KlassikWoche 11/2019
Die Scheichs, die Flüchtlinge und die Zensur
von Axel Brüggemann
11. März 2019
Heute geht es unter anderem um die Scheichs an der Scala, um Lustiges von den Salzburger Osterfestspielen und um einen sozialkitschigen Nabucco.
Willkommen in der neuen Klassik-Woche,
heute geht es unter anderem um die Scheichs an der Scala, um Lustiges von den Salzburger Osterfestspielen und um einen sozialkitschigen Nabucco.
Was ist?
„Sie schreiben, was wir alle denken, aber nicht zu sagen wagen“ – das war eine der schönsten Rückmeldungen auf den letzten Newsletter. In unserer kleinen Klassik-Welt nicht immer leicht: Freundschaften, Eitelkeiten, Abhängigkeiten – drauf gepfiffen! Und los geht’s!
Beim ersten Thema fällt mir die Offenheit nicht so schwer. Alexander Pereira und ich pflegen seit Jahren eine unkonstruktive Feindschaft: Ich fand den ehemaligen Olivetti-Vertreter als Salzburg-Intendanten recht mittelmäßig, und er schrieb gern Chefredakteure an, dass ich das gefälligst nicht schreiben soll. Nun hat Pereira anderen Ärger. Er will die Saudis (oder ihren staatlichen Ölkonzern) mit Millionen an der Mailänder Scala beteiligen, um seine Wiederwahl zu sichern. Fidelio mit freundlicher Unterstützung eines Unrechtsstaates? La Repubblica redet bereits von einer „Schlacht“ im italienischen Kulturbetrieb. Pereira verteidigt sich: Wenn wir das Geld nicht nehmen, nehmen es andere. Schon klar: Irgendjemand muss den Bösen ja die Hände abhacken – wenn die Saudis das nicht tun, macht es eben ein Intendant. Lieber Alexander Pereira, lies doch mal diese aktuelle Meldung der Frankfurter Rundschau!
Unter diesen Umständen ist es fast lustig, wenn die Arena di Verona proklamiert, dass sie endlich wieder die „Scala des Sommers“ werden will. Lange war die italienische Open-Air-Bühne Ausflugsziel von Gardasee-Touristen mit Adiletten. Das will die neue Intendantin Cecilia Gasdia nun ändern und hat Anna Netrebko für Il Trovatore und Erwin Schrott für Carmen engagiert – am 4. August feiert Plácido Domingo dann sein 50. Arena-Jubiläum.
„Die Salzburger Festspiele des Frühlings“ sind bekanntlich die Salzburger Osterfestspiele. Im Vorfeld gab es allerhand Hickhack, das gut zu unserem Thema „Freunde und Feinde“ passt. Auf einer Sitzung mit dem Land soll Christian Thielemann von der österreichischen Politik quasi gezwungen worden sein, Nikolaus Bachler als neuen Intendanten zu dulden (will der heimlich seinen München-Freund Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker zurück an die Salzach holen?). Nun mussten die Festspiele erst einmal bekannt geben, dass Sofia Gubaidulinas neues Werk Der Zorn Gottes nicht pünktlich fertig geworden ist. Das führte zu einer durchaus amüsanten Pressemitteilung: „Anstelle von ‚Der Zorn Gottes‘ ist im diesjährigen Orchesterkonzert die ‚Jubel-Ouvertüre‘ von Carl Maria von Weber zu hören.“ Schön, dass wir in der Klassik so schnell die Gefühlswelten wechseln können!
Ein unbekannter Feind war mir lange Justus Frantz. Bis ich von Friede Springer gebeten wurde, ihn für die Welt am Sonntag zu treffen. Auf einer Kreuzfahrt haben wir uns lange Abende über Mahlers Fünfte Symphonie gebeugt und philosophiert. Vielleicht sind wir keine Freunde geworden, aber leid tut es mir schon, wie der Pianist, Dirigent und Musikerklärer seine Karriere verschludert hat. Nun wurde gegen ihn, wie der Spiegel berichtet, ein Erzwingungshaftbefehl erlassen. Nicht wegen Saudi-Geschäften, sondern wegen intransparenter Firmenorganisation.
