KlassikWoche 27/2022

Die offenen Fragen von Salz­burg

von Axel Brüggemann

4. Juli 2022

Die Salzburger Festspiele und die Putin-Treue von Teodor Currentzis, ein Symphonic Mob für das Münchner Konzerthaus, Christian Thielemann zurück in Berlin.

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

heute mit aller­hand brisanten Perso­na­lien, einem erfolg­rei­chen Tarif­ab­schluss und dem Blick von Zeit, Manager Magazin und Presse auf die Salz­burger Fest­spiele.

Kritik an den Salz­burger Fest­spielen wird lauter

In der letzten Woche haben wir an diese Stelle erklärt, warum das Weggu­cken der Salz­burger Fest­spiele in Sachen Russen-Spon­so­ring und ein Fehler sein könnte und dass dieser Zug unwei­ger­lich an die Wand fahren wird (es hat noch nie einen Crash verhin­dert, wenn man die Hände vor die Augen gehalten hat). In dieser Woche hat sich der Zug nun langsam in Bewe­gung gesetzt: „Wen hat Curr­entzis nicht verraten?“, fragt Anne-Cathe­rine Simon in der öster­rei­chi­schen Zeitung Die Presse und beschäf­tigt sich damit, wie der Diri­gent seine treuen Fans in Europa an der Nase herum­führt. Unter anderem schreibt sie über die jüngsten Gazprom-Auftritte von musi­cAe­terna und darüber, dass VTB-Bank-Chef Andrei Kostin in der Zeitung Kommersant erklärte, Curr­entzis habe ihm mitge­teilt, er sei kein „Verräter Russ­lands“. „Die Salz­burger Fest­spiele könnten für ihr Vertrauen in den Star­di­ri­genten gestraft werden“, kommen­tiert Simon, „er selbst wird es wohl bestens über­leben“ – im Zwei­fels­fall durch das Geld seiner russi­schen Förderer.

In der Öster­reich-Ausgabe der Zeit ist Putins Einfluss auf die Fest­spiele Titel-Thema, Simone Brunner und Sarah Jäggi fassen zusammen: „Er (Inten­dant ) sei ‚sehr sicher, dass Curr­entzis nach neuen Lösungen (in Sachen Spon­so­ring) sucht. Aber auch dafür wird er Zeit brau­chen, das geht nicht mehr von heute auf morgen«.“ Doch die Autorinnen sind gerade in diesem Punkt skep­tisch: „Im Mai tourte Curr­entzis mit Gazprom durch Russ­land. Und dieser Tage trat der Maestro mit seinem Orchester beim Peters­burger Wirt­schafts­forum auf, einer Propa­gan­da­show von und für Wladimir Putin.“ Das Manager Magazin befasst sich unter dem Titel „Schat­tiges Geld“ mit dem Spon­so­ren­mo­dell der Salz­burger Fest­spiele. Autor Hans-Peter Sieben­haar gibt in seinem Text zu bedenken, dass Markus Hinter­häuser es seiner Fest­spiel-Präsi­dentin Kris­tina Hammer durch „das Ausnutzen seiner Macht­po­si­tion“ nicht leicht mache, das Spon­so­ring-System zu erneuern. Hinter­häuser hätte Curr­entzis trotz der russi­schen Spon­so­ring-Vorwürfe durch­ge­drückt, und „die Chancen von Hammer, schnell für größere Trans­pa­renz und Regel­klar­heit bei den Geld­strömen zu sorgen, sind eben­falls gering. Denn die Geld­geber schätzen den über viele Jahr­zehnte prak­ti­zierten Status Quo.“ Es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit, wann auch der offi­zi­elle Medien-Partner der Salz­burger-Fest­spiele, der ORF, nicht länger Augen und Ohren verschließen kann. Immerhin wird Hinter­häuser sich an seiner eigenen Aussage, dass er eine Klar­stel­lung von Curr­entzis erwarte, messen lassen müssen. Die steht nach wie vor noch aus.

Kristina Hammer, die Präsidentin der Salzburger Festspiele, in der Stoffabteilung

Die mora­lisch-wirt­schaft­li­chen Themen rund um die Salz­burger Fest­spiele werden immer belas­tender: Auf der einen Seite das „schat­tige Spon­so­ring“, das sicher­lich auch Folgen für Groß­spon­soren wie Audi haben wird (darum kümmern wir uns in der nächsten Ausgabe), das fast schon trot­zige Igno­rieren der offen­sicht­li­chen Putin-Treue von Teodor Curr­entzis und seinem Ensemble musi­cAe­terna und die voll­kommen unver­ständ­liche Kommu­ni­ka­ti­ons­stra­tegie, die sich auch darin zeigt, das Kris­tina Hammer in Tagen wie diesen voll­kommen absurde Videos wie dieses hier in die Welt setzt, in dem sie der Stoff­ab­tei­lung der Fest­spiele einen Besuch abstattet. Ich habe jetzt ein noch unver­öf­fent­lichtes Video der Fest­spiel-Präsi­dentin gefunden – und verstecke es hinter diesem Link, als Beloh­nung für all die aufmerk­samen Leser. 

