KlassikWoche 28/2020

Sieg­fried, ich glaub’ mein Stuhl quietscht!

von Axel Brüggemann

6. Juli 2020

Das Eröffnungskonzert der Bayreuther Festspiele, die Verabschiedung von Dominique Meyer von Wien nach Mailand, die Akustik im neuen Münchner Gasteig.

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

heute mit aller­hand krea­tiven Ideen in Sachen Wagner, dem Schei­tern der , mit neuesten Erkennt­nissen zu Aero­solen, mit viel Kohle und ein biss­chen was zum Lachen. 

WAGNER-FEST­SPIELE IM VINKE-GARTEN

Es gibt sie noch, die guten Nach­richten! Am Donnerstag hat mich Bayreuths Sieg­fried, , ange­rufen. „Hier ist der Bi-Ba-Butze­mann“, hat er gesagt – eine Anspie­lung auf seine sehr launige Gesangs­ein­lage zu Corona-Zeiten (wir haben berichtet)! Vinke wollte bekannt­geben: Auch wenn die Bayreu­ther Fest­spiele diesen Sommer nicht statt­finden – er wird am obli­ga­to­ri­schen Bayreuth-Eröff­nungstag, den 25. Juli, trotzdem singen. Und zwar den ersten Aufzug der „Walküre“ im heimi­schen Vinke-Garten in der Nähe von Bad Kreuz­nach, gemeinsam mit Ehefrau als Sieg­linde, James Moel­len­hoff als Hunding und Wolfram Kolo­seus am Klavier. Und mehr noch, die Vinkes stemmen ganze Wagner-Fest­spiele. Bis zum 13. September stehen u.a. „Lohen­grin“, „Tristan“, „Walküre“ und „Tann­häuser“ auf dem Programm. Zu seinem Geburtstag will Vinke sich dann übri­gens einen „Sieg­fried“ mit MET-Beset­zung in den Garten zaubern. So geht Leiden­schaft! 80 Besu­cher passen rund um den Pool im Vinke-Garten, Karten gibt es hier

Unter dem Titel Summer­time“ will die Stadt Bayreuth ihr Musik-Angebot bündeln: Beet­hoven-Konzerte im Haus Wahn­fried, einige Veran­stal­tungen von Wagner-Sängern, die vor Ort sind, und dazu Jazz und Barock. Den Tourismus-Ausfall durch die Fest­spiele wird das wohl kaum kompen­sieren. Das viel­leicht hörens­wer­teste Konzert findet am 23. August – soweit zu sehen ist, eben­falls in Eigen­in­itia­tive orga­ni­siert – mit , , Daniel Schmutz­hard, und auf der Wilhel­mi­ne­naue statt.

WIE BAYREUTH STÜM­PERT

Neuig­keiten gibt es auch vom offi­zi­ellen Eröff­nungs­kon­zert der Bayreu­ther Fest­spiele, das nun, wenn es nach Über­gangs-Inten­dant Heinz-Dieter Sense geht, doch mit , Camilla Nylund und statt­finden und vom Baye­ri­schen Rund­funk im Radio über­tragen werden soll. An dieser Stelle haben wir darüber bereits vor vier Wochen berichtet. Es folgte zunächst eine Vertrös­tung, dann ein Dementi und nun die Zusage – pures Chaos und hoff­nungs­lose Über­for­de­rung auf dem Grünen Hügel! Richtig absurd wird der Plan des BR, die Uralt-“ von und zu zeigen, wenn sich der Sender in der Pres­se­mit­tei­lung auch über die groß­ar­tige Regie­ar­beit“ von freut – die aber wird in der geplanten Radio­über­tra­gung wohl kaum zu sehen sein. Und damit wären wir dann wieder beim Medien-Problem, das wir bereits in den letzten Wochen bespro­chen haben: dem BR fehlt einer­seits der Mumm, selber kreativ Neues zu machen, gleich­zeitig arbeitet er mit dem Uralt-Rechte-Verwerter, dem alten Kirch-Kompa­gnon, Unitel“ zusammen, dem aber (weil Katha­rina Wagner dessen Arbeits­weise zum Glück nicht geduldet hat) die Rechte an den neueren und span­nenden Bayreuth-Produk­tionen fehlen.

