Die 20 größten Sinfonien
21. Juli 2023
Von Haydn, dem "Vater der Sinfonie" bis zu Philipp Glass: Diese 20 Sinfonien zählen zu den bedeutendsten Werken ihrer Gattung und haben die Musikgeschichte langfristig geprägt.
1. Joseph Haydn: Sinfonie Nr. 104 D‑Dur Hob. I:104
„Vater der Sinfonie“ wurde Joseph Haydn genannt. Auch wenn es historisch nicht zutrifft. Tatsächlich wurden im 18. Jahrhundert unzählige Sinfonien geschaffen. Aber erst Haydn gelang es mit seinen für London komponierten Sinfonien, sie zur Attraktion eines Konzerts zu machen. Vor ihm fungierten Sinfonien lediglich als Ouvertüre einer Konzertveranstaltung.
Haydns Sinfonie Nr. 104, genannt „London“ oder „Solomon“ nach dem Impresario Johann Peter Solomon, ist eines der meistgespielten Werke der Orchesterliteratur. Sie entstand 1795 auf Haydns zweiter Londonreise. Krönung dieser Reise war ein Benefizkonzert am 4. Mai 1795 im King’s Theatre am Haymarket. Haydn spielte den sagenhaften Betrag von 4000 Gulden ein, und das Konzert wurde als „Jahrhundertereignis“ gepriesen. Zur Uraufführung kam die Sinfonie Nr. 104, ein Werk vollendeter technischer Meisterschaft.
2. Wolfgang Amadeus Mozart: Sinfonie Nr. 41 C‑Dur KV 551
Wolfgang Amadeus Mozart befasste sich sein Leben lang mit der Kompositionsform der Sinfonie. Seine erste schrieb er bereits während der Krankheit seines Vaters in England. Die Sinfonie KV 551 ist seine letzte sowie seine längste und mächtigste Sinfonie. Ihr Finale gehört zu den meistanalysierten Mozart-Sätzen. Vor allem im frühen 19. Jahrhundert bfasste man sich intensiv damit und kennzeichnete das Werk als „Sinfonie mit der Schlussfuge“. Später setzte sich der aus England herrührende Beiname „Jupiter“ durch.
Von dem Schlusssatz schreibt der Musikwissenschaftler Kurt Pahlen in seiner wunderbar blumigen Art: „Hier kann Mozart selbst als Gott erscheinen, der nach freiem Willen Sternbilder in der Unendlichkeit des Weltraums schafft, zusammenfügt und lenkt.“ Was Mozart zusammenfügt, ist die Fugen- und Sonatensatzform. Die Fuge ist ein Kompositionsprinzip der Mehrstimmigkeit, Dabei geht es um das vertikale Zusammenwirken der Stimmen. Die Sonatenform ist ein Modell aus der Formenlehre über den horizontalen Aufbau des Satzes einer Komposition. Beides bringt Mozart zusammen, und der Komponist Marius Flothuis sieht darin „eine der größten kompositorischen Leistungen Mozarts“.
3. Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr. 5 c‑Moll op. 67
Ludwig van Beethoven wandelt die Sinfonik von adeliger Gesellschaftsmusik zu Ideenkunst. Er verleiht ihr Monumentalität und Klangentfaltung. Seine Sinfonien werden als Inbegriff autonomer Instrumentalmusik gesehen. Durch die musikalische Struktur erhält jede ihren individuellen Charakter.