Rattle-Mob für München-Konzert­saal

Der desi­gnierte Chef­di­ri­gent des Sympho­nie­or­ches­ters des Baye­ri­schen Rund­funks, Simon Rattle, hat sich mit Äuße­rungen zum Pres­ti­ge­pro­jekt seines Orches­ters, dem neuen Konzert­saal im Werks­viertel, bislang weit­ge­hend zurück­ge­halten, ebenso wie BR-Inten­dantin Katja Wilder­muth. „Dafür dürften takti­sche Erwä­gungen maßgeb­lich sein“, speku­liert Robert Braun­müller in der AZ, „um die Politik nicht über­mäßig zu verär­gern. Ohnehin will der BR mit Rück­sicht auf die Gebüh­ren­debatte nur die tech­ni­sche Ausstat­tung des Saals finan­zieren und die Miete zahlen, den Bau aber dem Steu­er­zahler in München und dem Rest Bayerns über­lassen.“ Aber immerhin: Mit einem „Symphonic Mob“ wollen Rattle und sein zukünf­tiges Orchester nun davon abhalten, weiter in seiner „Denk­pause“ in Sachen Konzert­haus zu verharren. 

Met-Inten­dant Gelb über Netrebko 

Anna Netrebko

Met-Inten­dant hat im VAN-Magazin noch einmal Stel­lung zu seiner Ausla­dung von bezogen. Sie sei eine enge persön­liche Verbün­dete Putins, „sowohl was ihre Hand­lungen als auch ihr Mindset angeht“, sagt Gelb. Er wisse das aus persön­li­cher Erfah­rung. Und weil er sie seit Jahren kenne und mit ihr gespro­chen habe, „ist das, was ich lange tole­riert habe, jetzt nicht mehr hinnehmbar“, so Gelb weiter. Nachdem Netrebko ihr Appar­te­ment in New York verkauft, steht nun auch ihr 225 Quadrat­meter Pent­house im Zentrum von Wien im Angebot – für 3,9 Millionen Euro.

Perso­na­lien der Woche I

Teodor Currentzis, Igor Levit

Mit dem Chor der Met hat sich der Sänger ange­legt: Auf Face­book beschimpfte er den Chor der Oper, weil der ausge­las­sene Bilder von der Pride Parade in New York gepostet hat. Mit homo­phober Wucht ließ Pape (auf Englisch) wissen: „Menschen, die nicht wissen, wer sie sind, benutzen eine fantas­ti­sche Insti­tu­tion, um anderen zu erklären, was sie sein sollten. Für mich ein Grund, nicht mehr zurück­zu­kommen! Liebe Met, danke für fast 35 Jahre – was ich jetzt sehe, ist fürch­ter­lich!“ Der Post wurde inzwi­schen gelöscht (Screen­shot liegt der Redak­tion vor).

Und noch einen Zoff gab es dieser Tage auf Twitter zu beob­achten. Pianist legte sich mit dem Botschafter der Ukraine, an. Es geht um die Rolle der histo­ri­schen Figur Stepan Bandera, der für einige Inbe­griff der ukrai­ni­schen Kolla­bo­ra­tion mit den deut­schen Nazis und der Betei­li­gung der Ukraine am Holo­caust ist, für andere unan­ge­foch­tener Unab­hän­gig­keits­kämpfer des Landes. Levit beschul­digte Melnyk des Anti­se­mi­tismus. Fakt ist: Die Figur Banderas ist durchaus ambi­va­lent, eine gute Einord­nung gibt es hier. Zu wünschen wäre, dass Igor Levit sich an seinen mora­li­schen Stan­dards messen lässt und viel­leicht vor seinem Auftritt mit musi­cAe­terna und Teodor Curr­entzis bei den Salz­burger Fest­spielen noch mal schnell googelt, was der so die letzten Wochen getrieben hat, wer es finan­ziert, und dass er keinerlei Anstalten macht, sich von russi­schen Abhän­gig­keiten zu befreien. Ein gemein­samer Auftritt mit dem Gazprom-Orchester, dessen Musiker aus ihrer Russ­land-Liebe auf Insta­gram zum Teil keinen Hehl machen, dürfte bei Levits mora­li­schem Welt­blick – wenn er glaub­haft bleiben will – derzeit wohl eher unwahr­schein­lich sein. 

