KlassikWoche 28/2023

Böse Miene und gute Laune

von Axel Brüggemann

10. Juli 2023

Christian Thielemanns Freude am Freisein, die Ablehnung westlicher MusikerInnen im belarusischen Minsk, Sir Simon Rattles Dirigat als Modell für Künstliche Intelligenz.

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

heute geht es um den Gute-Laune-Thie­le­mann, um Zoff in Karls­ruhe, um einen Sturm im Bayreu­ther Wasser­glas und West-Verbote in Belarus und aller­hand Perso­na­lien.

Bayreu­ther Hick­hack

Eigent­lich hatten wir im letzten News­letter das Bayreuth-Regie-Bashing von Ex-Inten­danten-Opi ja bereits als senile Verwir­rung abgetan, die es nur durch die Promi-Geil­heit der öster­rei­chi­schen Zeitung Die Presse zu einer Meldung geschafft hat. Aber weil die Zeit vor den Fest­spielen tradi­tio­nell die Zeit der (realen oder aufge­bla­senen) Skan­dale ist, hat sich diese Woche so ziem­lich jeder an Holen­ders Quatsch abge­ar­beitet. Nun bin ich als Mode­rator der Open Airs und des Kino­pro­gramms befangen. Aber es war schon inter­es­sant, zu verfolgen, wie Holender sich mit seinem Text ins eigene Knie geschossen und all jene demon­tiert hat, mit denen er an einem Strang zieht: In verschie­denen Zeitungen (etwa in der Abend­zei­tung München) wurde speku­liert, dass Holender den Text „diktiert“ habe, um sich an für seinen Raus­wurf zu rächen, der Münchner Merkur ordnete die Lage sach­lich ein, und selbst Jan Brach­mann in der FAZ kommen­tierte, dass es doch gut sei, wenn man endlich spontan nach Bayreuth fahren könne und lobte das Programm. Fakt ist, dass die Karten­preise (bis zu 459 Euro) sehr hoch sind (was Wagner bereits im Inter­view einge­räumt hat) und dass ausge­rechnet die Freunde der Bayreu­ther Fest­spiele um ihren streit­baren Chef Georg von Walden­fels die Situa­tion mit ins Rollen gebracht haben, da sie beson­ders ihre Ring-Kontin­gente (die spontan nur schwer zu verkaufen sind) nicht abge­rufen haben.

Robert Braun­müller subsu­miert das alljähr­liche Stroh­feuer so: „Man mag den unter ungüns­tigen Bedin­gungen heraus­ge­brachten Ring von für miss­lungen halten. Aber Ring-Leichen gibt es auch anderswo. Die übrigen Insze­nie­rungen bieten eine Viel­falt künst­le­ri­scher Hand­schriften. Roland Schwabs Tristan rückt die Musik in den Vorder­grund, Tobias Krat­zers Tann­häuser ist mehr sati­ri­scher Kommentar. Für die von Holender bestrit­tene Attrak­ti­vität Bayreuths bei Sängern spricht es, dass alle krank­heits­be­dingten Absagen zuletzt erst­klassig ersetzt werden konnten.“ Es war einfach nicht klug, beim Angriff auf die Fest­spiele auf einen eitlen Ex-Inten­danten zu setzen, dem nicht mehr klar zu sein scheint, dass die Welt sich weiter gedreht und die Ansprüche an Opern­häuser und Fest­spiele heute andere sind. Mehr noch: Ohne neue Lesarten, ohne eine Öffnung zu Kindern und Jugend­li­chen und zur Stadt wären Fest­spiele wie Bayreuth schon viel früher in die Kritik geraten. Und so sitzt Katha­rina Wagner wegen der argu­men­ta­tiven und stra­te­gi­schen Dumm­heit ihrer Gegner noch fester im Sattel als sowieso. 