Mit der Arbeit an der Fünften Sinfonie begann Beethoven 1804 und beendete sie 1808. Die Uraufführung am 22. Dezember 1808 im Theater an der Wien unter
seiner Leitung verlief unglücklich. Denn Beethovens Gehör war bereits schwer beeinträchtigt. Dennoch erkannten die Zuhörer ihre Bedeutung. Hector Berlioz nannte sie einen „Donnerschlag“, und E.T.A. Hoffmann sprach vom „Reich des Ungeheuren und Unermesslichen“. Als „Schicksalssinfonie“ wurde sie bezeichnet. Auf vier Noten – dreimal G, dann es – errichtet Beethoven ein gewaltiges sinfonisches Gebäude. Der Beginn wurde während des Zweiten Weltkrieges zum Symbol der Freiheit und über die Rundfunkanstalten als Signal des Sieges über die Barbarei verbreitet. Im dritten Satz lässt Beethoven das Motiv wiederkehren, um es in eine „Orgie von Freude und Befreiung“ münden zu lassen.
4. Hector Berlioz: Symphonie fantastique
Hector Berlioz sah am 11. September 1827 zum ersten Mal Shakespeares Hamlet. Dabei verliebte sich in die englische Schauspielerin Harriet Smithson. „Shakespeare, der so unerwartet über mich kam, traf mich wie ein gewaltiger Blitzschlag, dessen Strahl mir mit überirdischem Getöse den Kunsthimmel eröffnete“, schrieb er und fasste den Plan einer „gewaltigen Instrumentalkomposition“. Ein Monument seiner Leidenschaft sollte sie werden.
1830 entstand mit dem Titel Épisode de la vie d’un artiste (Aus dem Leben eines Künstlers). Symphonie fantastique war der Untertitel. Dazu schrieb Berlioz ein ausführliches Programm über einen jungen Künstler, der sich in das Idealbild einer Frau verliebt. Damit hob er mit seiner Sinfonie die Trennung zwischen Sinfonie, Drama und Literatur auf. Die Uraufführung erfolgte am 5. Dezember 1830 in Paris. Neue effektvolle Klänge holte Berlioz aus dem Orchester. Als Geniestreich eines 26-Jährigen wird die Symphonie fantastique gesehen.
5. Felix Mendelssohn Bartholdy: Sinfonie Nr. 3 a‑Moll op. 56
„In der tiefen Dämmerung gingen wir heut nach dem Palaste wo Königin Maria gelebt und geliebt hat“, schreibt Felix Mendelssohn Bartholdy 1829 in einem Brief aus dem schottischen Holyrood Palace in Edinburgh. Besonders beeindruckte ihn die Ruine der Schlosskapelle: „Gras und Efeu wächst viel darin, und am zerbrochnen Altar wurde Maria zur Königin von Schottland gekrönt. Es ist da alles zerbrochen, morsch, und der heitre Himmel scheint hinein. Ich glaube, ich habe heute da den Anfang meiner Schottischen Sinfonie gefunden.“ Doch dann geschah lange nichts.
Erst am 3. März 1842 erfolgte durch das Gewandhausorchester Leipzig unter Mendelssohns Leitung die mit Spannung erwartete Uraufführung. Mendelssohn war zu seiner Zeit der bedeutendste deutsche Komponist. Aber, wie die Allgemeine musikalische Zeitung meldete, sind die Erwartungen erfüllt worden, „in einem so hohen Grade erfüllt worden, wie wir es … kaum erwartet hatten“. Als Mendelssohn die Sinfonie kurz darauf in London dirigierte, widmete er sie der jungen Königin Viktoria. Bis heute blieb sie eines der meistgespielten Werke.
6. Franz Schubert: Sinfonie Nr. 8 C‑Dur D 944
Franz Schubert hinterließ nach seinem tragisch kurzen Leben ein gewaltiges Erbe. Neun Sinfonien gehörten dazu. Zu Schuberts Lebzeiten erklang keine einzige davon. Während seiner letzten Reise mit dem Hofopernsänger Johann Michael Vogl begann Schubert mit der Arbeit an der Sinfonie, die nach der aktuellen Zählung als seine Achte gilt und den Beinamen „die Große“ erhielt. Anfang Oktober 1825 wandte sich Schubert an die „Gesellschaft der Musikfreunde des österreichischen Kaiserstaates“, um „als ein vaterländischer Künstler, diese meine Sinfonie demselben zu widmen und sie seinem Schutz höflichst anzuempfehlen“. Schubert erhielt eine Gratifikation von 100 Gulden. Aber eine Aufführung erfolgte nicht.
