
Klassik-Woche 10/2019
Der Dirigent, der Bariton und die Raupe Nimmersatt
von Axel Brüggemann
4. März 2019
Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
dieses Mal geht es um die besten Musikhochschulen der Welt, um ökologische Konzerte, um einen wütenden Bariton und eine Nachfrage bei Nike Wagner.
Was ist
Letzte Woche haben wir geschrieben, dass Stephan Pauly Musikvereins-Chef wird. Wenige Stunden später war es dann offiziell, heute wird er in Wien präsentiert. Wie soll man das noch toppen? Ganz einfach, mit einem neuen Gerücht: Neuer Chefdirigent des Concertgebouw-Orchesters in Amsterdam wird: Franz Welser-Möst! NEIN, GREIFEN SIE NOCH NICHT ZUM STIFT, MAESTRO, DAS WAR EIN WITZ! Aber der britische Journalist Norman Lebrecht hält den Dirigenten durchaus für einen Kandidaten – ebenso wie alle anderen Dirigenten, die kommende Saison in Amsterdam am Pult stehen: Christian Thielemann, Myung-whun Chung, Thomas Hengelbrock, Iván Fischer, Paavo Järvi und New-York-Philharmonics-Chef Jaap van Zweden, der derzeit tatsächlich für viele Positionen in Europa im Gespräch zu sein scheint.
Der lustigste Social-Media-Beef tobt gerade auf Facebook. Als Kritiker Manuel Brug das Verhalten von Daniel Barenboim kritisierte, erlaubte er sich auch einen Schlenker zu den Arbeitsmethoden von Thomas Quasthoff als Gesangslehrer. Der brüllt auf seiner FB-Seite nun zurück: „Dieser sogenannte Journalist ist ein Intrigant und isst sich überall den Ranzen voll.“ Brug dürfte es schnell verdauen, sein Profilbild bei Facebook: die Raupe Nimmersatt.
Ebenfalls letzte Woche haben wir an dieser Stelle darüber geschmunzelt, dass Rolando Villazón sich auf Twitter für seinen Humanisten-Freund Daniel Barenboim eingesetzt hat. Unser Verdacht: Beide haben das gleiche Management. Die SMS der Managerin kam prompt: Lieber Axel, Du denkst Dir ja echt manchmal Sachen aus!“ Ich wüsste doch, dass Rolando durchaus selber denken kann. Weiß ich. Und ich mag ihn dafür – und für vieles andere. Aber was er vorgestern in der FAZ geschrieben hat, erschüttert mich doch: „Barenboim ist verantwortlich, dass die beste, höchste Interpretation der Musik realisiert wird.“ (…) „Kunst ist kein Unternehmen (…)“, „Barenboim versteht den Unterschied zwischen einer fähigen Person, die gerade Probleme hat, und jemand Unfähigem, der die Arbeit der anderen nur schwieriger macht.“ Und überhaupt: „Es ist nicht weniger als der Versuch einiger, die Reputation eines der größten Musiker aller Zeiten zu zerstören.“ Lieber Rolando, was ist das für ein 19.-Jahrhundert-Geniekult-Gefasel? Klingt so verstaubt wie die Barockperücken, die du neuerdings bei Stars von morgen aufsetzt. Es gibt durchaus Dirigenten, die größte Leistung mit größter Fraternität und Humanität erreichen (Mariss Jansons oder Herbert Blomstedt). Können wir bitte den Gedanken, dass Genies alles dürfen, endlich mal ad acta legen? Um Großes zu erreichen, ist es weder nötig, ein romantischer Trinker zu sein, cooler Kettenraucher oder ungerecht. Sonst was verpasst in der Barenboim-Debatte? Das Interview mit Jürgen Flimm, die Verteidigung des Dirigenten in der ZEIT oder die Loyalität seiner Orchesters? Vielleicht sollten wir uns endlich mal um das große Ganze und die Strukturen kümmern, bevor der nächste Einzelfall uns wieder erregt.
Zwei Rankings sorgten letzte Woche für Aufsehen. 46 Musikkritiker des japanischen Musik-Magazins Ongaku no tomo kürten die besten Opernhäuser der Welt: An der Spitze steht die Bayerische Staatsoper, gefolgt von der MET in New York und der Wiener Staatsoper. Im QS-World University-Ranking liegen die US-amerikanische Juilliard School und die Universität für Musik in Wien zusammen auf Platz eins der weltweit besten Ausbildungsorte für Musiker. Platz drei erreichte das Royal College of Music in London. Erschreckend: Beste deutsche Hochschule ist die Hochschule für Musik und Theater in Hamburg, abgeschlagen auf Platz 36.
