KlassikWoche 10/2024
Die Kraft der verbissenen Kulturkämpfe
von Axel Brüggemann
4. März 2024
Der Kampf zwischen Orchester und Intendant am Theater Kassel, Markus Söder und die Musik-Sparmaßnahmen, Fernsehmacher verlangen einen „New Deal“ in Sachen Klassik
Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
heute geht es rund: Am Theater Kassel tobt ein Kampf zwischen Orchester und Intendant, Markus Söder hat Musik-Sparmaßnahmen als Populismus entdeckt, Fernsehmacher verlangen einen „New Deal“ in Sachen Klassik, und so richtig Griff auf #metoo bekommen wir auch nach einer TV-Doku nicht. Eine sehr volle Klassik-Woche, die jetzt beginnt!
Kassels Kampf um das Theater
Eigentlich hatte ich nach Kai-Uwe ja die Nase voll von Hessens Kulturpolitik. Aber letzte Woche tobte – auch an meinem Telefon – ein aufgeladener Kampf um das Theater in Kassel. Ein Kampf, wie er an jedem deutschen Haus toben könnte. Ein Kampf um die Richtung des Theaters, um Führungsfragen und um politische Verantwortung, aber eigentlich ein grundsätzlicher Kampf um die Ausrichtung des Hauses: Was hat Vorrang, die Regie oder die Musik? Wie innovativ sollen Theater sein? Wie weit kann Regie gehen? Die Protagonisten sind das Orchester (97 Prozent der Musikerinnen und Musiker haben sich öffentlich gegen eine Vertragsverlängerung des Intendanten ausgesprochen), der Intendant, Florian Lutz, der sein Haus zum innovativen Theater machen will und dabei nicht immer ganz diplomatisch vorgeht. Außerdem: Die Bärenreiter-Verlegerin und Mäzenin des Theaters, Barbara Scheuch-Vötterle, die darum kämpft, dass ihr (und ein weit verbreitetes) Verständnis von Oper, nämlich „prima la musica!“ nicht unter die Räder gerät, der scheidende Dirigent Francesco Angelico, der enttäuscht über die Leitung des Hauses ist („Ich bin traumatisiert“) und die Kulturpolitik, Hessens SPD-Minister für Kultur Timon Gremmels und der grüne Oberbürgermeister Kassels, Sven Schoeller, denen es nicht richtig gelingt, den Diskurs, der sich an Machtkämpfen hinter den Kulissen entfaltet, zu einem inhaltlich spannenden und öffentlichen Kampf um die Richtung eines Theaters zu machen. Angeblich ist der Verlängerungsvertrag von Intendant Lutz bis 2031 mit dem Land Hessen längst unterschrieben. Er wurde quasi als letzte Amtshandlung der grünen Ministerin für Kultur, Angela Dorn, eingefädelt. Heute, am Montag, soll die Stadt Kassel offensichtlich ihr Placet geben (was bereits einige Male verschoben wurde). Weil der spannende Kampf um das Theater Kassel den Rahmen dieses Newsletters sprengt, aber ein Machtkrimi und ein symbolischer Kampf um die Frage ist, wie eine Gesellschaft um ihr Haus ringt, habe ich diese Geschichte an dieser Stelle noch einmal ausführlicher und gesondert aufgeschrieben.
