Sommerliche Musiktage Hitzacker
Durch Zeiten und Räume
von Ruth Renée Reif
18. März 2022
Die Sommerlichen Musiktage Hitzacker ergründen in ihrer 77. Ausgabe vom 30. Juli bis zum 7. August 2022 seelische Räume und lassen ferne Zeiten anklingen.
Kokon lautet der Titel des Eröffnungskonzerts der Sommerlichen Musiktage Hitzacker. Der Dramaturg Daniel Finkernagel vereint unter dieser Hülle den Reigen der Bühnenkünste. Der SlamPoet Bas Böttcher, die Tänzer Yui Kawaguchi und Ruben Reniers, des Schlagzeugers Johannes Fischer und das Kuss Quartett gehören zu den Mitwirkenden.
Das Kuss Quartett ist auch dabei, wenn Pierre-Laurent Aimard sich den Klavierkompositionen von Elliott Carter widmet. Konzentriertes Zuhören und große Aufmerksamkeit forderte Carter für seine rhythmisch komplexe Musik. Aimard war er bis zu seinem Tod 2012 in Freundschaft verbunden und widmete ihm viele seiner Werke.
„Zeit.Räume“ hat der Intendant der Musiktage Oliver Wille als Motto ausersehen. Und Zeiten und Räume durchmessen die Musiker bei ihren Auftritten. In sein fernes Arkadien entführt Thomas Adès mit seinem Streichquartett Arcadiana. Das Quatuor Diotima malt mit dem Werk idyllische Klangbilder, die Adès im Rückgriff auf Mozarts Zauberflöte, Schuberts Lied Auf dem Wasser zu singen und Watteaus Gemälde L’Embarquement pour Cythere entwirft.
Psychische Räume der Enttäuschung, Einsamkeit, Angst und verzweifelten Hoffnung lässt der Komponist Francis Poulenc seine Protagonistin durchschreiten. In seiner nach einem Text von Jean Cocteau komponierten Monooper La voix humaine (Die menschliche Stimme) gestaltet er die emotionalen Auf- und Zusammenbrüche einer verlassenen Frau, die immer wieder versucht, die Vergangenheit ungeschehen zu machen, musikalisch nach. Die Sopranistin Ania Vegry setzt sich mit Yannick Rafalimanana am Klavier dem Psychogramm der gescheiterten Beziehung aus.
Seelische Räume durchschreitet die Pianistin Lilit Grigoryan in einem Sonnenaufgangskonzert mit Federico Mompous Música collada. Inspiriert zu dieser Idee schweigender Musik hatten Mompou die Schriften des Mystikers San Juan de la Cruz aus dem 16. Jahrhundert. „Dies ist die stille Musik“, schrieb San Juan in seinem Kommentar zum geistlichen Gesang, „denn sie ist das ruhige und stille Wissen, ohne hörbare Stimme, und so genießt man in ihr die Süße der Musik und die Ruhe der Stille. Die Seele sagt, dass der Geliebte stille Musik ist.“ Grigoryan möchte mit den Miniaturen, die Mompou als Höhepunkt seines Schaffens und musikalisches Vermächtnis ansah, der Schnelligkeit des heutigen Lebens entgegenwirken.
Im Abschlusskonzert geht es zurück in der Zeit. Auf dem Programm steht u.a. das Klarinettenkonzert von Krzysztof Penderecki aus dem Jahr 1993. Die Geigerin Viviane Hagner, der Geiger Oliver Wille, die Bratschistin Anna Maria Wünsch, die Cellistin Alexey Stadler, der Klarinettist Pablo Barragán und der Pianist Yannick Rafalimanana bringen das Quartett zur Aufführung, in dem Penderecki den wehmutsvollen Sehnsuchtston Schuberts anklingen lässt.
Titelfoto: Kay-Christian Heine