Nach Schuberts Tod 1828 bewahrte sein Bruder Ferdinand die Partitur auf. Erst als Robert Schumann bei ihm auf „einen aufgehäuften Reichtum an Handschriften“ stieß, wandte sich das Blatt. Schumann, dem das Werk den Weg zu eigenem sinfonischen Schaffen öffnete, erkannte, was er in Händen hielt. „Es ist das Größeste, was in der Instrumentalmusik nach Beethoven geschrieben worden ist“, schrieb er in seinem Brief und schickte die Partitur an das Gewandhaus nach Leipzig. So kam die Sinfonie am 22. Mai 1839 in Leipzig zur Uraufführung. „Jahre werden vielleicht hingehen, ehe sie sich in Deutschland heimisch gemacht hat“, prognostizierte Schumann damals, „dass sie vergessen, übersehen werde, ist kein Bangen da; sie trägt den ewigen Jugendkeim in sich.“
7. Anton Bruckner: Sinfonie Nr. 7 E‑Dur
Die Siebente Sinfonie begründete den Weltruhm Anton Bruckners. Mit keinem seiner anderen Werke errang er einen solchen Erfolg. Die Sinfonie entstand unter dem Einfluss Richard Wagners und ist dem Wagner-Mäzen, König Ludwig II., gewidmet. Während der Arbeit am zweiten Satz erhielt Bruckner die Nachricht vom Tode Wagners in Venedig, und so kann man den Satz auch als Totenklage verstehen. Bruckner lässt darin Wagner-Tuben erklingen. Sie kehren auch im vierten Satz wieder, den Bruckner als Apotheose des Glaubens enden lässt.
Die Uraufführung erfolgte am 30. Dezember 1884 unter Artur Nikisch am Gewandhaus Leipzig. Bruckners Schüler, Joseph Schalk, hatte Nikisch die Sinfonie vorgestellt, und dieser war sofort begeistert: „Ich gebe Ihnen hiemit mein heiliges Ehrenwort, dass ich die Sinfonie in sorgfältigster Weise zur Aufführung bringen werde.“ Doch erst die zweite Aufführung am 10. März 1885 in München unter Hermann Levi löste den Siegeszug der Sinfonie durch zahlreiche Städte Europas und der USA aus.
8. Johannes Brahms: Sinfonie Nr. 4 e‑Moll op. 98
Mit seiner vierten und letzten Sinfonie verstörte Johannes Brahms Freunde und Bewunderer. Das Werk entstand in Mürzzuschlag auf dem Semmering, wo Brahms 1884 und 1885 die Sommermonate verbrachte. „Die Kirschen werden hier nicht süß“, schrieb er in einem Brief und spielte damit an den herben Charakter der Sinfonie an.
Tatsächlich gelangten seine Kompositionsprinzipien, die durchbrochene thematische Arbeit aus Motivkeimen und die Verwendung traditioneller Formschemen, in der Sinfonie zur Vollendung. Vor allem der letzte Satz stellt ein kompliziertes polyphones Geflecht dar. Die Uraufführung am 25. Oktober 1885 in Meiningen unter Brahms« eigener Leitung zeigte nicht den erhofften Erfolg. Als aber Hans von Bülow die Sinfonie anschließend mit seinem Meininger Hoforchester auf einer Konzerttournee spielte, war es die Sinfonie, die die Tournee zu einem Triumphzug werden ließ.
9. Pjotr Tschaikowski: Sinfonie Nr. 6 h‑Moll op. 74
„Ich habe übergroße Lust, eine grandiose Sinfonie zu schreiben, die den Schlussstein meines ganzen Schaffens bilden soll“, teilte Pjotr Tschaikowski 1890 mit. Zwei Jahre darauf fertigte er erste Skizzen an, und 1893 begann er mit der Komposition. Es entstand ein grandioses melancholisches Tongemälde.
