KlassikWoche 10/2023

Von Abgängen, Orden und »Menschen­müll«

von Axel Brüggemann

6. März 2023

Die menschenverachtende Wortwahl des Magazins »OPER!«, der Rücktritt von Alexander Pereira als Intendant des Maggio Musicale in Florenz, die Reaktion von Cate Blanchett auf die Kritik von Maren Alsop an »TÁR«.

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche

heute geht es drunter und drüber: 20 Kilo weniger und ein Rück­tritt in Florenz, zu wenige Frauen in Spit­zen­po­si­tionen, Neuord­nungen in Salz­burg, und: Verleiht Öster­reich einen Orden? 

Menschen­müll?

Theater Krefeld

Von der Preis­ver­lei­hung des Maga­zins OPER! kann man denken, was man will – zum Beispiel: Gut, dass es Leute gibt, die neben dem Opus Klassik was auf die Beine stellen! Aber dieses Mal gab es einen Giga-Fauxpas, der leider einen Groß­teil des Klassik-Selbst­ver­ständ­nisses unter dem Brenn­glas zeigt. Es ist legitim, dass OPER! der Stadt Krefeld den Negativ-Preis verleiht, weil sie sich nicht um den Opern­platz kümmert. Voll­kommen daneben, die Erklä­rung der Jury. „Auf dem Thea­ter­platz leben die obdach­losen Sucht­kranken der Stadt, mit allem, was dazu gehört: Gewalt, Verzweif­lung, Zerstö­rung, Müll, Dreck, Tod“, heißt es, schlei­chend abge­hakt und dem Verfall preis­ge­geben werde „mit dem modernen Inferno des sozial produ­zierten Menschen­mülls zugleich ein Stück Kultur“.

Kein Wunder, dass NRW Innen­mi­nister Herbert Reul mehr als irri­tiert war und die Stadt der Jury antwor­tete: „Die Jury geht bei ihrer Begrün­dung offenbar von falschen Voraus­set­zungen aus und bedient sich zudem einer unge­heuren sprach­li­chen Entglei­sung. Ein Gremium, das in einer offi­zi­ellen Stel­lung­nahme den Ausdruck ‚sozial produ­zierter Menschen­müll‘ verwendet, disqua­li­fi­ziert sich selbst. Die Stadt Krefeld empfindet die Nutzung des Wortes ‚Müll‘ zur Beschrei­bung von Drogen­kranken als skan­dalös und menschen­ver­ach­tend.“ Statt in sich zu gehen, ging die OPER!-Jury erneut in die Offen­sive und erklärte, dass es sich bei der Stel­lung­nahme der Stadt um ein Ablen­kungs­ma­növer gehan­delt habe. Aber was für eine Haltung von Kriti­ke­rInnen ist das? Frei nach dem Motto: „Es reicht doch, wenn wir uns mit Wozzeck auf der Bühne ausein­an­der­setzen, aber vor dem Theater wollen wir dieses Elend nicht sehen.“ Manchmal wünscht man sich einen zurück: Statt snobis­tisch und empa­thielos nach Schul­digen zu suchen, hätte er den Menschen in Not geholfen, sich durch Kultur selbst zu ermäch­tigen!

Öster­reich-Orden für Teodor Curr­entzis?

Der österreichische Bundespräsident Alexander van der Bellen

Man glaubt es kaum, aber tatsäch­lich ist Diri­gent Teodor Curr­entzis vorge­schlagen worden für die öster­rei­chi­sche Kultur-Kurie, ein exqui­siter Kreis aus öster­rei­chi­schen und inter­na­tio­nalen Kultur­schaf­fenden, die das Land reprä­sen­tieren – den Vorsitz hat der Archi­tekt Wolf D. Prix, der mit Coop Himmelb(l)au unter anderem das Opern­haus auf der Krim baute. Unter anderem dabei: Michel Houel­le­becq oder , aber auch oder Michael Haneke. Was denken die wohl darüber, dass Curr­entzis« Orchester bei seiner letzten Tour von ROSATOM gesponsort wurde, also jener Behörde, die das ukrai­ni­sche Atom­kraft­werk in Sapo­rischschja okku­piert, davon, dass im Aufsichtsrat von Curr­entzis« Orchester die Chefin der Russi­schen Natio­nal­bank und der VTB-Chef sitzen, dass einige seiner Musi­ke­rInnen Kriegs­lieder für Putin singen?

Gegen­über CRESCENDO hat das öster­rei­chi­sche Kultur­mi­nis­te­rium die Perso­nalie bestä­tigt. Hier die Antwort des Spre­chers im Wort­laut: „Es stimmt, dass seit kurzem ein entspre­chender Vorschlag der Kurie vorliegt. Dieser ist jetzt in Prüfung. Grund­sätz­lich ist zum Proce­dere zu sagen, dass der Kultur­mi­nister zunächst nur den Antrag auf Vorschlag der Kurie erstellt, die Ernen­nung erfolgt dann durch den Bundes­prä­si­denten. Mit einer ‚baldigen‘ Ernen­nung ist jeden­falls nicht zu rechnen.“ Es ist nun also an Öster­reichs Kultur­staats­se­kre­tärin und an Bundes­prä­si­dent Alex­ander Van der Bellen. Bislang waren nur zwei Diri­genten Teil der öster­rei­chi­schen Kultur-Kurie: und .

