KlassikWoche 08/2019

Bayreuths „Ring“ und der Penis von Curr­entzis

von Axel Brüggemann

18. Februar 2019

Wer dirigiert den Bayreu­ther Ring 2020? Wie steht es um die Kultur und die Rund­funk­or­chester? Wie war Yuval Sharons Berliner Zauber­flöte? Und was war das mit dem Penis von Curr­entzis?

Will­kommen in der neuen Klassik-Woche, 

vielen Dank für die zahl­rei­chen Zuschriften zur ersten „Klassik-Woche“. Heute geht es unter anderem mit diesen Themen weiter: Wer wird den Bayreu­ther Ring 2020 diri­gieren? Wie steht es um das Fern­sehen, die Kultur und die Rund­funk­or­chester? Wie war Yuval Sharons Berliner Zauber­flöte? Und was war das mit dem Penis von Teodor Curr­entzis?

Was ist?

In Bayreuth wird ein Geheimnis daraus gemacht, wer den Ring 2020 diri­gieren wird. Daniele Gatti wurde nach der #MeToo-Debatte vom Concert­ge­bouw gekün­digt und steht nicht mehr auf der Bayreu­ther Beset­zungs­liste. Bislang wurden Andris Nelsons und Chris­tian Thie­le­mann als Ersatz debat­tiert – aber vieles, was wir hören, weist auf den Italiener  hin, der den Ring der Regis­seurin Tatjana Gürbaca, der ehema­ligen Mainzer Opern­di­rek­torin, nun musi­ka­lisch leiten soll.

Im Forum Opera verkün­dete , dass sie die Isolde singen will, aller­dings unter der Bedin­gung, dass ihr Ehemann  den Tristan gibt – eine Vorstel­lung, die wir eher mild und leise belä­cheln. 

Noch immer steht Diri­gent Daniel Baren­boim in der Kritik. Nachdem das VAN-Magazin den auto­ri­tären Stil des „Polter­geistes der Klassik“ thema­ti­sierte, fand nun die Einord­nung im Feuil­leton statt. Während Manuel Brug im Kultur­radio gespalten ist, wirft sich Eleo­nore Büning im für Baren­boim in die Bresche – viel­leicht weil ihr Führungs­stil aus alten FAZ-Zeiten dem des Maestro nicht ganz unähn­lich war? 

Parallel zur Berli­nale fand in Berlin die „Avant-Première“ statt: Film­pro­du­zenten klas­si­scher Musik präsen­tierten Sendern ihre neuen Projekte. An einem Steh­tisch stöhnte ein Redak­teur: „Dieses Jahr komme ich mir vor wie auf dem Stra­ßen­strich: Produ­zenten packen ihren Busen aus und bieten uns die tollsten Dinge an – aber wir haben nicht mal Geld für den Billig-Strich.“ 

Derweil lässt das  seinen alten Sender „ZDF-Kultur“ als Online­an­gebot aufleben. Bei privaten Anbie­tern sorgt das für Skepsis. ZDF-Program­m­­chef Norbert Himmler in der FAZ: „Den Tag will ich erleben, an dem die Privat­sender in Deutsch­land eine digi­tale Kultur­platt­form eröffnen.“ Was der ZDF-Mann viel­leicht vergessen hat: AmazonNetflixMagenta und Co. könnten die Öffen­t­­lich-Rech­t­­li­chen in Sachen Kultur bald über­holen. Keiner dieser Strea­ming­dienste war übri­gens auf der Avant-Première, auch weil sie lieber neue Pfade beschreiten, als auf alten zu stampfen.

Passend dazu hat der Düssel­dorfer Ökonomie-Professor  in der Wirt­­schafts-Woche die Debatte losge­treten, warum Radio­or­chester von Fern­seh­ge­bühren und nicht über Steuern finan­ziert werden. Wie auch immer: Sie sind tradi­tio­nelle Aushän­ge­schilder der deut­schen Medi­en­land­schaft und sollten viel mehr Raum in den Programmen von ARD und ZDF bekommen!