Die Uraufführung erfolgte am 28. Oktober 1893 in St. Petersburg und brachte eine Enttäuschung. „Ich konnte weder das Orchester noch das Publikum davon überzeugen, dass dies mein bestes Werk ist und ich nie mehr etwas Besseres als diese Sinfonie werde schreiben können. Schade.“ Zehn Tage darauf war Tschaikowski tot. Und da erst begann unter dem Titel Pathétique, den die Sinfonie auf Vorschlag von Tschaikowskis Brüder Modest erhielt, der große Erfolg des Werks.
10. Antonín Dvořák: Sinfonie Nr. 9 e‑Moll op. 95 B 178
Antonín Dvořák komponierte zwischen 1865 und 1893 neun Sinfonien, mit denen er zu den herausragenden Vertretern der Gattung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gehört. Die Neunte Sinfonie mit dem Beinamen Aus der Neuen Welt wurde seine bekannteste. Sie entstand während seines Aufenthalts in New York. Per Telegramm hatte Dvořák 1892 seine Berufung zum Direktor des National Conservatory of Music in New York erhalten.
Als die Sinfonie am 16. Dezember 1893 durch die New Yorker Philharmoniker unter Anton Seidl in der Carnegie Hall zur Uraufführung kam, war der Erfolg enorm. Die Zeitungen schrieben, noch nie habe ein Komponist einen solchen Triumph gehabt. Schon nach dem zweiten Satz tobte das Publikum, und Dvořák musste sich verbeugen. Die Kritiker vereinnahmten die Sinfonie sogleich als „amerikanische“.
11. Jean Sibelius: Sinfonie Nr. 4
Jean Sibelius« Vierte Sinfonie war die Lieblingssinfonie von Wolfgang Rihm. Was er an ihr so bewunderte, war „die radikale Modernität der Musiksprache und die kompromisslose Konsequenz in der Formgebung“. Sibelius setze die traditionellen Kriterien und Formschemata seiner Sinfonie außer Kraft, betont auch sein Biograf
Tomi Mäkelä. Stattdessen zeige er das Wachsen sinfonischer Entwicklungen aus Motivkeimen, die sich nur allmählich zu thematischen Gebilden verdichten.
Die Uraufführung der Sinfonie erfolgte am 3. April 1911 in Helsinki durch das Sinfonische Orchester Helsinki unter Leitung Sibelius«. Der Rezeption von Sibelius Werk stand lange Zeit der Sibelius-Kult führender Nationalsozialisten im Wege, der ein Netzwerk seltsamer Vorstellungen um ihn herum spann.
12. Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 9
In seinem Komponierhäusl in Toblach nahm Gustav Mahler 1909 Abschied von der Welt. Lange hatte er sich gescheut, seine Neunte Sinfonie in Angriff zu nehmen. Dann tat er es doch, und sie wurde das, was er befürchtet hatte, seine letzte Sinfonie. Die Uraufführung erfolgte ein Jahr nach Mahlers Tod am 26. Juni 1912 in Wien durch die Wiener Philharmoniker unter Bruno Walter.
Als „eine tragisch erschütternde, edle Paraphrase des Abschiedsgefühls“, empfand Walter den ersten Satz, „ein einzigartiges Schweben zwischen Abschiedswehmut und Ahnung des himmlischen Lichts“. Nach dem „ruhevolle Lebewohl“ des letzten Satzes machte sich Befremden im Publikum breit. Alban Berg, der dabei war, aber empfand die Sinfonie als „das herrlichste, das Mahler je geschrieben hat“.
