Arnold Böcklin
Etwas erzählen und zu denken geben
von Ruth Renée Reif
15. Januar 2021
Arnold Böcklin suchte In seinen Gemälden, Stimmungen und Empfindungen sowie Ideen und Gedanken bildnerischen Ausdruck zu geben. Am 16. Januar 2021 jährt sich sein Todestag zum 120. Mal.
Mit einer verführerisch schönen, aber auf sumpfigem Grund gewachsenen, giftigen Orchidee wurden seine Werke verglichen. Zeit seines Lebens war er umstritten. Während die einen ihm jegliches Künstlertum absprachen, sahen die anderen in ihm ein Genie. Ein Gemälde ragt aus seinem Schaffen heraus: Die Toteninsel. Es zählt zu den meistreproduzierten Werken der Kunstgeschichte. Künstler aller Genres ließen sich von ihm anregen.
Salvador Dalí war von Böcklins Gemälde Die Toteninsel fasziniert. Wie sein Biograf Ian Gibson schreibt, gebe sein Text Träumerei, der im Dezember 1931 in der vierten Nummer von Le surréalisme au service de la révolution erschien, vor, „mit klinischer Objektivität eine onanistische Fantasie zu dokumentieren, die durch die Meditation über Böcklins schauererregende Toteninsel ausgelöst wurde“. Nach dem Erscheinen mussten sich am 3. Februar 1932 Louis Aragon und andere Surrealisten, die der Kommunistischen Partei angehörten, vor den Genossen im Pariser Hauptquartier für die Veröffentlichung rechtfertigen.
Sigmund Freud sollte das Gemälde zu einem Professorentitel verhelfen. Baroneß von Ferstel, eine seiner Patientinnen, rang dem Minister das Versprechen ab, den Arzt, der sie gesund machte, zum Professor zu ernennen. Dafür bot sie ihm „einen gewissen Böcklin“. Gemeint war Die Toteninsel. Allerdings befand sich das Bild im Besitz ihrer Tante. Freud wurde dennoch Professor, und der Minister musste sich mit einem Bild von Emil Orlik begnügen.
Auch die Musikwelt blieb von dem Gemälde nicht unberührt. Der erste Komponist, der das Gemälde vertonte, war im März 1890 Heinrich Schulz-Beuthen. Die Uraufführung seiner Sinfonischen Dichtung fand 1903 in Dresden statt. Zahlreiche Aufführungen in Chemnitz, Meißen und Teplitz folgten. Insgesamt soll es 29 Vertonungen des Gemäldes geben. Die heute berühmteste ist Sergei Rachmaninows Sinfonische Dichtung Die Totensinel op. 29.
Rachmaninow entdeckte das Gemälde bei einem Besuch in Leipzig in einer Gemäldegalerie. Nach der 1880 entstandenen Urfassung, die sich heute im Kunstmuseum Basel befindet, hatte Böcklin weitere Versionen erstellt. Eine davon befindet sich heute im Metropolitan Museum in New York, eine in der Alten Nationalgalerie in Berlin und eine im Museum der bildenden Künste in Leipzig.
Seelenverwandte – Böcklin und Rachmaninow
Wie Rachmaninows Biograf Ewald Reder betont, habe Rachmaninow nicht allein das Bild beeindruckt, sondern „die instinktiv erfühlte psychische Verwandtschaft“. Die Idee, ein Werk nach ihm zu komponieren, sei Rachmaninow, wie er in seinen „Erinnerungen“ berichtet, zum ersten Mal angesichts eines Schwarzweißfotos gekommen, das er im Mai 1908 zufällig in Paris gesehen habe. Die „Begegnung“ mit Böcklin reichte aber noch weiter zurück. Im November 1901 wohnte Rachmaninow in Moskau einer Soirée bei. Der literarisch-künstlerische „Kreis“ traf sich im Haus Serge Elisseeffs, und der Schriftsteller Iwan Bunin las einen von dem Maler und Kunstkritiker Sergej Glagol verfassten Aufsatz über den im selben Jahr verstorbenen Schweizer Maler Arnold Böcklin vor.
