Joseph Beuys
„Jeder Mensch ist ein Künstler.“
von Ruth Renée Reif
12. Mai 2021
Joseph Beuys zählt zu den wirkungsvollsten Künstlern des 20. Jahrhunderts. Am 12. Mai 2021 jährt sich sein Geburtstag zum 100. Mal. Das Projekt „beuys 2021.100 jahre joseph beuys“ würdigt sein Wirken.
„Ich will gestalten, also verändern“, lautete das Credo von Joseph Beuys. Als Zeichner, Bildhauer, Aktions- und Installationskünstler sowie Theoretiker und politischer Aktivist erweiterte er das Kunstverständnis und revolutionierte den Kunstbegriff. Seine Ideen und Kunstwerke erregten Aufsehen, sorgten für Skandale und sind zum Teil heute noch umstritten.
In seinen künstlerischen Anfängen gehörte Beuys dem Niederrheinischen Künstlerbund Kleve an. Er fertigte in dieser Zeit filigrane Bleistiftzeichnungen und Aquarelle von Tieren und weiblichen Archetypen an, und er wandte sich der Anthroposophie zu. Während seines Studiums an der Kunstakademie Düsseldorf entdeckte er die Schriften Rudolf Steiners. Wie die Universallehren Leonardo Da Vincis hatten sie prägenden Einfluss auf sein Denken, seine Vorstellungen und sein Werk. Die Ausstellung „Intuition!“ in Kleve, wo Beuys seine Kindheit verbrachte, widmet sich seinem Frühwerk, von seiner Rückkehr aus dem Krieg bis zum Beginn seiner Professur an der Kunstakademie Düsseldorf 1961. Sie weist auf Einflüsse hin und zeigt auf, wie sich Beuys‘ Themenkreise herausbildeten.
Kleve, Museum Kurhaus, 19.6. bis 3.10.2021, beyus2021.de
Joseph Beuys: „Intuition!“ (erscheint am 24.6.2021, Steidl)
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Interessanterweise kam dem Thema Musik in Beuys Aktionen eine wichtige Rolle zu. So trat etwa das Klavier als Symbolträger in Erscheinung. Im Februar 1963 führte Beuys im Rahmen von „Festum Fluxorum Fluxus“ in der Aula der Kunstakademie Düsseldorf die beiden Aktionen Symphonie 1. Satz und Komposition für 2 Musikanten durch. Während er bei der ersten Aktion einige Auszüge aus Werken Erik Saties auf dem Klavier spielte, bestanden die zwei Musikanten der zweiten Aktion aus einem Blechspielzeug, das er aufzog und auf den Boden stellte.
Zum Auftakt des Jubiläumsprogramms greift „Musik aus der Zukunft“ Beuys« langjährige Beschäftigung mit Erik Satie auf. In einer 24-stündigen musikalischen Hommage an Beuys, die an dessen legendäres 24-stündiges Happening in der Galerie Parnass erinnert, führen 24 Musiker nacheinander die Vexations am Flügel auf. Jeder spielt eine Stunde. Zu den 24 zählen nicht nur professionelle Pianisten, sondern u. a. auch bildende Künstler, Kuratoren und Schüler.
Düsseldorf, K20 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, 11. bis 12. Mai 2021, beuys2021.de
Im März 1963 vollführte Beuys in der Galerie Parnass bei der Eröffnung der Ausstellung Exposition of Music-Electronic Television eine Aktion durch, bei der er mit einer Axt ein Klavier von Ibach, dem damals ältesten Klavierhersteller der Welt, zertrümmerte. Das Klavier symbolisierte dabei die traditionelle Form von Kunst, deren Zerstörung die „zukünftige Gestalt erst möglich mache“. Mit diesem symbolischen Aufladen von Gegenständen wurde Beuys der Kunstrichtung Fluxus zugeordnet. Beuys sprach vom „Innenton“, den jeder Gegenstand habe. 1965 zelebrierte er in der Galerie Alfred Schmela in Düsseldorf mit der Aktion Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt das Ritual des Kunst-Erklärens, um es ab absurdum zu führen. Mit Honig und Goldstaub im Gesicht ging er mit einem Hasen auf dem Arm durch die Galerie. Das Publikum konnte von draußen zusehen. Erst nach drei Stunden wurde es eingelassen.
Welche Wirkungen Beuys« Aktionen hatten und was sie in den Zuschauern auslösten, zeigte sich im Sommer 1964 beim Festival der Neuen Kunst im Audimax der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen. Beuys füllte ein Klavier mit Waschpulver der Marke Omo und Müll. Anschließend führte er vor, wie sich der Klang verändert hatte. Sodann bohrte er Löcher in den Klavierkasten und machte sich daran, Fett zu schmelzen. Dies brachte einige Studenten so in Aufruhr, dass einer von ihnen Beuys die Nase blutig schlug. Daraufhin brach dieser die Aktion ab und hielt beschwörend ein Kruzifix hoch. Der Fotograf Heinrich Riebesehl hielt die Szene fest. Ein Symposium unter dem Titel Beuys und Fluxus setzt sich mit dem Ereignis auseinander.