Die Deutsche Orchestervereinigung zieht eine positive Bilanz: 20 Prozent Zuwachs bei Jugendprogrammen, Orchester geben zwar weniger Konzerte, gewinnen aber neues Publikum, sind vielfältig und in der Regel gut ausgestattet. Darunter versteht die Orchestervereinigung bemerkenswerterweise, dass sie „auf dem Weg sind, Tarifgehälter zu zahlen“! Vielleicht sollte Alexander Pereira mal bei Gazprom als Sponsor anfragen? Dann müssten Valery Gergiev und Denis Matsuev eben etwas öfter in Deutschland auftreten (mit Letzterem führte Kerstin Holm von der FAZ übrigens ein lesenswertes Interview). Nein, der eigentliche Charme deutscher Orchester ist ihre Intimität – und das zeigt der wirklich lustige PR-Clip des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, ein Muss für alle Newsletter-Leser aus dem Marketing.
Als ich neulich den Dirigenten Markus Poschner getroffen habe, freute er sich, dass der Kulturstreit in Linz endlich ad acta gelegt wurde. Nachdem die Stadt nicht mehr für das Bruckner-Orchester zahlen wollte, gibt es nun eine Einigung, „die uns mehr Flexibilität erlaubt“, so Poschner. Jetzt hat er mit Norbert Trawöger auch einen neuen, engagierten Künstlerischen Direktor.
Was war?
Einer, über den man als Kritiker einfach gut schreiben will, ist der russische Regisseur Kirill Serebrennikov. Den Hamburger Nabucco hat er aus seinem Russland-Arrest per USB-Stick und mithilfe des Rechtsanwalts inszeniert. Ich war bei der Fotoprobe dabei, fand allerdings (weil wir ja ehrlich sein wollen), dass alles ein bisschen sehr politkitschig war. Wenn man als Flüchtling irgendwann in Hamburg strandet und am Ende im „Projektchor” Va pensiero singen muss, ist das am Ende auch ein kleiner Missbrauch. Der Plot spielt in den Hinterzimmern der UNO, die bösen Politiker und das arme Volk, die alten Hebräer als neue Syrer – das ist klassisches, überfrachtetes, aber eben auch etwas abgestandenes und nicht immer ganz logisches Früher-ist-wie-heute-Regietheater. Es berührt, es bewegt – aber bleibt auch sehr moralisch. Eine ausführliche Premierenkritik von Jürgen Liebing ist bei Fazit nachzuhören. Den Gefangenenchor sehen Sie hier.
Christoph Lieben-Seutter gehört auch auf die Seite „Wir werden wohl keine Freunde mehr”, aber die andauernde Debatte über den Klang seiner Elbphilharmonie ist allmählich selbst mir langweilig. Kein Grund für Pianist Igor Levit, seinen Senf auch noch dazuzugeben: In der Zeit greift er nun das Handy-Publikum an, bemängelt fehlende Einspielzeiten und sagt, was alle längst gesagt haben: Der Saal in Hamburg ist unheimlich hellhörig.
Daniel Hope (eher Kategorie Freund), hat bekannt gegeben, dass er die Leitung beim Savannah Music Festival an Philip Dukes abgibt. Ein bisschen mehr Zeit für Tonleitern zwischen dem Zürcher Kammerorchester, dem San Francisco’s New Century Orchestra, der Frauenkirche, dem Radio und dem Fernsehen.
Wir befinden uns mitten in den Jubelfeierlichkeiten für Hector Berlioz. Wer Zeit hat, sollte sich den Text zum 150. Todestag im Spectator durchlesen. Geburtstagskind Jaques Offenbach wird mit Die Prinzessin von Trapezunt in Hildesheim gefeiert. „Offenbach in Bestform“ jubelt Gerald Felber in der FAZ über die Aufführung von Adam Benzwi und Max Hopp. In den USA wurden gleich zwei Klavierkonzerte uraufgeführt, berichtet die New York Times: Das Boston Symphony Orchestra ließ das Konzert von Thomas Adès erklingen, und ausgerechnet Venezuela-Versteher Gustavo Dudamel dirigierte Yuja Wang mit John Adams Must the Devil Have All the Good Tunes. Noch einmal zurück zur Scala: Die Khovanshchina-Aufführung von Mario Martone mit Valery Gergiev begeisterte mit ihrem Bladerunner-Look zumindest Silvia Luraghi. Nicht wirklich überzeugt hat Uwe Friedrich im Deutschlandfunk die Oper Babylon von Jörg Widmann und Peter Sloterdijk in der Regie von Andreas Kriegenburg an der Staatsoper Berlin: „Musik mit eingebautem Tinnitus“ – hoffnungslos überfrachtet. In Dresden ging die Première der Verkauften Braut in der Inszenierung von Mariame Clément im Bühnenbild von Julia Hansen über die Bühne: ein lustvoller Grenzgang zwischen Dirndl-Klischee und moderner Emanzipation. Noch liegen keine Zeitungskritiken vor, aber das Festspiele-Forum war irritiert und feierte das Rollendebüt der armenischen Ensemble-Sopranistin Hrachuhí Bassénz.