Nach­klatsch: Männer in Bayreuth

Was ich aus dem letzten News­letter gelernt habe: Man sollte sich NIE (!) über alte Männer lustig machen – auch nicht als alter Mann! Es war schon span­nend, was für ein kleiner (aber lustiger) Shit­s­torm sich da zusam­men­ge­braut hat, nachdem ich mit Ausru­fe­zei­chen in die Alters­struktur der Gesell­schaft der Freunde der Bayreu­ther Fest­spiele vorge­drungen bin – obwohl ich mich bewusst selber als „alter Hofbe­richt­erstatter“ einge­schlossen habe!

In Wahr­heit ging es ja auch nicht um alte Männer, sondern um Menschen, die gern in alten Kultur-Formen verharren: Alles soll bleiben, wie es war, auch wenn die Welt sich weiter dreht. Inzwi­schen hat der Chef der Gesell­schaft der Freunde Georg von Walden­fels selber ein wenig zurück­ge­ru­dert: Er stehe hinter , sagte er dem Nord­baye­ri­schen Kurier, „ich komme gut mit ihr aus“. Auch einen Macht­ver­lust seiner Gesell­schaft, die zu einem Drittel an den Fest­spielen betei­ligt ist (neben Bund und Land), schließt Walden­fels nicht mehr aus: „Überall, wo es sinn­volle Verän­de­rungen gibt, werden wir uns betei­ligen.“

News: Männer in Florenz

Alexander Pereira

Bämm – das war ein Knall: Alex­ander Pereira tritt als Inten­dant des Maggio Musi­cale in Florenz zurück – er sagt. aus „privaten Gründen“. Doch Pereira soll in den nächsten Tagen auch von der Floren­tiner Staats­an­walt­schaft vernommen werden. Neben Verun­treuung wirft sie ihm Geld­un­ter­schla­gung im Zusam­men­hang mit der Verwen­dung eines Teils eines Fonds in Höhe von 35 Millionen Euro vor, der von der Regie­rung in Rom zur Tilgung der in den vergan­genen 15 Jahren ange­sam­melten Schulden des Thea­ters ausge­zahlt wurde.

Pereira beteuert seine Unschuld, verweist auf die Einnahmen im Spon­so­ring, die er erwirt­schaftet hat und versteht sich vor allen Dingen als Opfer der Presse: „Abge­sehen davon, dass ich eine sehr schwie­rige Aufgabe hatte, war ich ständig Angriffen inner­halb und außer­halb des Thea­ters ausge­setzt, insbe­son­dere von der Presse. Ich hatte also nie einen ruhigen Moment, und diese Situa­tion hat dazu geführt, dass ich 20 Kilo abge­nommen habe und Anfang Dezember in eine gesund­heit­liche Krise geriet“, erklärte Pereira in einem Brief an Florenz« Bürger­meister Dario Nardella. Ein Selbst­bild, das wir von Pereira kennen: Schuld sind fast immer die anderen! Ach ja, und klar: der Ösi-Opi hat zu all dem auch eine Meinung: , Alex­ander Pereira – das sind für ihn noch echte Männer! 

Und was machen die Frauen?

Ich habe es noch nicht geschafft, den Film TÁR zu sehen, werde es aber defi­nitiv tun. Inter­es­sant, dass Diri­gentin das Diri­gen­tinnen-Bild aus dem Film kriti­siert: „Ich fühle mich als Frau, als Diri­gentin und als Lesbe belei­digt.“ Nun nahm auch US-Schau­spie­lerin Stel­lung: „Ich habe mit Diri­gen­tinnen wie und gespro­chen, die ein Verständnis für die, nennen wir es elas­ti­sche, Tarkowski-artige Deutungs­ebene unseres Films haben“, sagt Blan­chett der Welt am Sonntag, „aber wenn du, wie Marin Alsop, selbst die gläserne Decke durch­bro­chen hast, wenn du für sehr lange Zeit ganz allein auf diesen Sockel gestellt wurdest, wenn du eine außer­ge­wöhn­liche Führungs­per­sön­lich­keit und ein Vorbild für Frauen warst – dann kann ich schon nach­voll­ziehen, dass sie einen bestimmten Blick auf unseren Film hat. Sie hat ein Recht auf ihre Meinung. Absolut.“

Span­nend in diesem Zusam­men­hang ein Text vom BR, der sich um Frauen in Orches­tern dreht. Anlass ist, dass Vineta Sareika-Völkner seit Februar Konzert­meis­terin der Berliner Phil­har­mo­niker ist – die erste Frau auf dieser Posi­tion. Dazu passen die Forschungen von Timo Varel­mann vom Deut­schen Musik­in­for­ma­ti­ons­zen­trum: Die ersten Geigen haben bei deut­schen Orchester einen Frau­en­an­teil von etwa 60 Prozent. „Im tutti waren sogar zwei Drittel der Stellen durch Frauen besetzt“, sagt Varel­mann. „Je höher man aber kommt, bis hin zu den ersten Konzert­meis­te­rinnen und Konzert­meis­tern, landet man nur noch bei etwa 30 Prozent Frauen.“ Viel­leicht hilft die Beschäf­ti­gung mit der Vergan­ge­heit: Autor Bruno Monsain­geon hat seine Erin­ne­rungen an Gespräche mit der Kompo­nistin heraus­ge­geben. Das Buch Ich denke in Tönen gibt Einblicke in ihr Leben und Denken und in den Kampf gegen die Konven­tionen ihrer Zeit.