Weil der Söder so unmusikalisch ist
Der Aufschrei war groß, als Bayern bekannt gab, die Fächer Musik, Kunst und Werken zusammenzulegen – am regelmäßigen Religionsunterricht soll festgehalten werden. Bernhard Neuhoff schrieb einen prägnanten Kommentar bei BR Klassik: „Ignorant, widersinnig, ungerecht“, Alexander Strauch kommentierte („Söders Un-Musik“) im Bad Blog, eine Petition wurde gestartet, und auch der Musikrat und die Deutschen Musikhochschulen protestierten sofort. All das ist richtig und gut, aber hinter all dem steht auch die grundsätzliche Frage: Warum hat Markus Söder Streichungen an der Kultur – und besonders an der Musik – als neues Propaganda-Mittel entdeckt. Er will Rundfunkorchester streichen und Kultursender fusionieren – und nun eben auch den Musikunterricht an seinen Grundschulen kürzen. Wann haben Orchester, Theater, Musikerinnen und Musiker den breiten Rückhalt in der Bevölkerung verloren? Wie wurde es möglich, dass Politiker Sparmaßnahmen an der Kultur zum neuen Populismus erhoben haben? Haben wir selber die Nähe zur Gesellschaft verloren? Leben wir zu sehr in unserer eigenen Klassik-Blase? Und warum war der Aufschrei klein, als Bremen schon vor Monaten ein ähnliches Konzept eingeführt hat wie jenes, das nun auch Bayern erreicht? Ich kommentiere die aktuelle Lage hier aus dem Kinderzimmer.
Kein richtiger Griff auf #Metoo
Es war überfällig: eine ausführliche Dokumentation über #Metoo an unseren Theatern und in der Filmbranche. Leider ist die NDR-Sendung „Gegen das Schweigen“ von Zita Zengerling und Kira Gantner aus vielen Perspektiven eher enttäuschend. Trotz dreijähriger Recherche kriegen die beiden keinen richtigen Griff auf die Geschichte, verkleinern die Ungeheuerlichkeit der Vorwürfe und Geschehnisse durch andauernde moralische Einordnungen und Erklärungen und schaffen keine wirklich visuelle Ebene für das Erzählte. Herausgekommen ist eher ein Podcast-Format, in das es sich aber durchaus reinzuhören lohnt. Auch, wenn weitgehend bekannte Fälle aufgedröselt werden, so wie die Vorwürfe gegen den „4 Blocks“-Schauspieler Kida Khodr Ramadan, Regisseur Julian Pölsler und den Wiener Theatermacher Paulus Manker. Immerhin, die österreichische Wochenzeitung „Der Falter“ hat weiter recherchiert – auch über das Finanzgebahren des Österreichers: „Schulden und Bühne“ ist ein lesenswerter Text von Matthias Dusini und Stefanie Panzenböck. Vollkommen absurd wird das Thema, wenn plötzlich ausgerechnet auch Theater-Opi und Ex-Intendant der Wiener Staatsoper Ioan Holender sich derzeit in einem Video als Metoo-Opfer stilisiert – aber zum Glück hat das Video ja eine Kommentarfunktion.
Perspektiven für das Klassik-Fernsehen
Die Stimmung auf der „Avant Première“, der Messe für Filmemacher aus der Klassik-Branche, war durchwachsen. Der Markt verändert sich radikal: Klassik-Streamer müssen aufgeben, der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss sparen – Neuorientierung überall. Aber es gibt auch Aufbruchstimmung. Ernst Buchrucker, Chef von UNITEL, fordert einen „New Deal“ aller Beteiligten, mehr Zusammenspiel zwischen Orchestern, Theatern und Filmemachern, zwischen Rechteinhabern, Presse und den einzelnen Markt-Mitspielern. „Unsere Aufnahmen sind an sich noch kein Gewinn“, sagt Buchrucker, „sondern eine Investition von der viele profitieren können.“ Olaf Maninger von den Berliner Philharmonikern erklärt, wie sein Orchester mit der „Digital Concerthall“ selber zum Produzenten wurde – und überlegt, ob sich in Zukunft mehrere Orchester unter einem gemeinsamen digitalen Dach versammeln können („Darüber denken wir seit Jahren nach“, sagt Maninger, „aber das ist mit unseren Statuten nicht vereinbar.“) Außerdem erklärt Karin Veitl vom ORF, wie das größte Klassik-Ereignis der Welt, das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker, aufgenommen wird. Max Beckham-Ortner berichtet von der Stimmung auf seiner Veranstaltung, der „Avant Première“. Hier der Podcast über die Zukunft der Klassik im Fernsehen für alle Anbieter, apple podcast oder Spotify.