Letztes Konzert der Berliner Philharmoniker mit Kirill Petrenko, bevor er ihr Chef wird: Tschaikowskys Fünfte Symphonie und Patricia Kopatchinskaja mit Schönbergs Violinkonzert. Der gigantische Jubel von Frederik Hanssen im Tagesspiegel („Alles, was aufblitzt, ist außergewöhnlich“) lässt Raupe Nimmersatt (siehe letzten Newsletter) skeptisch werden. Manuel Brug fordert statt „Adorantentum bis zur Selbstaufgabe“ eher „ein wenig mehr Nüchternheit“. (Lustig, dass derselbe Kritiker Teodor Currentzis an anderer Stelle selber eine Klassik-Kathedrale in Worten baut.) Petrenkos Vorgänger Simon Rattle ordnete auf Takt1 derweil die Welt mit klaren Worten. Über den Brexit sagte er: „Das alles kommt mir vor wie die Bürger von Pompeji, die für den Ausbruch des Vulkans gestimmt haben.“
Eher neutral stand ich Michael Gielen gegenüber, der in den Jahren, in denen ich in Freiburg studierte, Chef des SWR-Orchesters war. Wohlwissend, dass Dirigenten-Typen wie er heute selten sind: sehr viel Kopf, in seinem Wissen geradlinig – und zuweilen auch bereit, den klugen Kopf durch die Wand zu stoßen! Ein Beweger. Ein Bindeglied der Vergangenheit in die Zukunft. Wunderschöne Nachrufe seiner Freunde wurden nun zu seinem Tod verfasst, sehenswert besonders das Interview, das Alexander Kluge mit ihm führte.
Was lohnt?
Der Deutschlandfunk nannte ihn den Urgroßvater des Crossover. Der Pianist Jacques Loussier ist gestorben. Er revolutionierte mit Bach den Jazz, hielt aber zeitlebens nichts von Neuer Musik. Und dennoch: Sein Play Bach war nicht nur Nische, sondern ganz große Kunst! Vielleicht spielen die beiden jetzt vierhändig. Ich für meinen Teil habe die Vinyl-Edition von Play Bach bestellt – einen Klassiker, der mit ein bisschen Knistern ein ewiges Andenken ist!
Dieser Tage erscheint auch das neue CRESCENDO! Themenschwerpunkt ist „Musik und Zensur“. Ich habe mich mit dem Komponisten Moritz Eggert unterhalten und darüber gestritten, ob es wirklich klug ist, Konzerte von AfD-Mitgliedern wie Matthias Moosdorf ironisch zu unterwandern. Das gesamte Gespräch lesen Sie im neuen Heft, hier schon mal ein Ausschnitt zum Nachhören. Das Magazin können Sie hier als Probeausgabe kostenfrei bestellen.
Moritz Eggert debattiert mit mir die Zensur in der Musik. Zunächst antwortet er auf die Frage, was sein Protest gegen den Auftritt von Matthias Moosdorf gebracht habe.
Sie wollen gern in die Oper, wissen aber nicht, mit wem? Und Sie wohnen zufällig noch in Dresden? Dann schauen Sie doch bei den Opernliebhabern vorbei. Die treffen sich am 21. März zum ersten Mal.
In diesem Sinne, schreiben Sie mir über Ihre Klassik-Woche und halten Sie die Ohren steif,
Ihr
Axel Brüggemann
brueggemann@crescendo.de