Tarif-Abschluss für Bühnen­ar­bei­te­rInnen

Deut­scher Bühnen­verein und Genos­sen­schaft Deut­scher Bühnen-Ange­hö­riger haben sich mit der Verei­ni­gung deut­scher Opern- und Tanz­ensem­bles und dem Bundes­ver­band Schau­spiel auf einen neuen Tarif­ver­trag geei­nigt. Die Mindest­gage wird in zwei Stufen von bisher 2.000 Euro brutto auf 2.550 Euro ab 1. September und 2.715 Euro ab dem neuen Jahr erhöht. Auch Gast­gagen werden entspre­chend ange­passt. Gleich­zeitig wird eine dyna­mi­sierte Beschäf­ti­gungs­zu­lage von 200 Euro einge­führt, sodass Solo­beschäf­tigte und Bühnen­tech­ni­ke­rInnen an DBV-Thea­tern nach zwei Jahren Anstel­lung mindes­tens 2.915 Euro erhalten.

Perso­na­lien der Woche II

Riccardo Muti

Zurück in Berlin! sprang mit nur einer Probe zum ersten Mal bei der Staats­ka­pelle Berlin ein (Herbert Blom­stedt hatte sich von seinem Sturz noch nicht erholt). Das Konzert wurde ein Erfolg, der derzei­tige Berlin-Chef war zum Konzert gekommen – anschlie­ßend ging man noch gemeinsam essen. Schon jetzt steht fest: Thie­le­mann wird zurück­kehren zur Kapelle, zunächst als Gast, doch der rbb denkt schon über mehr nach. +++ will das „N‑Wort“ in Verdis Masken­ball nicht ändern. An einer Stelle heißt es „vom unreinen Blut der N… (dell’im­mondo sangue dei negri)“ – eine Passage, die an den meisten Opern­häu­sern gestri­chen oder neutral umfor­mu­liert wird. Muti weigert sich: „Verdi war kein Rassist, es geht ihm darum, die rassis­ti­sche Einstel­lung, die Bruta­lität und die Igno­ranz des Rich­ters scho­nungslos aufzu­zeigen“, sagte er. Aber, hey, jeder, der seinem Kind schon mal Pippi Lang­strumpf vorge­lesen hat, weiß, dass es wirk­lich besser ist, ihren Vater als Südsee-König zu erklären als mit vergan­genem „N“-Vokabular – hätte Astrid Lind­gren heute auch gemacht, und Verdi sowieso!

Die Regie-Legende Peter Brook ist gestorben. Für mich deshalb epochal, weil seine Regie zu Herr der Fliegen mir eine Welt eröffnet hat, gefeiert aber wurde er als Mann des Thea­ters, der überall eine „nackte Bühne“ fand. Ein anderer Groß­meister, Gerhard Stadl­maier, ruft ihm in der FAZ nach.

Und wo bleibt das Posi­tive, Herr Brüg­ge­mann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Viel­leicht in der ewigen Erneue­rung! Vor einigen Wochen haben wir bei CRESCENDO den Frage­bogen gestartet, dieses Mal ausge­füllt vom Bariton Chris­tian Gerhaher, der auch sein größtes musi­ka­li­sches Miss­ge­schick verrät. Und dann gibt es ab heute eine weitere Neue­rung: Unter der Rubrik Neuheiten stellen wir alle Neuerschei­nungen der Woche vor, zeigen die jewei­ligen Cover und geben eine Kurz­dis­ko­grafie – so bleiben Sie immer auf dem neuesten Stand und können die Aufnahmen natür­lich auch sofort bestellen. Noch mehr Schönes? Bitte sehr! Die Sommer­fe­rien sind in Sicht. Ich persön­lich lege sie in zwei Schritten an. Nach 20 Folgen liegt der Podcast „Alles klar, Klassik?“ bereits am Strand. In der letzten Folge gibt es noch mal High­lights der letzten Sendungen mit dem Nachruf auf von Vera Nemi­rova, den Gesprä­chen mit Tina Lorenz, dem Harfenduo, Anselm Rose, und Marc Grand­mon­tagne. Von Mitte August an geht der Podcast dann in die zweite Staffel – bis dahin lassen sich alle alten Folgen natür­lich hier nach­hören. Dieser News­letter geht natür­lich weiter bis zur Eröff­nung der Salz­burger Fest­spiele. Um die aktu­ellen Entwick­lungen bis zu Ende zu begleiten, pfeifen wir auf unseren Urlaub (der kommt danach).

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

Axel Brüg­ge­mann

brueggemann@​crescendo.​de 

Fotos: Alexander Demianchuk / TASS / dpa / picture alliance, www.imago / Xinhua