13. Ralph Vaughan Williams: Sinfonie Nr. 3
Neun Sinfonien komponierte Ralph Vaughan Williams. Sie nehmen nicht nur einen bedeutenden Platz in seinem Schaffen ein, sondern stellen auch einen Höhepunkt der Gattung in England dar. In seiner Dritten Sinfonie verarbeitet Vaughan Williams seine Erlebnisse während des Ersten Weltkrieges. Er war 1916 als Soldat in Nordfrankreich eingesetzt, und aus dieser Zeit datieren die ersten Skizzen. Fünf Jahre später schloss Vaughan Williams in London das Werk ab.
Aufgrund des Bezugs zum Krieg wird die Sinfonie als „War Requiem“ bezeichnet. Vaughan Williams betitelt es als Pastoral Symphony. Den pastoralen Charakter bringt er durch volksliedhafte, pentatonische Wendungen sowie die Instrumentation zum Ausdruck. Die Uraufführung erfolgte 1922 mit der Sopranistin Flora Mann und dem Royal Philharmonic Orchestra unter Adrian Boult.
14. Dmitri Schostakowitsch: Sinfonie Nr. 7
Die Bedeutung der Siebten Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch liegt vor allem im Politischen. Entstanden mitten im Krieg in dem von deutschen Truppen belagerten Leningrad, erhielt sie den Namen „Leningrader“. „Mit unserem Schaffen müssen wir dem Faschismus ein Grab schaufeln“, erklärte Schostakowitsch. Der vierte Satz symbolisiert nach Schostakowitschs Worten „den Sieg des Lichts über die Dunkelheit, der Wahrheit über den Wahnsinn, der Menschlichkeit über die Tyrannei“. Die Uraufführung erfolgte am 5. März 1942 durch das Orchester des
Moskauer Bolschoi-Theaters unter Samuil Samossud in Kuibyschew. Die Sinfonie wurde als Aufruf zum Kampf und als Symbol des Sieges angesehen.
Wie Schostakowitsch allerdings in den von Solomon Volkov herausgegeben Memoiren schreibt, fühlte er sich missverstanden: „Der Krieg brachte unsagbares Leid und Elend. Das Leben wurde sehr, sehr schwer. Es gab unendlich viel Kummer, unendlich viel Tränen. Doch vor dem Krieg war es noch schwerer, weil jeder mit seinem Leid allein war… Jeder hatte um jemanden zu weinen. Aber man musste leise weinen, unter der Bettdecke. Niemand durfte es merken. Jeder fürchtete jeden. Der Kummer erdrückte, erstickte uns… Ich musste ihn in Musik umsetzten.“ Und unter Bezug auf den stalinistischen Terror erklärt Schostakowitsch: „Ich musste ein Requiem schreiben für alle Umgekommenen, für alle Gequälten. Ich musste die furchtbare Vernichtungsmaschinerie schildern und den Protest gegen sie zum Ausdruck bringen.“
15. Sergei Prokofjew: Sinfonie Nr. 5 B‑Dur op. 100
Sergei Prokofjew beschäftigte sich sein Leben lang mit der Sinfonie. Seine erste, die Klassische, entstand 1917, seine letzte 1951, zwei Jahre vor seinem Tod, als er bereits krank war. Die Fünfte Sinfonie komponierte er im Sommer 1944 in Iwanow, dem „Haus des Schaffens“ des sowjetischen Komponistenverbandes. Sein Wunsch war es, „den freien, glücklichen Menschen zu besingen, seine Kraft, seine Großmut, die Reinheit seiner Seele“, und von Anfang an erfreute sich das Werk großer Beliebtheit.
