Dora Pejačević

Zerrissen zwischen adeliger Herkunft und dem Streben nach Frei­heit

von Ruth Renée Reif

24. Februar 2023

Am 5. März 2023 jährt sich der Todestag der Komponistin Dora Pejačević zum 100. Mal. Sie entstammte einer kroatischen Adelsfamilie und hinterließ rund 60 Werke, die allerdings nur teilweise veröffentlicht sind. Am 9. März 2023 kommt der Film »DORA – Flucht in die Musik« in die deutschen Kinos.

Dora Pejačević ist eine jener Kompo­nis­tinnen, deren Werk es noch zu entde­cken gilt. Wie die Musik­wis­sen­schaft­lerin Koraljka Kos in ihrer leider nur auf Kroa­tisch erschie­nenen Biografie ausführt, schuf Pejačević mit ihrem Œuvre und den neuen Elementen, die sie in die Musik einbrachte, die Grund­lage, auf der sich später die modernen Stil­rich­tungen entwi­ckelten. Dass ihre eigenen Kompo­si­tionen schließ­lich im Schatten dieser Entwick­lungen unter­gingen, kann man nur als tragisch bezeichnen.

Immerhin scheint ihr Werk erhalten geblieben zu sein. Wie Kos mitteilt, liegt der gesamte künst­le­ri­sche und biogra­fi­sche Nach­lass von Dora Pejačević im Kroa­ti­schen Musik­in­stitut (Hrvatski glaz­beni zavod) in Zagreb. Er umfasse 57 regis­trierte Werke, die zwischen 1897 und 1922 entstanden seien. Am inten­sivsten sei ihr Schaffen nach 1913 gewesen. Veröf­fent­licht ist nur ein kleiner Teil. Kos stützt sich bei ihrer Analyse auf die Origi­nal­hand­schriften. Nur frag­men­ta­risch könne die Rekon­struk­tion von Pejače­vićs Lebensweg erfolgen. Doch lasse das erhal­tene Mate­rial auf eine außer­ge­wöhn­liche Persön­lich­keit schließen.

Trailer zu dem Doku­men­tar­film DORA – Flucht in die Musik von Kyra Steckeweh und Tim van Beveren

Geboren wurde Maria Theodora Paulina (Dora) Pejačević am 10. September 1885 vermut­lich im väter­li­chen Schloss von Našice in Slawo­nien. Ihr Vater war der kroa­ti­sche Ban Graf Teodor Pejačević, ihre Mutter die unga­ri­sche Baronin Elisa­beta-Lilla Vay de Vaja. Die reich­hal­tige Biblio­thek sowie die zahl­rei­chen Künstler und Intel­lek­tu­ellen, die im Schloss verkehrten und zu denen auch der Schrift­steller gehörte, boten ihr bereits in ihrer Kind­heit viele Anre­gungen. Ihren ersten Musik­un­ter­richt erhielt sie von Privat­leh­rern in Našice. Ihre Weiter­bil­dung erfolgte in Zagreb sowie bei dem Kompo­nisten und Pianisten Percy Sher­wood in Dresden und bei dem Kompo­nisten Walter Cour­voi­sier in München.

Dora Pejačević, eine viel gespielte Kompo­nistin ihrer Zeit

Ihre Werke wurden damals häufig gespielt. So kam am 4. Februar 1916 unter der Leitung von Fridrik Ruka­vina ihr Klavier­kon­zert zur Auffüh­rung. Es war das erste dieser Art in der kroa­ti­schen Musik­tra­di­tion. Zwei Jahre darauf wurden im Kroa­ti­schen Musik­in­stitut Kammer­mu­sik­werke von ihr gespielt. Am 25. Januar 1918 diri­gierte bei einem Konzert in Wien Oskar Nedbal zwei Sätze ihrer Sinfonie, und am 10. Februar 1920 brachte Edwin Lindner in Dresden die gesamte Sinfonie zur Auffüh­rung.

Dora Pejačević unter­nahm damals zahl­reiche Reisen in euro­päi­sche Kultur­zen­tren wie Wien, Buda­pest, Prag und München. Auch auf Schloss Janovic bei ihrer Freundin, der böhmi­schen Baronin Sidonie Nádherný von Borutin war sie häufig zu Gast. Sidonie war mit befreundet und mit Karl Kraus liiert, den sie in Wien im Café Impe­rial kennen­ge­lernt hatte.

Das väter­liche Schloss im slawo­ni­schen Našice

Mit ihrer Lebensart entfernte sich Dora Pejačević zuneh­mend von der Welt der Adeligen, der sie entstammte. Das würden auch ihre Briefe belegen, erläu­tert Kos. Sie sieht Pejačević in einem Konflikt zwischen ihrem Streben nach Frei­heit und dem durch ihre Herkunft und ihrem gesell­schaft­li­chen Status aufer­legten Lebens­rahmen. Weder sei es ihr gelungen, die Kluft zwischen den beiden Welten zu über­brü­cken, noch habe sie den Schritt aus der Welt ihrer Herkunft heraus geschafft.

Kos schreibt von erup­tiven Schaf­fens­pro­zessen und betont zugleich Pejače­vićs solide Kenntnis des Hand­werks. Dieses Kenn­zei­chen ihrer Musik, das die Zeit­ge­nossen als „männ­lich“ empfunden hätten, komme beson­ders in den tradi­tio­nellen klas­si­schen Formen zum Ausdruck. In den instru­men­talen Minia­turen neige sie dazu, dem Spiel der Fantasie unge­hemmt freien Lauf zu lassen und Neues zu versu­chen. Zwischen den strengen Formen der abso­luten Musik habe sie Violin- und Klavier­kom­po­si­tionen program­ma­ti­schen Charak­ters sowie Lieder für Solo­stimme und Klavier oder Orchester kompo­niert. Zu ihren Vokal­werken zählen u.a. Drei Gesänge op. 53 auf Worte von Fried­rich Nietz­sche. Eine Reihe von Liedern basiert auf Texten von Ricarda Huch, die von 1900 an immer wieder für längere Zeit in München lebte. Nach Texten von Rainer Maria Rilke kompo­nierte Pejačević 1916 den Lied­zy­klus Mädchen-Gestalten, bestehend aus Als du mich einst gefunden hast, Viel Fähren sind auf den Flüssen, Ich bin ein Waise und Ich war ein Kind und träumte viel.

Das Hoch­zeits­foto von Dora Pejačević und Ottomar von Lumbe in Našice

So könne man ihr Werk in zwei Gruppen teilen, die mitein­ander verwoben seien, die klas­si­schen Instru­mental, Kammer­musik- und Orches­ter­formen einer­seits und die program­ma­ti­schen Minia­turen für Klavier, und Violine sowie die Lieder ande­rer­seits. Für Orchester habe Pejačević wenig geschrieben. Der Schwer­punkt ihres Werks liege auf der Kammer­musik. Oper habe sie keine hinter­lassen, obwohl der Gedanke daran sie beschäf­tigt habe. So habe sie sich an Rilke gewandt mit der Bitte, ihr bei der Suche nach einem Libretto behilf­lich zu sein. Aber wie Kos schreibt, sei ihre Entwick­lung abge­bro­chen, als sie die künst­le­ri­sche Reife erlangt habe. Im Herbst 1921 heira­tete sie Ottomar von Lumbe und lebte fortan vor allem in München, wo sie am 5. März 1923 nach der Geburt ihres ersten Kindes im Wochen­bett verstarb.

Vergessen ist Dora Pejačević nicht. 1993 drehte der kroa­ti­sche Regis­seur Zvonimir Berković den Film Gräfin Dora mit Alma Prica in der Haupt­rolle und Kompo­si­tionen von Dora Pejačević. In den 2010er-Jahren erschienen beim Klas­sik­label CPO zahl­reiche Einspie­lungen der Werke Dora Pejače­vićs. Anläss­lich des 100. Todes­tages von Dora Pejačević haben die Pianistin Kyra Steckeweh und der Regis­seur Tim van Beveren unter Mitwir­kung der Musik­wis­sen­schaft­lerin Koraljka Kos, des Geigers Andrej Bielow und des Gewand­haus­or­ches­ters unter der Leitung von einen Doku­men­tar­film über Pejačević erar­beitet.

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Weitere Informationen zur Komponistin Dora Pejačević auf: dora-pejacevic.com