Personalien der Woche
In Salzburg haben die Proben zu den Osterfestspielen mit „La Gioconda“ begonnen – Anna Netrebko und Jonas Kaufmann treten auf, mich wird es dieses Mal eher nach Baden-Baden ziehen, wo die Berliner Philharmoniker „Elektra“ in Angriff nehmen. Der Komponist Moritz Eggert hatte bereits mit einem Essay gegen den Dirigenten Teodor Currentzis für Aufmerksamkeit gesorgt, nun legt Eggert in seinem Essay „Currentzis‘ Sperenzien“ nach und nimmt unter anderem die Rolle des SWR aufs Korn. +++ Jaap van Zweden wird neuer Chefdirigent des Orchestre Philharmonique de Radio France. Der Vertrag über fünf Jahre beginnt mit 2026. +++ Die Amtszeit des deutschen Intendanten der Pariser Oper, Alexander Neef, ist bis 2032 verlängert worden. Stattlich! +++ Antje Valentin hat ihren Job als neue Generalsekretärin des Deutschen Musikrates angetreten. „Es gibt viel zu tun“, sagt sie, „vor allem mit Blick auf den zunehmenden Mangel an Fachkräften für die musikalische Bildung. Zudem muss deutlich gemacht werden, welche großen gesamtgesellschaftlichen Chancen Musik und aktives Musizieren bieten. Ich freue mich sehr, im Zusammenwirken mit den Mitgliedern des Deutschen Musikrates Impulse für das Musikleben in Deutschland zu geben.“ +++ Die Humboldt-Universität Berlin, die Deutsche Oper und die Staatsoper Unter den Linden erforschen gemeinsam die Berliner Opernkultur zwischen 1925 und 1944. Im Rahmen des auf vier Jahre angelegten und mit 566.000 Euro finanzierten Projektes wird auch eine Datenbank mit Berliner Opernpremieren und Rezensionen erstellt. +++ Bei der Aufführung von Mozarts „Die Entführung aus dem Serail“ an der Mailänder Scala ist es am Sonntagabend zu einem Zwischenfall gekommen. Während des zweiten Aktes fiel ein Smartphone von einer Loge aus mehreren Metern Höhe auf die erste Reihe. Das Handy traf einen Zuschauer an der Wange, zum Glück ohne gravierende Folgen. +++ Friederike Hofmeister wird ab dem 1. März 2024 Geschäftsführerin vom Leipziger Bach-Archiv. +++ Der Komponist Georg Riedel ist im Alter von 90 Jahren gestorben. Aus seiner Feder stammen die Titelmusik zu „Karlsson vom Dach“ und „Michel aus Lönneberga“ und auch Lieder aus den bekannten Pippi-Langstrumpf-Geschichten.
Und wo bleibt das Positive, Herr Brüggemann?
Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Vielleicht ja hier. Vor einigen Wochen erklärte mir der Kanzler der Barenboim-Said Akademie, dass Empathie und das Verständnis füreinander die Grundlage an seiner Ausbildungsstätte seien – auch für die aktuelle Debatte des Nahost-Konfliktes. Kulturstaatssekretärin Claudia Roth (derzeit Mal wieder unter massivem Druck, was ihre Ignoranz bei den antisemitischen Einlassungen auf der Berlinale betrifft) erklärte mir damals auf Anfrage: „Wir haben Vertrauen in die Akademie, dass sie diese Debatten unter ihren Schüler*innen, Lehrer*innen und Mitarbeitenden respektvoll führt.“ Vielleicht sollten wir noch Mal genauer hinschauen. Denn, wie „respektvoll“ aussieht, habe ich gerade auf Facebook lesen dürfen – hier der öffentliche Kommentar eines Professors der Akademie zu meiner Arbeit. Ach ja, wo bleibt das Positive? Vielleicht öffnet jetzt Mal jemand die Augen?
In diesem Sinne: halten Sie die Ohren steif
Ihr