer Bedeutung enthobenen Lautklängen. Auch die dynamische Spannbreite ist weit und erstreckt sich vom kaum hörbaren Hauch bis zum forcierten Klang.
Die Uraufführung von Paul-Heinz Dittrichs Memento mori. Todesfuge wird am 18. April 2021 um 20 Uhr auf der Website von Hellerau – Europäisches Zentrum der Künste gestreamt. Der Stream ist kostenfrei. Doch freut man sich über den Erwerb eines freiwilligen Tickets.