Joseph-Beuys 1985

Joseph Beuys

„Jeder Mensch ist ein Künstler.“

von Ruth Renée Reif

12. Mai 2021

Joseph Beuys zählt zu den wirkungsvollsten Künstlern des 20. Jahrhunderts. Am 12. Mai 2021 jährt sich sein Geburtstag zum 100. Mal. Das Projekt „beuys 2021.100 jahre joseph beuys“ würdigt sein Wirken.

„Ich will gestalten, also verän­dern“, lautete das Credo von . Als Zeichner, Bild­hauer, Aktions- und Instal­la­ti­ons­künstler sowie Theo­re­tiker und poli­ti­scher Akti­vist erwei­terte er das Kunst­ver­ständnis und revo­lu­tio­nierte den Kunst­be­griff. Seine Ideen und Kunst­werke erregten Aufsehen, sorgten für Skan­dale und sind zum Teil heute noch umstritten.

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Einblick in Joseph Beuys« Aktion Wie man dem toten Hasen die Bilder und seine Erläu­te­rung dazu. Ausschnitt aus der Diskus­si­ons­sen­dung Club 2 des ORF mit Adolf Holl, zu deren Teil­neh­mern auch der Kompo­nist gehörte.

In seinen künst­le­ri­schen Anfängen gehörte Beuys dem Nieder­rhei­ni­schen Künst­ler­bund Kleve an. Er fertigte in dieser Zeit fili­grane Blei­stift­zeich­nungen und Aqua­relle von Tieren und weib­li­chen Arche­typen an, und er wandte sich der Anthro­po­so­phie zu. Während seines Studiums an der Kunst­aka­demie entdeckte er die Schriften Rudolf Stei­ners. Wie die Univer­sal­lehren Leonardo Da Vincis hatten sie prägenden Einfluss auf sein Denken, seine Vorstel­lungen und sein Werk. Die Ausstel­lung „Intui­tion!“ in Kleve, wo Beuys seine Kind­heit verbrachte, widmet sich seinem Früh­werk, von seiner Rück­kehr aus dem Krieg bis zum Beginn seiner Professur an der Kunst­aka­demie Düssel­dorf 1961. Sie weist auf Einflüsse hin und zeigt auf, wie sich Beuys‘ Themen­kreise heraus­bil­deten.

Kleve, Museum Kurhaus, 19.6. bis 3.10.2021, beyus2021​.de

Joseph Beuys: Intuition!

Joseph Beuys: „Intui­tion!“ (erscheint am 24.6.2021, Steidl)
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Inter­es­san­ter­weise kam dem Thema Musik in Beuys Aktionen eine wich­tige Rolle zu. So trat etwa das Klavier als Symbol­träger in Erschei­nung. Im Februar 1963 führte Beuys im Rahmen von „Festum Fluxorum Fluxus“ in der Aula der Kunst­aka­demie Düssel­dorf die beiden Aktionen Symphonie 1. Satz und Kompo­si­tion für 2 Musi­kanten durch. Während er bei der ersten Aktion einige Auszüge aus Werken Erik Saties auf dem Klavier spielte, bestanden die zwei Musi­kanten der zweiten Aktion aus einem Blech­spiel­zeug, das er aufzog und auf den Boden stellte.

Joseph Beuys bei seiner Aktion
Joseph Beuys bei deiner Aktion im Sommer 1964 beim Festival der Neuen Kunst in der Rhei­nisch-West­fä­li­schen Tech­ni­schen Hoch­schule
(Foto: © Peter Thomann, VG-Bild-Kunst, 2020)

Zum Auftakt des Jubi­lä­ums­pro­gramms greift „Musik aus der Zukunft“ Beuys« lang­jäh­rige Beschäf­ti­gung mit auf. In einer 24-stün­digen musi­ka­li­schen Hommage an Beuys, die an dessen legen­däres 24-stün­diges Happe­ning in der Galerie Parnass erin­nert, führen 24 Musiker nach­ein­ander die Vexa­tions am Flügel auf. Jeder spielt eine Stunde. Zu den 24 zählen nicht nur profes­sio­nelle Pianisten, sondern u. a. auch bildende Künstler, Kura­toren und Schüler.

