KlassikWoche 07/2023

Wer diri­giert die Staats­oper? Und: Geheimnis Musik­in­stru­ment

von Axel Brüggemann

13. Februar 2023

Spekulationen über die Nachfolge von Daniel Barenboim an der Berliner Staatsoper, das zögerliche Interesse Jugendlicher an der Klassik, der Machtkampf in Salzburg.

Will­kommen in der neuen Klas­sik­Woche,

heute mit einem Blick auf das Diri­genten-Karus­sell, einem Ausblick in die Zukunft der Klassik – und der Einla­dung, mich bei meinem Besuch in einer modernen Geigen­bau­werk­statt per Podcast zu begleiten.

Neues vom Diri­genten-Karus­sell

Agen­turen verpflichten, wie Norman Lebrecht beob­achtet, derzeit beson­ders gern junge Frauen: Harri­sonPar­rott die schwe­di­sche Diri­gentin Sofi Jeannin, KD Schmid die litaui­sche Diri­gentin und Paavo-Järvi-Assis­tentin Izabelė Jank­aus­kaitė. Aber wenn am Ende Personal-Entschei­dungen getroffen werden, gewinnen noch immer die Männer. Gerade wurde Gustavo zum desi­gnierten Chef des New York Phil­har­monic ernannt – nicht etwa eine Susanna Mälkki, die eben­falls im Gespräch war.

Während es oft heißt, die junge Frauen-Gene­ra­tion sei noch nicht so weit, hat ein Orchester wie das Concert­ge­bou­wor­kest in Amsterdam kein Problem damit, einen Jung­spund (voll­kommen ohne Opern-Erfah­rung) wie zu benennen, und der hat sich per Twitter gerade auch noch mit einem Lob für das Cleve­land-Orchestra als Nach­folger von ins Spiel gebracht.

Tja, und wie geht es weiter an der Staats­oper in Berlin? Nach wie vor scheint gerade in der Opern-Szene und bei großen Teilen des Publi­kums auf der Favo­riten-Liste als Nach­folger von zu stehen. In einer unre­prä­sen­ta­tiven Umfrage auf meiner Insta­gram-Seite stimmten 64 Prozent für ihn. 18 Prozent glauben, dass nach Berlin wech­seln könnte (aller­dings schrieb mir ein Leser zu Recht, dass Pappano eher ein Stagione-Haus leiten würde und keine Reper­toire-Bühne). Zwölf Prozent stimmten für die ukrai­ni­sche Diri­gentin Oksana Lyniv, nur fünf Prozent für einen Namen, den Frederik Hanssen vom Tages­spiegel ins Spiel brachte – und den auch ich sehr span­nend fände: Tugan Sokhiev, der das Bolschoi-Theater gleich nach Kriegs­aus­bruch verlassen hatte und unter anderen bei den Berliner Phil­har­mo­ni­kern vortreff­liche Konzerte gegeben hat. Aber viel­leicht kommt auch alles ganz anders! Aus Kreisen der Staats­oper selber hört man ganz andere Namen: Sir soll angeb­lich ein heißer Kandidat sein, ebenso wie der Italiener Daniele Rustioni und Robin Ticciati, der sich in Berlin bereits bestens einge­lebt hat. Mit anderen Worten: alles offen! 

Wie es war, wie es wird mit der Klassik

Eine Studie aus Öster­reich zeigt, dass nur 50 Prozent der Bevöl­ke­rung über­haupt öffent­liche Kultur­ange­bote nutzen. Beson­ders zöger­lich sind Jugend­liche – und die Klassik scheint nach der Corona-Krise am schlech­testen auf die Beine zu kommen. Der Kultur­wis­sen­schaftler Thomas Renz vom Berliner Institut für Kultu­relle Teil­ha­be­for­schung sagt, dass wir es derzeit verpassen, eine Debatte über ein poten­zi­elles Über­an­gebot in der Kultur zu führen. „Es galt und gilt die Devise: Kultur­för­de­rung ist per se gut.“ Die Frage, ob ein bestimmtes Angebot viel­leicht über­di­men­sio­niert oder gesell­schaft­lich nicht mehr rele­vant genug ist, werde nicht gestellt. Dabei solle man ohne Scheu­klappen disku­tieren, welche kultu­rellen Orte sich die Gesell­schaft weiter leisten will und welche nicht.