Eine Geschichte wird das Feuil­leton wohl auch die kommende Woche noch beschäf­tigen. In seinem Blog greift der Kompo­nist  die Inten­dantin  und den Kompo­nisten und Diri­genten  frontal an. Beide hätten vertrau­liche E‑Mails von Eggert weiter­ge­leitet, um Sieg­fried Mauser (ihm werden sexu­elle Über­griffe an der Münchner Musik­hoch­schule vorge­worfen) und den wegen Verge­wal­ti­gung ange­klagten  über den Stand der Dinge zu infor­mieren. Nike Wagner habe private Mails von Eggert sogar unter ihrer dienst­li­chen Mail-Adresse als Leiterin des Beet­hoven-Festes weiter­ge­leitet (mit den Worten „Lieber Sigi, wie ausge­macht habe ich Eggert nicht geant­wortet …“). „Alte Seil­schaften sind dicker als Blut“, echauf­fiert sich Eggert und ärgert sich über den Vertrau­ens­miss­brauch und darüber, wie das System der Klassik sich selber deckt.

Was war?

Span­nend, dass mit Teodor Curr­entzis inzwi­schen ein Enfant terrible einem Radio­or­chester wie dem SWR vorsteht. Sein Multi­­media-Projekt Dau, das in Berlin nicht gezeigt wurde, nun aber in Paris aufge­führt wird, verstörte die Kritik. Jürgen König findet das Projekt im Deutsch­land­funk einfach nur „pein­lich bis hoch­stap­le­risch“, und Igor Torony-Lalic vom Spec­tator schreibt: „Das einzig halb­wegs Span­nende für einen Musik­kri­tiker ist, dass es das erigierte Glied von Teodor Curr­entzis zu sehen gab. Nun, ich habe Haitinks Dödel noch nie gesehen, oder Rattles oder Tosca­ninis. Wenigs­tens das war neu. Etwas, das man auf der Liste abhaken kann.“ 

Einige Tage vor der gest­rigen Zauber­flöten-Première an der Berliner Staats­oper saß Regis­seur  mit seinem Drama­turgen im Luxus­re­stau­rant von  und bekam von seinem Mitar­beiter eine Mario­nette geschenkt. Ein Marken­zei­chen seiner Insze­nie­rung, die aller­dings nicht über­zeugen konnte. Die flie­genden Zauber­flöten-Figuren auf der Bühne der Staats­oper sorgten bei Uwe Fried­rich in der Nacht­kritik für Fazit für einen Wutaus­bruch. Für ihn „eine schlechte Parodie der Augs­burger Puppen­kiste“. Sharon lässt unent­wegt Menschen durch die Lüfte fliegen, die Sänger haben Angst, können kaum hören, die Dialoge kommen, von Kindern gespro­chen, aus der Konserve und am Ende ein für Fried­rich unmo­ti­vierter Hauch von Regie­theater, wenn Tamino und Pamina ihre Feuer- und Wasser­prü­fung erle­digen müssen. Bei Sharon drehen sie in einer Einbau­küche den Gasherd auf und machen den Abwasch. Ein Total­ver­riss, beson­ders, was die Leis­tung der für  einge­sprun­genen Diri­gentin  betrifft: Zu langsam, zu unin­spi­riert – und über­haupt: über­schätzt, sagt Fried­rich. Hier, der Ausge­wo­gen­heit wegen, ein Inter­view mit dem Team der Oper und der Vorbe­richt der  Times.