Für Rachmaninow war in Böcklins Gemälde die Quintessenz seiner musikalischen Vorstellungen verwirklicht. Reber zitiert den Kunsthistoriker Laszlo Glozer, der unter dem Titel Der letzte Zentaur einen Aufsatz zum 150. Geburtstag von Arnold Böcklin schrieb: „Böcklins Bravourstück ist die malerische Verwirklichung einer Idee, ist isolierte Poesie, es entsteht daraus keine Systematik… Doch Böcklin, der in Italien neben Figuren zunächst Porträts malt, ist an der offenbar figural-poetischen, literarischen Belebung der Landschaft interessiert… Ins Antinaturalistische gelenkt, bleibt des Instrumentarium des Malers nicht minder eindringlich…“ Reber sieht darin ebenso eine Werkanalyse Rachmaninows.
Das Meer – Die Insel – Der Tod
In seiner Biografie stellt er ausführlich den Kompositionsprozess dar. Rachmaninow führe den Zuhörer als musikalischen Bildbetrachter um das Bild herum zeige ihm die Stille des Ortes und die Freude auf ewige Ruhe. Das Boot gleite in den schützenden Hafen, und als der Tod verschwinde, ertöne wieder das Anfangsmotiv der Wellen und der Stille. Gewidmet hat Rachmaninow seine Tondichtung, deren drei Sätze Das Meer, Die Insel und Der Tod dem Aufbau des Bildes entsprechen, Baron Nicolas von Struve. Dieser gehörte dem Hof Zar Nikolaus II. an und war eine wichtige Persönlichkeit im musikalischen Leben Moskaus vor der Revolution. Die Uraufführung erfolgte am 18. April 1909 in Moskau.
Arnold Böcklin bei Richard Wagner
Böcklin war, als er die Urfassung des Bildes schuf, 53 Jahre alt und gesellschaftlich angesehen. Im gleichen Jahr besuchte er Richard Wagner, und Cosima Wagner notierte am 24. Juli 1880 in ihr Tagebuch: „Abends Besuch des Malers Böcklin, eigentümliche, markige Natur, durch Erfahrung bitter geworden.“ In der Tat hatte Böcklin lange um seinen Erfolg gerungen. Er war viel umhergezogen, hatte Alkoholprobleme und geriet durch Krankheit in Not. Einen ersten großen Erfolg bescherte ihm das Gemälde Pan im Schilf, das von der Neuen Pinakothek in München aufgekauft wurde.
Das Geheimnis der Farbe
Wie Gerd Tolzien erklärt, erheben seine Bilder den Anspruch, nicht bloß betrachtet, sondern nachempfunden zu werden. Zeit seines Lebens habe Böcklin dem Geheimnis der Farbe nachgespürt. In unablässigen Versuchen habe er mit neuen Techniken darum gerungen, den letzten, bezwingenden malerischen Ausdruck für seine Kompositionen zu finden. Die Malerei war ihm ein Mittel, große Gedanken anschaulich werden zu lassen. „Wie es die Aufgabe der Dichtung ist, Gedanken in uns zu erzeugen, die der Musik, Gefühle auszudrücken oder hervorzurufen, so soll die Malerei erheben!“, erklärte er. „Ein Bildwerk soll etwas erzählen und dem Beschauer zu denken geben, so gut wie eine Dichtung, und ihm einen Eindruck machen wie ein Tonstück.“
Weitere Informationen zu Arnold Böcklin und seinem Werk gibt es im Kunstmuseum Basel unter: kunstmuseumbasel.ch
Gemälde von Arnold Böcklin zum Anschauen gibt es in der Neuen Pinakothek in München unter: www.pinakothek.de