Aachen, Ludwig Forum für Internationale Kunst, 11. bis 12.6.2021, beuys2021.de
1966 fand in der Aula der Kunstakademie Düsseldorf die Aktion Infiltration homogen für Konzertflügel, der größte Komponist der Gegenwart ist das Contergankind statt. Sie begann mit einem Konzert von Charlotte Moorman und Nam June Paik. Da schob Beuys einen in Filzdecken eingenähten und mit einem roten Kreuz versehenen Flügel in die Aula. Mit Bienenwachs verstopfte er sein Gehör und ließ ein Spielzeugrettungsauto unter dem Flügel herumfahren. Anschließend zog er eine Blechente auf und ließ sie quaken. Auf die Tafel schrieb er: „In das Zimmer des Contergankindes eingedrungen hilft ihm die Musik der Vergangenheit?? / ?????“ Und: „Das Leiden / Die Wärme / Der Klang / Die Plastizität.“ Darüber zeichnete er ein halbiertes Kreuz mit der Zahl 508.
Beuys bezog sich mit der Aktion auf den 1961 aufgedeckten Contergan-Skandal. Das in Filz eingenähte Klavier wurde in der Aktion zum Symbol des Leidens der an ihrem Leben gehinderten Menschen. „Viele Menschen sind zwar schlau und intelligent, manche sind auch schön und können sehr schnell laufen, manche sind auch fähig zu großen äußeren Werken, aber was ist denn mit den Menschen, die das alles nicht äußern können, wenn sie ein Schicksal antreffen, das sie an dieser Art von Produktion hindert“, erklärte Beuys dazu.
»Viele Menschen sind zwar schlau und intelligent, manche sind auch schön und können sehr schnell laufen, manche sind auch fähig zu großen äußeren Werken, aber was ist denn mit den Menschen, die das alles nicht äußern können, wenn sie ein Schicksal antreffen, das sie an dieser Art von Produktion hindert.«
1968 begann Beuys eine langjährige Zusammenarbeit mit dem Plakatkünstler Klaus Staeck. Er produzierte mit ihm Postkarten und andere serielle Werke, die der Idee entsprangen, dass Kunst für jeden erschwinglich sein müsse. Zu Beginn des Jahres 1974 reisten die beiden in die USA, wo sie in Flugzeugen, Taxen, Hotels, Universitäten und Galerien Performances durchführten. Bei der Aktion I like America and America likes me verbrachte Beuys etwa drei Tage mit einem Kojoten in einer New Yorker Galerie und erläuterte sein Modell der „Sozialen Plastik“. Ebenfalls mit auf der Reise war der Verleger Gerhard Steidl. Er plante mit den Hunderten von Fotos der Reise einen Band, der allerdings erst 1987 herauskam und jetzt in neuer Auflage erscheint.
Joseph Beuys: „Beuys in America“ (erscheint am 24.6.2021, Steidl)
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Staeck und Steidl begleiteten Beuys auch 1977 zur documenta Kassel. Seit 1964 war Beuys regelmäßig auf der documenta vertreten. Aber sein Auftritt auf der sechsten mit Honigpumpe am Arbeitsplatz wurde zu einer Sensation. Die Arbeit bestand aus einem System von über 170 Meter langen Röhren und Schläuchen, das die Räume des Museums Fridericianum durchzog. Über ein 17 Meter langes Rohr wurden drei Zentner Honig in dieses System gepumpt. Die Plastik, die der von Staeck herausgegebene Band Honey is flowing in all directions mit Fotografien von Gerhard Steidl dokumentiert, war ein Sinnbild für Beuys« Credo der Veränderung der Gesellschaft aus der Kunst heraus. Beuys ließ mit ihr seine Free International University lebendig werden, die er einige Jahre zuvor mit Staeck gegründet hatte. Diese sollte es Menschen aller Schichten ermöglichen, ihr kreatives Potenzial zu entfalten. Beuys sah in der Kreativität das eigentliche Kapital einer Gesellschaft. Die Ausstellung „Jeder Mensch ist ein Künstler“ bietet Einblick in das Denken Beuys«, wie es sich in seinen Aktionen manifestiert.
Düsseldorf, K20 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, 27.3. bis 15.8.2021, beuys2021.de
Joseph Beuys: „Honey is flowing in all directions” (erscheint am 31.3.2021, Steidl)
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Auf der Biennale von Venedig 1980 zog Beuys unter dem Titel Das Kapital Raum 1970–1977 ein künstlerisches Resumee, indem er verschiedene Aktionsrelikte kombinierte. In der Folge entwickelte sich sein Denken in Richtung Naturschutz. Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung forderte er 1982 in seinem documenta-Beitrag, der die Pflanzung von 7000 Eichen mit jeweils einem Basaltstein vorsah. Die Steine lagen vor dem Museum Fridericianum, bis das Projekt 1987, ein Jahr nach Beuys« Tod abgeschlossen war. Beuys starb im Alter von 64 Jahren in Düsseldorf an Herzversagen. Seine Ideen aber leben weiter. Der Band „100 jahre joseph beuys“ beleuchtet anhand zahlreicher Beiträge das komplexe Wirken Beuys«, würdigt seine internationale Ausstrahlung sowie das revolutionäre Potenzial seines Denkens und fasst das Programm von „beuys2021“ zusammen.
Alle Ausstellungen und Veranstaltungen zum 100. Geburtstag von Joseph Beuys unter: beuys2021.de
Eugen Blume und Catherine Nichols (Hrsg.) „100 jahre joseph beuys“ (erscheint am 31.3.2021, Steidl)
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