So liegen die Rechte für den Castorf-Ring“ bei der Deut­schen Gram­mo­phon. Leid­tra­gende dieser anachro­nis­ti­schen baye­ri­schen Seil­schaft zwischen Noch-Fest­spiel-Geschäfts­führer Holger von Berg, BR und dem Rech­te­inhaber sind die Wagne­rianer. Leider ist die Krea­ti­vität der aktuell handelnden Personen in Bayreuth eben­falls begrenzt: Die eigent­lich inno­va­tiven Diskurse“ finden diesen Sommer ausschließ­lich in Berlin statt, und der unin­spi­rierte Spiritus Rector, Holger von Berg, der als Verhin­derer und Rivale Katha­rina Wagners bekannt ist, scheint die krank­heits­be­dingte Abwe­sen­heit der Inten­dantin dafür zu nutzen, alles, was Katha­rina Wagner medial, perso­nell und visionär aufge­stellt hat (nämlich die krea­tive Unab­hän­gig­keit der Fest­spiele), mit der Lust des längst vom Hof Gejagten einzu­reißen! Dass dem niemand Einhalt gebietet, ist nicht zu verstehen! Ebenso wenig, dass auf der Website der Bayreu­ther Fest­spiele nach wie vor der alte Fest­spiel-Kalender zu sehen ist. War was? Ist was? Der Tag der frän­ki­schen Brat­wurst am 25. Juli scheint auf jeden Fall mit mehr Leiden­schaft geplant zu sein!

STAB­WECHSEL IN WIEN

Mit einem rauschenden Fest auf Schloss Gobels­burg und mit einer Doppel-Tenor-Gesangs­ein­lage von und Andreas Schager wurde Wiens Staats­opern-Inten­dant nach verab­schiedet. Sein Nach­folger an der , Bogdan Roščić, hat einen schweren Start – nicht nur wegen Corona. Mit seiner Radikal-Aufräum-Politik macht er sich nicht nur Freunde. Roščić hat einen Groß­teil des Sänger-Ensem­bles gefeuert. Das Bühnen­or­chester wolle er aber entgegen anders lautenden Vermu­tungen nicht auflösen, sondern beibe­halten, wie er über seinen Anwalt mitteilen liess. Aus dem Off feuerte derweil der Diri­gent gegen Domi­nique Meyer – dessen Ära sei Sinn­bild für den Bedeu­tungs­ver­lust der Staats­oper. Unter anderem sagte er: „Für mich war es ein Problem, dass er viele junge, hübsche Sänge­rinnen enga­giert hat, die einfach mit wenig oder gar keiner Erfah­rung plötz­lich Ensem­ble­mit­glied in der Wiener Staats­oper waren. Das ist ja keine Ausbil­dungs­stätte, sondern ein Riesen­be­trieb mit rund 50 verschie­denen Opern pro Jahr.“ Noch konkreter dürfte Welser-Möst dann in seiner Auto­bio­grafie werden, die am 10. August im Brand­stätter-Verlag erscheint. Fried­li­cher geht es im Musik­verein zu: Hier wurde Thomas Angyan mit einem liebe­vollen Video seiner Amts­zeit verab­schiedet, seit 1. Juli ist – wir haben damals als erste darüber berichtet – Stephan Pauly sein Nach­folger. Und weil wir gerade in Wien und bei den Neuen sind – hier einige Entweder-Oder-Fragen, die ich mit dem neuen Chef­di­ri­genten der Wiener Sympho­niker, mit , durch­ge­spielt habe.

SCHROTT-BEITRAG FÜR SCHOTT-VERLAG

Was hat sich das Heute-Journal nur dabei gedacht? Ehren­wert, dass es auf den Zustand des Schott Verlages in Zeiten von Corona aufmerksam machen wollte. Aber wenn es inzwi­schen zur -Politik gehört, so große Angst vor Klassik zu haben, dass der Bericht mit André Rieu beginnt, der – die Geige in der Hand – Carl Orffs „Carmina Burana“ diri­giert, dann läuft da doch irgend­etwas falsch mit dem Kultur­auf­trag der Öffent­lich-Recht­li­chen. All das scheint inzwi­schen Main­stream beim ZDF zu sein, zu sehen auch an der wirk­lich tragi­schen Show „Klassik im Club“, in der sowohl die Klassik, als auch der Club ihr Gesicht verlieren. Besser schon der Beitrag des Mittag­ma­ga­zins über die Situa­tion von Solo-Selbst­stän­digen, und unbe­dingt hörens­wert, wie der Deutsch­land­funk über Perspek­tiven nach dem Corona-Sumpf berichtet. Übri­gens: Der Schott Verlag ist nicht nur gefährdet, sondern feiert auch 250. Jubi­läum – mit einer sehr lesens­werten Firmen-Biografie und einer güns­tigen Jubi­läums-Reihe „Joy of Music“, in der die besten Haus-Musik-Stücke versam­melt sind – also: Musik einfach mal wieder selber machen! 