Düssel­dorf, K20 Kunst­samm­lung Nord­rhein-, 11. bis 12. Mai 2021, beuys2021​.de

Im März 1963 voll­führte Beuys in der Galerie Parnass bei der Eröff­nung der Ausstel­lung Expo­si­tion of Music-Elec­tronic Tele­vi­sion eine Aktion durch, bei der er mit einer Axt ein Klavier von Ibach, dem damals ältesten Klavier­her­steller der Welt, zertrüm­merte. Das Klavier symbo­li­sierte dabei die tradi­tio­nelle Form von Kunst, deren Zerstö­rung die „zukünf­tige Gestalt erst möglich mache“. Mit diesem symbo­li­schen Aufladen von Gegen­ständen wurde Beuys der Kunst­rich­tung Fluxus zuge­ordnet. Beuys sprach vom „Innenton“, den jeder Gegen­stand habe. 1965 zele­brierte er in der Galerie Alfred Schmela in Düssel­dorf mit der Aktion Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt das Ritual des Kunst-Erklä­rens, um es ab absurdum zu führen. Mit Honig und Gold­staub im Gesicht ging er mit einem Hasen auf dem Arm durch die Galerie. Das Publikum konnte von draußen zusehen. Erst nach drei Stunden wurde es einge­lassen.

Joseph Beuys
Joseph Beuys hält nach dem Angriff eines Studenten beschwö­rend ein Kruzifix hoch in der Rhei­nisch-West­fä­li­schen Tech­ni­schen Hoch­schule Aachen.
(Foto: © Hein­rich Riebesehl, VG-Bild-Kunst, Bonn-2020)

Welche Wirkungen Beuys« Aktionen hatten und was sie in den Zuschauern auslösten, zeigte sich im Sommer 1964 beim Festival der Neuen Kunst im Audimax der Rhei­nisch-West­fä­li­schen Tech­ni­schen Hoch­schule Aachen. Beuys füllte ein Klavier mit Wasch­pulver der Marke Omo und Müll. Anschlie­ßend führte er vor, wie sich der Klang verän­dert hatte. Sodann bohrte er Löcher in den Klavier­kasten und machte sich daran, Fett zu schmelzen. Dies brachte einige Studenten so in Aufruhr, dass einer von ihnen Beuys die Nase blutig schlug. Daraufhin brach dieser die Aktion ab und hielt beschwö­rend ein Kruzifix hoch. Der Foto­graf Hein­rich Riebesehl hielt die Szene fest. Ein Sympo­sium unter dem Titel Beuys und Fluxus setzt sich mit dem Ereignis ausein­ander.

Aachen, Ludwig Forum für Inter­na­tio­nale Kunst, 11. bis 12.6.2021, beuys2021​.de

1966 fand in der Aula der Kunst­aka­demie Düssel­dorf die Aktion Infil­tra­tion homogen für Konzert­flügel, der größte Kompo­nist der Gegen­wart ist das Conter­gan­kind statt. Sie begann mit einem Konzert von Char­lotte Moorman und Nam June Paik. Da schob Beuys einen in Filz­de­cken einge­nähten und mit einem roten Kreuz verse­henen Flügel in die Aula. Mit Bienen­wachs verstopfte er sein Gehör und ließ ein Spiel­zeug­ret­tungs­auto unter dem Flügel herum­fahren. Anschlie­ßend zog er eine Blech­ente auf und ließ sie quaken. Auf die Tafel schrieb er: „In das Zimmer des Conter­gan­kindes einge­drungen hilft ihm die Musik der Vergan­gen­heit?? / ?????“ Und: „Das Leiden / Die Wärme / Der Klang / Die Plas­ti­zität.“ Darüber zeich­nete er ein halbiertes Kreuz mit der Zahl 508.

Joseph Beuys, Infiltration homogen
Nicht ganz das Original: Der Konzert­flügel, Filz, Stoff, steht seit 2013 im Centre Pompidou-Metz und erin­nert an die Perfor­mance.
(Foto: Museé national d’Art moderne – Centre Georges Pompidou © VG Bild-Kunst, Bonn 2009)

Beuys bezog sich mit der Aktion auf den 1961 aufge­deckten Contergan-Skandal. Das in Filz einge­nähte Klavier wurde in der Aktion zum Symbol des Leidens der an ihrem Leben gehin­derten Menschen. „Viele Menschen sind zwar schlau und intel­li­gent, manche sind auch schön und können sehr schnell laufen, manche sind auch fähig zu großen äußeren Werken, aber was ist denn mit den Menschen, die das alles nicht äußern können, wenn sie ein Schicksal antreffen, das sie an dieser Art von Produk­tion hindert“, erklärte Beuys dazu.