Die Uraufführung erfolgte am 13. Januar 1945 in Moskau. Unmittelbar vor der Aufführung traf die Nachricht vom siegreichen Vordringen der Roten Armee über die Weichsel ein. Es war, als spiegle die Sinfonie den bevorstehenden Sieg. „Niemals vergesse ich die Aufführung“, erinnerte sich der Pianist Swatoslaw Richter. „Es war das letzte Auftreten Prokofjews als Dirigent… Er stand wie ein Denkmal auf seinem Postament. Und plötzlich, als Stille eintrat und der Taktstock schon erhoben war, ertönten die Artilleriesalven. Er wartete und begann nicht eher, als bis die Kanonen schwiegen. Wieviel Bedeutsames, Symbolhaftes kam da zu Wort. Wie wenn sich ein Schlagbaum vor allen erhoben hätte.“
16. Karl Amadeus Hartmann: Sinfonie Nr. 1
Karl Amadeus Hartmann komponierte acht Sinfonien, die zu den Hauptwerken der klassischen Moderne zählen. Doch blieb dieses sinfonische Werk, das Hartmann selbst als Kern seines Schaffens ansah und mehrmals einer Überarbeitung und Neuordnung unterzog, über seinen Tod 1963 hinaus verkannt. Der Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 markierte eine entscheidende Wende in Hartmanns Arbeit: „In diesem Jahr erkannte ich, dass es notwendig sei, ein Bekenntnis abzulegen, nicht aus Verzweiflung und Angst vor jener Macht, sondern als Gegenaktion.“ Er zog sich völlig in die innere Emigration zurück und entwickelte eine musikalische Sprache des Widerstands.
Bereits 1933 erkannte er in der Gattung Sinfonie jene Tradition, die er fortsetzen wollte. Was ihm vorschwebte, war „ein durchlebtes Kunstwerk mit einer Aussage“. Seine Erste Sinfonie für Alt-Stimme und Orchester trägt den Untertitel Versuch eines Requiems. Sie entstand ab 1935 und besteht aus fünf Sätzen: Introduktion: Elend, Frühling, Thema in vier Variationen, Tränen, Epilog: Bitte. Als Textgrundlage wählte Hartmann Gedichte von Walt Whitman: „Ich sitze und schaue aus auf alle Plagen der Welt und auf alle Bedrängnis und Schmach.“ Die Uraufführung erfolgte 1948 unter der Leitung von Winfried Zillig bei Radio Frankfurt
17. Olivier Messiaen: Turangalîla-Sinfonie
Bereits 1939 erhielt Olivier Messiaen von Sergei Kussewizki den Auftrag, für das Boston Symphony Orchestra ein Orchesterwerk zu schreiben. Der Krieg und die Gefangenschaft Messiaens verzögerten die Erfüllung. Erst am 2. Dezember 1949 konnte in Boston die Uraufführung der monumentalen zehnsätzigen Turangalîla-Sinfonie stattfinden. Kussewizki hatte sich bereits zurückgezogen, und Leonard Bernstein leitete das Orchester.
Der Titel Turangalîla bringt die überfließende Energie der Musik und Messiaens Begeisterung für Zeit und Rhythmus zum Ausdruck. „Turanga“ stehe für Tempo, so Messiaen, und „lîla“ bedeute „Lebenskraft, das Spiel der Schöpfung, Rhythmus und Bewegung“. Zentrales Thema ist die Liebe, „eine unwiderstehliche Liebe, die grundsätzlich zum Tode führt, die gewissermaßen nach dem Tod verlangt, denn es ist eine Liebe, die den Körper übersteigt, die selbst die Voraussetzungen des Geistes übersteigt und sich ins Kosmische erweitert“. In einem grandiosen Finale lässt Messiaen die Stimme der Ondes Martenot in den höchsten Registern erklingen.
18. Mieczysław Weinberg: Sinfonie Nr. 18 Krieg – kein Wort ist grausamer op. 138
Mieczysław Weinberg wurde in die Tragödien des 20. Jahrhunderts hineingerissen. 1919 in Warschau geboren, zwang ihn der deutsche Überfall auf Polen 1939 zur Flucht. Er gelangte nach Minsk, musste jedoch später erfahren, dass seine Eltern und seine Schwester im Zwangslager Trawniki ums Leben gekommen waren. 1941 floh er nach dem deutschen Einmarsch in die Sowjetunion nach Taschkent. Bereits gegen Kriegsende aber bekam er den Antisemitismus zu spüren. Dmitri Schostakowitsch setzte sich sehr für ihn ein und schrieb für ihn sogar einen Brief an Lawrenti Beria, den gefürchteten Chef des sowjetischen Geheimdienstes.
