Die Salzburger Festspiele im Kino
Sehnsucht nach einem erhöhten Leben
von Ruth Renée Reif
19. Juli 2020
Die Salzburger Festspiele feiern ihr 100-jähriges Bestehen, und der Eröffnungsabend am 1.8.2020 mit "Elektra" und "Jedermann" ist live im Kino zu sehen.
Die Salzburger Festspiele feiern ihr 100. Jubiläum, und zum ersten Mal ist der Eröffnungsabend am 1. August 2020 mit der Neuinszenierung von Elektra und der Wiederaufnahme von Jedermann live im Kino zu sehen.
Die Salzburger Festspiele eröffnen ihre Jubiläumssaison mit dem Operneinakter Elektra, den Richard Strauss von 1906 bis 1908 nach Hugo von Hofmannsthals Drama schrieb. Krzysztof Warlikowski setzt mit Aušrinė Stundytė in der Titelrolle, Asmik Grigorian als Chrysothemis und Tanja Ariane Baumgartner als Klytämnestra das gewaltige Rache-Inferno in der Felsenreitschule in Szene. In der Rolle des Aegisth ist Michael Laurenz zu erleben, und Orest verkörpert Derek Welton.
Die dunkelsten Bereiche der Seele
Mit Elektra drangen Hofmannsthal und Strauss in die dunkelsten Bereiche der menschlichen Seele vor. Am auffallendsten an Elektra sei, so Warlikowski, dass alle Figuren böse seien. Man könne sie als unschuldig ansehen, verstrickt in ein Schicksal, das ihnen keinen Ausweg lasse, anders zu handeln.
Elektras Rachebedürfnis
Zu den Fragen, die Warlikowski in seiner Inszenierung aufwirft, gehört die Parteinahme Elektras für ihren ermordeten Vater Agamemnon: Warum fühlt sie sich aufgerufen, ihren Vater zu rächen? Und Warlikowski fragt nach der Beziehung Elektras zu ihrem Vater. Elektras Bruder Orest betrachtet er dagegen als bloßes Instrument: Ist er ein Instrument von Elektras Rachebedürfnis, verspürt er selbst den Wunsch, den einst bewunderten Vater zu rächen, oder ist er Instrument einer Pflicht, Rache für den ermordeten Vater zu nehmen?
Gewaltige Orchesterbesetzung
Musikalisch ging Strauss mit Elektra noch über seine anderen Werke hinaus. Mit eine gewaltigen Orchesterbesetzung von 115 Musikern stieß er bis an die Grenzen der Tonalität vor. Franz Welser-Möst steht am Pult der Wiener Philharmoniker.
Die Salzburger Festspiele werden Wirklichkeit
Entstanden ist das aufwühlende Werk seinerzeit auf Anregung des genialen Regisseurs Max Reinhardt. Und mit Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal rief Max Reinhardt 1920 auf Schloss Leopoldskron auch die Salzburger Festspiele ins Leben. Die Idee zu einem Festival in Salzburg war bereits im später 19. Jahrhundert entstanden. Aber Reinhardt ließ sie Wirklichkeit werden.
Schloss Leopoldskron
1918, noch während des Ersten Weltkrieges, hatte er Schloss Leopoldskron erworben. 20 Jahre verbrachte er damit, das an einem idyllischen Weiher nahe der Altstadt gelegene Schloss zu renovieren. Während der Festspiele wurde das Schloss glanzvoller Treffpunkt von Künstlern, Komponisten und Schauspielern, bis Reinhardt fliehen musste und das Schloss von der nationalsozialistischen Regierung als „jüdischer Besitz“ konfisziert wurde.
Theater als Traumbild
Wie Gottfried Reinhardt in den Erinnerungen an seinen Vater schreibt, sei die Zeugung der Festspiele bereits 1911 erfolgt, als Max Reinhardt Das alte Spiel von Jedermann im Berliner Zirkus Schumann auf die Bühne brachte. Reinhardt erweckte das Theater als „Traumbild“ wieder. Als Begründer des modernen Regietheaters sprengte er die Grenzen des Naturalismus. „Was mir vorschwebt, ist ein Theater, das den Menschen wieder Freude gibt. Das sie aus der grauen Alltagsmisere über sich selbst hinausführt. In eine heitere und reine Luft der Schönheit“, erläuterte er. „Ich spüre es, wie die Menschen es satt haben, im Theater wieder das eigene Elend wiederzufinden und wie sie sich nach helleren Farben und einem erhöhten Leben sehnen.“
Sein und Schein
Am 22. August 1922 erschollen von der Festung Hohensalzburg erstmals die Jedermann-Rufe. Auf dem Domplatz standen Alexander Moissi als Jedermann, seine Frau Johanna Terwin als Buhlschaft, Werner Krauß als Tod und Teufel, Helene Thimig als Gute Werke. Max Reinhardt ging es darum, die Aura existierender Örtlichkeiten für theatrale Wirkungen zu nutzen und so – in echt barocker Manier – die Grenzen zwischen Schein und Sein aufzuheben. Hugo von Hofmannsthals Jedermann setzte er auf dem Domplatz in Szene. Und hier ist „Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes“ seit Bestehen der Festspiele Jahr für Jahr zu erleben.
Partner aller Figuren
In der Wiederaufnahme der Inszenierung von Michael Sturminger aus dem Jahr 2018 (Foto oben: © Salzburger Festspiele / Matthias Horn) steht in diesem Jahr wieder Tobias Moretti als Jedermann auf dem Domplatz. „Es gibt kaum ein Stück, das so sehr auf den Schultern eines einzelnen Schauspielers ruht“, betont Sturminger. Der Jedermann-Darsteller sei der einzige Partner aller anderen Figuren. „Es ist seine Geschichte.“
Zugang zum Tod
Sturminger zielt mit seiner Inszenierung darauf, den alten Stoff aus der Gegenwart zu durchdringen: „Was passiert, wenn der Tod in das Leben tritt? Der Tod ist in unserer Kultur so sehr verdrängt wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte. Wir versuchen, uns zunehmend von unserer Endlichkeit abzuschotten und uns möglichst wenig damit zu konfrontieren, aber trotzdem ist letztlich allen klar: Um ein bewusstes Leben zu führen, ist es notwendig, einen reflektierten Zugang zum Tod zu finden. Das gehört grundsätzlich zum Leben dazu.“
Eine neue Buhlschaft
Die Rolle der Buhlschaft übernimmt erstmals Caroline Peters. Als Stimme des Herrn, Tod und Spielansager agiert Peter Lohmeyer. Jedermanns Mutter ist Edith Clever. In der Doppelrolle von Jedermanns guter Gesell und Teufel ist Gregor Bloéb zu erleben. Als Mammon tritt Christoph Franken auf. Die Guten Werke verkörpert Mavie Hörbiger, und der Glaube ist Falk Rockstroh.
Die Kinoübertragung von Elektra erfolgt am 1. August 2020 um 17 Uhr.
Die Kinoübertragung von Jedermann folgt um 21 Uhr.
Mehr Informationen zu den Kinos in den einzelnen deutschen Städten unter: www.salzburgimkino.de