Joseph Beuys

»Viele Menschen sind zwar schlau und intel­li­gent, manche sind auch schön und können sehr schnell laufen, manche sind auch fähig zu großen äußeren Werken, aber was ist denn mit den Menschen, die das alles nicht äußern können, wenn sie ein Schicksal antreffen, das sie an dieser Art von Produk­tion hindert.«

1968 begann Beuys eine lang­jäh­rige Zusam­men­ar­beit mit dem Plakat­künstler Klaus Staeck. Er produ­zierte mit ihm Post­karten und andere seri­elle Werke, die der Idee entsprangen, dass Kunst für jeden erschwing­lich sein müsse. Zu Beginn des Jahres 1974 reisten die beiden in die , wo sie in Flug­zeugen, Taxen, Hotels, Univer­si­täten und Gale­rien Perfor­mances durch­führten. Bei der Aktion I like America and America likes me verbrachte Beuys etwa drei Tage mit einem Kojoten in einer New Yorker Galerie und erläu­terte sein Modell der „Sozialen Plastik“. Eben­falls mit auf der Reise war der Verleger Gerhard Steidl. Er plante mit den Hunderten von Fotos der Reise einen Band, der aller­dings erst 1987 herauskam und jetzt in neuer Auflage erscheint.

Beuys in America

Joseph Beuys: „Beuys in America“ (erscheint am 24.6.2021, Steidl)
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Staeck und Steidl beglei­teten Beuys auch 1977 zur docu­menta . Seit 1964 war Beuys regel­mäßig auf der docu­menta vertreten. Aber sein Auftritt auf der sechsten mit Honig­pumpe am Arbeits­platz wurde zu einer Sensa­tion. Die Arbeit bestand aus einem System von über 170 Meter langen Röhren und Schläu­chen, das die Räume des Museums Fride­ri­cianum durchzog. Über ein 17 Meter langes Rohr wurden drei Zentner Honig in dieses System gepumpt. Die Plastik, die der von Staeck heraus­ge­ge­bene Band Honey is flowing in all direc­tions mit Foto­gra­fien von Gerhard Steidl doku­men­tiert, war ein Sinn­bild für Beuys« Credo der Verän­de­rung der Gesell­schaft aus der Kunst heraus. Beuys ließ mit ihr seine Free Inter­na­tional Univer­sity lebendig werden, die er einige Jahre zuvor mit Staeck gegründet hatte. Diese sollte es Menschen aller Schichten ermög­li­chen, ihr krea­tives Poten­zial zu entfalten. Beuys sah in der Krea­ti­vität das eigent­liche Kapital einer Gesell­schaft. Die Ausstel­lung „Jeder Mensch ist ein Künstler“ bietet Einblick in das Denken Beuys«, wie es sich in seinen Aktionen mani­fes­tiert.

Düssel­dorf, K20 Kunst­samm­lung , 27.3. bis 15.8.2021, beuys2021​.de

Joesph Beuys: Honey is flowing in all directions

Joseph Beuys: „Honey is flowing in all direc­tions” (erscheint am 31.3.2021, Steidl)
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Auf der Bien­nale von 1980 zog Beuys unter dem Titel Das Kapital Raum 1970–1977 ein künst­le­ri­sches Resumee, indem er verschie­dene Akti­ons­re­likte kombi­nierte. In der Folge entwi­ckelte sich sein Denken in Rich­tung Natur­schutz. Stadt­ver­wal­dung statt Stadt­ver­wal­tung forderte er 1982 in seinem docu­menta-Beitrag, der die Pflan­zung von 7000 Eichen mit jeweils einem Basalt­stein vorsah. Die Steine lagen vor dem Museum Fride­ri­cianum, bis das Projekt 1987, ein Jahr nach Beuys« Tod abge­schlossen war. Beuys starb im Alter von 64 Jahren in Düssel­dorf an Herz­ver­sagen. Seine Ideen aber leben weiter. Der Band „100 jahre joseph beuys“ beleuchtet anhand zahl­rei­cher Beiträge das komplexe Wirken Beuys«, würdigt seine inter­na­tio­nale Ausstrah­lung sowie das revo­lu­tio­näre Poten­zial seines Denkens und fasst das Programm von „beuys2021“ zusammen.

Alle Ausstel­lungen und Veran­stal­tungen zum 100. Geburtstag von Joseph Beuys unter: beuys2021​.de

Zur Ausstellung 100 Jahre Joseph Beuys

Eugen Blume und Cathe­rine Nichols (Hrsg.) „100 jahre joseph beuys“ (erscheint am 31.3.2021, Steidl)
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Fotos: Imago-Images Leemage und Wilhelm Lehmbruck, Große Kniende 1911, AKG-images_CDA_Guillot