Was war
Stolz posiert Tenor Joseph Calleja auf seinem Instagram-Account vor einem Privatjet: „All in 24hrs! Munich/Madrid/Munich“. Das Publikum der Münchner Carmen hätte sich am Montag wahrscheinlich etwas mehr Rast für die Stimme des Jetset-Tenors gewünscht. Ganz zu schweigen vom ökologischen Fußabdruck! Diese Carmen stößt ja mehr CO2 aus als 100.000 rauchende Zigarettenarbeiterinnen! Zum Glück gibt es die Albert-Konzerte in der Umwelt-Hauptstadt Freiburg: 10 ihrer 26 Veranstaltungen sind bereits klimaneutral. Liebe Staatsoper München, die Albert-Konzerte beraten übrigens auch andere Orchester in Sachen Ökologie.
Kakofonie in der deutschen Chorszene: Claus Fischer berichtet von gestrichenen Preisgeldern und Richtungsstreit beim Deutschen Chorwettbewerb. Seine Reportage war im Deutschlandfunk zu hören, und der scheint mit Klassik neuerdings auf Kriegsfuß zu stehen. In einem vom VAN-Magazin geleakten Papier erklärt der Sender, dass „Schlager, Balkan-Pop und Klassik“ zu den „Abschaltfaktoren“ gehören und vermieden werden sollten. Interessant auch, wie Elbphilharmonie-Chef Christoph Lieben-Seutter im österreichischen Kurier auf das Jonas-Kaufmann-Akustik-Debakel reagierte: „Die Elbphilharmonie ist nicht unbedingt ein Saal für Anfänger“, ließ er Kaufmann wissen – die beiden werden wohl keine Freunde mehr. Wenn Sie noch etwas auf die Ohren brauchen, empfehle ich das Klassik Gespräch mit dem Spezialisten für Notenhandschriften Stephen Roe im MDR-Radio, der unter anderem verrät, wer mit einer Kippe in der Hand Bach-Autografe angeschaut hat.
Der Guardian verreißt die Così-Inszenierung von Jan Philipp Gloger am Royal Opera House in Covent Garden. Walter Weidringer feiert die Inszenierung von Othmar Schoecks Penthesilea in Linz durch Peter Konwitschny und bejubelt die Hauptdarstellerin Dshamilja Kaiser. Werner M. Grimmel freut sich in der FAZ über Diodati, die erste Oper von Michael Wertmüller am Theater Basel: „Die Sache kippt mit zunehmendem klanglichen Bombast ins Bedrohliche, entwickelt dabei aber auch Längen.“ Der Komponist Anno Schreier und die Librettistin Kerstin Maria Pöhler stellen mit dem Schauerstück Schade, dass sie eine Hure war an der Deutschen Oper am Rhein eine „Oper über die Oper“ vor, die Pedro Obiera von der NRZ durchaus unterhalten hat. Eine Bordelloper von 1931 hat die Neuköllner Oper nun zum ersten Mal aufgeführt: Die Vorlage zu Die Fleisch stammt von Kosaku Yamada – in der Inszenierung von Fabian Gerhardt steht am Ende ein Übermaß an dringenden Fragen, schreibt Simon Rayß im Tagesspiegel.
Viel neue Musik letzte Woche. Unüberraschend, dass Wolfgang Rihm für sein Lebenswerk (über 500 Kompositionen und die Position als meistgespielter deutscher Gegenwartskomponist) mit dem Deutschen Musikautorenpreis ausgezeichnet wird (schönes Interview im BR).
André Previn ist tot. Der Sohn eines aus Deutschland emigrierten Juden riss die Grenzen der Musik ein, verband Klassik, Jazz und Film miteinander und war ein Pionier der Musik für alle Menschen. Dass die Musik nicht mehr zur Kernkompetenz des Spiegel gehört, war nachzulesen, als das Nachrichtenmagazin online von André Previn Abschied nahm und dabei dem „Komponisten von My Fair Lady“ nachwinkte. Doppelt traurig. Dennoch was zum Lachen gibt es hier.
Was lohnt
Ich schließe mich meiner Kollegin Anna Novák an, die den Anfang des Sibelius-Zyklus von Santtu-Matias Rouvali mit den Göteborger Symphonikern feiert. „Der junge Finne sieht aus wie ein Hipster, dabei liebt er das Leben auf dem Land und die Stille. Als Chefdirigent der Göteborger Symphoniker will er das komplette sinfonische Werk seines Landsmanns Sibelius aufnehmen. Mit der 1. Sinfonie hat er jetzt einen Anfang gemacht“, schreibt Novák und hat diesen spannenden Maestro für uns getroffen.
Haben Sie es gemerkt – wir sind dieses mal, wie im letzten Newsletter versprochen, tatsächlich voll und ganz über der Gürtellinie geblieben. Es gibt Hoffnung!
In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif,
Ihr