Der Gute-Laune-Thiele-Mann

Sylt und Salz­burg sind die Stationen von Chris­tian Thie­le­mann diesen Sommer. Und es ist schon ein wenig verwun­der­lich, dass der Diri­gent derzeit haupt­säch­lich dazu befragt wird, wie es ist, wenn er irgendwo nicht diri­giert – wie diese Fest­spiele in Bayreuth (die dpa hat dieses viel­zi­tierte Inter­view geführt). Ich wurde immer wieder dafür kriti­siert, dass ich in diesem News­letter berichtet hatte, dass sein Vertrag bei den Salz­burger Oster­fest­spielen wohl nicht mehr verlän­gert würde, ebenso wie sein Vertrag bei der Säch­si­schen Staats­ka­pelle und dass auch Thie­le­manns Job als Musik­di­rektor bei den Bayreu­ther Fest­spielen wackelte. Für viele Lese­rinnen und Leser schien das undenkbar, und ich bekam (als Über­bringer der Nach­richten) aller­hand Schmäh­briefe. Doch es ist so gekommen, und Thie­le­mann scheint das Frei­sein nun auch erst einmal zu genießen (was er auch in unserem Gespräch betonte). Letzte Woche feierte er beim Sympho­nie­or­chester des Baye­ri­schen Rund­funks (BRSO) Erfolge, davor bei der Staats­ka­pelle Berlin (und natür­lich immer wieder in Wien). In einem sechs­sei­tigen Artikel über den Wandel der Berliner Klassik-Szene für den Cicero habe ich letzte Woche noch speku­liert, dass Thie­le­mann für viele nun wohl als der rich­tige Chef für die Staats­ka­pelle Berlin gelte (das Haus könnte sich mit ihm in Berlin in der eigenen Tradi­tion einrichten). Tatsäch­lich ist derweil hinter vorge­hal­tenen Händen aber immer öfter zu hören, dass die desi­gnierte Inten­dantin dem Berliner Orchester (das intern bereits für Thie­le­mann gestimmt habe) erklärt hätte, dass er nicht zu ihrem Favo­ri­ten­kreis zähle (bestä­tigen wollte das niemand). Und auch poli­tisch scheinen die Bedenken zu wachsen – wohl auch mit Blick auf die Ioan-Holender-Intrigen bei den Bayreu­ther Fest­spielen. Niemand will einen Chef, bei dem Loya­lität (auch gegen­über seinen alten Arbeit­ge­bern) nicht Grund­lage des Deals ist. Es bleibt also span­nend in Berlin. 

Perso­na­lien der Woche I

In Erl läuft der Ring des Nibe­lungen in der Regie von , und die nimmt kein Blatt von den Mund, was den desi­gnierten Inten­danten betrifft und den Umgang mit dem amtie­renden Inten­danten . Der sei „kalt­schnäuzig abge­fer­tigt“ worden, sagt Fass­baender der Tiroler Zeitung und kriti­siert damit auch Erl-Geld­geber Hans Peter Hasel­steiner. +++ So weit ist es gekommen: will im Wiener Konzert­haus auftreten, in einer konzer­tanten Version von La traviata – natür­lich mit ihrem Mann , begleitet von der Phil­har­monie Baden-Baden. Na denn. +++ Woher kommt eigent­lich die Wut der älteren Gene­ra­tion? Nun polterte auch in El País gegen jüngere Diri­gen­tInnen, die sich nicht vorbe­reiten (die Musi­ke­rInnen sind oft besser vorbe­reitet als die Diri­gen­tInnen) und gegen Regis­seu­rInnen, die sich angeb­lich nicht mit der Oper ausein­an­der­setzen. Ist ein Diri­gent für eine derar­tige Entwick­lung nicht mitver­ant­wort­lich? Und wo bleibt das Wohl­wollen des alters­weisen Mannes? +++ Der deut­sche Direktor der Uffi­zien in Florenz, Eike Schmidt, verliert seinen Posten. Die maxi­male Amtzeit für den Posten wurde auf acht Jahre begrenzt. Schmidt betont, seine Abset­zung habe nichts mit Auslän­der­feind­lich­keit der Meloni-Regie­rung zu tun. Aber es ist offen­sicht­lich, dass Italiens Rechte Ausländer in Kultur-Jobs nicht gerne sehen: ein Trend, der auch den Inten­danten der Mailänder Scala, , treffen könnte (hören Sie auch den Podcast zu Klassik in natio­na­lis­ti­schen Regie­rungen mit und Ádám Fischer). 

Die neue rbb-Inten­dantin Ulrike Demmer hatte es bereits vorweg­ge­nommen, nun wird immer klarer: Die ARD-Hörfunk­pro­gramme in Sachen Kultur werden wohl in Zukunft am Abend zusam­men­ge­legt. Das ist ein harter Einschnitt. Was das für Radio­or­chester bedeutet und für den Stel­len­wert der Kultur im öffent­lich-recht­li­chen Rund­funk gene­rell, ist ein großes Thema, dem wir uns an anderer Stelle widmen. Der Bad Blog of Musick beschäf­tigt sich seit 2020 mit der Abschaf­fung der Kultur im Radio – und schlägt schon mal Alarm!