Und sonst? Der einst unge­stüme und über Sex-Skan­­dale gestol­perte Pianist  versuchte sich in  an einer Rück­kehr, konnte Walter Gürtel­schmied von der Presse aber nicht über­zeugen. In New York hat der Tenor Javier Cama­rena die Oper zum Sport erhoben und gleich 18 hohe Cs in der Regi­ments­tochter geschmet­tert. Über­wäl­ti­gend fand Rein­hard J. Brem­beck die Krenek-Auffüh­rung von Karl V. in  mit . Auch Georg-Albrecht Eckle lobt den Krieg der Sterne mit 12 Tönen von  in der Print­aus­gabe der aktu­ellen Zeit. Die Wiener Volks­oper wird für eine neue Porgy und Bess-Insze­nie­rung mit „der sensi­blen  und einem über­wäl­ti­genden Morris Robinson“ gefeiert. Walter Weid­ringer lobt in der Presse das Wien-Debüt von  mit der Première von Mendels­sohns Elias am Theater an der Wien und ist faszi­niert von der Gestal­tungs­kraft Chris­tian Gerha­hers. „Witzig und char­mant“ findet Jan Brach­mann in der FAZ die Auffüh­rung von La divi­sione del mondo von in Straß­burg durch Chris­tophe Rousset, und der Coun­ter­tenor und Regis­seur Max Emanuel Cencic setzt Händels Serse in Karls­ruhe als schil­lernde Revue in Szene. Span­nend bis zuletzt war der Kompo­­nisten-Wett­­be­­werb Opus One der Berliner Phil­har­mo­niker, bei dem sich  (*2000), Lukas Döhler (*2000), Sonja Ever­ling (*2002) Jona­than Spratte (*1999) und Alex­ander Tonikjan (*2003) als Gewinner durch­setzten.

An der Berliner Volks­bühne wurde der Vertrag von  bis 2021 verlän­gert. Einen rich­tigen Master­plan, wie Frank Castorfs Erbe verwaltet werden soll, gibt es aller­dings noch nicht. „Stadt­theater ist nicht genug“, findet Peter Lauden­bach in der Süddeut­schen. Konti­nu­ier­li­cher geht es am Leip­ziger Gewand­haus zu, wo Andreas Schulz bis 2025 als Direktor bestä­tigt wurde. Und noch eine Perso­nalie: Der polni­sche Geiger Krzy­sztof Polonek, der seit 2009 bei den Berliner Phil­har­mo­ni­kern spielt, hat das Vorspiel um die Konzer­t­­meister-Posi­­tion gewonnen und folgt damit auf Andreas Buschatz. Gratu­la­tion!

Was lohnt?

Das Klassik-Label Günter Häns­sler fördert auf der einen Seite junge Künstler wie die Harfe­nistin Helene Schütz oder das Piano-Duo Xie Sisters, auf der anderen gräbt es immer wieder Meilen­steine der Musik­auf­nahmen aus. Eine erscheint nun auf 10 CDs: die Live-Mitschnitte von Bene­detti Michel­an­geli, unter anderem mit Werken von Bach, Brahms, Ravel, Chopin und Debussy. Es ist ein akus­ti­sches Aben­teuer, seine unver­wech­sel­bare Mischung aus perfek­tio­nierter Schön­heit, aus leiden­schaft­li­cher Kraft und unend­lich kluger Kontrolle quer durch das Reper­toire zu verfolgen. Allein die Scar­latti-Sonaten würden diese Box bereits zu einem Meilen­stein machen. Selten bereitet die Wieder­ent­de­ckung einer Klas­sik­le­gende so viel Spaß wie hier. Ein Muss für jeden, der das Nonplus­ultra des Klavier­spiels in den Ohren haben will. 

Sehens­wert ist die aktu­elle Ausstel­lung im Bach-Museum  über den „Hof-Compo­­si­­teur Bach“ und die Zwänge des Musi­kers in einer fürst­li­chen Welt. Einen guten Einblick bekommt man bereits im Video auf der Seite des Bach-Museums. Die Leip­ziger Volks­zei­tung schreibt: „Diese Ausstel­lung verdeut­licht Entste­hungs- und Rahmen­be­din­gungen von Musik im Abso­lu­tismus: Bachs welt­li­ches und sakrales kompo­si­to­ri­sches Schaffen ist nicht nur ästhe­ti­sche Erfül­lung, sondern auch tönende Geschichte.“ 

Bis dahin, halten Sie die Ohren steif!

Ihr

Axel Brüg­ge­mann

brueggemann@​crescendo.​de

Fotos: Wiki Commons