Tatsäch­lich scheinen etablierte Klassik-Insti­tu­tionen wie die Konzert­di­rek­tion Hans Adler den Wandel auch weiterhin lieber klein­zu­reden: Agentur-Chefin Jutta Adler versucht zwar irgend­welche neuen Formate, verkauft Hype-Künstler wie (intrans­pa­rent und ohne auf kriti­sche Medi­en­an­fragen zum aktu­ellen Zeit­ge­schehen zu antworten) und erklärt nun in einem Porträt für die Berliner Morgen­post, dass es schon immer Krisen gegeben habe und das Publikum mitt­leren Altes seit jeher schwach in der Klassik vertreten gewesen sei – und über­haupt: Es gäbe kaum neue Probleme! Ich persön­lich bin sicher, dass eine derar­tige Augen-Zu-und-Durch-Haltung Teil der Unat­trak­ti­vität der Klassik in der Öffent­lich­keit (und beson­ders bei jungen Menschen) ist. In einer Befra­gung der Deut­schen Musik- und Orches­ter­ver­ei­ni­gung unisono heißt es, dass zwischen Dezember 2022 und Januar 2023 bei knapp 60 Prozent der Orchester die Auffüh­rungen im Durch­schnitt schlechter besucht seien als zuvor, 40 Prozent beob­ach­teten eine in etwa gleich gute Auslas­tung, fünf Orchester berich­teten sogar von einer besseren Auslas­tung. Jeder posi­tive Trend ist gut für die Klassik – sicher aber ist auch: Wir befinden uns in der span­nenden Zeit des Wandels. Und Expe­ri­mente und Mut sind gerade heute beson­ders wichtig.

In Hannover ist die (Hunde)Kacke am Dampfen

Hanno­vers Ballett­di­rektor hat in der Premieren-Pause von Glaube – Liebe – Hoff­nung offen­sicht­lich FAZ-Kriti­kerin Wiebke Hüster mit Hundekot beworfen. Hüsters hatte Goecke zuvor für seine Insze­nie­rung In the Dutch Moun­tain beim Neder­lands Dans Theater in Den Haag kriti­siert: „Das Stück ist wie ein Radio, das den Sender nicht richtig einge­stellt kriegt. Es ist eine Blamage und eine Frech­heit, und beides muss man dem Choreo­gra­phen umso mehr anlasten, als Virtuo­sität und Präsenz der Tänzer des Neder­lands Dans Theater nach mehr verlangen.“ Nach Angaben der FAZ habe Goecke Hüster zunächst beschimpft, sie für die Abo-Kündi­gungen in Hannover verant­wort­lich gemacht, mit Haus­verbot gedroht und ihr schließ­lich aus einer Tüte Tierkot ins Gesicht geschmiert. Straf­an­zeige sei umge­hend erstattet worden.

Die FAZ wertet den Vorfall als Einschüch­te­rungs­ver­such und Angriff auf die freie Kritik. Hanno­vers Inten­dantin Laura Berman reagierte mit einem State­ment: „Wir haben unmit­telbar nach dem Vorfall den Kontakt zu der Jour­na­listin gesucht und uns persön­lich bei ihr und auch öffent­lich entschul­digt. Wir werden die arbeits­recht­li­chen Schritte gegen­über Ballett­di­rektor Marco Goecke prüfen.“ Man kann derar­tige „Scheiß-Aktionen“ als etwas anderes Lob der Kritik verstehen, aber auch als Anachro­nismus. 1923 wäre ein derar­tiger Vorfall ein echter Skandal: Heute ist er nur pein­lich für einen Künstler, der seine Arbeit in der Öffent­lich­keit zur Debatte stellt und öffent­liche Kritik offen­sicht­lich nicht abkann. Inzwi­schen hat das Theater Hannover Goecke vorläufig suspen­diert und mit Haus­verbot belegt, um weiteren Schaden vom Haus und dem Ensemble abzu­wenden. 

Opern­sänger hilft Bayern-Spieler

Recht­zeitig zum Achtel­final-Hinspiel der Cham­pions League bei Frank­reichs Meister Paris Saint-Germain hat sich Bayern-Abwehr­chef Dayot Upame­cano nach Adduk­to­ren­pro­blemen wieder fit gemeldet. Auch seine Probleme, auf dem Platz wieder laut spre­chen zu können, seien behoben worden.

„Nach Spielen hatte ich oft Halsweh, war heiser“, sagte er der dpa, „mit einem Opern­sänger habe ich jetzt meine Stimm­bänder verbes­sert. Wir haben gesungen, er hat mir Übungen beigebracht. Nun kann ich auf dem Platz wieder laut rufen.“ 

Macht­kampf in Salz­burg spitzt sich zu

Nun hat auch die Zeitung Der Stan­dard in Öster­reich den Mach­kampf in Salz­burg aufge­griffen. Am 28. Februar ist eine Kura­to­ri­ums­sit­zung ange­setzt, auf der es hoch hergehen dürfte. Wird da wirk­lich nur die Frage auf dem Programm stehen, Fest­spiel-Präsi­dentin zu entmachten und Inten­dant mehr Macht zu geben? Oder wird auch grund­le­gend debat­tiert, wie es nach Hinter­häuser in Salz­burg weiter­gehen soll? Eigent­lich müsste diesen Sommer über seine Nach­folge entschieden werden. Hinter­häu­sers künst­le­ri­sche Bilanz ist auf jeden Fall bescheiden, seine Inno­va­ti­on­kraft scheint erschöpft: die ewig glei­chen Namen ohne Aufre­gungs-Poten­zial, das beharr­liche Fest­halten an Künst­le­rinnen und Künst­lern aus dem Gestern. Dazu ein inter­na­tio­naler Imagae­schaden der Fest­spiele durch seine unam­bi­tio­nierte Aufar­bei­tung der Russ­land-Bezie­hungen und seinen weit­ge­hend igno­ranten Umgang mit musi­cAe­terna und Teodor Curr­entzis.