WER VERDIENT WAS?

Okay, manchmal ist Voyeu­rismus ja ganz span­nend. Nachdem Norman Lebrecht die Steu­er­erklä­rungen der US-Orchester von 201718 veröf­fent­licht hat, ist das Ranking auch kein Geheimnis mehr. Hier also für alle, die es inter­es­siert: Mit 3.527.730 Dollar gehört Riccardo Muti beim zu den best­ver­die­nenden Maestri. Gefolgt von Michael Tilson Thomas in San Fran­cisco (2.203.185 Dollar), in Los Angeles, in Dallas und Franz Welser-Möst in Cleve­land. Die ganze Liste gibt es hier

PERSO­NA­LIEN DER WOCHE

Yasu­hisa Toyota soll die Akustik im neuen Münchner Gasteig verant­worten, nun gibt es neue Bilder der neuen Archi­tektur vom Archi­tek­tur­büro Henn (s.o.). +++ Das Fest­spiel­haus in -Baden ist nicht nur das größte Opern­haus Deutsch­lands, sondern war immer auch Vorzeige-Modell des Privat­thea­ters. Nun wurde es für 18,4 Millionen Euro von der Stadt gekauft. Stadt und Fest­spiel­haus unter­zeich­neten am Montag einen Vertrag zur Nutzung für die kommenden 25 Jahre. stellt der Fest­spiel­haus und Fest­spiele Baden-Baden gGmbH die Bühne zur Verfü­gung und sorgt für den Unter­halt, der mit rund 3,6 Millionen Euro im Jahr ange­geben wird. +++ Daniel Morgen­roth wird 2021 neuer Inten­dant in -Zittau. Morgen­roth wurde 1984 in geboren und ist seit 2017 am Theater als stell­ver­tre­tender Inten­dant und persön­li­cher Refe­rent tätig. +++ Der öster­rei­chi­sche Diri­gent wird mit 24 Jahren jüngster GMD in Wuppertal. +++ Wir Musik­wis­sen­schaftler sind mit ihm und seinen Ideen aufge­wachsen: Das Nach­schla­ge­werk „Die Musik in Geschichte und Gegen­wart“ war seine Lebens­auf­gabe. Nun ist der Musik­wis­sen­schaftler Ludwig Finscher im Alter von 90 Jahren in Wolfen­büttel gestorben. +++ Auch die polni­sche Geigerin Ida Haendel ist verstorben – die Schü­lerin von George Enescu starb mit 91 Jahren in Miami. Der Violin­channel ruft ihr liebe­voll nach.

CORONA TICKER

Eigent­lich wollten sich die Wissen­schaftler um Matthias etwas mehr Zeit bis zur Veröf­fent­li­chung lassen, aber das Sing­verbot in Berlin hat sie bewogen, erste Ergeb­nisse ihrer Studie zu Aero­solen und dem Singen für den BR nun doch schon bekannt zu geben. Zusam­men­ge­fasst erklärt Echter­nach: „Was die Weiten nach vorne angeht, war es so, dass der gesun­gene Text die weitesten Weiten hatte. Hier ist es inter­es­san­ter­weise so, dass laut und leise gar keinen so großen Unter­schied gemacht hat (…) Wenn wir jetzt über Abstands­re­geln nach­denken, können wir sagen: zwei bis zwei­ein­halb Meter nach vorne sollte sehr wahr­schein­lich ausrei­chend sein, zur Seite sollten einein­halb Meter reichen – sofern die Aero­sole immer wieder entfernt werden! Und dieses Entfernen ist an der frischen Luft kein Problem. Aber in geschlos­senen Raum könnte es zum Problem werden. Wenn man eine konti­nu­ier­liche Durch­lüf­tung hinbe­käme, dann könnte man sich wahr­schein­lich an den normalen Proben­zeiten orien­tieren. Wenn man das nicht gewähr­leisten kann, muss ich regel­mäßig eine Stoß­lüf­tung hinbe­kommen, am besten nach zehn Minuten.“ +++ Die Leiterin der Hoch­schule für Musik  Berlin Sarah Wedl-Wilson hatte es in der Talk-Reihe „Brüg­ge­manns Begeg­nungen“ bereits befürchtet: Es wird aller­hand Musiker geben, die COVID-19 zum Anlass nehmen, sich von der Musik abzu­wenden und eine neue Karriere zu starten. In einem sehr lesens­werten Artikel beschreibt Kate Maltby nun erschre­ckende Einzel­bei­spiele vom engli­schen Markt – und gibt einen Einblick in die wich­tigsten Fragen, die sich Musiker derzeit stellen.