Salz­burger Neuord­nungen

Es herrscht erst einmal Ruhe im Karton – das scheint Landes­haupt­mann Wilfried Haslauer vor den anste­henden Land­tags­wahlen in Salz­burg beson­ders wichtig zu sein. Also hat er die Fronten zwischen Inten­dant und Präsi­dentin bei den Salz­burger Fest­spielen erst einmal geglättet: Hammer muss die Hoheit über die Pres­se­ar­beit wieder an Hinter­häuser abgeben. Salz­burgs Bürger­meister Harald Preuner sprach von einem „eher subop­ti­malen“ Innen­ver­hältnis im Direk­to­rium, Landes­haupt­mann Haslauer hingegen von einer „aufge­blähten Geschichte“. Immerhin: Trotz eines der lang­wei­ligsten Programme über­haupt, läuft der Karten­vor­ver­kauf in Salz­burg gut – und über die Zukunft der Fest­spiel-Inten­danz wird dann wohl nach der Wahl entschieden. Wenn die Wogen keine Abstim­mungen mehr beein­flussen können. 

Perso­na­lien der Woche

Heiß her ging es auch um die Benen­nung von Omer Meir Wellber als zukünf­tigen GMD in Hamburg. In der Hanse­stadt ist man erstaunt, dass er zum Nach­folger von ernannt wurde, angeb­lich ohne je mit dem Orchester zusam­men­ge­ar­beitet zu haben. Und in einem anonymen Brief im Stan­dard wurde beklagt, dass Meir Wellber seinen Verpflich­tungen an der Volks­oper nicht nach­kommen würde. Das Haus, das Orchester und die Inten­dantin in Wien haben das inzwi­schen demen­tiert – und sich geschlossen hinter den Diri­genten gestellt. Meine Meinung dazu: Viel­leicht wäre es kultur­po­li­tisch klug gewesen, das Hamburger Orchester mehr mitzu­nehmen. Aber der desi­gnierte Inten­dant braucht auch einen GMD, der ihn beim Neudenken begleitet – Meir Wellber ist da sicher eine gute Wahl. Und Wien hat noch einige Zeit gemeinsam mit ihm, Zeit, das Orchester auch in sinfo­ni­schen Konzerten zu posi­tio­nieren und einen gemein­samen Volks­opern-Geist zu entwi­ckeln. Seine Unter­schrift in Hamburg ist keine Flucht, sondern ein weiterer Schritt, von dem – wenn alles gut geht – alle profi­tieren könnten. Span­nend war die Saison-Vorschau an der Baye­ri­schen Staats­oper, in der auch ein Hauch Hamburg zu entde­cken ist: Tobias Kratzer insze­niert Die Passa­gierin, und Kent Nagano kehrt zurück nach München. Es gibt acht Opern- und drei Ballett-Premieren. Wermuts­tropfen: „Die Baye­ri­sche Staats­oper kämpft mit finan­zi­ellen Problemen. Die Tarif­stei­ge­rungen müssen aus dem einge­fro­renen Etat bezahlt werden – was bedeutet: Für die Kunst ist immer weniger Geld da.“ So fasst es Markus Thiel im Merkur zusammen. Nicht nur deshalb wolle Inten­dant Ja, Mai, das Festival mit zeit­ge­nös­si­scher Ausrich­tung, erst 2025 wieder ansetzen. Auch weil man 2024, so sagt er im Gespräch, nicht in Konkur­renz zur ähnlich ausge­rich­teten Münchener Bien­nale treten wolle.

Und wo bleibt das Posi­tive, Herr Brüg­ge­mann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Viel­leicht finden wir es hier: Nachdem der letzte Podcast über die Kirchen­musik so viele Reak­tionen und Debatten ausge­löst hat, disku­tiere ich im Update diese Woche wieder die Klassik-Welt mit Doro­thea Gregor. Atmet Chris­tian Thie­le­mann nach den Koali­ti­ons­ver­hand­lungen in Berlin auf? Wie wurde Omer Meir Wellber GMD in Hamburg? Warum haben Jour­na­listen Schuld, dass Alex­ander Pereira 20 Kilo verloren hat? Wie werden sich die Dinge bei den Bayreu­ther- und Salz­burger Fest­spielen entwi­ckeln? Und warum setzt die MET in New York auf die Moderne? Hören Sie doch mal rein.

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

brueggemann@​crescendo.​de

Fotos: Theater Krefeld, Picture-alliance / Reportdienste, Fotosicki | Riccardo Giordani / IPA / SWR