Landes­haupt­mann Wilfried Haslauer dürfte es darum gehen, bis zur Land­tags­wahl Ruhe zu haben. Danach wird es wohl zum Salz­burger Show­down kommen. Eine öffent­liche Demon­tage, wie Hammer sie in den letzten Wochen hinnehmen musste (und wie sie sympto­ma­tisch für Hinter­häu­sers Nicht-Loya­lität ist), wird niemand auf sich sitzen lassen. Freuen wir uns auf den dritten Akt dieses unwür­digen Fest­spiel-Spek­ta­kels.

Was von letzter Woche übrig blieb

Es ist groß­artig, dass dieser News­letter inzwi­schen eine eigene Commu­nity geschaffen hat – und immer wieder Debatten nach sich zieht. Letzte Woche habe ich an dieser Stelle über die Diskus­sionen um den Auftritt von in Wies­baden geschrieben und über die Finan­zie­rung von Teodor Curr­entzis« Utopia-Orchester. Martin Kienzl hat die Netrebko-Debatte nun nochmal ausführ­lich für Opern News aufge­drö­selt: Lese-Empfeh­lung. Außerdem gab es viele Reak­tionen auf unseren Bildungs-Podcast, in dem es um die Probleme beim Nach­wuchs von Musik­leh­re­rInnen ging. Ich habe das Thema noch einmal für den SWR zusam­men­ge­fasst

Perso­na­lien der Woche 

In Mailand stehen drei Gesangs­leh­re­rInnen unter Korrup­tions-Verdacht. Es geht um uner­laubte Geld-Annahme von chine­si­schen Studen­tInnen, um deren Karrieren zu beflü­geln. Bei Haus­durch­su­chungen wurden 110.000 Euro in Bargeld gefunden. +++ Der italie­ni­sche Diri­gent setzt sich für die Rettung der Villa des Kompo­nisten in Piacenza ein. So werden die Einnahmen eines Konzerts seines Jugend­or­ches­ters Cheru­bini dem Erwerb der Villa Verdi im nord­ita­lie­ni­schen SantAgata durch den italie­ni­schen Staat dienen. +++ Scala-Inten­dant hat einen TV- und On-Demand-Kanal gestartet, auf dem Opern­lieb­haber Live-Auffüh­rungen aus dem Mailänder Opern­tempel sehen können. +++ Im aktu­ellen Podcast des BRSO von Anne Schoen­holtz hat die Geigerin scharf die baye­ri­sche Staats­re­gie­rung in Sachen Konzert­haus-Neubau in München kriti­siert. So warf sie Bayerns Minis­ter­prä­si­dent Wort­bruch vor. Mutter im O‑Ton: „Bayern ist ja kein armes Bundes­land. Und es ist wirk­lich bitter zu sehen, dass man im Ausland von der Elbphil­har­monie schwärmt. Denn so viel neue, auch archi­tek­to­nisch aufre­gende Säle, hat Deutsch­land nicht zu bieten.“ 

Und wo bleibt das Posi­tive, Herr Brüg­ge­mann?

Ja, wo zum Teufel bleibt es nur? (Aufmerk­same Lese­rInnen haben mir zu Recht geschrieben, dass ich diese Erich-Kästner-Erwie­derung beim letzten Mal vergessen habe.) Heute möchte ich Ihnen meinen Besuch in der Geigen­bau­werk­statt von Julia Maria Pasch ans Herz legen: Sie ist Geigen­bauerin in Wien und denkt ihr Hand­werk neu. Außerdem debat­tiere ich mit Gregor Willmes von C. Bech­stein über die neue Viel­falt im Flügelbau. Wie verän­dert Inno­va­tion im Instru­men­tenbau unser Klang­ideal? Ist eine Stra­di­vari immer das bessere Instru­ment, oder strei­chelt sie oft auch nur das Ego ihres Besit­zers? Und wann beginnen Orchester ihren Klang durch den bewussten Ankauf von Instru­menten zu verän­dern? Wie erklärt sich, dass immer mehr Pianis­tInnen auf Viel­falt ihrer Instru­mente setzen? Span­nende Fragen, die ich gemeinsam mit Pasch und Willmes bespreche – dazu die ulti­ma­tiven Lobhu­de­leien an ihre Instru­mente von Klari­net­tist Daniel Otten­samer, Flötistin Elisa­beth Cham­pol­lion und Pianist Alex­ander Krichel. Zum Podcast geht es hier entlang. Hier zur Version für Spotify oder für apple.

In diesem Sinne: Halten Sie die Ohren steif!

Ihr 

Axel Brüg­ge­mann

brueggemann@​crescendo.​de