Zoff in Karls­ruhe

Der desi­gnierte Inten­dant Chris­tian Firm­bach hat sich beim Macht­poker bereits vor Amts­an­tritt verzockt und steht nun vor einem Scher­ben­haufen: Gene­ral­mu­sik­di­rektor darf bis Sommer 2027 in Karls­ruhe bleiben (85 Prozent der Musi­ke­rInnen haben sich für ihn ausge­spro­chen). Über ein halbes Jahr lang gab es erbit­terten Streit um seine Vertrags­ver­län­ge­rung. Marie-Domi­nique Wetzel erklärt den Macht­poker am Badi­schen Staats­theater für den SWR: „Eins ist klar geworden: Die Mitar­bei­tenden des Badi­schen Staats­thea­ters wollen keinen Allein­herr­scher mehr an ihrer Spitze. Das Macht­ge­baren von Chris­tian Firm­bach hat böse Erin­ne­rungen wach­ge­rufen an den auto­ri­tären Führungs­stil des früheren Gene­ral­inten­danten Peter Spuhler. Dem neuen Mann an der Spitze nur den Titel ‚General‘ aus der Stel­len­be­schrei­bung zu strei­chen, reicht eben nicht aus, um wirk­lich einen neuen Führungs­stil zu etablieren.“

Minsk will keine west­li­chen Musi­ke­rInnen

Es ist wunderbar, wenn dieser News­letter zu Diskus­sionen führt. Mich hat der Diri­gent Wilhelm Keitel ange­schrieben: Er hat jahre­lang im bela­ru­si­schen Minsk gewirkt und – aus alter Verbun­den­heit – auch nach dem Über­fall Russ­lands auf die Ukraine am Bolschoi in Minsk diri­giert. Wir haben tele­fo­niert, und Keitel erklärte, dass es viele Menschen gäbe, für die gerade die Orchester ein Rück­zugsort waren – viele Musi­ke­rinnen und Musiker seien inzwi­schen aller­dings geflohen oder suchten nach Stellen im Westen. In seiner deut­schen Heimat hat Keitl ein Orchester mit haupt­säch­lich ukrai­ni­schen Musi­ke­rInnen und Musi­kern gegründet und ihnen erklärt, warum er auch weiterhin (in Absprache mit dem deut­schen Botschafter) nach Belarus fahre („viele haben meine Erklä­rung akzep­tiert, einigen fiel es schwer“). In unserem Gespräch wurde klar, wie unüber­schaubar die Situa­tion zuweilen ist. Dass Teodor Curretzis in Russ­land diri­giert, hält Keitel für unzu­mutbar, da der sich nicht erklärt und sich nicht eindeutig gegen die Inva­sion in der Ukraine ausge­spro­chen habe. Keitel selber beob­achtet, dass die Politik von Alex­ander Lukaschenko längst erbar­mungslos sei. Inzwi­schen hat er auch erfahren müssen, dass Minsk inzwi­schen kein Inter­esse mehr an Offen­heit hat: West­liche Musiker werden von Belarus nicht mehr einge­laden – das gilt neuer­dings auch für Keitel. 

Perso­na­lien der Woche II

Expe­ri­ment Klassik: Während den Sieg­fried diri­giert hat, trug er eine Brille, mit der Wissen­schaftler der Ludwig-Maxi­mi­lians-Univer­sität München und der Univer­sity of London seine Augen­be­we­gungen gemessen haben: Mit den Ergeb­nissen will man der KI beibringen, besser mit Gruppen zu inter­agieren. +++ Es kommt einem so vor, als habe er die Säch­si­sche Staats­ka­pelle schon seit einiger Zeit abge­ta­kelt, in Wahr­heit hat der Italiener erst jetzt seinen Vertrag als Chef­di­ri­gent unter­schrieben. Sein Amt tritt er am 1. August 2024 an. Span­nend geht anders. +++ „Mit seiner schönen, umfang­rei­chen Stimme, die sich durch eine glän­zende Höhe auszeich­nete, seinem enga­gierten Schau­spiel und seiner humor­volle Art gehörte Graham Clark von 1981 bis 2004 zu den großen Publi­kums­lieb­lingen der Bayreu­ther Fest­spiele.“ So verab­schie­dete sich der Nord­baye­ri­sche Kurier vom Opern­sänger Graham Clark, der am Donnerstag im Alter von 81 Jahren verstorben ist. Auch für mich persön­lich war sein Tod Anlass für eine gedank­liche Zeit­reise durch Auffüh­rungen, denen er durch seinen fesselnden Spiel­cha­rakter so viele Ecken und Kanten gegeben hat. 

Und wo bleibt das Posi­tive, Herr Brüg­ge­mann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es denn? Viel­leicht ja hier: Alle reden über den Nach­wuchs in der Musik. und ich haben uns beim Schleswig-Holstein Musik Festival mit jungen Menschen unter­halten – für ein Podcast-Projekt. Das Thema: Musik­me­tro­pole London. Daniel Hope beant­wortet Fragen zu Klassik und Popmusik, zur Krönung, zur briti­schen Hofmusik und zur Tradi­tion der Kastraten. 

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr

brüggemann@crescendo.de

Fotos: Matthias Creutziger, Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath