Igor Strawinsky

In memo­riam – zum 50. Todestag von Igor Stra­winsky

von Ruth Renée Reif

2. April 2021

Igor Strawinsky gehört zu den aufregendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Er befreite das musikalische Denken. Am 6. April 2021 jährt sich sein Todestag zum 50. Mal.

starb am 6. April um 5:20 Uhr in im Beisein seiner Frau Vera und Robert Craft. „Kein anderer zeit­ge­nös­si­scher Kompo­nist besteht die Test­frage, ob man ein ganzes Konzert mit seinen Werken bestreiten könnte, aber Stra­winsky verkraftet 20 solcher Konzerte.“ – „Zum ersten Mal seit Guil­laume de Machaut muss die Welt bestehen, ohne dass ein bedeu­tender Kompo­nist auf ihr lebt.“ – „Nun leistet er den Unsterb­li­chen Gesell­schaft, zu denen er ohnehin seit 50 Jahren zählte“, zitiert Robert Craft aus den Tele­grammen nach Stra­win­skys Tod.

Robert Craft im Gespräch mit Igor Stra­winsky im Jahr 1957

Als 20-Jähriger war Robert Craft zu Igor Stra­winsky gekommen und zu einem wich­tigen Vertrauten in dessen vierter Lebens­phase geworden. Inter­es­siert an Neuer Musik, beson­ders von Stra­winsky und Schön­berg, leitete er 1947 in New York eine Reihe mit Kammer­kon­zerten. Da er die Sympho­nies d’in­stru­ments à vent aufführen wollte, die damals nicht im Druck erhält­lich waren, nahm er über die Vermitt­lung des Dich­ters W. H. Auden im März 1948 Kontakt zu Stra­winsky auf. Daraus entwi­ckelte sich eine Bezie­hung, die anhielt bis zu Igor Stra­win­skys Tod. Robert Craft war Ratgeber und Freund. Er diri­gierte Stra­win­skys Werke und doku­men­tierte in zahl­rei­chen Büchern dessen Leben. Auch brachte er wich­tige in Stra­win­skys Schaffen ein.

Igor Strawinsky und Robert Craft in Gesualdo
Robert Craft und Igor Stra­winsky besuchten 1959 auf einer Itali­en­reise den Palast von Don Carlo de Venosa in Gesu­aldo, wohin der Kompo­nis­ten­fürst sich nach der Mord­nacht zurück­ge­zogen hatte.
(Foto: © Robert Emmet Bright, aus dem Band: Robert Craft: „Stra­winsky. Chronik einer Freund­schaft“, 2000)

1954 entschloss sich Robert Craft, das Gesamt­werk von Carlo Gesu­aldo einzu­spielen. „Stra­winsky war während der Aufnahmen die ganze Zeit im Regie­raum, lernte die Musik kennen und machte gele­gent­lich Vorschläge zur Auffüh­rung“, erzählt Craft. Am Ende des Sommers sei er völlig in Gesu­aldos Musik vertieft gewesen. Der setzt Gesu­aldos vier Motetten für gemischten Chor und Basso Continuo sowie die von Stra­winsky voll­endeten Tres sacres cantiones auf das Programm seines Konzerts. Ursprüng­lich war ein Festival anläss­lich des 50. Todes­tages von Igor Stra­winsky geplant, das jedoch wegen der Pandemie nicht statt­finden kann. So muss es bei einem Konzert bleiben, das im Live­stream zu sehen ist.

NDR Chor
Widmet sich zum 50. Todestag Igor Stra­win­skys dessen geist­li­chen Werken: der Chor unter
(Foto: © Peter Hundert)

Zu Beginn erklingen die drei geist­li­chen Chöre, die Igor Stra­winsky von 1926 bis 1934 nach kirchen­sla­wi­schen Texten kompo­nierte. Er sei 1926 zur ortho­doxen Kirche zurück­ge­kehrt, erzählt er Robert Craft, der sich schwertut mit Stra­win­skys Fröm­mig­keit, die mitunter in skur­rilem Aber­glauben wurzelt. „Ich ging damals zum ersten Mal seit 1910 wieder zur Kommu­nion und kompo­nierte mein erstes reli­giöses Werk, ein a cappella Pater Noster… und später ein Ave Maria und ein Credo für den Gebrauch in der ortho­doxen Kirche. Entspre­chend der litur­gi­schen Über­lie­fe­rung, die in der Ostkirche die Verwen­dung von Musik­in­stru­menten unter­sagt, beschränkt sich die Musik auf eine einfache harmo­ni­sche Into­na­tion der Worte.“

Zum Abschluss erklingt die Psal­men­sin­fonie in der Bear­bei­tung von . Das Werk war im Auftrag von Sergei Kusse­wizki entstanden, der um eine Sinfonie zum 50-jährigen Bestehen des Boston Symphony Orchestras bat. Igor Stra­winsky stand ein sinfo­ni­sches Gebäude „mit großer kontra­punk­ti­scher Entwick­lung“ vor Augen. Er griff auf die Psalmen zurück und schuf ein Werk für ein Ensemble, „das aus Chor und Orchester zusam­men­ge­setzt und bei dem keines der Elemente dem anderen über­ge­ordnet ist, beide also völlig gleich­wertig sind“.

Robert Craft mit Igor und Vera Strawinsky im Studio in New York
Robert Craft mit Igor und Vera Stra­winsky im Juni 1963 bei Columbia Records in New York während einer Aufnahme
(Foto: © Robert Cato, CBS, aus dem Band: Robert Craft: „Stra­winsky. Chronik einer Freund­schaft“, Zürich – Mainz 2000)

1962 entschied sich Igor Stra­winsky nach langem Zögern, der offi­zi­ellen Einla­dung das Kompo­nisten Tichon Chren­nikow in die Sowjet­union zu folgen. „Ich bin sicher, dass es ihm mehr bedeutet hat als irgend­etwas anderes in all den Jahren, seit ich ihn kenne, dass er hier in Russ­land als Russe aner­kannt und beju­belt wurde und dass man hier seine Musik aufführte“, betont Robert Craft, der bei dem drei­wö­chigen Besuch eben­falls zugegen war. Stra­winsky sei unent­wegt von Kompo­nisten umgeben gewesen. Nur einer schien ihm aus dem Weg zu gehen: Dmitri Schost­a­ko­witsch.

Schließ­lich kam es doch zu einer Begeg­nung. Zunächst sahen die beiden einander flüchtig während eines Fest­essens, und dann gab es ein Abschieds­ban­kett im Moskauer Hotel Metropol. „Schost­a­ko­witsch, der diesmal neben I.S. sitzt, wirkt noch ängst­li­cher und gequälter als beim ersten Zusam­men­treffen“, erzählt Craft. „Er plau­dert erst unbe­tei­ligt, bis er dann wie ein verschämter Schul­junge damit heraus­platzt, dass die Symphony de Psaumes ihn über­wäl­tigt habe, als er sie zum ersten Mal hörte, und dass er eigen­händig einen Klavier­auszug davon ange­fer­tigt hätte, den er I.S. nun gerne schenken wolle.“ In dieser Fassung bringen die Pianisten Mariana Popova und Burk­hard Kehring die Sinfonie zur Auffüh­rung.

Der Leichnam von Igor Strawinsky auf der Überfahrt nach San Michele
Die Über­fahrt des Leich­nams von Igor Stra­winsky auf den Friedhof San Michele in . Vera Stra­winsky und Robert Craft hatten entschieden, Igor Stra­winsky in Venedig zu beer­digen.
(Das Foto ist dem Band „Stra­vinsky in Pictures and Docu­ments By Vera Stra­vinsky And Robert Craft”, New York 1978, entnommen.)

Die bringt aus Anlass des 50. Todes­tages von Igor Stra­winsky am 5. März 2021 eine Box mit 30 CDs heraus, auf der sich, nach Genre und Chro­no­logie geordnet, sämt­liche Werke Stra­win­skys befinden.

>

Konzert zum 50. Todestag von Igor Strawinsky in der Elbphilharmonie am 6. April 2021. Zu sehen um 20 Uhr im Livestream unter: www.ndr.de

Fotos: Lord Snowden, aus dem Band