Die Auseinandersetzung mit seiner jüdischen Herkunft und dem damit verbundenen Leid wurden zum Leitthema von Weinbergs Schaffens. Seine 18. Sinfonie bildet das Herzstück seiner sinfonischen Trilogie An der Schwelle des Krieges und ist der Erinnerung an all jene gewidmet, die im Krieg gegen Hitler-Deutschland fielen. Weinberg verarbeitet darin Gedichte von Sergej Orlov und Alexander Twardowski zu einer Reflexion über den Krieg. Die Uraufführung erfolgte 1985 im Rahmen des Moskauer Herbstfestival unter der Leitung von Wladimir Fedosejew.
19. Hans Werner Henze: Sinfonie Nr. 9
Innerhalb von 50 Jahren entstand Hans Werner Henzes sinfonische Werk: zehn Sinfonien, in denen er eine Vielfalt an Möglichkeiten sinfonischen Komponierens zeigte. Mit seiner Neunten Sinfonie erfüllte er die Forderung Gustav Mahlers, „mit allen Mitteln der vorhandenen Technik“ eine Welt aufzubauen. Henze betrachtete sie als „Summa summarum eines Schaffens“.
Bereits die für Henze untypische lange Entstehungszeit zeigt die Bedeutung der Sinfonie. Sie ist die Aufarbeitung seines Lebensthemas, „die Last des deutschen Erbes“. Dafür griff er zurück auf Anna Seghers Roman Das siebte Kreuz. Die Sinfonie umfasst sieben Sätze: Die Flucht, Bei den Toten, Bericht der Verfolger, Die Platane, Der Sturz, Die Nacht im Dom, Die Rettung. Die Uraufführung erfolgte am 11. September 1997 im Rahmen der Wiener Festwochen durch den Rundfunkchor Berlin und die Berliner Philharmoniker unter der Leitung von Ingo Metzmacher.
20. Philip Glass: Sinfonie Nr. 5 Requiem, Bardo, Nirmanakaya
Zur Feier der Jahrtausendwende erhielt Philip Glass von den Salzburger Festspielen den Auftrag für eine große Sinfonie. Das Werk sollte nach Glass« Vorstellung eine Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft bilden und eine starke positive Kraft vermitteln. Zur Erarbeitung schöpfte Glass aus den großen Weisheitstraditionen der Welt. Mit James Parks Morton vom Interfaith Center in New York und Kusumita P. Pedersen vom St. Francis College entwickelte er einen Text, der mit der Erschaffung der Welt beginnt, durch das irdische Paradies (Requiem) geht und über einen Zwischenzustand (Bardo) mit der erleuchteten Wiedergeburt (Nirmanakaya) endet. Dem traditionellen Orchester fügte er Chor, Kinderchor und Solisten hinzu.
Die Uraufführung am 28. August 1999 in Salzburg mit dem Radio-Symphonieorchester Wien unter Dennis Russell Davies wurde von der Los Angeles Times als „Großereignis“ gefeiert. Das inspirierende 100-minütige Werk riss das Publikum zu begeisterten Ovationen hin. Immer und immer wieder wurde Glass auf die Bühne gerufen. Das Beeindruckende war, dass die ins Englische übertragenen Texte, die Dutzende von Sprachen und Kulturen sowie einen Zeitraum von 2500 Jahren umspannten, trotz der Verschiedenheit ihrer Themen übereinstimmende Aussagen enthielten und das tiefe Gefühl einer heiligen Weltvision vermittelten.