Banner Klassikradio

+++ Der Royal Albert Hall droht das Aus – das berichtet der Evening Stan­dard. +++ Dass Corona von einem Spar-Virus gefolgt wird, ist klar. Das zeigt schon jetzt der ORF, der weitere Spar­maß­nahmen – auch in der Kultur – ankün­digt. In wird die große Kultur-Spar-Welle wohl erst noch kommen. +++ Die Konfe­renz der Gene­ral­mu­sik­di­rek­toren und Chef­di­ri­genten fordert mehr Plau­si­bi­lität bei poli­ti­schen Corona-Entschei­dungen und fragt: „Bordell ja? Bohème nein?“ +++ Der Bund hilft, auf Drängen der Bundes­tags­ab­ge­ord­neten Elisa­beth Motsch­mann (wir haben berichtet), 27 freien Orches­tern und Ensem­bles finan­ziell weiter. +++ Die Inten­dantin der , Andrea Zietz­schmann, hat Georg Rudiger von der NMZ ein aufschluss­rei­ches Inter­view gegeben, in dem es darum geht, was sie gerade tut: „Wir mussten den Dialog mit unserem Publikum und mit unseren Mietern führen. Und bewegten uns dabei in der Anfangs­zeit auf unsi­cherem Terrain, weil fast jede Woche eine neue Pande­mie­ver­ord­nung erschien. Dann wurden die Oster­fest­spiele Baden-Baden und die große Europa-Tournee und die Konzerte in Israel abge­sagt. Auch das aufwän­dige Projekt mit Gustavo Dudamel bei den olym­pi­schen Spielen in wurde gecan­celt. Es gab in den letzten Monaten viele unan­ge­nehme Dinge zu klären: Wie löst man Verträge auf? Wie bekommt man seine Gelder zurück? Wir haben die längste Spiel­pause in der gesamten Geschichte des Orches­ters seit der Grün­dung 1882.“ 

Der Tipp der Woche

Mehrere Leser baten mich um Empfeh­lungen am Ende von Brüg­ge­manns Klas­sik­Woche. Also gut: Ich lese dieser Tage das Buch „Haus der Namen“ des irischen Autors Colm Tóibíneine Neuer­zäh­lung der Orestie: Eltern und Kinder, Mord und Totschlag. Eine brutale, aber groß­ar­tige Vorbe­rei­tung auf die „Elektra“ bei den Salz­burger Fest­spielen – besser kann man die Kate­gorie Wut in der Oper kaum verstehen!

Die Klas­sik­Woche hat mit einer guten Nach­richt und mit einem Sieg­fried begonnen, und sie soll lustig – und eben­falls mit Sieg­fried – schließen. Ich bin neulich beim „Daddeln“ auf das viel­leicht lustigste kurze YouTube-Video gestoßen, das den Humor von Musi­kern illus­triert…

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr 

brueggemann@​crescendo.​de

Gegen­dar­stel­lung

Auf die Aussage in einer früheren Fassung dieses Beitrags „Roščić hat einen Groß­teil des Sänger-Ensem­bles gefeuert, und nun soll es auch dem Bühnen­or­chester an den Kragen gehen. Roščić will es auflösen – und erntet neuen Unmut.“ teilte . Dr. Roščić mit, dass das nicht richtig sei. Er wolle das Bühnen­or­chester beibe­halten und hätte das zuletzt erst im Juni 2020 gegen­über dem Bühnen­or­chester, der Bundes­theater Holding GmbH als Eigen­tümer und dem Aufsichtsrat der Wiener Staats­oper GmbH ausdrück­lich bekräf­tigt.

Anm. der Redak­tion: Unsere Nach­frage nach Nach­weisen oder Wort­laut der o.a. State­ments von Hr. Dr. Roščić blieb unbe­ant­wortet. Auch für ein Tele­fonat war Hr. Dr. Roščić nicht erreichbar. Die Rich­tig­keit der Aussage kann daher von uns nicht über­prüft werden.